Tichys Einblick
FRANKREICH VOR DER WAHL

Marine Le Pen wird es (wahrscheinlich) nicht

C’est la Vie: Im 1. Wahlgang kann Marine Le Pen vom Front National den Sieg davon­ tragen. Aber die erste Präsidentin der Republik Frankreich wird sie damit noch lange nicht. Drei Gründe sprechen gegen die Juristin und prominenteste französische Politikerin.

© Sylvain Lefevre/Getty Images

Marine Le Pen vom Front National kann die erste Runde der Präsidentschaftswahl  für sich entscheiden wie Emmanuel Macron auch. Umfragen sehen Le Pen derzeit bei ungefähr 25 Prozent, der parteilose ehemaligen Wirtschaftsminister Macron in derselben Umfrage (Institut Harris Interactive) bei 26 Prozent, er gilt als Heilsbringer der Franzosen.

Der verheiratete Macron sieht sich seit ein paar Wochen dem Gerücht der Homosexualität und des Doppellebens ausgesetzt. Russische Medien streuten das Gerücht, Macron hätte mit dem Generaldirektor von Radio France, Mathieu Gallet, ein Verhältnis. Und außerdem stünde hinter Macron die Gay-Lobby, die sich für die „Ehe für alle“ stark mache.

Statt Martin und Marine
Macron: Der Anti-Schulz
Hinter diesem Manöver könnte der Versuch stecken, Macron bei der konservativen Wählerschaft zu diskreditieren und damit Le Pen zu stärken, wenn man den Spekulationen über russische Interventionen folgen will. Außerdem hat Macron, der noch nicht über allzu viel politische Weisheit zu verfügen scheint, eben bei einem Besuch in Algerien die Kolonisation als ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnet und dadurch einen Sturm der Entrüstung in Frankreich ausgelöst. Und ob seine Ankündigung, im Falle eines Wahlsieges 120.000 Beamtenstellen zu streichen, als kluges strategisches Manöver bezeichnet werden kann, sei einmal dahingestellt.

Macron wackelt also, und deshalb hat François Bayrou, der Chef der Zentrumspartei Demokratische Bewegung und selbst Präsidentschaftskandidat ohne Chancen, Macron seine Unterstützung zugesagt. Der eingesessenen Politelite geht es darum, Marine Le Pen spätestens im zweiten Wahlgang abzufangen. Denn das lehren die jüngste französische Geschichte und die aktuellen Umfragen: Seit fünfzehn Jahren geht es mit dem Front National steil nach oben. In der Präsidentschaftswahl 2002 gelang Jean-Marie Le Pen das zweitbeste Ergebnis des ersten Wahlgangs (16,86 Prozent). 2007 kam er im ersten Wahlgang mit mehr als 3,8 Millionen Stimmen immerhin noch auf 10,44 Prozent, obgleich Frankreich ihm einen Denkzettel verpassen wollte. 2012 erreichte seine Tochter Marine Le Pen in der ersten Runde 17,9 Prozent. Und nun, nach den Attentaten von Paris und einer zunehmend angespannten innenpolitischen Lage, wird ihr ein klarer Sieg in der ersten Runde prognostiziert.

Das hat auch damit zu tun, dass der Front National in vielen Kommunen und regionalen Strukturen seit Jahren politische Verantwortung trägt und Ergebnisse vorweisen kann, die sich durchaus sehen lassen können. Die Entwicklung im südfranzösischen Orange, das sich von einer desolaten Stadt zu einem wieder
florierenden Zentrum für Tourismus und Wirtschaft entwickelt hat, ist nur ein Beispiel unter vielen. Sicherlich ist das nun ein historischer Moment für Frankreich, denn noch nie stand der Front National so kurz vor einem Präsidentschaftserfolg.

Wie mutig sind die Wähler?

Dennoch ist ein solcher Sieg unwahrscheinlich. Dafür gibt es drei Gründe: Erstens wird Le Pen im zweiten Wahlgang nicht auf einen deutlich „linksorientierten“ Kandidaten wie den Sozialisten Mélenchon stoßen. Eine solche Alternative wäre eine wichtige Voraussetzung für einen Sieg. Zweitens ist zwar auch die „Front républicain“ (also die Allianz der „linken“ und „liberalen“ Parteien) siech und marode, aber der Front National hat es bisher noch nie geschafft (vielleicht auch nie wirklich gewollt), Allianzen zu schmieden.

Marine Le Pens „Weder links noch rechts“-Strategie schließt einen solchen Weg aus. Sie versucht, alle Nein-Sager und Wahlabstinenzler unter ihrem Banner zu sammeln. Und das dürfte nicht reichen, um sie zur ersten Präsidentin Frankreichs zu machen.

Mitterand kam 1981 nur mithilfe der Kommunisten an die Macht, die dann im Kabinett auch wichtige Ministerposten zugesprochen bekamen, unter anderem das Kulturressort, mit der Folge, dass in französischen Gymnasien Russisch als erste Fremdsprache unterrichtet wurde. Eine solche Diplomatie war der „Rechten“ noch nie zu eigen. Der dritte Grund mag sein, dass die Medien Marine Le Pen als „Tochter des Teufels“ stigmatisieren und den Wählern der Mut fehlt, gegen ein solches verfestigtes mediales Schreckbild anzuwählen.

Außerdem stellt sich Marine Le Pen mit ihrem Anti-Globalisierungskurs entschieden gegen den durchgängig anzutreffenden Wirtschaftsliberalismus auch der französischen „Linken“, der selbst bei konservativen Wählern das Bild materieller Sicherheit und wirtschaftlichen Fortschritts zu verbürgen scheint.

Alexander Pschera ist Publizist.