Tichys Einblick
Eine endgültige Lösung nach der anderen

Massenbegeisterung als Konstante

Gegen alle Heilsversprechen und gegen alle apokalyptische Marktschreierei brauchen wir den kontroversen demokratischen Streit selbst im Angesicht so verlockender Versuchungen wie der Atomkraft und der erneuerbaren Energien.

imago/epd

1950 hatte die Menschheit zum ersten Mal das Energieproblem gelöst. Endgültig. Die Atomkraft sollte die ganze Welt mit Energie zu einem gen Null tendierenden Sparpreis beglücken. Alternativlos waren alle im Bundestag vertretenen Parteien begeistert. Ernst Bloch als der Richard David Precht der Nachkriegszeit träumte in „Das Prinzip Hoffnung“ von Erdbeerzucht am Südpol mithilfe der Atomkraft. Und die beiden Volkskirchen haben bis Harrisburg des Volkes Mainstream gutgläubig abgesegnet. Schließlich ist man ja keine Sekte!

Die Sache mit der Atomkraft hatte allerdings serienmäßig einen kleinen Haken: Es fehlten die Endlagerstätten für den Atommüll. Man hatte also bildlich gesprochen die wunderschönsten neuen Toiletten gebaut – aber ohne Abfluss, ohne Anschluss an die Kanalisation. So ein Pech aber auch. „Das Problem werden wir in den nächsten 20 Jahren locker lösen“, war sich der Mainstream 1960 sicher. Doch diese Wette ist leider nicht aufgegangen. Bis heute sitzt die gesamte Atomkraftwelt auf einer Toilette ohne Abfluss und nicht nur in Asse stinkt es bis zum Himmel (und bis zum Grundwasser). Irgendwie will es nicht klappen mit der Endlösung der Energiefrage mithilfe der Atomkraft.

Doch die Trauer währte nicht lange. Der Mainstream in Deutschland hat sich in eine noch viel bessere Massenhysterie hineingesteigert – „erneuerbare Energien“. Kostenlos, jeden Morgen neu von der Sonne verschenkt. Wir dürfen ernten, wo wir nicht gesät haben! Ohne strahlende Abfälle! Und als Sahnehäubchen obendrauf verhindern die erneuerbaren Energien noch so ganz nebenbei die Apokalypse! Keine Klimaerwärmung mehr! Echt cool!

Logisch, dass die Massen hysterisch aufjubeln. Jetzt ist wirklich das Energieproblem gelöst. Endgültig.

Doch leider hat auch diese Sache einen kleinen Haken. So ein Pech aber auch! Wenn man erntet, braucht man Scheunen. Das weiß selbst der dümmste Bauer mit den dicksten Kartoffeln. Denn ernten im Sommer ohne Scheunen im Winter lässt die dicksten Kartoffeln verkommen und die Menschen verhungern.

Doch der Mainstream ist so fasziniert von der kostenlosen Energieernte, dass solche Feinheiten in der allgemeinen Hysterie untergehen. „Das Problem werden wir in den nächsten 20 Jahren locker lösen“, ist sich der Mainsteam 2019 sicher und schaltet siegesgewiss alle seine Atomkraftwerke und Kohlekraftwerke ab – in einer wunderbaren Harmonie aus linksgrüner und christdemokratischer Planwirtschaft zur Rettung der Welt. Und störrische Dummköpfe, die nicht hysterisch mitjubeln wollen, sind sowieso alles nur „Populisten“, die lediglich eine kleine und dumme Minderheit vertreten.

Und damit geht Deutschland erneut energiepolitisch eine krasse Wette auf die Zukunft ein. Und diesesmal steht bei der Wette weit mehr auf dem Spiel als Strahlen in Asse. Denn was passiert, wenn die Wette nicht aufgeht und Speichermöglichkeiten in nationalen Dimensionen nicht den technischen und wirtschaftichen Durchbruch schaffen? Dann bleibt uns ohne Atom und Kohle nichts anderes übrig, als den unkonstanten, zappeligen Ökostrom mit Gaskraftwerken auszugleichen. Mit dem demokratisch lupenreinen Gas aus Russland oder mit dem ökologisch lupenreinen Fracking-Gas aus den USA oder mit dem feministisch lupenreinen Gas aus dem Iran.

Und noch etwas Dummes: Strom aus Gas ist die teuerste aller Optionen! Sollten wir also die Energie kostenlos ernten und trotzdem weltweit die teuersten Strompreise haben?

Aber keine Panik. Mit den teuersten Strompreisen wird die deutsche Industrie ja locker fertig – denn unser Bildungssystem ist dem chinesischen und japanischen so haushoch überlegen, dass wir die höchsten Energiepreise in Deutschland locker mit deutscher Edelbildung kompensieren können – zur Not mit der Hilfe von syrischen und afghanischen Nobelpreisträgern, die gerne bei uns Asyl suchen.

Was aber passiert, wenn die zweite Massenhysterie Recht behält, wenn die Wette wirklich aufgeht und wir tatsächlich nationale Scheunen für Ökostrom hinbekommen?
Dann haben wir bei unserer Wette um Kopf und Kragen alles auf eine Zahl gesetzt – und gewonnen! Das wäre der Knüller. Dann könnten wir in Deutschland ähnlich wie 1989 eine Riesenfete feiern.

Höchstens für einige Ewignörgler würde die Frage bleiben, warum wir diese überlegene Technik Jahrzehntelang mit hunderten Milliarden subventionieren mussten.

Das Auto hat sich gegenüber dem Reiten ja auch nicht durchgesetzt, indem Kaiser Wilhelm in seinem Büro die Steigerungsraten für die Automobilindustrie geplant und das ganze mit der kaiserlichen Subventionsgießkanne begossen hat. Und selbst die Digitalkamera hat sich ohne Helmut Kohls Engagement weltweit durchgesetzt.
Aber solches kleinliche nickelige Nachtreten wegen ein paar hundert Milliarden wird uns dann in der Zukunft nicht stören – weil die große Wette aufgegangen ist.

Doch ehe wir den Sekt kaltsstellen – vielleicht sollten wir bei unserer deutschen Wette auf die Zukunft die Weisheiten eines guten Börsenmaklers beherzigen: Setze niemals all deinen Reichtum auf nur ein einziges Pferd. Zumal es dieses eine Pferd – die wirtschaftliche Scheune für Ökostrom für eine ganze Industrienation – noch gar nicht gibt, sondern erst noch gezüchtet werden muss. Höher zocken als auf ein noch nicht existierendes Pferd kann man nicht! Aus „bet at home“ wird „bet my home“.
Mir ist das zu hoch gezockt. Ich hätte darum gerne eine Alternative.

Und so wünsche ich mir von meiner evangelischen Kirche, dass sie Massenhysterien nicht unkritisch absegnet. Das hat unserer Kirche im Nachhinein noch nie gut getan. Ich wünsche mir, dass meine Kirche kühlen Kopf behält und mit Martin Luther die nüchterne Vernunft als das höchste Gut in der Politik preist.

Gegen alle Harmoniegelüste!

Gegen alle Heilsversprechen und gegen alle apokalyptische Marktschreierei brauchen wir den kontroversen demokratischen Streit selbst im Angesicht so verlockender Versuchungen wie der Atomkraft und der erneuerbaren Energien.


Pfarrer Achijah Zorn