Tichys Einblick
Grußwort von Kardinal Müller zu Ostern

„Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute!“

Gerhard Kardinal Müller wendet sich an Ostern mit einem exklusiven Grußwort an unsere Leser: Der Friede Gottes ist nicht von der Art, wie ihn Politiker, Ideologen und Milliardäre wollen. Die russische Aggression in der Ukraine ist ein Werk des Teufels, doch Christen dürfen nicht in die Rhetorik des Hasses und die Propaganda der Kriegsgewinnler einstimmen. Wir müssen uns Gedanken über den Frieden nach dem Krieg machen.

Gerhard Kardinal Müller, hier im Februar 2014.

Christ ist, wer an die weltüberwindende Macht Gottes glaubt, die er in der Auferweckung Jesu von den Toten als das Heil der Welt offenbart hat. Der Sohn Gottes konnte deshalb vor seinem Tod am Kreuz zu seinen Jüngern sagen: „Meinen Frieden gebe ich euch“ (Johannes-Evangelium 14, 27). Der Friede Gottes ist nicht von der Art, wie „die Welt“ der Politiker, Militärs, der Super-Milliardäre und Ideologen ihn dem Rest der Menschheit aufoktroyieren will.

Nicht in den Hass und die Propaganda einstimmen

Wir sind alle erschüttert über das Unglück und Leiden, das gewissenlose Machthaber über Menschen bringen, weil sie von der vergangenen oder künftigen Größe ihrer Nation phantasieren, selbstverliebt in den Träumen ihrer Omnipotenz und eines Luxuslebens im irdischen Paradies schweben oder auch nur, weil sie ihren primitiven Sadismus auskosten wollen.

Wenn wir Jesus dem Christus nachfolgen, dann dürfen wir Christen aber nicht einstimmen in die Rhetorik des Hasses und die Propaganda der Kriegsgewinnler in der Rüstungsindustrie und auf den Weltmärkten. Die Sendung der Kirche ist es, „Zeichen und Werkzeug zu sein für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit, indem sie das Evangelium Christi allen Geschöpfen verkündet“ (II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche, Lumen gentium Art 1). Das ist kein frommer, aber kraftloser Wunsch von religiösen Schwärmern, wie es die Zyniker und Nihilisten behaupten, denen das Recht des Stärkeren als das eherne Gesetz des Seins gilt.

Christen wissen: Hegemonialpolitik und Weltrevolutionen haben die Welt nicht verbessert

Gerade weil wir als Christen wissen, dass die sogenannte Real- und Hegemonialpolitik, die Staatsraison über dem Glück der Bürger, die blutige Weltrevolution als Blankoscheck für eine bessere Zukunft der Nachgeborenen niemals die Welt verbessert haben und unmöglich die Menschheit von den Übeln des Todes und des Bösen befreien konnten, klammern wir uns nicht an menschliche Versprechungen, sondern stützen uns allein auf Gottes Verheißungen. Der neue Mensch in einer neuen Schöpfung kann sich weder selbst zeugen noch pädagogisch oder technisch sich selbst konstruieren als seine selbstoptimierte Version.

Der Mensch kann nur von oben her im Geiste Gottes wiedergeboren (Johannes- Evangelium 3, 5; Apostelgeschichte 1, 8) werden, indem er sich in Christus als ein neues Geschöpf und Kind Gottes aus der Gnade empfängt. Diese Einsicht befreit uns aus dem Krampf der Selbsterlösung und macht uns fähig, in Wort und Tat Botschafter des Friedens zu werden. Konkret heißt dies an Ostern 2022, dass wir die Aggression des russischen Militärs gegen die ukrainische Bevölkerung vorbehaltlos als ein Werk des Teufels, „des Vaters der Lüge und des Mörders von Anbeginn“ (Johannes-Evangelium 8, 44) verurteilen und auch das natürliche Recht auf Selbstverteidigung anerkennen.

Aber wir müssen auch mit den Gedanken des Friedens auf die Zeit nach dem Kriege blicken.

Verfemung der Russen im Westen ist widervernünftig

Die Völker Europas werden noch lange in absehbarer Zukunft Nachbarn sein. Wo die Propaganda ganze Völker in den Hass gegeneinander treibt, müssen wir als Christen diesem Wahn-Sinn klar entgegentreten, auch wenn man uns dann je nach politischer Interessenlage als schlechte Russen, Deutsche oder Ukrainer, als vaterlandslose Gesellen oder mittelalterliche Universalienträumer heruntermacht.

Wenn jetzt in den USA und in Westeuropa jeder einfache oder prominente Russe angepöbelt, verfemt, ausgeladen und zur unerwünschten Person erklärt wird, ist dies nicht nur eine widervernünftige Vorbereitung auf den nächsten Konflikt, sondern vielmehr noch mehr eine unverschämte Undankbarkeit gegenüber Gott, dem Schöpfer und Vater aller Menschen, der uns alle in seinem Mensch gewordenen Sohn und im Heiligen Geist weltumspannend zu Brüdern und Schwestern gemacht hat.

Abrüstung in Gedanken, Worten und Werken

Deshalb war es ein wichtiges Zeichen für die ganze Welt, dass in diesem Jahr bei der Kreuzweg-Andacht von 10.000 Gläubigen mit dem Papst im Kolosseum, dem Ort brutalster Menschenverachtung in der vorchristlichen Welt, eine ukrainische und russische Familie symbolisch das Kreuz Christi gemeinsam trugen und so Gott um den Frieden gebeten haben, den sich die Welt aus eigener Kraft selbst nicht geben kann.

Angesichts der Übermacht des Zerstörungspotenzials, das einen kollektiven Selbstmord der Menschheit möglich macht, sollen wir Christen zusammen mit allen Menschen guten Willens „de-eskalierend“ auf dem Weg der totalen Abrüstung in Gedanken, Worten und Werken vorangehen. Deshalb sagt der Apostel Paulus den Christen in Rom, deren „Glaube in der ganzen Welt bekannt gemacht wird“ (Römer-Brief 1, 8) und zu jedem Einzelnen: „Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute!“ (Röm 12, 21).

Gerhard Kardinal Müller war von 2002 bis 2012 Bischof von Regensburg und von 2012 bis 2017 Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre.

Martin Lohmann/Gerhard Ludwig Kardinal Müller, Wahrheit. Die DNA der Kirche. Ein Gespräch. Fe-Medienverlag, 344 Seiten, 19,80 €


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