Tichys Einblick
Positionsbestimmung

Ein Offizier der Bundeswehr beschreibt den eigenen Standort

Die lagebezogene Geländeorientierung im deutschen Heer ist ein wichtiger Teil der praktischen Ausbildung von Offizieren und Unteroffizieren. Für die Soldaten der Bundeswehr stellt sich die Frage des eigenen Standortes zur Zeit in übertragener Weise.

© Sean Gallup/Getty Images

Mit der Angabe des eigenen Standortes beginnt die lagebezogene Geländeorientierung im deutschen Heer. Sie ist ein wichtiger Teil in der praktischen Ausbildung junger militärischer Führer – Offizieren wie auch Unteroffizieren. Für die Soldaten der Bundeswehr stellt sich die Frage des eigenen Standortes zur Zeit in übertragener Weise. Wo stehe ich in dieser Lage, in der sicherheitspolitische Herausforderungen aber auch der gesellschaftliche Wandel sich auf vielfältige Weise und in relativ hohem Tempo auswirken und sich in der Bundeswehr auch durch „Krisen“ und „Skandale“ äußern. Was ist meine Haltung und wie mache ich sie wem deutlich?

Neben Gesetzen und Vorschriften bildet für diese Frage die „Innere Führung“ den Leitfaden. Diese deutsche Führungsphilosophie soll im Kern sicherstellen, dass einsatzbereite Streitkräfte in Haltung und Handeln der freiheitlich demokratischen Grundordnung verpflichtet bleiben. Im wirklichen Leben erfordert das Kompromisse, denn die Vorbereitung auf den Krieg – und sei es nur im kleineren Rahmen von Gefechten – und erst recht der wirkliche Einsatz machen für die Soldaten Einschränkungen notwendig, die eine friedliche Zivilgesellschaft für ihr Zusammenleben nicht akzeptieren kann. Aber auch für das Militär gibt es Beschränkungen. Nicht alles, was im Kampf den Erfolg bringen könnte oder in der Ausbildung noch näher an den Belastungen der Realität ist, darf angewendet werden. Ein zentraler Begriff ist dabei die Verhälnismäßigkeit. Und spätestens hier wird deutlich, dass da keine mathematisch präzise Gewichtung vorgenommen werden kann.

Die Bundeswehr befindet sich dabei in einer besonderen Situation. Die deutsche Militärgeschichte, ihre politische Interpretation und die in einer langen Friedenszeit zunehmend individualisierte Gesellschaft in der Bundesrepublik machen es zunehmend schwieriger, die Akzeptanz für die Besonderheiten des Militärs zu erhalten. Diese „geduldete“ oder bestenfalls mit „freundlichem Desinteresse“ behandelte Armee gerät damit noch leichter in medial und politisch befeuerte Krisen. Deswegen scheint es an der Zeit, dass im Verständnis der dynamischen Konzeption der Inneren Führung eine Anpassung dahingehend erfolgt, dass jeder einzelne Soldat sich stärker in die öffentliche Diskussion einbringt. Der mündige Bürger in Uniform muss deutlich machen können, wo er steht – auch wenn es im Widerspruch zur wirklichen oder gefühlten Mehrheitsmeinung steht. Dabei muss auch die politische Führung Kritik aus der Truppe ertragen können und grundsätzlich darauf vertrauen, dass Befehl und Gehorsam als Prinzip unangetastet bleiben, denn man muss nicht jeden Befehl gut finden, den man auszuführen hat. Und wenn es um konkrete Fakten realer Einsätze geht, ist auch hier die notwendige Verschwiegenheit zu wahren. Wenn es jedoch letztendlich um gesellschaftspolitische Fragen geht, entspricht es dem Kern von „Innerer Führung Heute“, dass sich Soldaten zu Wort melden. Damit wird dieses Konzept auch deutlicher zum bindenden Leitfaden für die politische Führung des Militärs, die in Deutschland neben dem Ministerium, gerade auch im Parlament verortet wird und seine Erweiterung bis zur Bundeskanzlerin erfährt, die laut Grundgesetz Artikel 115b, mit der Verkündung des Verteidigungsfalles die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte übernimmt. Auch diesesVerhältnis sollte zwischen Truppe und Kanzlerin stets deutlich sein.

