Tichys Einblick
Die Bundeswehr hat kein Haltungsproblem

Die Ministerin muss sich bei der Bundeswehr entschuldigen!

Ja, wir haben ein Haltungsproblem, aber ein solches in der Politik. Wo sind denn die verantwortlichen Politiker, die deutsche Soldaten nach Afghanistan schicken und die gepanzerten Fahrzeuge erst 10 Jahre später nachführen?

The German federal defense ministry (Verteidigungsministerium) in Berlin, Germany

© Adam Berry/Getty Images

Was ist nur aus unserer Bundeswehr geworden? Dabei ist es schon falsch, die Frage so zu stellen. Richtig wäre zu fragen, wie es kommt und warum wir es zulassen, dass eine Abfolge von mäßig begabten oder inhaltlich unbedarften Verteidigungsministern – dies nicht selten in Personalunion – unsere Bundeswehr in eine solche Schieflage bringen.

Doch fangen wir vorne an, bei dem Vorwurf, wonach unsere Bundeswehr eine gewisse oder gar zu große Nähe zur Wehrmacht und sie deswegen insgesamt ein Haltungsproblem habe.

Eine geistige Nähe zur Wehrmacht, wenn sie denn bestehen sollte, wird gerne aus der Tatsache hergeleitet, dass die Bundeswehr von Offizieren aufgebaut wurde, die bereits in der Wehrmacht dienten. Und tatsächlich ist es ein Leichtes, lässt man diese Feststellung unkommentiert stehen, eine Kausalität zu der Behauptung oder Vermutung zu konstruieren, die Bundeswehr müsse sozusagen systemimmanent ein Hort für rechtsradikale Tendenzen sein. Erinnerungselemente, die eine Anknüpfung an die Wehrmacht vermuten lassen, tun dann ein Übriges. Dabei ist schon diese Kausalität falsch, wenn man sich mit den Anfängen unserer Bundeswehr beschäftigt.

Bereits im Protokoll der Himmeroder Konferenz, auf der das erste Grundsatzpapier zur Aufstellung eigener westdeutscher Streitkräfte verfasst wurde, gibt es einen, wenn auch nicht erschöpfenden Hinweis, dass bestimmte ehemalige Offiziere der Wehrmacht beim Aufbau der Bundeswehr nicht zu berücksichtigen seien.

Der Beginn war in Ordnung …

Bereits im Vorfeld hatte sich Adenauer im Rahmen der Diskussion um einen eigenen westdeutschen Beitrag zur Verteidigung Europas gegenüber dem Hohen Kommissar dahingehend positioniert, dass bei der Personalauswahl künftiger Truppenführer nur solche zu berücksichtigen seien, die eine Gewähr für eine demokratische Haltung bieten. Auch deshalb hat Adenauer den katholischen Gewerkschaftler Theodor Blank zunächst als sicherheitspolitischen Berater – anstelle des Generals a.D. Graf Schwerin – und in der Folge als ersten Verteidigungsminister eingesetzt.

Auf der anderen Seite war ein verteidigungspolitischer Beitrag der noch jungen Bundesrepublik Deutschland wenige Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation und der vollständigen Entmilitarisierung Westdeutschlands nur dann glaubwürdig und sinnvoll, wenn es gelingen würde, die Gefechtserfahrungen der Wehrmacht in der künftigen Bundeswehr durch einen Rückgriff auf Kriegsteilnehmer abzubilden. Das war im übrigen auch die Erwartungshaltung der Westmächte. Folgerichtig begegnete Adenauer entsprechenden Ressentiments mit dem Hinweis, dass die NATO ihm wohl keine Achtzehnjährigen abnehmen würde.

Mit dem Personalgutachterausschuss-Gesetz ist dann die Voraussetzung für ein Gremium geschaffen worden, das über die Einstellung von Soldaten, die vom Dienstgrad Oberst an aufwärts vorgesehen sind, befinden sollte. Weiterhin sollte der Personalgutachterausschuss Richtlinien vorschlagen, nach denen die persönliche Eignung der übrigen Soldaten geprüft wird.

