Tichys Einblick
Gegen "Klima" und "Diktatur"

Im Land der Angst und Hypermoral

Ängste soll man nicht vermeiden, sondern sich ihnen stellen. Für die aktuellen Angst-Themen der Deutschen – Klima und Diktatur – gilt: kein Grund zu Panik, aber Anlass für achtsames, umweltfreundliches Leben einerseits, sowie vernunftbasierte, nicht ideologisierte Politik anderseits. Von Prof. Dr. Michael Klein

IMAGO/Arnulf Hettrich

Wir leben in bewegten, krisenhaften Zeiten. So viel ist klar. In Krisen und Stresssituationen tritt der innerste Charakter von Menschen klarer zutage als in ruhigen Zeiten. Das gilt für Individuen wie auch für Gruppen und Völker. Die Reaktionen in der deutschen Gesellschaft legen sonderbare Aspekte zutage. Zerstörung von Wirtschaft und Wohlstand wegen einer angekündigten Klimaapokalypse, Rekordzahlen in der Asylzuwanderung ohne Asylberechtigung oder arbeitsmarktrelevante Qualifikationen sowie massenhafte Demonstrationen gegen das politisch Böse und damit für die Regierungspolitik sind nur einige der aktuellen Symptome aus einer aufgeregten Republik.

Deutschland ist Weltmeister in Sachen Angst und Hypermoral. Was ist los mit den Deutschen? Eine politpsychologische Betrachtung versucht, Licht ins Thema zu bringen.

„German Angst“

Die Deutschen sind ein Volk der Angsthasen und Hasenfüße. Nicht umsonst existiert im Englischen das Wort „German Angst“, um diese spezielle Angstneigung der Deutschen zu bezeichnen. Die frühere Angst vor saurem Regen, Ozonloch, Vogel- und Schweinegrippe sowie Corona ist heute viel komplexeren Ängsten gewichen. Die chronische Angst vor den bösen Rechten und die apokalyptische Klimaangst passen so gut zum deutschen Volkscharakter, dass wir weltweit in einer eigenen Angstliga spielen.

Dabei gehört das Land zu dem untersten Viertel weltweit in Sachen heißes Klima und Hitzetote. Dass interessierte Politiker die Angst vorm Hitzetod anstacheln, sagt mehr über die Mentalität dieser Personen als über die wahre Größe des Problems aus. Was die Angst vor einer rechten Diktatur angeht, ließe sich durch vernunfts- statt ideologiebasierter Politik das rechte Gespenst binnen kürzester Zeit verjagen. Wenn die entsprechenden Machteliten es nur wollten! Aber das Päppeln der Ängste vor Klima und vor Rechts ist fester Bestandteil der politischen Leitkultur des Landes.

Die Nation sollte sich die Lehren der Psychotherapie der Angst zu eigen machen: Die Ängste nicht vermeiden, dadurch werden sie noch größer, sondern sich den Ängsten stellen. Bei den genannten Themen Klima und Diktatur: kein Grund zu Panik, aber Anlass für achtsames, umweltfreundliches Leben einerseits und vernunftbasierte, nicht ideologisierte Politik anderseits.

Hysterie und Panik

Eng verwandt mit der hohen Angstbereitschaft ist die Neigung zu Hysterie und Panik. Unter Hysterie versteht man heutzutage das schnelle und situationsunangemessene Überschießen von Emotionen, die dann nicht mehr kontrolliert werden können. Entgegen der früheren Sichtweise von Sigmund Freud sind dafür Frauen und Männer anfällig. Vielleicht immer noch etwas mehr Frauen als Männer, wie zuletzt Studien zum Zusammenhang zwischen politischer Orientierung und psychischer Gesundheit (Haidt & Lukianoff) zeigten. Bei überschießenden Emotionen stellt sich schnell das Gefühl der Panik ein.

Die derzeitigen massenhaften Demonstrationen „gegen Rechts“ tragen unverkennbar hysterische Züge. Dass sie sich undifferenziert gegen ein ominöses, böses Rechts richten und immer wieder menschenverachtende Tiraden („Tötet alle AFDler!“) gegen den rechten „Feind“ propagieren, unterstreicht die mentale Undifferenziertheit der Massenbewegung. Offenbar fällt vielen Demonstranten gar nicht auf, dass sie einerseits – aus guten Gründen – gegen Hass und Hetze Flagge zeigen wollen, dass aber andererseits auf vielen gezeigten Flaggen und Transparenten voller Stolz und Inbrunst genauso solche Parolen von Hass und Hetz getätigt werden.

