Tichys Einblick
Keine Chance für Kritiker

Ditib im Kreuzfeuer der Kritik

Der Moscheeverband Ditib gerät immer mehr unter öffentlichen Druck. Ein Bericht von der Neuwahl des Vorstands Anfang Januar und ein Gespräch mit Grünen-Politiker Volker Beck über die Ditib-Strategie - von Heinrich Wullhorst

Patrik Stollarz/AFP/Getty Images

Der aus der Türkei gelenkte Moscheeverband Ditib kommt nicht aus den Schlagzeilen heraus. Bei der Neuwahl des Vorstandes im Januar hat man erneut eine Chance verpasst, sich vom Erdogan-System abzugrenzen. Der Einfluss der türkischen Religionsbehörde Diyanet ist offenbar weiterhin zu groß.

Zwar betont Ditib immer wieder Bereitschaft zu einem Neuanfang, zu mehr Transparenz und zum Dialog. Dennoch fand die Wahl der neuen Leitung hinter verschlossenen Türen statt. Die meisten der Delegierten sind nach Medienberichten türkische Diplomaten aus Europa ohne Deutschlandbezug. Das spiegelt sich im Ergebnis wider: Drei der sieben Vorstandsmitglieder sind Vertreter oder Beamte der türkischen Religionsbehörde in Ankara, vier sind Ditib-Funktionäre aus Deutschland. Der Vorsitzende Kazim Türkmen ist Botschaftsrat, Vize Ahmet Dilek Religionsattaché und der Generalsekretär Abdurrahman Atasoy ist Imam in Diensten der Diyanet. Ein Neuanfang sieht deutlich anders aus.

Allerdings hat die Ditib nicht nur hier die Chance zur Neujustierung verpasst. Mit dem von ihr und Diyanet veranstalteten Kongress zum Jahresbeginn in der Kölner Moschee wurde einmal mehr deutlich, wie groß die Nähe zu Islamisten und deren Positionen weiterhin zu sein scheint. Zu der Tagung waren auch Vertreter der als radikal geltenden Muslimbruderschaft eingeladen. Der Bayerische Innenminister Joachim Hermann kritisierte gegenüber der Augsburger Allgemeinen die enge Beziehung der Ditib auch zu solchen Gruppierungen. „Die Religionsfreiheit in Deutschland deckt nicht Versuche aus dem Ausland, massiven religiösen Einfluss zu nehmen“, betonte Hermann.

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Von der Tagung, bei der es um die „Zukunft der Muslime in Europa“ ging, wird berichtet, dass neben einer zunehmenden Islamfeindlichkeit, die man dort beklagt habe, Bestrebungen nach einem Islam deutscher oder europäischer Prägung eine klare Absage erteilt wurde. Es bleibt abzuwarten, ob die Ankündigung des neuen Ditib-Vorstandes, einen Beitrag zur Deeskalation leisten zu wollen und Sachthemen in den Blick zu nehmen, fruchten wird.

Hintergrund:
Ditib ist die türkische Abkürzung für Türkisch-islamische Anstalt für Religion (auf Türkisch: Diyanet Isleri Türk Islam Birligi). Der Verband untersteht dem Präsidium für religiöse Angelegenheiten der Türkei, welches direkt dem Präsidenten unterstellt ist. Der Ditib gehören etwa 900 Moscheevereine an.

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Hat sich die Organisationsstruktur der Ditib verändert?
Die Ditib ist personell, finanziell und strukturell die Tochter der Diyanet, der dem türkischen Präsidenten Erdogan unterstellten Anstalt für Religion in Ankara. Daran hat sich im Grundsatz nichts geändert. Die zentrale Steuerung aller Ditib-Vereine durch die Auftragsverwaltung der Diyanet, der Kölner Ditib-Zentrale, wurde in den letzten Jahren nur an einigen Stellen perfektioniert. Die Einflusssicherung funktioniert nicht nur über Satzungsbestimmungen, sondern auch über arbeits- und vermögensrechtliche Mechanismen: Die Imame stehen unter dem Vertrag der Diyanet, die meisten Moscheegebäude gehören der Kölner Auftragsverwaltung, dem Ditib-Bundesverband.

