Tichys Einblick
Gedanken eines Bürgers

Immigration und andere Herausforderungen Deutschlands

Jörg Hardt arbeitete als beratender Ingenieur und Wirtschaftprüfer im Bereich Finanzierung von konventionellen und erneuerbaren Energieprojekten. Seit mehreren Jahren ist er selbständig in diesem Bereich tätig. Hier seine Gedanken.

Noch nie gab es vor Bundestagswahlen so viele Erhebungen und Umfragen, die suggerieren zu wissen, was die Bürger Deutschlands denken, wie sie „ticken“ und welche Partei sie wahrscheinlich wählen werden.

Im Folgenden, die wirklichen Gedanken eines besorgten Bürgers zu einigen der wesentlichen Herausforderungen Deutschlands mit denen ich, so denke ich, nicht alleine stehe. Unabhängig wie repräsentativ diese Gedanken letztlich sind,  hoffe ich, sie bieten eine Anregung zur Diskussion und zum Nachdenken so kurz vor den Wahlen.

I. Grenze der persönlichen Belastbarkeit

Ich habe den Eindruck, dass die Mehrzahl der Bürger bereits im Jahr 2015 an ihre persönliche Leistungsgrenze gestoßen ist – dies sowohl in Bezug auf ihre Steuerabgabenbelastung als auch in Bezug auf die psychischen Belastungen ihres Erwerbslebens. Das die psychische Belastungsgrenze bereits für viele Bürger erreicht war ist daran festzumachen, dass u.a. die Anzahl der psychischen Krankheiten inklusive der Symptome des „ausgebrannt seins“, in den letzten Jahren stark zugenommen haben.

Der Anfang dieses Jahrzehnts war wesentlich durch die Auswirkungen der deutschen Wiedervereinigung und das Ende einer langen Rezession gekennzeichnet. Die letztere konnte nur durch die für Teile der Bevölkerung durchaus bittere Medizin der Agenda 2010 überwunden werden. Dennoch wäre wahrscheinlich ohne diese bittere Medizin für viele die Folgen einer verlängerten Rezession bis hin zur langfristigen Arbeitslosigkeit noch viel schwieriger zu bewältigen gewesen.

Die Agenda 2010 hat jedoch zu einer Spaltung der Gesellschaft in eine Gruppe relativ gut verdienender Arbeitnehmer und einer Schar von weniger gut verdienenden Arbeitnehmern geführt, die teils nur mit einer Mehrzahl von Minijobs (und sozialer Unterstützung) ihr Auskommen bestreiten können. Wobei die psychischen Auswirkungen der hohen Leistungsanforderungen der einen Gruppe und der Existenzängste der anderen möglicherweise vergleichbare psychische Belastungen darstellen.

Was ich an dieser Stelle sagen möchte ist, dass am Ende des Jahres 2015 die meisten Bürger darauf gehofft, wenn nicht sogar erwartet haben, etwas für ihren Verzicht und ihre Anstrengungen des letzten Jahrzehnts zurückzubekommen, u.a. in Form von wesentlichen Steuererleichterungen (inkl. der Abschaffung des Solidaritätszuschlags) und höherer Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Sicherheit usw. Doch die Regierungsentscheidungen zur Öffnung der deutsch-österreichischen Grenze im September 2015, zum damaligen Höhepunkt der Flüchtlingskrise, sollte eine andere Geschichte schreiben.

II. Der Staat verletzt das Gerechtigkeitsgefühl seiner Bürger

Über die Gründe der Entscheidung unserer Regierung die Grenze von Deutschland für eine unkontrollierte Einwanderung zu öffnen, (und auch bis heute offen zu halten) sind viele Artikel und ganze Bücher geschrieben worden. Hierauf möchte ich nicht eingehen. Was mich an dieser Stelle viel mehr bewegt sind die folgenden zwei Gesichtspunkte:

  • Die Entscheidung wurde im Parlament weder ausführlich diskutiert noch durch eine Abstimmung im Parlament getroffen.
  • Die Auswirkung dieser Entscheidung sind wesentliche Ausgaben für Personen (über einen ungewissen jedoch langen Zeitraum), die durchaus humanitär begründet werden können, jedoch das Solidaritätsprinzip als wesentliche Säule unseres Gemeinwesens außer Kraft setzt.

Gerechtigkeit des Gesetzes

Die Entscheidung zur Grenzöffnung ohne parlamentarische (und damit demokratische) Grundlage zu treffen, kann evtl. durch eine Notsituation begründet werden. Dass dieser Zustand bis heute ohne Parlamentsbeschluss anhält, ist auch unter Staatsrechtlern viel diskutiert und die Frage zur Legitimität der Aufrechterhaltung der Grenzöffnung wird wohl erst in der Zukunft klar beantwortet werden. Für den einzelnen Bürger bleibt das Gefühl, dass ihm der Schutz des Grundgesetzes gegen eine unkontrollierte Zuwanderung von Personen, die zum Teil weder politisch verfolgt werden, noch als Kriegs- oder Bürgerkriegsflüchtlinge anzuerkennen sind, versagt wurde. Was das besondere dieser Entscheidung ausmacht, ist, dass deren Folgen fast sofort zu spüren, jedoch nicht voll abzuschätzen und größten Teils unumkehrbar sind. Dass sich damit Deutschland sowie Europa für immer verändert haben und weiter verändern werden, ist zwangsläufig.

Für die meisten Bürger bleibt im Gegensatz zur eigenmächtigen Handlung der Regierung in der Flüchtlingsfrage jetzt nur die Möglichkeit, über die demokratische Willensbildung (d.h. Wahlen) Einfluss auf die zukünftige Flüchtlingspolitik zu nehmen. Ein langsamer Prozess, in dem sich manche, letztlich von der Mehrheit der Bevölkerung nicht getragene Änderungen, schon unumkehrbar manifestiert haben dürften.

Daneben gab es während der letzten Monate auch eine Reihe von Rechtsprechungen in Bezug auf Flüchtlinge, die nur schwer mit dem Rechtsempfinden des einzelnen Bürgers in Einklang zu bringen sind. Doch da, wo Rechtsprechung und Rechtsempfinden auseinanderlaufen, ist langfristig der Rechtsstaat in Gefahr. Dazu ein paar Gedanken des Staatsrechtlers Otto Depenheuer „Kein Gesetz kann sich selbst exekutieren. Seine Umsetzung bedarf vielmehr der Rechtsloyalität und des Willens des Staates seine Rechtsordnung effektiv zu wahren, zu schützen und durchzusetzen…Deshalb verlangt der demokratisch-freiheitliche Rechtsstaat entschiedenes Handeln nach Maßgabe der Gesetze ohne >> Ansehung der Person <<…“. (1)

Gerechtigkeit unter den Gesichtspunkten des Eigentums und des Solidaritätsprinzips

Die Regierung scheint darüber hinaus vergessen zu haben, dass sie nur der Verwalter des Steueraufkommens ist und dass dieses Steueraufkommen als kollektives Eigentum jedem einzelnen Bürger in Form von Leistungen zusteht. Die Verwendung eines nicht unwesentlichen Teils dieses Steueraufkommens für Flüchtlinge, die z.T. nicht einmal eine Chance auf Asylanerkennung haben, setzt das Eigentumsrecht außer Kraft, was vereinfacht ausgedrückt schlicht einer „Enteignung“ (wenn auch nicht unbedingt im strengen rechtlichen Sinne) der Bevölkerung gleichkommt. Doch Eigentumsrechte waren und sind bis heute, anders als offene Grenzen, die Grundlage für jede freie Gesellschaft.

Die Aufkündigung des Solidaritätsprinzips darüber hinaus, d.h. dass nur derjenige Anspruch auf eine finanzielle Leistung hat, der einen finanziellen Beitrag geleistet hat, untergräbt weiterhin das Vertrauen in die Richtigkeit und Notwendigkeit dieser für Deutschland so wichtigen gesellschaftlichen Regel. Wie bereits zuvor erwähnt sollte man sich bewusst machen, dass es nicht zuerst die Gesetze und Regeln sind, die das Innere einer Gesellschaft zusammenhalten, sondern  die Bereitschaft diese Gesetze und Regeln einzuhalten (d.h. die Rechtsloyalität). Die Folgen der jetzigen Politik sind wahrscheinlich viel tiefer und langfristiger, als die Politik es augenblicklich abzusehen vermag.

III. Das Problem der „Großen Zahlen“

Die Nettokosten je 1 Mio. Flüchtlinge für den deutschen Staat auf der Basis einer Generationenbilanz werden von verschiedenen Stiftungen und Finanzwissenschaftlern unterschiedlich eingeschätzt und sind stark davon abhängig, ob eine Integration in den Arbeitsmarkt gelingt oder nicht. Die hohe Anzahl („Großen Zahlen“) der Flüchtlinge bedeutet jedoch, dass die Kosten in jedem Fall wesentlich sind. Die geschätzten Kosten je 1 Mio. Flüchtlinge variieren stark zwischen 130Mrd und 450Mrd Euro (2)  – mit einigen wenigen Studien (3), welche die Flüchtlingsmigration als eine langfristig lohnende Investition einordnen. Integration in den Arbeitsmarkt bedeutet, dass die Migranten Einkommen erzielen, die dem Durchschnitt der insgesamt in Deutschland anwesenden Bevölkerung entsprechen, so dass die Migration den Staat netto kein Geld mehr kostet. Alle Ökonomen sind sich jedoch einig, dass bei der Migration als Ganzes für mehrere Generationen von keinem Nettosteuerbeitrag ausgegangen werden kann.

Das Problem der großen Anzahl ist jedoch nicht auf finanzielle Aspekte begrenzt. Ungefähr 70% aller Flüchtlinge sind minderjährige, männliche Personen. Dass dies verstärkt, durch eine andere Sozialisierung, eine eigene Problematik mit sich bringt, hätte man eigentlich voraussehen sollen. Zudem ist diese große Gruppe an salopp formuliert „sexuell frustrierten“ jungen Männern ein idealer Nährboden für die Radikalisierung und Rekrutierung des Islamischen Staates (IS), wie der Anstieg an Terrorattentaten der letzten Zeit in Europa deutlich zeigt. Dazu treten diese Personen meist in Gruppen im öffentlichen Raum auf, was (zumindest gefühlt) ein gesteigertes Gefahrenpotential insbesondere für Frauen, aber auch andere Mitglieder unserer Gesellschaft inklusive der Polizei darstellt.