Rechte zu entmenschlichen, einfach weil sie Rechte sind, gehört nicht zu den demokratischen Grundtugenden von Toleranz, Widerspruch und Vielfalt. Dies alles nicht zu erkennen, kann nur im Zustand der Hysterie und irrationalen Gewissheit der richtigen Haltung und Moral geschehen. Also lieber: sich besinnen, nicht von Massenhysterie anstecken lassen und die Geschichte der Weimarer Republik einmal genau studieren. Denn Geschichte wiederholt sich nicht und der neue Totalitarismus kommt ganz anders in die Welt als der alte.

Hypermoral

Es ist gut, über ein gefestigtes Wertesystem zu verfügen. Problematisch wird es, wenn durch Politik und Medien anderen in kategorischer und rigider Art das eigene Wertesystem in rechthaberischer und erzieherischer Weise übergestülpt wird. Im Land herrscht schon längst moralische Panik, die in wunderbarer Weise von den primären Problemen der Gegenwart ablenkt. Hypermoralische Politik wird zur Pseudoreligion und erzeugt auch international keine Freundschaften, sondern Unverständnis und Ablehnung.

In der sogenannten feministischen Außenpolitik geschieht unter dem imprägnierenden Deckmantel der – völlig gerechten – Förderung und Verteidigung von Frauenrechten genau dies. Realpolitik im Umgang mit den unterschiedlichsten politischen und religiösen Systemen der Welt wird so zur Missionspolitik einer selbstgerechten westlichen Ideologie, deren Ideologie wie eine Monstranz vor sich hergetragen wird. Dabei bleibt – völlig ungerechterweise – die Hälfte der Menschheit, nämlich die Männer, unberücksichtigt, weil deren Nöte und Diskriminierungen nicht ins verengte Weltbild passen.

Schon Hillary Clinton meinte, dass Frauen im Krieg am meisten litten. Neben der Obszönität, Leiden von Menschen aufrechnen zu wollen, ignoriert dieser Politikansatz die Lage der Männer: Schon seit zwei Jahren sind mehr als 95 Prozent der Opfer des Krieges in der Ukraine Männer. Dass sie zu Hunderttausenden als Kanonenfutter getötet und verstümmelt werden, nimmt in der feministischen Politik und den assoziierten Medien keinen Stellenwert ein. Lieber sich in einem vermeintlichen richtigen Moralsystem sonnen als die Lebensrealität aller Menschen adäquat und realitätsgerecht wahrnehmen.

Intoleranz und Spaltung

Schon seit etlichen Jahren ist es inopportun und zunehmend riskant, von der linksgrünen Leitmeinung abweichende Haltungen zu vertreten und öffentlich zu äußern. Die Bestrafung folgt auf dem Fuße. Zunächst wurden abweichende Meinungen als politisch inkorrekt gebrandmarkt, dann wurden Personen mit solcherlei Einstellungen von der Debatte in den Leitmedien ausgeschlossen, ihre Zugänge zur öffentlichen Meinung also „gecancelt“, schließlich verloren sie nicht selten Aufträge, Jobs oder Stellungen im öffentlichen Leben. Von der linkgrünen Agenda abweichende Meinungen zu äußern ist mittlerweile nicht selten ein existenzgefährdender Akt der freien Meinungsäußerung. Die Gesellschaft ist unter der linksgrünen Agenda der letzten Jahre nicht offener und bunter, sondern intoleranter und verschlossener geworden. Inzwischen reicht der Prozess der „cancel culture“ sogar in Freundschaften und Familien hinein und zerstört den inneren Zusammenhalt im Kern. Die Corona-Zeit wirkte hier wie ein Brandbeschleuniger.

Das Fortschreiten der Standardisierung und Eindimensionalisierung der öffentlichen Meinung intensivierte sich interessanterweise im Kontext der Wokeness-Welle, die nach außen hin Vielfalt und Buntheit propagierte. In Wirklichkeit brachte sie Einfalt und Intoleranz. Wokeness und Diversity sind in Wahrheit Freiheitsgefährdungen der westlichen Gesellschaften, die auch ganz offiziell von diesen Ideologien verachtet werden. In Zeiten der medialen Desinformation und des umgekehrten Totalitarismus ist es nicht ungewöhnlich, dass Kartellmedien und Politik das eine propagieren und gleichzeitig das andere meinen.