Männer und Frauen, die im Zweifel auf politischen Befehl ihr Leben einsetzen sollen, selbst wenn sie diesen Einsatzbefehl nicht verstehen oder sogar ablehnen, müssen erkennen können, dass ihre Vorgesetzten bis hinein in die politische Ebene Vertrauen in sie haben und deshalb auch darauf verzichten, sie vorschnell und pauschal zu verurteilen. Dazu muss für sie die Geduld zu erkennen sein, vermeintliche oder wirkliche Verfehlungen nicht bereits im Stadium der Untersuchung der breiten Öffentlichkeit und dabei fast notwendigerweise verkürzend zu präsentieren. Es reicht eben nicht, die Truppe über eine neue Fehlerkultur zu belehren, wenn sie nicht vorbildhaft selber gelebt wird. Gerade wenn es um Fragen zwischenmenschlichen Handelns geht, die vielen Faktoren unterliegen, die sich oft erst langsam erschließen und oft durch Missverständnisse geprägt sind. Frei nach dem Motto: Man kann nicht nicht kommunizieren.

Vorgesetzte, die an ihre Untergebenen offene Briefe senden, zeigen dagegen, dass es ihnen gar nicht um die vermeintlichen Adressaten geht, sondern um die Öffentlichkeit, um deren Unterstützung sie damit werben. Gerade bei Missständen ist das angestrebte Bündnis gegen die Adressaten damit offenkundig. Im Verhältnis dazu sei hier angeführt, dass militärische Vorgesetzte verpflichtet sind, disziplinare Bestrafungen oder auch nur negative Erzieherische Maßnahmen grundsätzlich oder sogar gar nicht vor anderen Soldatinnen und Soldaten anzuwenden und bekannt zu machen.

Diese ausgewogene – aber auch für manchen Soldaten etwas zu rücksichtsvolle Leitlinie – beschreibt den Geist der Wehrdiszplinarordnung. Es geht um Erziehung. Hier kann auch ein Grund dafür liegen, dass die in den letzten Wochen bekannt gewordenen Verfehlungen anders geahndet oder gehandhabt wurden als nur nach dem Grundsatz der Bestrafung. Die nun kritisierte zu milde Betrachtung von Vergehen mag aber auch damit zu tun haben, dass der Einfluß einer „kritischen Öffentlichkeit“ die „Zivilität“ der Bundeswehr so weit vorantrieb, dass z.B. die Wahrung von Disziplin in Sprache und Auftreten eher als nachrangig beurteilt wurden. Das „Duzen“über Dienstgradgruppen hinweg ist da nur ein Merkmal verloren gegangener Distanz. In den US-Streitkräften wurde dazu z.B. eine Diskussion geführt, die sich darum drehte, Vorgesetzte nicht länger als zwei Jahre auf dem Dienstposten zu belassen, um ihre Autorität und Objektivität nicht durch zu enge persönliche Bindungen zu gefährden. Ein Ansatz, der auch den schnell wechselnden Unterstellungsverhältnissen im Kriege nahe kommt. Im Falle der Bundeswehr ist jedoch festzuhalten, dass in den zuletzt bekannt gemachten Fällen, vielfältige Ermittlungen erfolgten, Bestrafungen vorgenommen und andere Maßnahmen durchgeführt wurden. Aber selbst die Einstellung eines Verfahrens durch eine Staatsanwältin wegen einer angezeigten sexuellen Belästigung wurde durch die Ministerin als nicht angemessen in der Öffentlichkeit kritisiert.

Diese notwendigerweise persönlichen Maßstäbe der Verteidigungsministerin stellen jedoch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit und nach ihrer tieferen Kenntnis des Systems Bundeswehr und des Soldatenberufs. Gerade in letzterem liegt ein beachtenswerter Faktor deutscher Sicherheits-und Verteidigungspolitik. Welche Qualifikationen sollten Verteidigungsminister, parlamentarische Staatsekretäre oder zum Beispiel auch der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages mitbringen? Oder anders gefragt, worauf soll das Vertrauen der Truppe gegenüber seinen politischen Führern beruhen, die als gewählte Politiker die vornehmsten Repräsentanten des demokratischen Rechtsstaates sind? Dabei kann es auch nicht außer Betracht gelassen werden, welche Diskussionen es in den letzten Jahren um die Rechtstreue der Politik gab, besonders bei der Euro- aber auch der Flüchtlingskrise. Dass letztere nun eng mit der Aufdeckung einer möglichen Terrorzelle aus mindestens zwei jungen Offizieren geknüpft ist, zeigt die Komplexität der gesellschaftlichen Verhältnisse und ihre Auswirkungen auf die Bundeswehr. Die oft wenig kenntnisreiche Berichterstattung scheitert dabei oft schon an den einfachsten Fakten.