In der Vorbemerkung zu den vom Personalgutachterausschuss festgeschriebenen Kriterien wurde seinerzeit die Vorbildfunktion des Widerstandes vom 20. Juli 1944 hervorgehoben. Dieser Bezug zum 20. Juli kann nur als Ausgrenzung jener verstanden werden, die in der Bundeswehr ein Kontinuum zur Wehrmacht sahen. Ein „weiter so“ war ausgeschlossen. Wer sich zum 20. Juli bekannte, musste sich geradezu zwangsläufig gegen die Nazis stellen.

Damals musste aber nicht nur der Spagat zwischen Kriegs- und Führungserfahrung im Gefecht einerseits und einer demokratisch gesonnenen Armee andererseits geschlossen werden. Es musste auch eine quasi Versöhnung in der Bevölkerung hergestellt werden. Weder war die Wiederbewaffnung von einem breiten Konsens in der Bevölkerung getragen – selbst die Regierungsparteien taten sich schwer -, noch durfte durch den Rückgriff auf ehemalige Soldaten der Wehrmacht eine Rehabilitierung derselben erfolgen. Und so richtete sich die 1955 herausgegebene Broschüre „vom künftigen Soldaten“ an die breite Öffentlichkeit. Galt es doch, damit für die allgemeine Wehrpflicht und den Aufbau eigener Streitkräfte zu werben. Im Vorwort spricht der damalige Fachminister Theodor Blank vom Beispiel der Soldaten aller Dienstgrade, die zuvor tapfer und anständig, jeder an seiner Stelle, ihre Pflicht taten, was dazu mahnt, den herantretenden Aufgaben und Verpflichtungen nüchtern und gewissenhaft zu begegnen.

Das erfuhr später zum Teil heftigen Widerspruch, dem allerdings entgegengehalten werden muss, dass zehn Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation zwar einerseits eine Verwerflichkeit militärischen Handelns durchaus in der Öffentlichkeit gesehen wurde, andererseits aber ein stabiles Immunsystem der deutschen Nachkriegsgesellschaft im Hinblick auf die Wehrmacht bestand, jedenfalls bis zum Beginn der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“.

… die Fortsetzung auch

Dieser Gesamtkonflikt hat die Bundeswehr viele Jahre begleitet, denn bis in die 70er Jahre sind alle Offiziere von solchen direkt oder indirekt ausgebildet worden, die noch in der Wehrmacht gedient hatten. Dabei musste in der täglichen Praxis der Ausbildung ganz konkret eine Antwort darauf gefunden werden, dass die Wehrmacht einerseits als Machtinstrument des NS-Staates Teil der Verbrechensmaschinerie war, andererseits aber, rein militärisch gesehen, durchaus als Leistungsträger, sogar als Vorbild wahrgenommen wurde, letzteres auch und gerade im Ausland.

Der israelische Militärhistoriker Martin van Crefeld schreibt im Jahr 2005 dazu in seinem Buch „Kampfkraft – militärische Organisation und Leistung der deutschen und amerikanischen Armee 1939 – 1945“: „Das deutsche Heer war eine vorzügliche Kampforganisation. Im Hinblick auf Moral, Elan, Truppenzusammenhalt und Elastizität war ihm wahrscheinlich unter den Armeen des 20. Jahrhunderts keines ebenbürtig.“ Er begründet das unter anderem mit der von den deutschen Armeen entwickelten Auftragstaktik, einer Führungstechnik, die dem Entscheidungsträger vor Ort möglichst viel Freiraum belässt, solange er im Sinne der Absicht der übergeordneten Führung handelt.

