Tichys Einblick
Kleiner Staat - große Ziele

Wie Javier Milei Argentinien freiheitlich machen will

Kaum im Amt sorgt der neue argentinische Präsident für schlechte Presse im Ausland. Er wird als "rechtsradikal" und Populist bezeichnet. Tatsächlich verfolgt Milei eine klare libertäre Agenda. Inwieweit diese auch Eindruck in Deutschland hinterlässt, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Von Samuel Faber

IMAGO / ABACAPRESS
Wenn auf eine Person das viel geplagte Wort „polarisieren“ passt, dann auf Javier Milei. Der Argentinier, der im vergangenen Jahr zum Präsidenten seines Landes gewählt wurde, versucht erst gar nicht, Contenance zu wahren. So gesehen scheint es nur folgerichtig, dass sein Symbol nicht etwa die Friedenstaube, sondern die Kettensäge ist. Milei steht für Kompromisslosigkeit und Uneinsichtigkeit, was er in vielen TV-Auftritten in den vergangenen Jahren bewies: „Ich kann mit jedem kämpfen, der etwas Dummes sagt. Eine dumme Sache ist eine dumme Sache. Zwei plus zwei ist vier. (…) Mir ist Ihr Argument völlig egal“, er beschleunigt, als ob seine hellblauen Augen mit dem Katzenblick beginnen würden, ihre Pupillen zu weiten und grün zu werden. „Nein! Zwei plus zwei ist vier; Es ist aus! Hör auf herumzualbern. Das Gesetz der Schwerkraft besagt, dass der Apfel auf Newtons Kopf fiel! Nicht, dass Newton sich als Martín Palermo verkleidet hätte, den er nicht kannte, und nickend unter den Bäumen herumgelaufen wäre“, so Milei in einem Fernsehsender.

Dieses Zitat verkörpert, wie viele andere, seine Entschlossenheit, Argentinien zu einem freien Land zu machen. So hat er vor, die Zentralbank „niederzubrennen“, um die Inflation zu bekämpfen. Gleichzeitig betrachtet der 52-Jährige den Verkauf von Organen als „nur einen weiteren Markt“, den er legalisieren möchte. Er selbst bezeichnet sich als Anarchokapitalisten. Das bedeutet, dass über allen politischen Zielen die freie Entscheidung des Individuums steht. Der Staat hat die Aufgabe, dies zu ermöglichen. Und dies tut er, indem er sich immer weiter verkleinert, bis er sich schließlich selbst abgeschafft hat.

Gleichgeschlechtliche Ehe, aber Abtreibungsverbot

Intellektuell stützt sich Milei auf die Österreichische Schule. Man kann sich den Mann mit der Rockabilly-Frisur und den tiefstehenden Koteletten lebhaft vorstellen, wie er in der Manier eines Ludwig Mises das Treffen der Mont Pèlerin Society mit den Worten „You are all a bunch of socialists!“ („Ihr seid ein Haufen Sozialisten“) verließ. Der damalige Zankapfel zwischen Mises und dem anderen Ökonomen, Milton Friedman, war die Einkommensbesteuerung. In die gleiche Kerbe schlägt Milei. So hat er vor, 90 Prozent der Steuern in Argentinien abzuschaffen und den Staat zu verkleinern. Erste Schritte sind bereits getan: Die ursprünglich 18 Ministerien kürzte er auf die Hälfte.

Auch beim Thema Einwanderung gibt sich der Präsident klassisch libertär: So wirbt Milei nicht nur für freien Handel, sondern auch für offene Grenzen. Doch nicht für jedermann: Migranten mit Vorstrafen möchte er die Einreise verbieten. Außerdem will er Migranten ausweisen, die im Inland Straftaten begehen. Etwas, was auch in Deutschland Gesetzeslage ist, jedoch kaum angewandt wird. Ferner versteht sich Milei als Anhänger der freien Liebe und befürwortet die gleichgeschlechtliche Ehe. Umso mehr verwundert es, dass gerade deutsche Medien ihn als „Rechtspopulist“ oder sogar als „rechtsextrem“ bezeichnen, wie Ende des Jahres der Münchner Merkur.

Viele sehen seine Haltung zur Abtreibung als Widerspruch zum Libertarismus. Doch nicht Milei selbst. Im Jahr 2023 erklärte er gegenüber dem brasilianischen Medienunternehmen O Globo, er sei „völlig gegen“ das Recht auf freiwilligen Schwangerschaftsabbruch. „Der Liberalismus respektiert das Recht auf Leben aller, und Abtreibung ist ein Angriff auf das Leben.“ Ein Anarchokapitalist, der für ein striktes Abtreibungsverbot steht? Es erinnert an den US-amerikanischen Politiker Ron Paul, der zwar alle gängigen libertären Werte verteidigt, den Schutz des ungeborenen Lebens jedoch als höchstes Gut bezeichnet. Eine Sichtweise, die in Deutschland eher auf Unverständnis stößt, in anderen Ländern wie Brasilien, den USA oder eben Argentinien jedoch durchaus üblich ist.

Signal auch nach Deutschland?

Ob er aufgrund seiner Kindheit immer wieder zu Wutausbrüchen neigt, bleibt Spekulation. Was jedoch sicher ist: Javier hat über Jahre hinweg häusliche Gewalt erfahren. „Für mich sind sie tot“, sagte Milei im Jahr 2018, als er eine Talkshow moderierte. Über zehn Jahre lang sprach Milei kein Wort mit seiner Mutter und seinem Vater, die ihn unter Schlägen und Beschimpfungen großgezogen hatten. Laut dem Journalisten Juan Luis Gonzalez nannte man ihn in der Schule „El Loco“, „der Verrückte“, ein Image, das ihn später zum bekanntesten Ökonomen des Landes und schließlich zum Präsidenten machte.

Inwiefern er Argentinien seinen libertären Stempel aufdrücken kann, ist ungewiss. Einen ersten Eindruck bekam die Weltöffentlichkeit bei seiner Rede beim World Economic Forum. Doch Milei will mehr als nur die große Bühne: Neben einer Verschlankung des Staates plant er auch, gegen Demonstranten härter vorzugehen: „Wer die Straße blockiert, dem wird die Sozialhilfe entzogen!“ (El que corta, no cobra), sagte Milei. Außerdem sollen Organisatoren von Straßenblockaden mit mindestens zwei Jahren Gefängnis bestraft werden. Ob diese Maßnahme hilfreich ist oder eher kontraproduktiv, wird sich zeigen. Doch eines bleibt: Mit Javier Milei regiert in Argentinien ein Präsident, der sich einer klaren, freiheitlichen Agenda verpflichtet hat. Vielleicht strahlt etwas von dem, was der 52-Jährige vorhat, auch nach Deutschland aus.

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