Pluralität und Gleichheit zu predigen, aber Elitenherrschaft und Exklusion Andersdenkender zu meinen, ist eine Spezialität des neuen Totalitarismus. Auf diesem Wege geht es Toleranz und Debattenkultur an den Kragen. Andersdenkende sind heute überraschend oft Konservative, echte Liberale und Altlinke. Sie sind das wahre Feindbild, wenn es heißt „gegen Rechts“. Die wahre Opposition sind keine Feinde der Demokratie, sondern ihre treusten und tiefsten Anhänger. Die „neue deutsche Welle“ in der Politik predigt Buntheit und fördert Intoleranz. Dies zu dekonstruieren, wäre die vornehmste Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Journalismus. Er versagt dabei seit Jahren auf ganzer Strecke.

Schuldgefühle und Selbstbezichtigung

Kein Volk auf der Welt leidet so anhaltend unter seiner Geschichte wie die Deutschen. Die Gründe dafür sind evident und die Verbrechen, die im Namen Deutschlands begangen wurden, sind bis heute in menschlicher und geschichtlicher Dimension monströs.

Die Dauer des Leidens ist jedoch auffällig. Da kreist etwas durch die Generationen und wird immer stärker. Es mutet wie ein Fluch an, wie er im Alten Testament (!) mehrfach beschrieben ist. Der Fluch der Väter verfolgt die Söhne, Enkel und deren Nachkommen. In der Realität des Heute lebt so gut wie kein Mensch mehr in Deutschland, der mit eigenen Händen Schuld auf sich geladen hat. Daher sollten die Menschen sich von introjizierter Schuld endlich befreien. Es braucht eine Couch, eine Gruppentherapie, aber keinen Pranger. Die Nazi-Keule, die so viele Ideologen gerne schwingen, um gerade jungen Deutschen der Generationen Y und Z Schuldgefühle zu vermitteln, ist in Wirklichkeit ein Trigger von der Art des Pawlowschen Hundes.

Das Wort Nazi, ja alleine schon das Wort Deutscher, bewirken Schuldgefühle und Selbstbezichtigung. Es ist ein Zeichen einer persistierenden Neurose. Davon sollten sich alle heute lebenden Deutschen frei machen. Sie haben keine Schuld. Sie machen sich schuldig, wenn sie nicht aufhören, die Realität zu verzerren und mit neurotischer Selbstbezichtigung aufzuladen. Deshalb ist es so leicht, ihnen heutzutage einzureden, sie seien fremdenfeindlich und rassistisch. Noch nie lebte in Deutschland eine so weltoffene, fremdenfreundliche und antirassistische Generation. Ausnahmen dazu gibt es natürlich immer.

Es braucht Mut, um die Freiheit zu bewahren

Die multiplen Krisen der Gegenwart machen es schwer, gelassen und vernunftsorientiert durch die Gegenwartsgeschichte zu navigieren. Dabei ist genau das der beste Kurs. Die politischen und medialen Eliten ergänzen und übertreffen sich dabei, es den Menschen schwer zu machen, diesen Kurs zu finden. Sie profitieren von der Angst und Unmündigkeit, die sie säen. Nur vordergründig herrscht Demokratie. Die Möglichkeiten zur Teilhabe an Entscheidungen oder gar Macht werden immer geringer. Schon Widerspruch und Kritik an den dominierenden linksgrünen Narrativen ist gefährlich und kann die Existenz kosten oder den sozialen Tod bringen.

Noch nie seit 1949 war die Demokratie so gefährdet wie heute, aber in einem ganz anderen Kontext als die gratismutigen Demonstranten „gegen Rechts“ dies beklagen. Der mutige Gegenwartsmensch, der sich seines Verstandes zur Analyse des Geschehens bedient und nicht in selbstverschuldeter Dummheit und Naivität versinken will, weiß, dass die größten Gefahren in der Bedrohung von freier Rede und freiem Denken liegen. Das wahre Streben sollte stets nach einem freien Leben in Verantwortung für sich und andere liegen.


Prof. Dr. Michael Klein ist klinischer Psychologe und Psychotherapeut, Experte für politische Psychologie.