Auftragstaktik kann man abstrakt erläutern. Beibringen lässt sie sich nur in der Praxis und anhand militärhistorischer Beispiele. Bei letzterem spielen eben auch Erfahrungen aus den Weltkriegen und damit auch der Wehrmacht, insbesondere im infanteristischen Kampf, auch mit Unterstützung durch Panzer, kurzum das Gefecht der verbundenen Waffen, eine Rolle. Will man also auch in Zukunft Soldaten am Beispiel ausbilden, wird man um die Erfahrungen der Wehrmacht nicht gänzlich herumkommen. Das muss eine Bundeswehr aushalten und das hat sie immer ausgehalten.

Das Prinzip der Auftragstaktik wurde übrigens mit der jüngsten Vorschrift ZDv 10/1 zum Gegenstand der Inneren Führung erhoben. Das ist auch das einzig konkrete in dieser Vorschrift, ist das, was wir unter Auftragstaktik verstehen, doch klar geregelt. Ganz anders die Innere Führung selbst.

Da Armeen, aufgrund ihrer Bestimmung sozusagen systemisch, demokratischen Strukturen nicht zugänglich sind, wollte man im Zusammenhang mit dem Aufbau der Bundeswehr eine wehrtaugliche, die Streitkräfte quasi selbstverpflichtende „Rechtsstaatlichkeitsinfusion“ legen, um die Bundeswehr in die sie tragende Gesellschaft mit ihrer freiheitlichen demokratischen Grundordnung integriert zu wissen. Aus den Anforderungen an diese demokratische, vor allem aber rechtsstaatliche Integration ist schrittweise das Konzept der Inneren Führung mit dem Staatsbürger in Uniform entstanden.

Die Innere Führung blieb ein Schlagwort

Tatsächlich ist aber das, was Innere Führung bedeuten soll, nie richtig definiert worden. Man redet seit 60 Jahren um die Inhalte herum. Deshalb verwundert es nicht, wenn das, was Innere Führung sein könnte, in der Vergangenheit regelmäßig zum Spielball einer Auseinandersetzung vorzugsweise zwischen linken Wissenschaftlern und pragmatischen Militärs wurde. Die einen sahen in der Inneren Führung ein Element, die Streitkräfte zu demokratisieren, während die anderen die Innere Führung alleine deshalb als nicht hilfreich wahrnahmen.

Selbst die aktuelle Vorschrift ZDv 10/1 erschöpft sich in einer Auflistung von Selbstverständlichkeiten, wie sie in einem Rechtsstaat nun einmal gelten. Vielleicht findet man deshalb im Organigramm des Zentrums für Innere Führung keine Zuständigkeit mehr für die Innere Führung selbst. Dafür hat man dieses Kommando von einem Stern auf zwei hochdotiert. Nun ist ein Generalmajor mit einem Stellvertreter im Range eines Brigadegenerals für etwas zuständig, was selbstverständlich ist.

Mit all den Spannungsfeldern ist unsere Bundeswehr in all den Jahren gut zurechtgekommen. Wir waren einmal die beste Armee in der NATO, keine hat das Gefecht der verbundenen Waffen so beherrscht wie wir. Wir standen zusammen mit unseren Verbündeten an der innerdeutschen Grenze. Ohne uns, die aktiven Soldaten und die der Reserve hätte es die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit nicht gegeben. Wir haben uns angehört, dass wir Mörder sind, und wurden beschimpft, wenn wir in Uniform nach Hause fuhren. Unsere Mütter wuschen unsere Uniformen und wir haben als Wehrpflichtige zwischen 6 und 18 Monaten unserem Land gedient. Dabei war unsere Ausrüstung bis Anfang der 80er Jahre – gelinde gesagt – mangelhaft. Wir standen ebensowenig in der Tradition der Wehrmacht, wie „rechte“ Gesinnung ein Thema war. Wir haben immer treu gedient. Und treu dienen beinhaltete auch die Pflicht zu widersprechen, wo die Ministerin im Urteil fehlt.