Wenn bei dem Terrorverdächtigen Franco A. regelmäßig von einer „Karriere“ gesprochen wird, sei dazu festgehalten, dass man nach ca. 66 Monaten zum Oberleutnant ernannt werden kann. Die Offizieranwärter mit Studium sind bis dahin nicht ein einziges Mal in Führungsverantwortung in der Truppe gewesen. Das geschieht erst nach weiteren ca. 12 Monaten Ausbildung. Das ist ein – sehr langer – Ausbildungsgang, keine „Karriere“. Dass die Hintergründe dieser Radikalisierung nun geradezu drillmäßig mit dem Thema Wehrmacht und Tradition in Verbindung gebracht werden, zeigt bestenfalls aktionistische Hilfosigkeit. Könnte es sein, dass ein junger Offizier während seiner jahrelangen Ausbildung im Frankreich des Ausnahmezustandes maßgeblich durch die dortige vorbürgerkriegsähnliche Lage (E. Flaig) radikalisiert wurde?

In der Bundesrepublik setzte dagegen erneut die in der Truppe salopp als „Hexenverfolgung“ bezeichnete „Säuberung“ der Kasernen von Wehrmachtsbezügen ein und die üblichen Stimmen aus dem – bisher – vornehmlich linken politischen Lager waren sofort unterstützend zur Stelle – auch in den Medien. Wiederum stellt sich hier die Frage nach der Verhältnismäßigkeit aber auch der Art der Durchführung dieser Maßnahme. Dabei wird der gültige Traditionserlaß in der Öffentlichkeit grob verkürzt dargestellt, die möglichen Bezüge zur historischen Bildung nicht einmal in Betracht gezogen und das Gefundene als „Devotionalien“ öffentlich unmittelbar abqualifiziert. Dabei sind die als „Wehrmacht“ bezeichneten deutschen Streitkräfte durch personelle Kontinuitäten aber auch militärfachliche Themen eng mit der Bundeswehr verbunden. Die inzwischen stärkste Truppengattung der Kampftruppen im Heer der Bundeswehr ist mit dem Namen und den Einsatzgrundsätzen ein „Kind“ der Wehrmacht. Es sind die Panzergrenadiere, die am 5. Juli 1942 das erste Mal aufgestellt wurden. Das Beispiel ließe sich zu einer langen Liste fortsetzen. Darüber hinaus bestehen für manchen Soldaten der Bundeswehr auch unmittelbare familiäre Bezüge – sicher im positiven wie im negativen Sinne. Die nun vorgefundenen Gegenstände und Bilder verstoßen nicht per se gegen Befehle und sind im Fall Illkirch eher in einen historischen bzw. nicht notwendigerweise Traditionszusammenhang gestellt. Sie entsprechen sicher eher einem volkstümlichen Ausdruck des Interesses an Geschichte aber auch dem Bedürfnis nach deutschen Beispielen für Tapferkeit im Kampf und militärischer Professionalität, die möglichst nahe am heutigen Gefecht sind und die bis heute in vielen anderen Streitkräften als Orientierung dienen.

So weit bisher bekannt, sind positive Bezüge zu Kriegsverbrechen oder gar der Beteiligung an genuin nationalsozialistischen Verbrechen nicht gefunden worden. Es handelt sich um eine Art, sich der Geschichte zu nähern, die in Seminaren und „workshops“ bestenfalls mitleidiges Lächeln hervorruft. Jedoch zeigen vielfältige positive Erfahrungen mit den Soldaten verbündeter Streitkräfte – nicht zuletzt mit Franzosen – und darüber hinaus mit Bundeswehrsoldaten mit nichtdeutschen Wurzeln die eher verbindende und die Diskussion fördernde Wirkung dieser „Truppenlösung“, die sicher auch des Beschnitts und vielfältiger Ergänzung aus anderen Epochen und der bundeswehreigenen Geschichte bedarf. Was im sogenannten „Bunker“ in Illkirch übrigens der Fall war, berücksichtigt man die anderen Bilder aus preußischer und kaiserlicher Armee – und der Bundeswehr. Dagegen ruft es nicht nur bei deutschen Soldaten Befremden hervor, wenn bei einem „Gerechtigkeitsworkshop“ der Ministerin das „Eiserne Kreuz“ in bunten Farben dargestellt wird. Es handelt sich hierbei um das offizielle Hoheitsabzeichen der Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, das an jeder Truppenfahne angebracht ist. Manche Dinge sollten sich einfach verbieten.