Spätestens wenn die Sperre zum Familiennachzug für Personen mit subsidiärem Schutz im nächsten Jahr ausläuft, werden darüber hinaus vermehrt erwachsene und ältere Personen zuwandern. Da die meisten von ihnen wohl kaum eine gleichwertige gesundheitliche Vorsorge und Versorgung in ihren Heimatländern erhalten haben, dürften hierdurch und auch durch die Fluchtstrapazen/-folgen ein höherer Versorgungsrückstand und eine höhere Versorgungsnotwendigkeit bestehen. Berücksichtigt man noch dazu die zusätzlichen Kosten für die mit der Flüchtlingswelle gleichzeitig sprunghaft angestiegenen „eingewanderten“ Krankheiten. können die Auswirkung wohl kaum ohne eine entsprechende Erhöhung der Krankenkassenbeiträge oder höherer Zuschüsse des Bundes bewältigt werden.

Schleuser bzw. Schlepper scheinen auch entdeckt zu haben, dass ein auf große Zahlen, d.h. ein auf Volumen ausgelegtes Geschäftsmodell durchaus finanzielle Vorteile bieten kann. In den Medien wird berichtet (z.B Zeit Online), dass sich Schleuserkosten in den letzten Jahren wesentlich reduziert haben. Geht man illustrativ von einem Preis von nur 1.000 Euro je Flüchtling aus, die ein Flüchtling an einen Schlepper zahlt, sind dies 1 Mrd. Euro bei 1 Mio. Flüchtlingen. Die Schleuser lassen sich ihre Vergütung bestimmt auch gerne, zumindest z.T., über die ersten Leistungsempfänger in Europa finanzieren. Absurd erscheint das Ganze besonders dann, wenn man davon ausgeht oder es zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Teil dieser Gelder an den IS fließt und wir daher wohlmöglich selbst für den zukünftigen Terror in Europa bezahlen.

IV. Grenze des Machbaren?

Geht man von den Ausgaben des Bundes zur Bewältigung der Flüchtlingskrise 2016 von etwa 21.7 Mrd und rund 1.17 Mio Asylsuchenden aus (offizielle Zahlen gehen von 890.000 Asylsuchende in 2015 und weiteren rund 280.000 in 2016 aus (4)), ergeben sich hieraus vereinfach Durchschnittskosten von 18.5 Mrd. EUR je 1 Mio. Flüchtlinge.

Illustrativ bedeutet das:

1 Mio. Flüchtlinge – 18.5 Mrd. pro Jahr

1.5 Mio. Flüchtlinge – 27.75 Mrd. pro Jahr

3 Mio. Flüchtlinge – 55.5 Mrd. pro Jahr …

Aus dieser einfachen Beispielrechnung wird schnell einsichtig, dass die Entscheidung, so viele Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen, nicht ohne wirtschaftliche Konsequenzen bleiben kann. Ich glaube nicht einmal, dass es die Absicht der Regierung war, eine solch hohe Anzahl an Flüchtlingen in Deutschland langfristig aufzunehmen, sondern eher eine Folge einer einfachen Fehleinschätzung, d.h. zu glauben, dass eine Verteilung von Flüchtlingen nach Quoten innerhalb Europas von Deutschland unilateral durchsetzbar ist und damit sozusagen erzwungen werden kann.

Diese mögliche Entwicklung der Flüchtlingskosten muss man auch in den Zusammenhang mit der Entwicklung der öffentlichen Haushalte der letzten Jahre im Allgemeinen setzen. Nach Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung sind sowohl die Ausgaben als auch die Einnahmen der öffentlichen Haushalte zwischen 1950 und 2016 kontinuierlich gestiegen. In fast allen Jahren seit 1950 übertrafen dabei die Ausgaben die Einnahmen. Erstmals seit den 1950er Jahren übertrafen in 2014 (+8.1 Mrd.) und 2015 (+29.1 Mrd.) die Einnahmen die Ausgaben in zwei aufeinanderfolgenden Jahren (siehe Graphik unten). D.h. die jährlichen Flüchtlingskosten von heute wären vor 2015 nicht ohne eine Neuverschuldung tragbar gewesen.

Die zahlreichen Finanzierungsdefizite seit 1950 haben bereits zuvor zu einem Anstieg der Schulden der öffentlichen Haushalte geführt. Nicht zuletzt durch die globale Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 stiegen die Schulden im Jahr 2010 sprunghaft an und lagen erstmals bei mehr als zwei Billionen Euro (2.000.000.000.000). Es ist daher einsichtig, dass die Auswirkungen der Flüchtlingspolitik zum jetzigen Zeitpunkt nur durch die gute Konjunktur verbunden mit dem schwachen Euro und den Zinseinsparungen des Bundes aufgrund der Nullzinspolitik der EZB (geschätzt rund 22 Mrd pro Prozentpunkt Zinseinsparung, bei einer Gesamtverschuldung von heute ungefähr 2,2 Billionen Euro) tragbar erscheinen. Wer jedoch diese günstigen Wirtschaftsparameter zum Normallfall der Haushaltsplanung erhebt, erscheint das empirische (und unumgängliche) Gesetz, das jede Volkswirtschaft letztendlich durch Konjunkturzyklen geht, außer Kraft setzen zu wollen.

Auch bei einer angenommenen Halbierung der durchschnittlichen Kosten je Flüchtling wird leicht einsichtig, dass die Aufnahmen von Flüchtlingen von Deutschland (und von Europa als Ganzes) nicht unbegrenzt möglich ist, besonders wenn man berücksichtigt, dass alleine in Afrika 1.1 Mrd Menschen leben, geschätzt schon 65.6 Mio Menschen (laut UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR) zur Zeit auf der Flucht sind und in vielen afrikanischen Ländern bereits Bürgerkriege oder bewaffnete Konflikte herrschen. Nicht allein unter diesen Gesichtspunkten erscheint die Diskussion darüber, dass das Asylrecht keine Obergrenze vorsieht, nicht weiterführend. Darüber hinaus gibt es nach dem Staatsrechtler Udo di Fabio keinen Rechtsgrundsatz, der den Staat zwingt, in beliebiger Höhe oder prozentualer Höhe Menschen aufzunehmen“. Seiner Ansicht nach müssen das die demokratischen Staaten mit Mehrheit entscheiden, d.h. eine Rechtspflicht gibt es aus seiner Sicht nicht (5). Es ist daher nur erstaunlich, dass Deutschland und Europa bisher Unwillens oder unfähig war, seine Grenzen zu schützen.

Volkswirtschaftlich macht es zudem wenig Sinn, Personen aufzunehmen, von denen man weiß, dass sie kaum eine Chance auf Anerkennung haben, und deren Abschiebung (wenn überhaupt durchsetzbar) mit hohen Zusatzkosten verbunden ist. Das zerstört volkswirtschaftlichen Wert, der ansonsten auch für die Unterstützung weiterer Schutzbedürftiger vor Ort eingesetzt werden könnte. Verwunderlich ist in diesem Zusammenhang, dass sich der Bundesrechnungshof bisher nicht zu dieser doch recht offensichtlich wenig wirtschaftlichen Vorgehensweise des Bundes geäußert hat.

V. Entscheidung ohne langfristige Folgenabschätzung

Nach dem Buch von Robin Alexander „die Getriebenen“ erscheint die Entscheidung zur Grenzöffnung im September 2015 mehr eine Entscheidung „aus dem Bauch heraus“ gewesen zu sein, wohlmöglich zur Vermeidung >>hässlicher Bilder<<, als eine weitsichtige, gut durchdachte Entscheidung der Regierung unter Berücksichtigung langfristiger Folgen für Staat und Gesellschaft. Hätte jedoch die deutsche Bevölkerung nicht ein Anrecht darauf gehabt, dass zumindest ausgiebig (auch im Parlament) diskutiert wird wie die gesellschaftlichen Veränderungen einer großen Zuwanderung von Menschen aus anderen Kulturkreisen denn aussehen solle, bevor diese bedeutende Entscheidung getroffen wurde? Vielleicht hätte auch ein Großteil der Bevölkerung 2015 die Meinung von Frau Charlotte Knobloch, der früheren Präsidentin des Zentralrats der Juden vertreten, die etwa sinngemäß formuliert hat – dass sie gar nicht möchte, dass Deutschland sich ändert, weil es das beste Deutschland ist, das wir je hatten, mit einer in jeder Hinsicht funktionierenden Demokratie. (6)

Die Regierung scheint aufgrund der außergewöhnlich guten wirtschaftlichen Lage Deutschlands der letzten Jahre darüber hinaus vergessen zu haben, dass Deutschland weiterhin und insbesondere in der Zukunft im Wettbewerb mit anderen Ländern steht. Nicht zuletzt das Vereinigte Königreich versteht sich als Unternehmen (d.h. UK plc), aber auch die USA werden (ob schlecht oder recht) verstärkt unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten regiert. Eine Schwächung Deutschlands durch eine wenig vorausschauende Flüchtlingspolitik kann Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit über Jahre negativ beienflussen.

Wesentlicher Erfolgsfaktoren für ein ressourcenarmes Deutschland waren schon immer Bildung und Innovation. Diese und damit der Wohlstand Deutschlands erscheinen nun, durch die Auswirkung der Aufnahme von einer solch hohen Anzahl von Zuwanderern in Gefahr. Eine direkte Auswirkung auf den Wohlstand ergibt sich alleine dadurch, dass der Wohlstand pro Kopf in einer Gesellschaft sinkt, wenn die Zuwanderer weniger qualifiziert sind und weniger verdienen als der Durchschnitt. Daneben besteht die Gefahr, dass die Zuwanderung das Bildungs- und damit das Leistungsniveau in Deutschland senken. Zum einen haben viele der Flüchtlinge einfach zu viel aufzuholen, zum anderen wirkt sich eine hohe Anzahl von Flüchtlingskindern und -jugendlichen, die anfänglich nicht einmal im Ansatz die deutsche Sprache beherrschen dürften, in den Schulklassen mancher Regionen auf das Lernniveau und Lerntempo ihrer deutschsprachigen Mitschüler aus.

War Deutschland zumindest bis vor einigen Jahren eines der wenigen Länder in Europa, dass jedem Kind, unabhängig von Herkunft, einen gleichwertig hohen Bildungsstand zu erlauben schien, erscheint dies nun in Frage gestellt. In den Regionen Deutschlands, in denen die Qualität der Schulausbildung durch die Auswirkungen einer erhöhten Zuwanderung nicht mehr gewährleistet erscheint, werden Eltern, soweit sie es sich leisten können, ihre Kinder in Zukunft auf eine Privatschule schicken oder in anderer Weise außerschulisch fördern. Der Druck auf die Regierung, private Schulträger vermehrt zuzulassen, wird wohl zunehmen. Ich befürchte hier Verhältnisse wie in Großbritannien und Amerika, die zu einer fortschreitenden Spaltung der Gesellschaft beitragen.