Heute stehen unsere Soldaten in Mali, Afghanistan, im Balkan und auf den Schiffen der Deutschen Marine ihren Mann und ihre Frau. Sie riskieren ihr Leben, und jetzt attestiert die Bundesverteidigungsministerin unserer Bundeswehr ein Haltungsproblem und tut so, als müsste unsere Bundeswehr 70 Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht von ihr gesäubert werden.

Das Haltungsproblem liegt bei der Politik

Ja, wir haben ein Haltungsproblem, aber ein solches in der Politik. Wo sind denn die verantwortlichen Politiker, die deutsche Soldaten nach Afghanistan schicken und die gepanzerten Fahrzeuge erst 10 Jahre später nachführen? Warum sind unsere Hubschrauber regelmäßig nicht nachtflugtauglich? Warum brauchen wir Flugzeuge anderer Nationen, um unsere Truppen zu transportieren? Warum besaufen wir uns erst am Charisma eines Hochstaplers, schaffen dann die Wehrpflicht ab und haben bis heute kein überzeugendes Konzept in der Nachwuchsgewinnung oder der Verzahnung von militärischer und ziviler Ausbildung oder für die Reserve? Warum läuft jedes Rüstungsprojekt aus dem Ruder?

Warum ist unsere Bundeswehr, gemessen an ihren früheren Fähigkeiten nur noch ein Schatten ihrer selbst? Wir sind weder zur Bündnis- noch zur Landesverteidigung befähigt. Unsere Bundeswehr ist überfordert, wenn bei 180.000 Soldaten und Soldatinnen nicht einmal 10.000 im Ausland eingesetzt sind. Wie will man das einem Arbeitgeber der zivilen Wirtschaft erklären, wenn dieser einen Arbeitnehmer als Reservist abstellen soll? Nicht einmal eine deutsche Brigade ist unmittelbar einsatzbereit. Und wir nennen das Kaputtsparen unserer Bundeswehr „Friedensdividende“ und sind auch noch stolz auf diese blödsinnige Bezeichnung von politischem Versagen.

Die Forderung nach einer einsatzfähigen Bundeswehr, die das kann, was ihr verfassungsrechtlich zugewiesen ist, nämlich die Landesverteidigung, ist nicht „rechts“, sondern ein Gebot der Vernunft. Überhaupt ist nicht automatisch „rechts“, was nicht „links“ ist. Wir brauchen eine handlungsfähige Bundeswehr, gut ausgebildete Soldaten, die das können, was sie können sollen. Deshalb müssen wir mehr Geld in die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes stecken. Verteidigung beginnt aber bei der Ausbildung und Ausrüstung. Das Kümmern um sexuelle Randgruppen, merkwürdige Attraktivitätsinitiativen und das Umbenennen von Kasernen, vielleicht als nächstes die Abschaffung des Karabiners beim Wachbataillon, das Infragestellen des Barett-Emblems der Feldjäger und das Lied „Ich hatt‘ einen Kameraden“, mit dem wir unsere Toten ehren: alles purer Aktionismus.

Und damit eines nicht offen bleibt, sage ich deutlich, dass die Wehrmacht, genausowenig wie das ganze Dritte Reich, keine Tradition der Bundeswehr begründen kann – auch nicht im Einzelfall. Und wenn verbrecherische Aktivitäten herauskommen, die Bundeswehrangehörige begehen oder vorbereiten, muss man diesen nachgehen und den Drahtziehern mit allen gesetzlichen Möglichkeiten das Handwerk legen und sie bestrafen. Aus dem Auftreten derartiger Einzelfälle aber ein Haltungsproblem zu konstruieren, ist unangemessen und beleidigt die Truppe. Unser Eid, treu zu dienen, impliziert bereits nach altgermanischem Recht auch die Treue der Ministerin gegenüber der Truppe. Das einzufordern, ist unser Recht. Sie muss sich entschuldigen.