Tichys Einblick
Die Bundeswehr braucht endlich Unterstützung

Bundeswehr: bedingt abwehrbereit – die Realität ist viel schlimmer

Einst sorgte ein Bericht über den maroden Zustand der Landesverteidigung für den größten Skandal in der Politik der Nachkriegszeit, Verteidigungsminister Franz Josef Strauß musste zurücktreten. Heute ist keine einzige Brigade mehr einsatzbereit.

© Sean Gallup/Getty Images

Der frühere Bundespräsident Horst Köhler sprach auf der Kommandeurtagung der Bun­deswehr am 10. Oktober 2005 vom freundlichen Desinteresse, mit dem die Öffentlichkeit unserer Bundeswehr be­gegnet. Ich halte das für untertrieben und werfe der Politik, den Medien und der Öffentlichkeit Gleichgültigkeit ge­genüber unserer Bundeswehr vor.

Im Artikel 87a des Grundgesetzes heißt es lapidar: „Der Bund stellt Streit­kräfte zur Verteidigung auf.“ Doch wir geben jährlich über 36 Milliarden Euro dafür aus. Da sollte sich doch jemand dafür interessieren, was mit diesen Ausgaben gelingt. Am 13. Septem­ber schrieb James Kirchick auf faz.net unter dem Titel „Schluss mit dem Durchmerkeln!“, dass in jedem anderen Land vergleichbarer Größe und globa­ler Bedeutung der miserable Zustand der Streitkräfte ein riesiger Skandal wäre. Dass das Thema dennoch im Wahlkampf keine Rolle spielte, liegt einfach daran, dass sich niemand dafür interessiert.

Deshalb muss eine neue Bundes­regierung und nicht nur ein neuer Verteidigungsminister endlich in einer konzertierten Aktion dafür sorgen, dass die primäre Aufgabe unserer Bun­deswehr in der Öffentlichkeit verstan­den und ihr die Wertschätzung entge­gengebracht wird, die unsere Soldaten und Soldatinnen erwarten können, wenn man von ihnen umgekehrt sogar den Einsatz ihres Lebens verlangt.

Stille um von der Leyen
Bundeswehr: Die Parlamentsarmee kein Thema in den Parlamentswahlen
Eine solche konzertierte Aktion muss auch die Bundestagsabgeordneten mit einschließen. Unsere Bundeswehr wird als Parlamentsarmee bezeichnet, weil der Bundestag ihren Einsätzen zustim­men muss. Da müssen sich die Abge­ordneten eben auch einmal fragen, wenn sie ein Mandat verlängern oder beschließen, unter welchen Mühen ein Einsatzkontingent ausrüstungstech­nisch zusammengestellt werden muss. Es kann doch nicht sein, dass bei Aus­landseinsätzen das Material aus allen Heeresverbänden zusammengekratzt wird.

Und was den verfassungsrechtlichen Auftrag der Bundeswehr anbelangt, so ist keine deutsche Brigade einsatzbe­reit. Als der Spiegel 1962 titelte „Bun­deswehr: bedingt abwehrbereit“, löste das einen der größten Nachkriegsskan­dale aus. Heute bleibt die Politik und auch die militärische Führung bei glei­cher Aussage in ihrer Führungslethar­gie verhaftet. Das ist kein Desinteresse mehr, sondern bestenfalls noch Agonie.

Neben einer Reputationsoffensive, einem Gewinnen der Öffentlichkeit für die Belange der Verteidigung muss in jedem Jahr der nächsten Legislatur­periode eine Brigade in den Zustand der Operationsfähigkeit gebracht wer­den. Das wären in vier Jahren vier Bri­gaden, die ihre verfassungsrechtliche Aufgabe erfüllen könnten. Wir erinnern uns: Während der 80er­Jahre waren es 36 Brigaden. Hinzu kommen vergleich­bare Anstrengungen bei der Luftwaffe und der Marine.

Ein Erstarken der Bundeswehr wür­de uns in die Lage versetzen, zum militärischen Stabilitätsanker in Eu­ropa zu werden, den man bei unserer Wirtschaftskraft auch erwarten kann. Nur eine starke Bundeswehr wird die US-­Amerikaner auch emotional an Europa binden und die Franzosen, die sich vor dem kompletten Umbau ihrer Volkswirtschaft befinden, motivieren, ihren Beitrag trotz schwerer werdender wirtschaftlicher Rahmenbedingungen in bisherigem Umfang zu leisten.

Ohne eine starke Bundeswehr werden keine militärischen Aufgaben durch die EU übernommen werden und auch kein qualifizierten Beitrag zum Schutz der baltischen Staa­ten leisten können, was wir aber einfach müssen. Gleichzeitig bedeutet eine star­ke Bundeswehr größere Chancen zur Befriedung des Konflikts mit Russland. Der russische Präsident Putin muss ein­sehen, dass seine militärischen Muskel­spiele nur Geld kosten, sein Land aber nicht weiterbringen.


Dieser Beitrag ist in Tichys Einblick 11/2017 erschienen.


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