Tichys Einblick
„Mann“ wollte Ruhe an dieser Front

Gender-Mainstreaming und was wir uns leisten wollen

Viele Menschen haben lange nicht das Ausmaß der Ideologisierung durch Gender Mainstreaming realisiert. Die Schäden, nicht zuletzt an der Sprache, sind ebenso immens wie die Kosten. Von Sylvia Pantel, MdB.

Sylvia Pantel, Mitglied des Deutschen Bundestages

Sylvia Pantel

Als der FAZ-Journalist Volker Zastrow vor 14 Jahren das Buch „Gender. Politische Geschlechtsumwandlung“ veröffentlichte, erregte dies kaum Aufmerksamkeit. Die meisten Zeitgenossen verorteten „Gender-Policy“ als eher vernachlässigbares Randthema im politischen Diskurs oder argwöhnten, dass dies nur wieder eine neue Facette des Feminismus sei.

Insbesondere „Mann“ wollte Ruhe an dieser Front, nickte alle Forderungen des Gender-Mainstreaming ab und meinte, so allen weiteren Konflikten irgendwie entgehen zu können. Widerstand oder auch nur intellektuelle Reflektion erschienen von vornherein sinnlos, wenn nicht sogar karrieregefährdend. Denn Gender-Mainstreaming und das Thema „die Rolle der Geschlechter in unserer Gesellschaft“ haben inzwischen einen dominanten Status in der Politik und den gesellschaftlichen Debatten erobert. Auch die Kirchen sind sich nicht mehr sicher, ob Gott so recht wusste, was er bei der Schöpfung der Welt wirklich ins Werk setzte und die Aussage der Bibel “Gott schuf also den Menschen als sein Abbild, als Abbild Gottes schuf er ihn, als Mann und Frau schuf er sie” (Genesis 1,27) auch gendermäßig korrekt war. Politisch korrekt ist die Bibel jedenfalls längst nicht mehr.

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Aus der Ursprungsidee der Genderwissenschaften, die Besonderheiten einzelner Menschen und damit den Unterschied der Geschlechter und nicht deren Gleichmacherei in den Fokus zu nehmen, ist längst eine Art Modewissenschaft erwachsen mit dem Ziel, unsere Gesellschaft ideologisch zu beeinflussen und ihre Grundlagen zu verändern. Dies hat viele Auswirkungen und wird uns in mehrfacher Hinsicht teuer zu stehen kommen.

Geschlechtervielfalt und Frauenemanzipation aber sind in der Sache klar voneinander zu unterscheiden, auch in der Sprache. Der sogenannte geschlechtergerechte Sprachgebrauch ist dem traditionellen Feminismus verpflichtet, gendergerechter Sprachgebrauch dagegen der neu geforderten Geschlechterideologie.

Auch wenn sexuelle Identität nur einer unter vielen Gesichtspunkten für Diskriminierung ist, sollte dieser Unterschied sich dennoch auch im Sprachgebrauch widerspiegeln. Dort, wo diese Unterscheidung im alltäglichen Sprachgebrauch verwischt wird, geht es um eine Ideologisierung des Geschlechtsbegriffs. Aber das ist nicht neu. Seit jeher haben Ideologien Sprache als Instrument von Propaganda und Agitation eingesetzt. Die Vertreter der Genderideologie dringen rigoros auf „politische Korrektheit“ und ahnden unnachsichtig jeden sprachlich unangepassten Fehltritt. Leider scheinen die Gefahren dieser konsequent operierenden Ideologisierung aber nur wenig wahrgenommen zu werden. Viele, politische Entscheidungsträger, führende Repräsentanten in Wirtschaft und Gesellschaft oder auch Wissenschaftler anderer Fachgebiete, mögen sich in diese Debatte um des lieben Friedens willen gar nicht erst einmischen und hoffen, dass sich die Auswüchse von Gender Mainstreaming irgendwann von selbst wieder reduzieren und der Common Sense als rationaler Menschenverstand wieder die Oberhand gewinnen würde.

Dabei ist bekannt, dass Gendersprache sich eben nicht aus dem allgemeinen Sprachgebrauch entwickelt, sondern durch politische Verordnungen oder informelle, sprachliche Richtlinien durchgesetzt wird. Den bislang in der Wirklichkeit angewandten und geltenden sprachlichen Regeln wird geschickt eine eigene Deutung untergeschoben, indem das grammatikalische und biologische Geschlecht als deckungsgleich verwendet werden. Dies sind sie aber nicht. Gendersprache missachtet die Grundsätze unserer Sprache – dies kommt beispielsweise bei Formulierungen wie Mitarbeiter-Mitarbeitende, Mitarbeiter*innen zum Ausdruck. Durch künstliche, umständliche grammatikalische Formen und die unnatürliche Konstruktion von Begriffen werden sprachliche Grundregeln verletzt, was nicht nur die Verständigung und den Spracherwerb erschwert.

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Gendersprache verlängert das Satzbild und führt durch ständige Wiederholungen der künstlichen Gebilde bei Hörern wie Lesern auf Dauer zu Ungenauigkeiten und einer Überbetonung des Weiblichen. Bewusst wird Grammatik dadurch verändert, dass man nicht einzelne Wörter, sondern den Bildungstypus des generischen Maskulinums stigmatisiert. Das aber ist geradezu absurd: Wörter wie Lehrer, Maurer, Ärzte usw. sind Bezeichnungen für in bestimmten Berufen Tätige. Sie bezogen sich früher nur auf Männer, weil fast nur Männer die entsprechenden Tätigkeiten ausgeübt haben. Mit dem wachsenden Anteil von Frauen in diesen Berufen änderte sich zwar die sprachliche Erweiterung, aber Berufsbezeichnungen sind es geblieben.