Ein sinkendes Bildungs- und Leistungsniveau ist keine gute Ausgangslage für Deutschland mit dem Ziel eines Innovationsführers in einer digitalisierten Welt (Stichwort: Digitale Transformation 2.0). Unter dem gleichen Gesichtspunkt der zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands ist es unverständlich, dass die Regierung es zulässt, dass Schlüsselindustrien z.B. an Staatsfonds (Sovereign Funds) aus dem Nahen Osten oder an Firmen in China veräußert werden können (Bsp. Unternehmen Kuka Industrieroboter). Anstelle dessen sollte die Regierung ein Vetorecht erhalten, um zu verhindern, dass Unternehmen, die insbesondere ein Branchenwissen besitzen (und das damit dem Unternehmen nicht alleine gehört) an ausländische Investoren veräußert werden können und damit die langfristige Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in Frage stellen.

Die stetig steigenden Steuerbelastungen der letzten Jahre sind auch ein Zeichen dafür, dass sich Deutschland vermehrt zu einem Versorgungsstaat entwickelt hat, was weder zur gestiegenen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands noch zur Mündigkeit einzelner Empfängergruppen beiträgt. Der Sozialbericht 2017 weist bei einem Bruttoinlandsprodukt von 3.132.7 Mrd insgesamt Euro 918 Mrd  (ca. 30% der Wirtschaftsleistung) für Sozialleistungen aus und das trotz niedriger Arbeitslosigkeit. Diese Tendenz zu höheren Sozialleistungen kann sich insbesondere durch die Zuwanderung von sogenannten „Armutsmigranten“ nur verstärken. Bezeichnend ist jetzt schon, dass heute etwa nur 27 Mio der 44 Mio Erwerbstätigen Deutschlands Nettosteuerzahler sind (7).

Zusammenfassend lässt sich in Folge einer fehlenden Folgenabschätzung feststellen: Ein sich zunehmend schwächendes Deutschland, heißt nicht nur, dass es in Zukunft im Wettbewerb mit anderen Ländern kaum mehr bestehen kann, sondern auch, dass es seine Führungsrolle in Europa verlieren wird. Die weitgehend reaktive Flüchtlingspolitik folgt wie zuvor die Eurokrisenpolitik oder die Energiepolitik wegen mangelnder Voraussicht der Regierenden dem „Gesetz der unbeabsichtigten Folgen“. Diese reaktive Politik führt auch dazu, dass deren Lösung und Lasten vermehrt auf nachfolgende Generationen verschoben werden. Um eine größere Krise schon in der näheren Zukunft zu vermeiden, muss Deutschland unweigerlich zurückfinden zu einer vorausschauenden, vernunftsorientierten Politik, die den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft im Sinne von Ludwig Erhard folgt. Das heißt auch, dass Leistung sich in Deutschland wieder lohnen muss, um die Leistungsfähigkeit und Innovationskraft von Deutschland zu erhalten.

VI. Youth & Brain Drain

Es ist eine edle Handlung, die Grenzen aus humanitären Gründen zu öffnen. Der Sogeffekt, der dadurch entstand, dass dies weitgehend ungesteuert und unkontrolliert passierte, hatte jedoch zur Folge, dass nicht nur Flüchtlinge – im Begriff des Grundgesetzes (Artikel 16a) oder der Genfer Flüchtlingskonvention (§ 3 AsylG) – , sondern auch vermehrt Wirtschafts-/Armutsmigranten und Kriminelle ihr Glück in Europa suchen. Insbesondere das EU Recht, dass jede Person ein Anrecht auf eine Prüfung seines Asylgesuchs hat, öffnet die Tür zur illegalen Einwanderung, wenn zur Prüfung dieses Rechts eine Einreise nach Europa zugelassen wird. Schwer nachzuvollziehen, wenn man bedenkt, dass dies auch für die Personen gilt, die quasi keine Chance auf Anerkennung haben.

Während einige der Flüchtlingsländer eine wesentliche Reduzierung der Kriminalitätsraten melden, bleibt für sie doch das Problem, dass die Flüchtlingspolitik zu einer Auswanderung meist jugendlicher oder der besser ausgebildeter Menschen führt, eben jenen, die sich die größte Chance in einem neuen Land  ausmalen. Diese sind jedoch für das Funktionieren und den zukünftigen Erfolg einer Gesellschaft unabdingbar. Man könnte daher die These aufstellen, dass die jetzige Flüchtlingspolitik (oder besser das Fehlen einer solchen) die Fluchtgründe langfristig eher verstärkt, als zu ihrer Beseitigung beizutragen. Dazu fällt mir ein Zitat des deutsch-jüdischen Schriftstellers Kurt Tucholsky ein: „das Gegenteil von gut, ist gut gemeint“, dass manche bestreiten mögen. Unbestreitbar jedoch ist, dass es ein Fehler ist, nicht eindeutig zwischen Flüchtlingen und Wirtschaftsmigranten zu unterscheiden und dass bisher immer noch eine weitgehend unkontrollierte Einreise nach Europa (auch von Kriminellen und IS Kämpfern) möglich ist.

VII. Der Irrweg der Leitkultur?

Zu Recht hat die Diskussion über die Integration von Flüchtlingen auch zu einer Diskussion über die deutsche Identität und damit über die deutsche Leitkultur geführt. Viel Kritik mussten „die Deutschen“ sich gefallen lassen, dass die meisten nicht wüssten, welche Werte ihre Kultur eigentlich ausmachen. Ist es nicht eher ein hohes Gut einer Gesellschaft, wenn die Werte, die sie ausmachen, so selbstverständlich sind, dass sich eine Gesellschaft dieser nicht mehr täglich bewusst werden muss? Leider hat sich die Situation in den letzten Monaten merklich in dem Sinne verändert, dass der Verlust von Werten, die als selbstverständlich erachtet wurden, nun verstärkt und fast täglich ins Bewusstsein der Bürger tritt. Insbesondere die unbeschwerte Bewegung im öffentlichen Raum erscheint, zumindest gefühlt, nicht allein durch die Terrorattacken der letzten Monate nicht mehr als selbstverständlich. Wenn Frauen nicht mehr alleine abends ausgehen möchten; wenn ein Freund seine fast volljährige Tochter am Nachmittag zum Kölner Bahnhof begleitet; wenn Eltern ihre Teenagert nicht mehr alleine ins Schwimmbad gehen lassen; wenn Kinder nicht mehr alleine mit dem Fahrrad zur Schule fahren können und meine Mutter (86) nicht mehr alleine mit dem Zug in die Stadt fahren möchte, dann hat sich zumindest in den Köpfen der Gesellschaft schon einiges seit Ende 2015 verändert. Ich fürchte zutiefst um die Freiheit unserer Gesellschaft und Selbständigkeit unserer Kinder.

Die Diskussion um eine Leitkultur (im Sinne z.B. de Maizières Thesen, die Gewohnheiten und Sebstverständlichkeiten einbeziehen), um zu klären um welche Form der Integration es in Deutschland eigentlich geht, erscheint jedoch wenig zielführend. Dies insbesondere, wenn es um die Integration von Teenager oder Erwachsenen geht, für die der Sozialisierungsprozess bereits weitgehend abgeschlossen ist. Was insbesondere für eine erfolgreiche berufliche Eingliederung notwendig ist, ist weniger die Anpassung an die Leitkultur einer Gesellschaft im Sinne de Maizières als die Anpassung an den national dominierenden gesellschaftlichen Wertekonsens. Für Deutschland heißt dies uneingeschränkt ein Bekenntnis zu Bildung, Leistung, Arbeit und Qualität der Arbeit. Wenn wir diese Werte, neben Grundwerten wie Demokratie und Freiheit, nicht bewahren, hat dies langfristige Auswirkungen nicht nur auf die Wirtschaftsleistung Deutschlands.

VIII. Integration – Illusion oder Wirklichkeit?

Wie bereits zuvor erwähnt, hängen die voraussichtlichen Kosten der Integration aus ökonomischer Sicht, insbesondere davon ab, ob eine Integration in den Arbeitsmarkt möglich ist. Der Sachverständigenrat des Bundes (die „fünf Wirtschaftsweisen“) kommt in seinem Jahresgutachten 2016/17 zu dem Schluss, dass die mit der Flüchtlingsmigration der vergangenen und anstehenden Jahre verbundenen zusätzlichen Ausgaben kaum auf die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen durchschlagen werden. Entscheidend ist jedoch bei den betrachteten Szenarien vor allem die Arbeitsmarktintegration. Je schneller und umfassender sie gelingt, desto geringer sind die langfristigen fiskalischen Kosten. D.h. eindeutig, dass die Einschätzung zur langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen auf der Prämisse der erfolgreichen Arbeitsmarktintegration (als Vorstufe zur breiteren gesellschaftlichen Integration) beruht.

Auf der Basis volkswirtschaftlicher Theorie kann es jedoch keine Arbeitsplätze für Personen geben, deren Produktivität unterhalb des Lohnes oder des Lohnersatzes des Staates liegt. Ersteres, weil kein Unternehmen langfristig Mitarbeiter einstellt, die keinen Gewinn erwirtschaften. Letzteres, weil die wenigsten zumindest langfristig bereit sind, für Lohn zu arbeiten, der unterhalb ihrer ansonsten bezogenen sozialen Leistungen liegt. Hartz IV hat dazu beigetragen, dass die Lohnansprüche sinken und es zu niedrigeren Löhnen mehr Arbeit gibt. Mit der Einführung des Mindestlohnes im Januar 2015 wurde jedoch eine absolute Lohnuntergrenze eingeführt. Kern des Problems ist, dass soziale Leistungen und eine absolute Lohnuntergrenze (über dem markträumenden Niveau) Anreiz für Migranten schaffen, ins Land zu kommen, aber mehr Arbeitsplätze nach einer Zuwanderung nicht ohne eine Lohnverminderung entstehen können. Darüber hinaus wird die Produktivität vieler Zuwanderer wohl lange unter dem Mindestlohnniveau bleiben. Bedenkt man, dass eine Vielzahl der Niedriglohntätigkeiten in den letzten Jahren im Zeichen der Globalisierung mit der Produktion in andere Ländern abgewandert oder durch technologischen Wandel (z.B. Automatisierung und Digitalisierung) weggefallen sind, erscheint eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt von einer großen Anzahl von Zuwanderern alleine aus dieser theoretischen Sicht unwahrscheinlich. Nach Berichten des Spiegel gab es 1.06 Mio offener Stellen zu Jahresbeginn von denen nur jede fünfte Stelle keine Ausbildung voraussetzte, d.h. rund 200.000 (8). Anders ausgedrückt, eine Migration in die Arbeitslosigkeit ist für eine Großzahl der Flüchtlinge wesentlich wahrscheinlicher.