Gibt es derzeit Veränderungen im Handlungsmuster der Ditib? Lässt sich eine zunehmende Radikalisierung feststellen?
Als Akteur ist vor allem die Mutter der Ditib, die Diyanet in Ankara, relevant. Die Diyanet hat Anfang Januar mit ihrer Konferenz europäischer Muslime in Köln zwei Dinge klar gemacht: Sie will auf dem europäischen Kontinent und nicht nur in Deutschland die bestimmende muslimische Kraft sein, und sie versucht über die moderaten Kräfte der Ditib hinaus Muslimbrüder, Milli Görüs bis hin zu Grauen Wölfen zu sammeln und zu einen. Dies ist eine besorgniserregende Entwicklung.

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Sind alle Funktionäre der Ditib inzwischen Erdogan-Anhänger, hat es gezielte Aktionen gegeben, um Erdogan-Kritiker von Ämtern freizuhalten oder abzusetzen?
Die Satzung der Ditib sichert den Einfluss der Diyanet bei der Benennung und bei zentralen Beschlüssen der Organisation. Die Religionsattachés der Konsulate der türkischen Republik nehmen auch bei den örtlichen Vereinen zum Teil direkt Einfluss auf die personelle Auswahl der Vorstände. AKP- oder Erdogan-Kritiker haben da keine Chance.

Wie bewerten Sie die jüngste Veranstaltung in Köln, bei der in der Ditib-Moschee auch Vertreter der radikal-islamischen Muslimbruderschaft zugegen waren?
Die Türkei ist ein sicherer Hafen für die Muslimbruderschaft. Der türkische Staatspräsident Erdogan und die AKP fühlen sich den Muslimbrüdern ideologisch verbunden. Der Hamas-Führer Khalid Meshal wurde auf AKP-Parteitagen gefeiert und bejubelt. Diese Nähe wurde bei der Kölner Konferenz nun auch unverblümt in Deutschland gezeigt.

Teilen Sie die Einschätzung mancher Beobachter, dass sich Erdogan zunehmend von seinen islamischen Weggefährten löst und sich viel stärker den türkischen Nationalisten annähert?
Islamismus und Nationalismus sind bei der AKP miteinander verschränkt. Die Politisierung von Religion ist ja eines der Hauptprobleme der muslimischen Verbändelandschaft in Deutschland. Richtig ist, dass Erdogan verstärkt auf der nationalistischen Klaviatur spielt. Die Allianz der AKP mit den Ultranationalisten der MHP ist Ausdruck dieser Entwicklung.


Zur Person:
Volker Beck, Jahrgang 1960, gehörte von 1994 bis 2017 für die Grünen dem Bundestag an. Von 2013 bis 2016 war er religionspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Aktuell hat er einen Lehrauftrag am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien der Ruhr-Universität Bochum. Dort beschäftigt er sich mit Religionspolitik in der Praxis. Beck hat in der Vergangenheit immer wieder die Ditib kritisiert.

Becks Parteifreunde in Nordrhein-Westfalen haben nun die Düsseldorfer Landesregierung aufgefordert, eine klare Haltung im Umgang mit dem Verband zu zeigen. Solange die Ditib „ein verlängerter Arm Ankaras“ sei und mit „antidemokratischen Kräften“ zusammenarbeite, könne sie kein Kooperationspartner für das Land etwa beim muslimischen Religionsunterricht oder in der Gefängnisseelsorge sein, erklärte die Landesvorsitzende der NRW-Grünen, Monar Neubaur, am vergangenen Dienstag vor Journalisten in Düsseldorf. Seit ihrer Amtsübernahme im Juni 2017 habe die schwarz-gelbe Landesregierung, so Neubaur, eine klare Positionierung gegenüber der Ditib vermissen lassen.


Dieser Beitrag von Heinrich Wullhorst und sein Interview mit Volker Beck erschienen zuerst in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur, der wir für die freundliche Genehmigung zur Übernahme danken.