Im Ergebnis erzeugt die Umsetzung der Gendersprache einen veränderten Wirklichkeitsbezug für die Menschen. „Politisch korrekt“ muss nun überall auf Befindlichkeiten von wenigen Einzelnen Rücksicht genommen werden. Genaue Sprache ist verpönt, Schreibweisen mit Binnen-I werden empfohlen und dritte Toilettentüren für erforderlich gehalten. Was man als naive Spielerei abtun könnte, ist bitterer Ernst geworden: „Politisch korrekte Gendersprache“ funktioniert als Propaganda der Einschüchterung. Es geht nicht mehr um die Kunst einer klaren Sprache, die Regeln differenziert und exakt anwendet. Es geht in erster Linie um Maßregelung zur Verwendung künstlich konstruierter Formulierungen, die Ausdruck gruppenspezifischer Ideologien sind. Kann es denn wirklich ernst gemeint sein, dass die Vergabe öffentlicher Mittel oder Wahlergebnisse davon anhängig gemacht werden, ob jemand artig die aufoktroyierten Gendervorschriften befolgt?

Klar ist: Selbstverständlich sollen Frauen in allen Bereichen von Staat und Gesellschaft „sichtbar“ sein und insbesondere da, wo es die Gleichstellung der Geschlechter verlangt, auch in der Sprache. Da wir im Deutschen aber bereits alle Mittel verfügbar haben, die dies ermöglichen, gilt es, mit einer größeren Selbstreflektion und Empathie die Ideologisierungsmode durch Gendersprache zu entlarven.

Frauen zeigen in allen Berufen ihr Können und brauchen keine Scheingefechte. Gleiches Geld, gleiche Aufstiegsmöglichkeiten und Anerkennung ihrer Arbeit: Ja!Überflüssige und andere politische Ziele verfolgende Ablenkungsmanöver mittels unserer Sprache: Nein! Jedem ist heutzutage klar, dass Männer und Frauen unterschiedlich sind. Selbstredend macht es Sinn, in bestimmten Bereichen wie zum Beispiel der Medizin oder dem Arbeitsrecht (Beispiel: Mutterschutz) auf Besonderheiten der Geschlechter zu achten. Welcher Sinn oder vielmehr nur Unsinn aber liegt darin, dass Stadtverwaltungen eigene Seminare zur Unterweisung in „Gender-Mainstreaming“ anbieten oder auch Anleitungen für den gendergerechten Sprachgebrauch innerhalb der Verwaltung bereitstellen. Derzeit werden Millionen Euro für die Erforschung von politisch korrekten Ampelmännchen und andere Projekte dieser Art verausgabt und eine Sprachpolizei fordert an allen Ecken und Enden Sternchen und Unterstriche für eine „richtige“ gendermainstreaming-gerechte Schreibweise.

Dabei sollten wir uns die Frage stellen, welcher Mehrwert damit verbunden sein soll, zumal an vielen anderen Ecken und Enden das Geld für wichtige Verwaltungsaufgaben fehlt. Sollten wir nicht, anstatt dritte Toilettentüren einzubauen und Schulbücher oder auch Briefköpfe und Schilder neu zu drucken, mehr Geld für Lehrer, moderne Technik, Innovationen in Schulen und Universitäten und Nachhaltigkeit ausgeben? 2018 war das Fach Gender Studies/Genderforschung an 31 Universitäten vertreten, fünf davon hatten mehr als drei Professuren, Tendenz steigend. Vor dem Hintergrund der Gleichstellung von Frauen und Männern als durchgängigem Leitprinzip fördert Deutschland über 500 Gender-Professuren. Dabei ist festzustellen, dass Gender Studies in der Regel nicht wissenschaftlich prüfen, ob Geschlecht in einem bestimmten Fall von Belang ist, sondern dass sie es als erklärende Variable immer schon voraussetzen. Damit sind sie im Bereich der Politik und nicht der Wissenschaft zu verorten. Wäre es ohne Gender Studies nicht besser um die Freiheit des Denkens und Forschens bestellt?

Dieser Weg aber bringt Frauen weder eine wirkliche finanzielle Gleichberechtigung noch eine bessere gesellschaftliche Akzeptanz und auch bei den Verteilungskämpfen um Geld und Macht ergeben sich für Frauen keine Verbesserungen. Angesichts aktuell in der Corona-Krise drastisch sinkender Steuereinnahmen und einer massiv steigenden öffentlichen Verschuldung ist eine rigorose Überprüfung aller staatlichen Ausgaben notwendig und notwendend. Wir müssen prüfen, was wir uns noch leisten und was wir uns nicht mehr leisten können. Die immensen Kosten, die die Verfechter der ideologisch motivierten Gendermainstreaming-Bewegung veranlassen und als immer neue Finanztransfers einfordern, sind mehr als überflüssiger Luxus!


Sylvia Pantel (CDU) ist direkt gewählte Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Düsseldorf-Süd

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