Folgerichtig bleibt es dann nicht aus, dass gering oder nicht qualifizierte Zuwanderer entweder mit der Bevölkerung um eine begrenzte Zahl von Niedriglohnjobs konkurrieren oder der Mindestlohn für Zuwanderer ausgesetzt werden müsste, um neue Arbeitsplätze für diese zu schaffen? Konkurrieren jedoch Zuwanderer um Arbeitsplätze unter einem Mindestlohnprinzip, heißt dies dann nicht, dass für jeden Zuwanderer, der einen Arbeitsplatz erhält, ein Bürger an Stelle des Zuwanderers in das System der staatlichen Unterstützung wandert? Dies trägt wohl kaum zur Wertschöpfung in Deutschland bei. Diese Zusammenhänge wurden bereits 2005 vom Ökonom Hans Werner Sinn in seiner Vorlesung „Der Sozialstaat: Mächtigster Konkurrent der Wirtschaft“ recht eindeutig beschrieben.

Der Erhalt eines Arbeitsplatzes ist jedoch nur die erste Hürde, denn danach geht es für einen Zuwanderer (wie für alle Bürger) darum, einen solchen für Jahre inne zu halten und Beiträge zu leisten. Jeder weiß, welche Herausforderungen das für den einzelnen über ein Arbeitsleben bedeuten kann. Eine Problematik, die bisher kaum thematisiert wurde. Daneben wollen die meisten Zuwanderer verständlicherweise möglichst schnell Geld für die Unterstützung z.B. ihrer Familien oder evtl. zur Bezahlung ihrer Schlepperkosten verdienen – die Aussicht auf nur einen Mindestlohn für Jahre in die Zukunft mag da nicht die richtigen Anreize für eine langfristige Beschäftigung bieten. Eine sprunghafte Zunahme des illegalen Erwerbs inklusive der Schwarzarbeit ist in den nächsten Jahren daher nicht auszuschließen.

Integration in den Arbeitsmarkt ist darüber hinaus ja nur der erste Schritt zu einer breiteren gesellschaftlichen Integration. Integration in die Gesellschaft bedeutet viel mehr und schließt insbesondere soziale Kontakte auf allen Ebenen und durch alle Lebensphasen ein. Dies setzt jedoch ein „Einlassen wollen“ auf beiden Seiten, der Flüchtlinge als auch der Bevölkerung eines Landes, voraus. Die kulturellen Unterschiede und Unterschiede in der Sozialisierung (z.B. patriarchische Strukturen), religiös begründete Hemmnisse kommen wahrscheinlich gerade, und insbesondere für die männlichen Migranten, bei der Frage der sozialen Integration besonders zum Tragen, die zur Zeit gut 70% aller Flüchtlinge ausmachen. Integration wird daher wohl zuerst von den Frauen und Kindern ausgehen.

Die Integrationsbereitschaft der aufnehmenden Gesellschaft nimmt verständlicherweise umso mehr ab, je mehr Terror und Unsicherheit von der Bevölkerung verspürt und mit der Zuwanderung in Verbindung gebracht wird. Es ist nicht unmöglich, dass der zunehmende Terror, die zunehmende Kriminalität und zunehmende Brutalität von Straftaten dazu führen kann, dass sich bereits in den Jahrzehnten zuvor gut integrierte Zuwanderer von einer zunehmend ablehnenden Haltung der aufnehmenden Gesellschaft gegen Zuwanderer in „Sippenhaft“ genommen fühlen und dies langfristig zu deren Desintegration beiträgt.

Folgerichtig würde dies auch bedeuten, dass ohne eine Integrationsbereitschaft (auf beiden Seiten) und ohne Integrationsfähigkeit alle staatlichen Anstrengungen nicht den erhofften Erfolg haben werden. Es besteht daher die reale Gefahr, dass viel Geld und Zeit in die Integration investiert wird, sich aber am Ende nur wenig mehr als die Personen integrieren, die sich ohnehin integriert hätten.

Hätte man in den letzten Jahrzenten auch nur einen Bruchteil des Aufwandes dafür verwendet, den zum Teil sehr gut ausgebildeten arbeitslosen Jugendlichen unserer europäischen Nachbarländer den Weg in die deutsche Wirtschaft zu ermöglichen, wäre eine wirkliche Integration Europas wahrscheinlich schon einen größeren Schritt weiter gekommen, als dies jemals durch eine von Brüssel diktierte Harmonisierungspolitik mit den Bestrebungen zu einer Fiskal-, Transfer- oder Haftungsunion erreicht werden kann. Es ist nicht zu spät für Politik und Wirtschaft über die (zusätzliche) Eingliederung von arbeitslosen Jugendlichen unserer europäischen Nachbarländer, im Zuge der Integrationsbemühungen für Flüchtlinge, nachzudenken. Unabhängig davon besteht die Möglichkeit, dass sich die Spaltung in zwei sich parallel entwickelnde Gesellschaften, eine mit einer überwiegend abend- und eine mit einer überwiegend morgenländlichen (muslimischen) Kultur, fortsetzt.

IX. Die Problematik der Abschiebung

Das einmal in Deutschland angekommene Flüchtlinge nur schwer abzuschieben sind, ist weitestgehend bekannt, denn bislang ist man mit der Ablehnung eines Asylantrags noch weit vom Vollzug einer Abschiebung entfernt. Dafür sorgen eine Reihe von Abschiebehemmnissen, wie Krankheit, Klagen gegen den Asylbescheid bis zur Verweigerung der Herkunftsstaaten zur Rücknahme seiner eigenen Landsleute. Von den über 500.000 in Deutschland lebenden abgelehnten Asylbewerbern sind zur Zeit nur 19.4% ausreisepflichtig. 34.5% verfügen über ein befristetes Aufenthaltsrecht, der Rest über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht (9). Dies erscheint aufgrund der Flüchtlingsproblematik schlicht unverständlich.

Als sehr problematisch anzusehen ist darüber hinaus, dass abgelehnte Asylbewerber „nichts mehr viel zu verlieren“ und damit auch nicht mehr viel zu befürchten haben. Das erhöht die Bereitschaft zur Kriminalität, Gewalt und wahrscheinlich auch ihre Anfälligkeit zur Radikalisierung. Es bedarf keiner großen Vorstellungskraft, dass abgelehnte Asylbewerber, vielleicht sogar bereits in ihre Ursprungsländer abgeschobene und mit Sicherheit enttäuschte Personen, sich leichter von einem Feindbild des Westens überzeugen lassen. Dazu kommt die kulturell begründete Mentalität eines Großteils der Flüchtlinge, für die Ehre und Hass eine andere Bedeutung haben. Dies ist wohl eindeutig mit den Worten von Alaa Albakr, dem Bruder von Jaber Albakr an die drei Syrer beschrieben, die seinen Bruder an die Polizei auslieferten: „My reaction as an Arab is revenge“ (10).  Nun bekommt das zuvor diffuse Feindbild des „Westens“, je nach dem Land welches die Abschiebung zu verantworten hat, sogar ein Gesicht. Erklärt dies vielleicht teils den Anstieg von Gewalt und Terror in Deutschland?

X. Die falschen Anreize

Die größte Fehleinschätzung der Regierung war es möglicherweise zu glauben, dass man tausende von Flüchtlingen, die man nach Deutschland hat einreisen lassen, auf andere europäische Länder entweder mit deren Einvernehmen oder ansonsten zwangsweise verteilen könne. Hatte diese Taktik nicht schon erfolgreich bei der Sparpolitik zur Eurorettung funktioniert? Was dabei wahrscheinlich als wesentlicher Punkt übersehen wurde, ist, dass Deutschland bei den verschiedenen Instrumenten zur Eurorettung einen Großteil der Risiken zur Eurorettung durch zukünftige finanzielle Unterstützungen des Steuerzahlers in Milliardenhöhe abgesichert hat. Eine Vergemeinschaftung der Schulden, die es nach den Maastrichter Verträgen nie hätte geben dürfen (siehe unten).

Zur vorübergehenden Eindämmung der Flüchtlingsströme kommen hier Deutschland und Europa die Schließung der Balkanroute und das EU-Türkei-Abkommen zur Rettung. Letzteres wurde weitgehend unilateral von der Kanzlerin verhandelt. Neben den Kosten von 6Mrd Euro für die EU hat die Regierung damit Europa erpressbar gemachtund vielleicht so den u.a. konstitutionellen Änderungen der letzten Monate in der Türkei Vorschub geleistet. Weitere solcher „Deals“ mit u.a. afrikanischen Staaten sollen verhandelt werden, um den Flüchtlingsstrom unter Kontrolle zu bringen. Muss man sich hier nicht die Frage stellen, ob dies nicht ein „zu gutes Geschäft“ für die teils instabilen oder meist korrupten Regierungen dieser Staaten ist? Der „Export“ von Einwohnern sozusagen als lukratives Geschäft für Schleuser und Regierungen? Schafft dies nicht im Umkehrschluß kaum Anreize für die Regierungen dieser Länder, die Geburtenraten der eigenen Bevölkerungen durch gesellschaftspolitische Einflussnahme oder wirtschaftliche Entwicklung unter Kontrolle zu bekommen.

Nach Jahrzehnten der wenig erfolgreichen Entwicklungshilfe in Afrika müsste es jedem klar sein, dass es keine kurzfristigen oder schnellen Lösungen der Flüchtlingskrise geben wird. Deshalb könnte es als „naiv“ angesehen werden, als wesentliches Ziel der kurzfristigen Kontrolle von Flüchtlingsströmen auf die langfristige Beseitigung der Fluchtursachen zu setzen. Es sollte jetzt in erster Linie darum gehen, zumindest teilweise  die Kontrolle wiederzuerlangen. Das bedeutet u.a. auch, dass die EU anfangen muss, ihre Außen- und/oder nationalen Grenzen wirksam zu schützen.