Es gilt nun zu vermeiden, dass die persönliche Entscheidung und Ausgestaltung der Haltung zu Geschichte, Brauchtum und Tradition durch dienstlich befohlene Standardaussagen zu einer Art Glaubensbekenntnis verengt wird. Denn um jemanden in die Lage zu versetzen, in schwierigen Situationen Haltung zu zeigen, sollte bereits hier die Möglichkeit bestehen, eine eigene Haltung zu entwickeln. Wer dagegen wie die Verteidigungsministerin fordert, „dass wir uns klar abgrenzen gegen jede Zweideutigkeit und jeden Zweifel“, muss sich fragen lassen, mit welchem Instrumentarium das in einer Armee in der Demokratie erreicht werden soll. Denn das menschliche Miteinander ist ständig von Zweifeln und Zweideutigkeiten beeinflußt. Wer nun meist floskelhaft die stärkere Betonung bundeswehreigener Vorbilder fordert, sei deshalb an die Hauptleute von Unna erinnert, die ihre Stimme kritisch erhoben haben, als der starke Bezug zur Wehrmacht noch Gang und Gäbe war. Diese 30 bereits in Verantwortung stehenden Offizier forderten 1971 ein klares Berufsbild des Soldaten und ein deutlicheres Bekenntnis des Staates zur Bundeswehr.

Wie belastet die Diskussion in Deutschland weiterhin ist, zeigt auch der Beitrag von Oberst d.R. Dr. Iur. Knoll hier bei TE, der als Vizepräsident desVerbandes der Reservisten der Bundeswehr für sich feststellte, „dass die Wehrmacht, genausowenig wie das ganze Dritte Reich, keine Tradition der Bundeswehr begründen kann – auch nicht im Einzelfall.“ Damit sind nun auch Männer wie Oberst Graf Stauffenberg oder Generalmajor von Tresckow ausgeschlossen. Wer den Artikel ansonsten liest, ist überrascht und kann nur zu dem Schluss kommen, dass hier ein Unternehmer eine Auffangstellung gegenüber böswilliger Interpretation seiner sonstigen Worte bezogen hat.

Die Bundeswehr wird nun viele europäisch geregelte Dienststunden, Personal und damit auch Geld in Überprüfungen von Vorschriften und Erlassen sowie die Erstellung externer Studien stecken. Um das einzuordnen, sollte man einen bundeswehreigenen Artikel lesen, der beschreibt, dass ein Hauptmann der Panzertruppe erst jetzt das erste Mal einen Panzerzug im scharfen Schuss auf einem Übungsplatz geführt hat. Die Beförderung zum Hauptmann kann frühestens nach 96 Monaten erfolgen. Der Zweifel sei erlaubt, ob „workshops“ zu Gerechtigkeits-und Geschlechterfragen sowie die Überprüfungen des Traditionserlasses und der Wehrdiszplinarordnung ihm und vielen anderen jungen Frauen und Männern sowie den Streitkräften selbst gerade heute besonders helfen.
Vorbildliches „Führen von Vorne“ wäre es jedoch, wenn das Verteidigungsministerium eine Kultur entwickelte, die es unmöglich macht, dass ein General von seiner vorzeitigen Entlassung nicht durch die Medien, sondern durch die Ministerin persönlich in Kenntnis gesetzt wird.

Jan Hoffmann ist 1988 als Wehrpflichtiger in die Panzergrenadiertruppe der Bundeswehr eingetreten. Er ist Berufssoldat und dient als studierter Historiker z.Z. als Oberstleutnant im Generalstabsdienst in Münster. Als bekennender Staatsbürger in Uniform engagiert er sich in der CDU, für die er 2014 Bürgermeisterkandidat in seiner Heimatgemeinde war. Er ist verheiratet und hat drei Söhne.


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