Tichys Einblick
Die Natur bestimmt uns, nicht umgekehrt

Impfpflicht, „Windradpflicht“ – uns droht eine Fürsorgediktatur

Sowohl in der Energie- als auch in der Corona-Politik bestimmt Machbarkeitswahn die Politik, meint Marcel Luthe, Politiker der Freien Wähler. Ein Blick in die Geschichte zeigt: Hybris gegenüber Mensch und Natur führt nie zu einem guten Ende. Gastbeitrag von Marcel Luthe

IMAGO / Political-Moments

„Gefährlich ist’s, den Leu zu wecken,
Verderblich ist des Tigers Zahn,
Jedoch der schrecklichste der Schrecken,
Das ist der Mensch in seinem Wahn“

schrieb Friedrich Schiller in der „Glocke“ unter dem Eindruck der jakobinischen Gräueltaten der Französischen Revolution.

Auch die begann mit dem Eintreten für ein Ideal, eine große Idee: dem von Montesquieu präsentierten Gedanken der Gewaltenteilung, der Trennung und wechselseitigen Kontrolle von Exekutive, Judikative und Legislative. Und führte über die Blutbäder der Guillotine unweigerlich in den napoleonischen Militärputsch, Nepotismus und Kriegswirren in ganz Europa.

Die Geschichte der Menschheit ist voll von großen Ideen, die immer dann gescheitert sind, wenn sie gegen die natürliche Entwicklung, gegen das Wesen der Menschen, Tiere und Dinge und mit Gewalt durchgesetzt werden sollten. Eine solche Idee ist der Sozialismus, der uns dieser Tage insbesondere als administrativer Sozialismus alltäglich begegnet.

So ist meine Heimatstadt Berlin, die seit Jahren immer stärker die Segnungen des administrativen Sozialismus erfährt, ein mahnendes Beispiel der Gegenwart: die staatlichen Kernaufgaben – Sicherheit, Rechtsetzung, Rechtdurchsetzung – werden dort immer schlechter erfüllt, der Rechtsstaat zu einem Willkürstaat verzerrt. Gleichzeitig versucht eine ausufernde Exekutive in infantilisierendem Duktus den Kern des Privaten – Markt, Wirtschaft, Lebensführung – zu dominieren. Das historische Paradebeispiel des administrativen Sozialismus ist sicherlich Maos „Großer Sprung nach vorn“, der nicht nur massiv in die Handlungsfreiheit der Menschen eingriff – denken wir etwa an die Einrichtung der Volksküchen bei gleichzeitigem Verbot privater Mahlzeiten – sondern auch die Natur kontrollieren wollte: die Ausrottung der vier Plagen, der Fliegen, Mücken, Ratten und Spatzen in China zum Wohle der Menschen.

Die aus heutiger Sicht grotesk erscheinenden Maßnahmen, die im ganzen Land offensiv beworben wurden, wie etwa das stundenlange Topfschlagen, zeigten auch rasch Wirkung. Nach Schätzungen wurden fast zwei Milliarden Spatzen getötet.

Und somit gab es auch zwei Milliarden Fressfeinde der Heuschrecken weniger, die sich nun ungehindert vermehren konnten und – neben den anderen planwirtschaftlichen Eingriffen Maos – zur bisher größten menschengemachten Hungersnot der Geschichte mit etwa 45 Millionen Toten und gar Kannibalismus führten.

Hinzu kommen all die Toten, die sich diesem Wahn widersetzt hatten, weil sie Zweifel daran hatten, dass diese Maßnahmen helfen könnten, die Ernährungssituation in China zu verbessern – auch hier dürften etwa zwei Millionen Menschen gestorben sein.

Dabei hätte China aus den Erfahrungen der stalinistischen Sowjetunion lernen können, die ein Vierteljahrhundert zuvor durch ähnliche planwirtschaftliche Eingriffe in ein funktionierendes System acht Millionen Hungertote verursacht hatte – und ganz nebenbei insbesondere in der Ukraine als Holodomor gezielt der Vernichtung eines ganzen Volkes diente.

Nach meiner Überzeugung ist es eben diese Hybris, die den Sozialisten – ob er sich nun so oder auch Konservativer oder Liberaler nennt – von seinen Mitmenschen unterscheidet: die schier größenwahnsinnige Selbstüberschätzung der menschlichen Macht, der arrogante Wille, sich die Natur untertan zu machen und es besser zu wissen als diese.

Die medienöffentlich diskutierten, angeblichen Problemfelder unserer Zeit zeigen das eindrucksvoll.

Der sogenannten Klimapolitik liegt die Annahme zugrunde, unsere Milliarden Jahre alte Erde habe sich gefälligst konstant und exakt so zu verhalten, wie es das seit einem Wimpernschlag bestehende Menschlein sich denkt – und sich insbesondere an die ein paar Jahrhunderte alte Definition des gregorianischen Kalenders zu halten. Auch Meldungen wie „heißester Sommer in der Geschichte“ offenbaren sich als ridikül, wenn wir uns vor Augen führen, seit wann wir über halbwegs verlässliche Wetterdaten verfügen.