Über die falschen Anreize für u.a. die Schleuserindustrie, wenn Migranten sozusagen „mehr wert als Drogen“ werden, wurden schon zuvor unter dem Kapital „Das Problem der Großen Zahlen“ angesprochen. Falsche Anreize können sich aber auch dadurch ergeben, wenn zum Beispiel eine größere Kinderzahl die Chance auf ein Schutzrecht und/oder die soziale Absicherung erhöhen. Hier ist die Politik gefordert, die richtigen Anreize zu setzen.

XI. Die neue „Struktur“ des Terrors

Hatte man es bei der RAF noch mit Terrorzellen und weitgehend bekannten Gesichtern zu tun, scheint sich die Struktur des Terrors unter dem IS doch wesentlich verändert zu haben. Es gibt wohl immer noch eine Steuerzentrale und organisierte Terrorzellen, deren Mitglieder vielleicht sogar den entsprechenden Nachrichtendiensten weitestgehend bekannt sind. Darüber hinaus gibt es aber auch eine große Zahl von Personen, die einfach nur anfällig für eine Radikalisierung sind. Einzelne Personen, Jugendliche, Frauen und Kinder, von denen man nicht weiß, was in deren Köpfen vorgeht und daher kaum als Gefährder auszumachen sind. D.h. neben den von dem IS geplanten wird es wohl zunehmend auch nur IS „inspirierte“ Anschläge geben. Dies macht die heutige Gefahr so wenig einschätzbar. Es kann einfach jeden überall und unverhofft treffen. Einzeltaten sind dann bald nicht länger Einzelfälle. Eine Tendenz, die sich auch schon aus der Kriminalstatistik der letzten 12 Monate herauslesen lässt. Die Tatsache, dass neben der allgemeinen „Verrohung“ der Gesellschaft, der Ausgang der Attentate häufig tödlich ist und der Terror auf den größtmöglichen Schaden abzielt, macht die Sache umso bedrohlicher.

Es ist daher wahrscheinlich naiv zu glauben, dass der IS zerfällt, sobald ihre Steuerzentrale besiegt ist. Der IS ist wie die al-Quaida eine Ideologie, die in den Köpfen einzelner stattfindet und daher mit militärischen Mitteln nicht besiegbar ist. Das Ziel des IS ist, das Fundament der Demokratien dieser Welt durch Terror zu zerstören und eine Teilung der Gesellschaften herbeizuführen, und der IS ist auf einem guten Weg, dies mit relativ begrenztem Aufwand in Europa zu erreichen.

Insbesondere die unkontrollierte Grenzöffnung im September 2015 schien es dem IS erlaubt zu haben, vermehrt Terroristen in Europa zu platzieren. Deutschland und der Rest Europas scheinen nicht mehr zu wissen, wer wirklich im Land ist, potenziert durch das Fehlen von persönlichen Dokumenten, Mehrfachidentitäten und Mängel in der Registrierung von Flüchtlingen.  Der unkontrollierte Flüchtlingszustrom, sozusagen als ein gigantisches „Trojanisches Pferd“, in dessem Schutz Terroristen nach Europa eingereist sind, und das als gigantisches Rekrutierungsbecken (von teils enttäuschten Personen und Jugendlichen, die für eine Radikalisierung besonders anfällig sind) vom IS genutzt wird.

Die Spirale von Hass und Vergeltung scheint sich immer schneller in Europa zu drehen, allein durch die enorme Anzahl von potentiellen Attentätern, die mit der Flüchtlingswelle nach Europa gekommen sind und weiterhin nach Europa kommen. Und so wie man den Hass nicht aus den Köpfen einzelner herausbekommt, so bekommt man auch den Terror nicht mehr aus Europa heraus. Abschiebung und Verachtung auf Seiten der Abgeschobenen verstärken das Feindbild und den Hass. Hass bringt Terror. Terror bringt vermehrt Verachtung bei der aufnehmenden Bevölkerung und Abschiebung. Ein teuflischer Kreislauf propagiert durch den IS. Ein Zurück zu einem Deutschland wie vor 2015 wird es nicht mehr geben.

Auch das Zurückdrängen des IS oder von al-Qaida in anderen Ländern dieser Welt, wie Afghanistan, wird wohl immer eher nur eine zeitweise Verbesserung der Lage bewirken, als das Ende der Ideologie IS/al-Qaida. Nicht ohne Grund engagiert sich Amerika schon seit 16 Jahren in Afghanistan, ohne einen wirklichen Erfolg und damit ohne ein wirkliches Ende in Sicht.

XII. Steht der Zusammenhalt Europas auf dem Spiel?

Ich bin der festen Überzeugung, dass der Zustrom hunderttausender Flüchtlinge nach Europa zwar nicht der einzige, aber jedoch einer der entscheidenden Faktoren bei der Austrittsentscheidung der Briten im Juni letzten Jahres war. Wäre die Brexit-Entscheidung ein Jahr früher getroffen worden, wäre es möglicherweise nicht zur Austrittsentscheidung gekommen.

Die Auswirkungen des Brexit werden von beiden Seiten, d.h. Brüssel und Großbritannien, m.E. heruntergespielt und in den Medien auch kaum zum Thema gemacht. Unverständlich, wenn man bedenkt, dass Großbritannien Deutschlands drittgrößter Exportmarkt ist. Der Ökonom Prof. Dr Hans Werner Sinn stellt zu Recht heraus, dass es sich hier nicht einfach um den Austritt eines einzigen Landes handelt, sondern in Bezug auf die Wirtschaftskraft des Vereinigten Königreichs gleichzusetzen ist mit dem gleichzeitigen Austritt der 20 kleinsten EU-Länder – was die möglichen Folgen eines Brexit für die deutsche Wirtschaft sehr gut verdeutlicht. Ich hoffe es wird nicht zu einem „harten Brexit“ kommen – für ein geeintes und starkes Europa würde es nicht von Nutzen sein.

Der Beschluss Deutschlands, seine Grenze weitestgehend ohne Abstimmung mit den anderen europäischen Ländern zu öffnen, sowie der Versuch, eine Verteilung der Flüchtlinge danach zu erzwingen, hat eine Großzahl der europäischen Länder verärgert und kann zu einer Isolierung Deutschlands und einer weiteren Spaltung der Interessen in der EU beitragen, insbesondere dann, wenn Deutschland an Wirtschaftskraft verliert. Von der deutschen Regierung u.a. in der Eurokrise ignorierten EU Ländern hat die Regierung in der Flüchtlingsfrage plötzlich Solidarität eingefordert. Die meisten dieser Länder waren dann jedoch nur „solidarisch“ im Weiterwinken von Flüchtlingen nach Deutschland.

Die weitere wirtschaftliche Schwächung der europäischen Staaten durch die Folgen der Flüchtlingskrise ist eine reale Bedrohung für Europa und, wenn auch nicht direkt vom IS geplant, ein doch erwünschtes Ergebnis des IS.

XIII. Probleme eines fehlenden Schutzes der EU-Außengrenze

Der Verlust des Schutzes an der EU Außengrenze und die fehlende Kontrolle nationaler Grenzen haben dazu geführt, dass zur Kontrolle immer kleinere innere Grenzen notwendig werden. Hundertschaften von Polizisten waren in jeder Großstadt Deutschlands notwendig, um die Veranstaltungen der letzten Silvesternacht abzusichern. Es gibt fast keine öffentlichen Veranstaltungen, fast keine Nachtclubs und keine Dorffeste mehr, bei denen nicht zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden müssen, um präventiv gegen Gewalt, sexuelle Übergriffe und Terror vorzugehen. Die gesamtwirtschaftlichen Kosten hierfür dürften weit über denen eines wirksamen EU Außengrenzschutzes liegen.

Als Folge werden viele Veranstaltungen in Zukunft aus sicherheitsrelevanten  aber auch wirtschaftlichen Überlegungen einfach nicht mehr stattfinden. Uns steht daher neben dem Verlust unserer persönlichen Freiheiten möglicherweise auch eine gewisse „kulturelle Verarmung“ bevor.

Wie zuvor erwähnt geht es jetzt vor allem darum, die Kontrolle wiederzuerlangen. Das bedeutet auch, dass die einzelnen EU Länder ihre eigenen Grenzen kontrollieren dürfen müssen. Wie Seehofer es kürzlich m.E. treffend formulierte: „die EU hat wenig Bezug zu den Befindlichkeiten der Bevölkerung“, wenn die EU Kommission eine erneute Verlängerung der Ausnahmegenehmigung für nationale Grenzkontrollen nach dem 11. November dieses Jahres aussetzt.

Ein paar abschließende Gedanken zu den weiteren Herausforderungen Deutschlands unserer Zeit

Neben der Flüchtlingskrise und ihrer Bewältigung gibt es eine Reihe anderer wesentlicher Herausforderungen Deutschlands, die in den letzten Monaten z.T. in den Hintergrund getreten sind, damit aber nicht weniger dringend oder weniger wichtig genommen werden dürfen.

I. „Unbeabsichtigte“ Folgen der Euroeinführung

Die Einführung des Euro hat dazu geführt, dass Deutschland – vereinfacht – seine Bonität an die südlichen Nachbarländer wie Griechenland, Spanien, Italien verliehen hat. Das Kreditrisiko diese Länder wurde daher vom Markt (fälschlicherweise) ähnlich bewertet wie das Kreditrisiko von Deutschland. Die daraus resultierenden günstigen Kreditzinsen haben wesentlich zur der heutigen Überschuldung dieser Länder beigetragen.

Zur Lösung der Eurokrise hat die EZB u.a. die Zinsen gesenkt, um vor allem erst einmal Zeit zu gewinnen mit der wahrscheinlichen Hoffnung, dass sich die einzelnen Länder in Kürze wieder von ganz allein erholen. Hoffnung statt sinnvolle Politik ist leider kein Ersatz für vernünftiges Handeln. Die EZB ist jetzt in einer schwierigen Lage, da eine Erhöhung der Zinsen fast unausweichlich Italien, Griechenland oder andere Krisenländer dazu bringen würde, ihre Verpflichtungen gegenüber ihren Gläubigern nicht wie erwartet bedienen zu können. Diese Problematik hat die Nullzinspolitik (die als Instrument nur hätte kurz eingesetzt werden dürfen) über Jahre ausgedehnt und damit auch die Kontrollfunktion des Zinses zur Unterscheidung zwischen rentablen und unrentablen Investitionen außer Kraft gesetzt. Die Folgen sind, neben möglichen Fehlinvestitionen, Vermögensblasen.

