Tichys Einblick
"Kommt Männer!"

Eine Nationalmannschaft braucht eine Nation – aber die gibt es nicht mehr

Die Mannschaft, die im deutschen Namen Fußball spielen wird, wird eine schlechte Europameisterschaft spielen. Denn es geht um Sein oder Nichtsein. Ein Land, das sich nicht selbst liebt, kann auch nicht Meister sein. Von Felix Hackmann

IMAGO / AFLOSPORT
Der Auslöser für diesen Artikel ist Rudi Völler. Er kann einem leid tun. Er will die Nationalmannschaft retten und zu altem Erfolg bringen. Leider kommt er nicht zu Pudels Kern. Eine Nationalmannschaft braucht eine Nation. Aber die gibt es nicht mehr. Mitunter ist das qualvoll mitanzusehen, wie er sich in den Pressekonferenzen windet, um Antworten ringt. Er ist ein Träumer, ein tragischer Held, ein Deutscher ohne Land. Ohne es zu merken? Ohne es merken zu wollen? Wie so viele.

Es geht bei einer Nation eigentlich nicht um Verträge, sondern um das, was ist. Einigkeit und Recht und Freiheit herrscht nicht, weil es so geschrieben steht, sondern weil die Bürger es der Lebensrealität ihres Landes jeden Tag aufs Neue einverleiben, weil sie durch diese Einverleibung selbst leben, weil sie davon jeden Tag zehren – die Freiheit in jedem Atemzug, in jedem neuen Versuch, das Leben durch die deutsche Kultur hindurch zu meistern.

Argentinien ist Weltmeister, auch weil die Spieler ihr Land lieben. Sie sind (!) Argentinien.

Gnabry und Musiala, schon die Namen sind irritierend, machen Videos für GQ, in denen sie ihre zehn „Essentials“ präsentieren – ihre zehn wichtigsten Dinge im Leben. Gesichtscreme, Parfüm, Playstationcontroller und Schmucktäschchen dürfen nicht fehlen. Sie sind Roboter für ein Konglomerat von Finanzinteressen, Marketingplattformen. Vollgepumpt mit Geld, versehen mit Logos und Etiketts, aber leere, identitätslose Menschen, die keinerlei Verbindung zu dem Land haben, für das sie spielen. Sein oder nicht sein. Das ist die Frage!

Vor einigen Jahren hallte noch der ostdeutsche Akzent von Michael Ballack durch die Katakomben – Kommt Männer! Die aufrechte Haltung, ein bisschen Traurigkeit und Skepsis in den Augen, aber unendliche Willenskraft und Beharrlichkeit. Die Dinge bedeuteten ihm etwas. Er lebte in meiner Dimension und sie lag uns am Herzen. Wir waren Deutsche.

Diese Sphäre, dieses Nest in der Zeit, hat sich aufgelöst. Es ist wie bei der Netflixserie Stranger Things, in der sich zwei Lebenswelten nebeneinander in unterschiedlichen physikalischen Dimensionen abspielen – Spaltung der Gesellschaft? Spaltung der Realität.

Es ist nur logisch, dass Deutschland nicht gewinnt – gebrochen, in der Lüge gefangen, in der Beheimatung des totalen Entzugs des Seins.

Die Karten seien schnell weg gewesen, sagt Di Lorenzo, als er die Leute im Schauspiel Leipzig vor ein paar Monaten zum Interview mit Merkel begrüßt. Die Ex-Kanzlerin sagt, sie arbeite an ihren Memoiren und es klingt nach schwerer Bewältigungsarbeit – ein hoffnungsloser Fall. Merkel hat das Geld für die Therapie. Geld, das Deutschland fehlt.

Merkel sieht keine Fehler in der eigenen Politik, man müsse alles im Zeitkontext bewerten. Und sie verteidigt, wieder einmal, die DDR. Es sei ja so schön gewesen, nicht der Beste sein zu müssen. Wenn etwas mal nicht so gelaufen sei, habe man es auf den Staat schieben können. In 16 Jahren Merkel und ein bisschen Ampel hat Deutschland alles ausverkauft, was einmal seine Identität war. Aus dem selben Mechanismus, aus dem sich Leute für Sozialismus begeistern – der Angst vor sich selbst in der Wirklichkeit.

Hier liegt der Schlüssel: Wenn man selbst ist, macht man sich angreifbar, das Leben wird ehrlich und vollkommen, aber auch schwer. Der Weg zu sich ist anstrengend, erfordert Mut und bedarf eines Fundamentes; einer Nation, einer Familie, einer Heimat, die in einem einenden Wertekontext gewachsen ist und so Vertrauen und Stabilität stiftet. Heimat bedeutet nicht einfach nur Zuhause, sondern den Ursprung innerster Lebensrealität durch die natürliche Banalität des Seins an einem bestimmten Ort. Ohne die Rückkopplung dahin, wird die Wirklichkeit pomadig.

Merkel und ihre linken Brüder im Geiste haben das auf den Kopf gestellt. Aus Entfaltung des Einzelnen durch Vertrauen im Ganzen wurde Verallgemeinerung des Einzelnen und Indifferenz im Ganzen – Integration selbst für den letzten Trottel. Alles Verbindende, die gewachsene deutsche Realität ist geschwunden, Essenzen des Lebens erscheinen unredlich, Schwäche ist Stärke, die Gesellschaft wie ein Ameisenhaufen, über dem man einen großen Eimer Betäubungsmittel ausgeleert hat. Fremdgesteuert taumeln sie auseinander.

Die Mannschaft, die im deutschen Namen Fußball spielen wird, wird eine schlechte Europameisterschaft spielen und Völler wird das irgendwann akzeptieren müssen und gehen. Man könnte Länderspiele ganz abschaffen, das wäre ehrlich, der Tragödie angemessen.

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