Aber sei´s drum: der Planet hat sich daran zu halten, was der Sozialist sich für ihn erdacht hat.

Oder nehmen wir die Energiepolitik: ähnlich wie bei Maos „Großem Sprung“ hat man nun die vier Plagen erkannt: Kohle-, Öl-, Gas-, und Atomenergie. Die Einwendungen derer, die in der Mittelstufe dem Physiklehrer aufmerksamer gelauscht haben als die Habecks dieser Welt, und wissen, dass es schlicht unmöglich ist, eine konstante Netzlast bei variabler Energiezufuhr zu halten, das Märchen von Energie aus Sonne und Wind also nicht funktionieren kann, da sich die blöde Natur mal wieder nicht an die Vorgaben des sozialistischen Planes hält, wird keine Beachtung geschenkt. Auch die Warnungen derer, die auf die fatalen ökologischen Folgen von Windrädern hinweisen – das durch diese verursachte Sterben von Vögeln und Fledermäusen erinnert fatal an Maos Experiment – werden ignoriert.

Ebenso wenig wie übrigens denen, die zu Recht auf die sehr endlichen Vorräte von Batterierohstoffen hinweisen.

Die Folgen von immer massiveren Stromausfällen werden angesichts der Abhängigkeit unserer vernetzten Welt von Energie noch fataler sein als die der chinesischen Spatzenjagd vor einem guten halben Jahrhundert.

Trotzdem sprach Wirtschaftsminister Robert Habeck vor kurzem von einer „Windradpflicht“, die seiner Meinung nach in Deutschland schon herrschte – eine interessante sprachliche Analogie zur Impfpflicht.

Am klarsten wird dieser sozialistische Herrschaftsanspruch über die Natur ganz aktuell in der Corona-Politik: der „Kampf gegen Corona“ leugnet ebenso die Natur des Lebens – das auch Krankheit und Tod umfasst – wie die Existenz von Viren als integraler Bestandteil der Natur.

Die kurzfristigen sozialen und psychologischen Folgen erleben wir bereits, die gesundheitlichen Kollateralschäden sind ebenso sichtbar. Die Folgen des administrativen Sozialismus für den Hunger in der Welt spüren wir selbst noch nicht – und was kümmert es denn den deutschen Kanzler, ob in Asien, Afrika und Südamerika die Menschen sich nicht mehr durch Arbeit ernähren können, weil man durch noch die dagewesene planwirtschaftliche Eingriffe die globale Ökonomie aus dem Gleichgewicht gebracht hat?

Was kümmern die zahlreichen Erkenntnisse dahingehend, dass die „Maßnahmen“ nicht nur nicht nutzen, sondern vielmehr sogar die Verbreitung der Viren fördern, wie etwa das alltägliche, vollkommen unsachgemäße Tragen von wiederverwendeten Einmalmundschutz?

Bezeichnend ist, dass bis zum heutigen Tage die Sozialisten keine kohärente Antwort geben, wer denn durch die „Maßnahmen“ geschützt werden soll: ein anderer Mensch – dann kann er doch die „Maßnahmen“ für sich ergreifen, wenn er sie als richtig erachtet – oder man selbst?

Konrad Jarausch hat den sehr prägnanten Begriff der Fürsorgediktatur geprägt, als Beschreibung eines Staatswesens – der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik – das nur das Wohle des Bürgers im Sinn hat, indem es sich anmaßt, diesen zu bevormunden und zu bestimmen, was zu dessen Wohle sei. Eben dies geschieht meines Erachtens auch aktuell.

Die ersten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu den sogenannten Corona-Maßnahmen befassen sich – womöglich bewusst – nicht mit der eigenen Rechtsprechung des Gerichts, das inzwischen bei der Sterbehilfe von einem „verfassungsgerichtlich anerkannten Recht, dem eigenen Leben selbstbestimmt ein Ende zu setzen“ spricht.

Wer das Recht auf ultimative Selbstschädigung, den Suizid, nicht nur als zulässig, sondern als Ausfluss der Menschenwürde geboten erachtet, kann für ein „weniger“ an Selbstschädigung, etwa eine absichtliche oder auch nur fahrlässige Erkrankung nichts anderes gelten lassen.

Insoweit verbietet das Grundgesetz jedwede staatlichen Eingriffe, die dieser damit begründet, den angeblich fürsorgebedürftigen Bürger vor sich selbst schützen zu wollen: es geht den Staat eben nichts an.

Es ist richtig, neue, effizientere Technologien zu entwickeln, aber falsch, etwas mit Gewalt durchzusetzen, nur weil es neu ist. Es ist richtig, Kranke möglichst gut zu behandeln, aber falsch, in das Leben Gesunder einzugreifen. Und es ist stets falsch, die Natur grundlegend verändern zu wollen.

Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift. Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist. Dieses Wort von Paracelsus habe ich in einer meiner ersten Plenarreden aufgegriffen, als es um das Wesen des Totalitären ging.

Wir alle – insbesondere aber die Kollegen in Bund und Ländern – täten gut daran, uns darauf zu besinnen, und die Dosis deutlich zurückzunehmen. Sonst werden wir unsere Demokratie vergiften.