Das lässt sich an der Entwicklung der Immobilienpreise in Deutschland der letzten Jahre festmachen. Was mit einem kleinen Segen für Hausbesitzer begann, d.h. Zinsersparnisse, hat nun zu einem enormen Anstieg der Immobilienpreise geführt oder anders ausgedrückt – es hat eine mögliche Immobilienblase in Deutschland entstehen lassen. Mit dem Wegfall einer angemessenen Verzinsung von Lebensversicherungen, Bankeinlagen und Bausparverträgen (die zu einem großen Teil von der Bevölkerung als Instrumente zur Altersabsicherung genutzt werden), blieb dem meisten Bürger nur noch die Investition in andere Anlageformen. Die Immobilie ist hier den meisten Menschen am vertrautesten. Die erhöhte Nachfrage hat die Preise in die Höhe getrieben. Folge: der einzelne Durchschnittverdiener von heute hat kaum noch die Möglichkeit, ein Eigenheim zu erwerben – da müssen schon mindestens beide Partner arbeiten. Die Zinsersparnisse gleichen bei weitem nicht mehr die gestiegenen Anschaffungskosten für Immobilien aus. Ein Problem, das sich für Hausbesitzer noch potenzieren dürfte, sobald die EZB gezwungen ist, den Leitzins zu erhöhen, da sich die Immobilienpreise wohl kaum schnell genug anpassen dürften.

Der Staat profitiert, da er durch diese und eine verhaltene Neuverschuldungspolitik mit jährlichen Zinseinsparungen in Milliardenhöhe. Das ist jedoch nichts anderes als eine riesige Umverteilung vom Bürger (Zinsverluste) zum Staat (Zinseinsparungen) – was letztlich einer „Sonderbesteuerung“ der Bürger gleichkommt. Diese Steuer ist jedoch zeitlich begrenzt, d.h. genau solange bis die EZB gezwungen ist, den Leitzins anzuheben. In der Zwischenzeit wird ein Großteil dieser Einsparungen aus Sicht des Staates dazu verwendet, die Folgen der Flüchtlingspolitik aufzufangen.

Die Regierung vermeidet hervorzuheben, dass es sich hier um eine „Sondersteuer“ seiner Bürger handelt. Sie stellt lieber die „Sondereinsparungen“ des Staates heraus und nutzt dieses Argument, um zu unterstreichen, dass in den Worten von Justizminister Heiko Maas – die Millarden für die Integration in diesem Land erwirtschaftet und niemanden etwas weggenommen wurde. Dies ignoriert völlig, dass jede Verwendung von finanziellen Mitteln (als knappes Gut) in der Wirtschaft  Opportunitätskosten hat, d.h. würden die Mittel nicht in die Flüchtlingskrisenbewältigung fließen, ständen sie für Investitionen in Bildung, Innovation, Infrastruktur usw. bereit, die unter Ausklammerung von humanitären Aspekten langfristig möglicherweise einen wesentlich größeren wirtschaftlichen Mehrwert für Deutschland hätten erbringen können. Gerade aus diesem Gesichtspunkt sollte der Staat eigentlich darauf bedacht sein, seine humanitäre Hilfe auf die Personen zu beschränken, die eine wirkliche Chance auf Anerkennung und damit ein Recht auf Schutz haben.

II. Deutschland geht es gut

Das übliche Argument ist, das Deutschland so stark vom Euro profitiert, dass es als Gegenleistung die anderen tragen könne. Anders ausgedrückt – es wird behauptet, dass die Exportüberschüsse ein Zeichen der Gewinne Deutschlands sind. Für die Hälfte der Überschüsse erhält Deutschland jedoch bloße Buchforderungen der Bundesbank (Target Forderungen), die nach der Auffassung von Ökonom Hans Werner Sinn, praktisch wertlos sind. D.h. die Exportindustrie profitiert, jedoch der deutsche Staat haftet, denn tritt Griechenland oder ein anderes Krisenland aus dem Euro aus, so dürften deren Verpflichtungen zumindest z.T. nicht beglichen werden. Die deutsche und andere Notenbanken müssen auf Forderungen verzichten und Milliarden zu Lasten der Steuerzahler abschreiben. (11)

Target 2 Salden in EZB System haben 2017 einen neuen Rekordstand erreicht. Das deutsche Target 2 Saldo ist erstmals über die 800-Millarden-Marke gestiegen (12). Dazu kommen Verpflichtungen aus Rettungspaketen (EFSM, EFSM), ESM Ausleihungen und Staatsanleihenkäufe in einem Wert von insgesamt über 2.000 Mrd.

Die Haftungssumme Deutschlands ist nicht so einfach zu bestimmen, da sie davon abhängt, ob man z.B. von einem Zahlungsausfall einzelner Krisenländer oder dem (heute noch fiktiven) Fall eines Zusammenbruchs des Euro ausgeht. Zu der Basis der ausgezahlten Hilfsgelder in Form von Target Salden, Rettungspaketen und Staatsanleihenkäufen kommen dann potenziell noch ESM Garantien und Kapitaleinlagen hinzu. Man kann wahrscheinlich davon ausgehen, dass Deutschland mit bis zu einem Viertel an der Gesamthaftung beteiligt sein könnte. Unabhängig von der genauen Summe ist die Auswirkungen eines Zahlungsausfalles eines oder mehrerer Krisenländer auf den Staatshaushalt der übrigen EU Länder auf jeden Fall enorm. Es ist daher auch nur einleuchtend, warum die EZB weiterhin so fest an ihrer Nullzinspolitik festhält. Dass dies die Probleme in Zukunft nur weiter vergrößert, dürfte jedem Bürger einleuchten. (13)

Problematisch erscheint darüber hinaus, dass der Euro Rettungsplan u.a. das fundamentale Prinzip des Masstrichtervertrags, der „no bail out clause“, außer Kraft setzte. So entstand letztlich eine nie vorgesehene und vom deutschen Parlament nie beschlossene Haftungsunion. Wenn darüber hinaus die EZB massiv Staatsanleihen ankauft, entlässt sie damit die privaten Gläubiger aus ihrem Risiko.

III. Verlust der Sperrminorität nach einem Brexit

Eine Staatengruppe, die mindestens 35% der Bevölkerung der EU Länder auf sich vereint, hat eine Sperrminorität im Ministerrat. Sie kann bei Entscheidungen niemals überstimmt werden und ist deshalb in der Lage, Kompromisse zu erzwingen, die im eigenen Vorteil liegen. Die 35% Klausel wurde im Lissaboner Vertrag vereinbart, da die freihandelsorientierten Länder (wie Holland, Deutschland, Österreich, Großbritannien, Finnland) genau 35% der EU Bevölkerung zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ausmachten und die südeuropäischen Länder wie Frankreich, Italien und Griechenland 38% der Bevölkerung auf sich vereinigten. Damit ergaben sich ausgewogene Verhältnisse. (14)

Sollte Großbritannien nach der Brexitentscheidung die EU wirklich verlassen, werden sich dadurch die Machtverhältnisse in der EU grundlegend verändern. Die freihandelsorientierten Länder in der EU inklusive Deutschland verlieren nach dem Brexit ihre Sperrminorität von 35% im Ministerrat. Damit ist Deutschland den Bestrebungen der südeuropäischen Länder und insbesondere Frankreichs ausgeliefert. Bedenklich stimmen sollten uns in diesem Zusammenhang die Bestrebungen des neuen französischen Präsidenten Macron, der u.a. eine EU eigene Steuerhoheit, eine gemeinsame Arbeitsversicherung, eine Bankenunion, ein eigenes Budget und die Möglichkeit in gemeinsamer Verantwortung Schulden zu machen, anstrebt.

Eine Anpassung der Maastrichter Verträge im Interesse Deutschlands erscheint dringendst geboten, wenn man dem deutschen Steuerzahler vor einer weiteren Vergemeinschaftung von Verpflichtungen anderer EU Länder bewahren möchte. Nicht zuletzt weil die Staats- und Bankschulden von Länder wie Spanien, Italien und Griechenland mittlerweile so groß sind, dass sie gar nicht mehr von Deutschland alleine getragen werden können. Von der Politik hört man von dieser Problematik leider nur wenig und das trotz eines Wahljahres und der Brisanz des Themas.

IV. Der Imperativ einer „Lösung zur Eurorettung“

Die meisten Ökonomen sind sich wahrscheinlich einig, dass eine Lösung zur Eurorettung bald gefunden werden muss. Die meisten Ökonomen sind sich ferner einig, dass eine Lösung einen schwächeren, vielleicht anderen (Süd-)Euro für die Krisenländer beinhalten muss, so dass diese Länder wieder eine Möglichkeit bekommen, wettbewerbsfähig zu werden.

Eine alternative Lösung könnte ein flexibles Eurowährungssystem mit zwei (oder maximal bis zu drei) unterschiedlichen Eurowährungen sein, angelehnt an das frühere Europäische Währungssystem (EWS). Zur Rettung z.B. Griechenlands tritt dieses nicht aus dem Euro aus, sondern bleibt im Euro einer neuen Währung. Alle Verpflichtungen Griechenlands werden in einem festgelegten Verhältnis in die neue Eurowährung übertragen, so dass dies faktisch einem Schuldenschnitt gleichkommt. Danach wird der neuen Eurowährung erlaubt, (in bestimmten Grenzen) abzuwerten, was Griechenland die Möglichkeit gibt, aus seiner Wirtschaftskrise herauszukommen. Alle übrigen Euroländer und Griechenland unterstützen gegenseitig den Wert des alten und der neuen Eurowährung, innerhalb bestimmter Bandbreiten, wie es unter dem Wechselkursmechanismus des EWS üblich war. Andere Krisenländer können, wenn nötig, der neuen Eurowährung beitreten.

Diese Lösung ist vom Autor frei erfunden und hat nicht den Anspruch ökonomisch machbar zu sein. Sie soll nur zeigen, dass ein Denken „outside of the box“ notwendig sein könnte, um die strukturelle bedingte Eurokrise zu überwinden, was mit einem „nur weiter so“ nicht machbar erscheint.

V. Energiewende

Die angestrebte Energiewende ist an sich nichts Schlechtes, verspricht sie doch eine größere Energieversorgungsunabhängigkeit, geringere Grenzkosten der Energieerzeugung von erneuerbare Energien und eine umweltfreundlichere Energiegewinnung. Ihre größte Begrenzung liegt darin, dass Deutschland weder ein sehr sonniges noch ein sehr windiges Land ist. D.h. an manchen Tagen muss fast die ganze erneuerbare Energie durch Reservestrom konventioneller Anlagen ersetzt werden (Bsp. „Dunkelflaute“ am 24 Januar 2017). Das Bereithalten von Reservestrom geschieht durch Anlagen, die entweder in wenigen Sekunden hochgefahren werden können (z.B. Pumpkraftwerke) oder „Spinning Reserve“ Anlagen, die vereinfacht „im Leerlauf“ arbeiten, um bei Bedarf schnell hochgefahren werden zu können. Darüber hinaus gibt es „constraint on“ Anlagen, die man in Zeiten hoher Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien nicht einfach herunterregeln oder abschalten kann. Zur letzteren Gruppe gehören u.a. Atomkraftwerke, die i.d.R. nur für den Grundlastbetrieb ausgelegt sind. Strom muss daher (da in großen Mengen nicht wirtschaftlich speicherbar, da entweder zu teuer (Batterien) oder ausreichende Kapazitäten z.B. für Pumpkraftwerke fehlen) an manchen Tagen auch zum negativen Preisen an unsere Nachbarländer „verschenkt“ werden. Das dies nicht ohne Auswirkungen auf die Strompreismärkte und den wirtschaftlichen Betrieb von Kraftwerken in diesen Ländern bleiben kann, ist offensichtlich.

Die Kosten für eine Energiewende sind umso höher, je höher der Strombedarf ist, was die Problematik einer Verkehrswende, d.h. eine Bevorzugung von Elektrofahrzeugen über Verbrennungsmotoren verdeutlicht (da diese den Strombedarf aus Kraftwerken erheblich erhöhen würde). Wenn dann noch der hohe Anteil an erneuerbaren Energien mit gesetzlich bevorzugter Einspeisung auf die Stromgroßhandelspreise drückt, können viele konventionelle Kraftwerke nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden. Wer eine Energiewende will, braucht daher eine vorausschauende und gesteuerte Energiepolitik. Ein Kapazitätsmarkt wäre ein möglicher Ansatzpunkt, um konventionelle Kraftwerke für die Bereitstellung von Reservestromkapazitäten angemessen zu entschädigen. Es gibt bereits Lösungsansätze, die sich an Marktmechanismen orientieren und sich in der Praxis bereits entweder bewährt haben oder deren Schwachstellen bekannt sind, an denen sich die Regierung orientieren könnte. Ein Beispiel war das Poolsystem für elektrischen Strom im Vereinigten Königreich, das im Jahr 1990 eingeführt, Mitte der 90er Jahre reformiert und anschließend durch die „Electricity Market Reform (EMR)“ Mechanismen ersetzt wurde. Letztere beinhalten auch einen „Capacity Market“.

Eine weniger emotionale Diskussion über Kosten und Nutzen einer Energiewende aus gesamtwirtschaftlicher Sicht (unter Einbeziehung von Gesichtspunkten wie Versorgungsunabhängigkeit, Versorgungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit, Umweltfreundlichkeit usw.) wäre wünschenswert. Dass eine Energiewende viel Geld kosten wird, ist unabdingbar.  Richtig angegangen, kann die Energiewende eine Chance für eine Vorreiterrolle Deutschlands in diesem Bereich sein. Falsch angegangen, wird sie die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschlands weiter schwächen.

VI. Verkehrswende/Elektromobilität

Der Dieselskandal kam den Ländern, die mit der deutschen Autoindustrie im Wettbewerb stehen, sicher sehr gelegen, um deren Vormachtstellung anzugreifen. Gerechtfertigt erscheint die Kritik am Diesel weder aus Sicht des Verbrauchs noch der Emissionswerte eines Dieselmotors. Für letzteren liegen die meisten Emissionen, über den Lebenszyklus eines Fahrzeuges gerechnet, beachtlich unter den Werten für andere Antriebsarten (wie Benziner und Elektroautos). Stickoxide sind zwar ein Problem für Dieselmotoren, Stickoxid-Emmissionen des Verkehrs  gingen jedoch seit 1990 um 70% zurück und die Grenzwerte im Straßenverkehr (40 Mikrogramm pro Kubikmeter) liegen unter den Werten in z.B. geschlossenen Räumen (15).

Wer sich von diesen faktischen Argumenten nicht überzeugen lassen möchte (und jeder hat ein gutes Recht dazu) und vielleicht lieber wie die Politik auf die mehr emotionale Forderungen nach Fahrverboten in unseren Innenstädten und nach „emissionsfreien“ Neuwagen reagiert, kann vielleicht ein einfaches praktisches Argument von den Grenzen der Elektromobilität  überzeugen. Die wenigsten in Deutschland möchten ein Auto, mit dem sie nicht in absehbarer Zeit ins europäische Ausland in Urlaub fahren können und das sie auch nicht „mal eben“ an der Tankstelle auftanken können. Das erklärt wahrscheinlich auch, warum bisher kaum Elektroautos (und viele wahrscheinlich nur als Zweitwagen) gekauft werden. Das dürfte sich auch mit finanziellen Anreizen in der näheren Zukunft kaum ändern.

Wie zuvor bereits angesprochen passt eine Verkehrswende auch nicht gut mit der Energiewende zusammen, da es die Herstellung von Energie vom Verbrennungsmotor auf die Stromkraftwerke überträgt. Diese Kraftwerke gibt es heute in ausreichender Kapazität hierfür noch gar nicht und wenn es sie gäbe, würden sie die Kosten einer Energiewende um ein Vielfaches erhöhen.

Die Automobilindustrie wäre wahrscheinlich besser beraten, wieder genauer darauf hören, was der Verbraucher und damit der Markt wirklich wollen. Unabhängig davon, wie die richtige Lösung für den weiteren Erfolg der deutschen Automobilindustrie aussieht, Deutschland darf sich seine Noch-Führungsstellung nicht durch fehlgeleitete Konzepte und/oder Vorgaben anderer Länder zerstören lassen.

VII. Die „altbekannte“ demographische Lücke

Die demographische Entwicklung der Bevölkerung konnte man schon vor mehr als 30 Jahren mit fast 100% Bestimmtheit voraussagen. Das Problem, dass in etwa 20 Jahren die Babyboomer in Rente gehen und dann weniger als die heute 27 Millionen Nettobeitragszahler für eine wesentlich größere Zahl an Rentner aufkommen muss, war unausweichlich. Leider war die Politik der letzten 30 Jahre weitgehend ‚reaktiv‘, statt der Ursache des Problems (d.h. einer sinkenden Geburtenrate) gezielt entgegenzuwirken. Durch eine stetige Erhöhung des Renteneintrittsalters, der Riesterrente und sinkenden Rentenansprüchen werden leider nur die Auswirkungen einer solchen Politik adressiert.

Dies sind leider auch 30 Jahre, die man gut hätte dazu nutzen können, an den Kern des Problems heranzugehen, d.h. der negativen demographischen Entwicklung Deutschlands entgegenzuwirken. Eine gezielte Familien- und Fiskalpolitik, die wirkliche Anreize für Paare schafft, mehr Kinder zu bekommen, ist auch heute noch unabdingbar.

Ziel sollte es sein, die Geburtenrate in Deutschland von heute durchschnittlich etwa 1.5 Kindern je Frau auf 2 Kinder je Frau anzuheben (d.h. die Bevölkerung würde vorerst weiter sinken, um dann stabil zu bleiben, sodass jedem Rentner langfristig vereinfacht etwa ein Erwerbstätiger gegenübersteht). Dass dieses Ziel erreicht werden kann, zeigt das Beispiel Frankreich mit einer Geburtenrate von durchschnittlich 1.96 Kindern je Frau, das durch eine konstruktive und gezielte Familien- und Fiskalpolitik der letzten Jahrzehnte erreicht wurde.

Das löst zwar nicht mehr das Problem der Babyboomer, was nach der Einschätzung aller renommierten Ökonomen auch nicht durch eine zunehmend qualifizierte Zuwanderung in realistischen Größenordnungen über die nächsten zwei Jahrzehnte erreicht werden kann, aber verhindert, dass immer größere Lasten auf immer weniger unserer Kinder ungerechterweise verschoben werden. Es wäre daher ein erstes Zeichen, dass wir, die jetzige Generation, wieder bereit sind, selbst Verantwortung für unser Tun übernehmen zu wollen.

Hatten wir bis 2015 die Möglichkeit, mit fast 100% Sicherheit die demographische Entwicklung Deutschlands vorherzusehen und entsprechende familien- und fiskalpolitische Entscheidungen zu treffen, ist eine solche Prognose jetzt nicht mehr so einfach möglich, da weder die Anzahl, letztendliche Zusammensetzung, noch die Geburtenrate der zuwandernden Flüchtlinge zum jetzigen Zeitpunkt sicher zu bestimmen ist. Das einzige, was sicher scheint ist, dass deren Anteil über die nächsten Jahrzehnte an der Gesamtbevölkerung durch weitere Zuwanderung (inklusiver Familiennachzug) und eine wahrscheinlich höhere durchschnittliche Geburtenrate ansteigen wird.  Da diese Gruppe als Ganzes betrachtet darüber hinaus für eine lange Zeit Nettosteuerempfänger bleiben dürfte, wird sich die Generationsungerechtigkeit in den Jahren noch weiter verschärfen und die zukünftigen Lasten kaum noch allein von zukünftigen Generationen geleistet werden können. Das Ergebnis des Fehlens einer Flüchtlingspolitik zusammen mit einer unkontrollierten Grenzöffnung ist sozusagen ein gesellschaftlich-politisches Experiment, über das nur eine Handvoll von Politikern mit einer fraglichen demokratischen Legitimierung entschieden hat. Dieses Experiment birgt gesellschaftlichen Sprengstoff, der sich entzünden könnte, sobald die Konjunktur einbricht.  Adenauer hatte schon bei den Wahlen 1957 verstanden, dass die Bevölkerung sich „keine Experimente“ wünscht und mit diesem Verständnis (und Wahlslogan) einem Stimmenanteil von mehr als 50 Prozent, das beste Wahlergebnis der CDU in ihrer Geschichte erreicht.

Es mag aus Sicht der Bezahlbarkeit zukünftiger Renten richtig erscheinen, das Rentenalter weiter stetig zu erhöhen. Aus soziologisch-gesellschaftspolitischer Sicht könnte eine solche Politik jedoch unerwartete Folgen haben. Jeder Mensch sehnt sich natürlicherweise nach langen Jahren des (meist fremdbestimmten) Arbeitslebens auf eine Zeit der Ruhe und Selbstbestimmung. Jeder Bürger sollte daher das Recht haben, sich in einem Alter, das noch eine aktive Beteiligung am Leben für eine gewisse Zeit ermöglicht (d.h. i.d.R. 65-67 Lebensjahre ), und solange eine Mindestzahl an Beitragsjahren erreicht wurde, zur Ruhe setzen zu dürfen. Darüber hinaus darf auch nicht die wichtige Rolle der Großeltern für ein funktionierendes Familienleben übersehen werden. Wo Oma und Opa helfen, schaffen sie Freiräume für die Eltern, schaffen gegebenenfalls erst die Voraussetzung einer Berufstätigkeit beider Elternteile und geben deren Kindern einen weiteren Blickwickel auf diese Welt.

Was von der Politik und Industrie m.E. auch noch viel zu sehr vernachlässigt wird, sind Möglichkeiten und Programme zum gezielten beruflichen Wissens- und Erfahrungstransfers von ausscheidenden älteren Mitarbeitern an ihre jüngeren Kollegen. Dieser Transfer könnte über mehrere Jahre in zeitlich und entgeltlich flexiblen Programmen (Coaching, Work Shadowing, Mentoring, Knowledege Transfers, Colleges usw.) nach dem Erreichen der o.a. Altersgrenze erfolgen. Die üblicherweise kurzen Übergabezeiten und -praktiken am Ende eines Berufslebens scheinen für einen wirklichen Erfahrungs- und Wissenstransfer nicht angemessen. Ansonsten könnte besonders mit dem Ausscheiden der Babyboomer ein enormes, über Jahre angesammeltes berufliches Erfahrungs- und Wissenspotential, die deutsche Wirtschaft fast zeitgleich für immer verlassen.

Schlussfolgerungen zu den Herausforderungen Deutschlands

Die Politik hat es versäumt, nach der Agenda 2010 langfristige Lösungsansätze anzubieten. Ihr scheint es in erster Linie um „ein weiter so“ zu gehen und reagiert dabei mehr auf die Geschehnisse in dieser Welt ohne eine direkt ersichtliche(n) Strategie oder Plan. Für den Wähler sind die Auswirkungen einer solchen Politik nicht immer leicht erfassbar, da deren Folgen meist erst weit in der Zukunft ersichtlich sind und damit auf spätere Generationen verlagert wird. Damit wird das demokratische Korrektiv der (Ab-) Wahl einer unerwünschten Politik (da deren Auswirkungen nicht für alle Bürrger gleichermaßen erfassbar ist) geschwächt. Das trifft auf die Flüchtlingspolitik nur bedingt zu, deren Folgen schon heute von vielen Menschen bewusster wahrgenommen werden, auch wenn sie von den etablierten Parteien nicht gezielt zum Wahlkampfschwerpunkt gemacht wird.

Die Begründung für eine überwiegend reaktive Politik wird bewusst oder unbewusst von den Regierenden auf eine emotionale Ebene gehoben, „man hätte ja auch gar nicht anders können“. Das Postfaktische verdrängt das Faktische in einer Welt, in der Fakten und Wissen wie nie zuvor „gegoogelt“, abgerufen und bewertet werden können. Themen werden darüber hinaus meist nur mit Blick auf die tagesaktuelle Problemstellung untersucht, ohne den Blick auf das Ganze und auf Zusammenhänge zu bewahren. Jedoch hängt in einer mehr und mehr verflochtenen, globalen und komplexen Welt „alles mit allem“ zusammen.

Die Parteien sollten sich bewusst machen, dass es nicht sie sind, die „alternativlos“ sind, sondern einige der folgenden Grundsätze (ohne Anspruch auf Vollständigkeit), die für ein starkes Deutschland und geeintes Europa unverzichtbar scheinen:

  • Ein Zurück zu den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft im Sinne von Ludwig Erhard, nach denen es die Aufgabe des Staates ist, einen funktionsfähigen freien Wettbewerb bei gleichzeitiger Wahrung eines sozialen Gleichgewichts (unter Wahrung des Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzips) zu gewährleisten. Kurz Leistung muss sich wieder lohnen – um nicht zuletzt die Leistungsfähigkeit von Deutschland zu erhalten und Deutschland auch wieder attraktiver für eine Einwanderung von zukünftigen Leistungsträgern zu machen.
  • Eine Politik, die den Großteil der Lasten nicht in die Zukunft verschiebt (Stichwort Generationsgerechtigkeit).
  • Ein mehr föderalistisch gestaltetes Europa, das den Gedanken einer absoluten fiskalen Integration und einer Haftungsunion aufgibt. Demgegenüber dürfte eine stärkere Integration in den Bereichen Schutz der gemeinsamen europäischen Außengrenzen, Polizei, Militär, Nachrichtendienste auf eine hohe Akzeptanz bei der europäischen Bevölkerung stoßen.
  • Eine Anpassung der Maastrichter Verträge im Falle eines Austritts Großbritanniens aus der EU, um die Sperrminorität für Deutschland mit anderen freihandelsorientierten Ländern im EU Rat zu erhalten. Ansonsten ist eine weitere Vergemeinschaftung der Verpflichtungen der südeuropäischen Länder unter Führung Frankreichs und zu Lasten nicht nur von Deutschland (und ggf. gegen unseren Willen) nicht auszuschließen.
  • Die nach den derzeitigen internationalen Verpflichtungen weitmögliche Einschränkung des Schutzrechts im Sinne einer politischen oder sonstigen individuellen Verfolgung oder zum Schutz vor individuellen Leibes- und Lebensgefahr aufgrund von Bürgerkriegen. Für dessen Inanspruchnahme sollte ein Antrag außerhalb Europas zu stellen und nach einem für alle EU-Länder einheitlichem Verfahren zu entscheiden sein. Wenn nötig, die Einrichtung von Transitzonen auf EU Territorium, aus denen nur eine Weiterreise nach Anerkennung möglich ist.
  • Der Schutzgrund sollte regelmäßig und unabhängig vom Aufenthaltstitel und Aufenthaltszeitraum überprüft werden und (soweit dies nicht schon heute der Fall ist) eine Ausweisung generell möglich bleiben, wenn der Schutzgrund entfällt.
  • Ein unbefristeter Aufenthaltstitel sollte grundsätzlich nur an solche Personen vergeben werden, die neben den Anforderungen des Aufenthaltsgesetzes in Besitz von Identitätdokumenten des Heimatlandes sind, um hier Anreize zur Bewahrung oder Beschaffung dieser zu geben.
  • Eine Ergänzung des Asylgesetzes durch ein Einwanderungsgesetz, das es abgelehnten Asylbewerbern aufgrund Ausbildung, Erfahrung und Integrationswillen die Möglichkeit einer Zuwanderung auf der Basis eines Punktesystems nach kanadischem Muster erlaubt und auf den nationalen Bedarf nach Arbeitskräften ausgerichtet ist.
  • Die vollständige biometrische Registrierung aller Flüchtlinge, die zeitweise Einführung der Schleierfahndung und zeitweise Aussetzung des Schengenabkommens für den privaten Personenverkehr, um wieder Kontrolle darüber zu bekommen, wer sich in Deutschland aufhält und um Sozialmissbrauch zu verringern.
  • EU-einheitliche Leistungen für Flüchtlingen, um eine Migration in nur einzelne Länder nach Höhe der Unterstützung zu verhindern.
  • Darüber hinaus einen EU-weiten einheitlichen Rechtsschutz und damit einheitliches Klageverfahren gegen Ablehnungsbescheide.
  • Ein Konzept für die zügige Rückführung von Migranten ohne Bleibeperspektive.

Ein Großteil dieser Punkte sollte weitestgehend unabhängig von der Couleur einzelner Parteien sein, sollten diese wirklich das Interesse von Deutschland und seiner Bürger vertreten. Wie auch immer die Wahlen ausgehen, keine der jetzigen Regierungsparteien sollte so „arrogant“ sein, in ihrem Wahlergebnis eine Bestätigung ihrer jetzigen Politik zu sehen.  Ein „weiter so“ darf es im Interesse Deutschlands und eines geeinten Europas nicht mehr geben!


Jörg Hardt arbeitete viele Jahre als angestellter beratender Ingenieur und Wirtschaftprüfer im Bereich Finanzierung von konventionellen und erneuerbaren Energieprojekten. Seit mehreren Jahren ist er selbständig in diesem Bereich tätig. Durch die Flüchtlingskrise ausgelöst hat er sich Gedanken zu den wesentlichen Herausforderungen Deutschlands der nächsten Jahre gemacht. Daraus entstand eine Gesamtbetrachtung aus der Sicht eines Bürgers,  die zu dem Schluss kommt, dass es ein „weiter so“ im Interesse Deutschlands und eines geeinten Europas nicht geben darf.

Anmerkungen:

(1) Der Staat in der Flüchtlingskrise, Schöningh, 2016

(2) Raffelhüschen und Moog, 2016

(3) Fratzscher und Junker, 2015

(4) Die Flüchtlingkirse kostet Deutschland jährlich 22 Mrd Euro, Welt     27.01.2017

(5) Edmund Stoiber & Udo di Fabio: Politische und Rechtliche Folgen der Migration, Müncher Wirtschaftsgespräche, 28 Oktober 2016

(6) Bosbach: Ich möchte nicht wie Don Quijote enden, Tichys Einblick, 10.10. 2016

(7) Ökonomische Zukunft Deutschlands liegt auf dem Rücken von nur 8 Millionen Bürgern, Epochtimes, 07.08 2017

(8) Zahl der offenen Stellen in Deutschland so hoch wie nie zuvor, Spiegel Online, 09.05.2017

(9) Warum 556.000 abgelehnte Asylbewerber in Deutschland bleiben – Welt 11.03.2017

(10) Terror suspect’s brother: ‚My reaction as an Arab is revenge, Deutsche Welle, 15 Oktober 2016

(11) Hans Werner Sinn – Mann will die Lasten lieber verstecken – Die Weltwoche, 27 Juli 2017

(12) Deutscher Target-Saldo steigt auf mehr als 800 Milliarden Euro, FAZ, 08.03.2017

(13) www.cesifo-group.de/de/ifoHome/policy/Haftungspegel/Eurozone-countries-exposure.html; Vortrag Hans Werner Sinn – Die Enteignung ist unvermeidlich (Ifo Institut)

(14) Hans Werner Sinn – Kein Stein kann auf dem anderen bleiben – Luzerner Zeitung, 12 Juni 2017; Europa nach dem Brexit – Deutschland und die Führungsrolle, TV Beitrag Phoenix, Unter den Linden, 04.07.2016

(15) Die Lösung für das Dieselproblem könnte so einfach sein, Welt, 28.08.2017