Tichys Einblick
Politischer Wortschatz

Sogenanntes „Bürgergeld“

Auf das Bürgergeld haben nicht alle Bürger Anspruch, sondern nur erwerbslose; die Mehrheit dieser Erwerbslosen sind übrigens – wie schon bei Hartz -IV-Empfängern – nicht Deutsche. Der Begriff „Erwerbslosengeld“ wäre also informativer als „Bürgergeld“.

Der Bundestag beschloss am 10. November das „Bürgergeld-Gesetz“, genauer: den „Entwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze“. In den Medien war und ist häufig vom „sogenannten Bürgergeld“ die Rede; so meldete die Süddeutsche Zeitung am 11. November: „Der Bundestag stimmte […] für das sogenannte Bürgergeld, es soll das bisherige Hartz-IV-System ersetzen.“ Aber was bedeutet hier „sogenannt“?

Die Einführung eines „Bürgergeldes“ hatten im November 2021 SPD, GRÜNE und FDP im Koalitionsvertrag vereinbart:
„Anstelle der bisherigen Grundsicherung (Hartz IV) werden wir ein Bürgergeld einführen. Das Bürgergeld soll die Würde des oder der Einzelnen achten, zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen sowie digital und unkompliziert zugänglich sein.“

Der Begriff „Bürgergeld“, der damit auf die sozialpolitische Agenda kam, war nicht neu: Er dient seit den 1990er Jahren als Programmwort für den Vorschlag, verschiedene Sozialleistungen in einer einzigen Maßnahme finanziell zusammenzufassen. Die entsprechenden Pläne – so forderte schon 1994 auf einem CDU-Parteitag die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA), Leistungen nach BAFöG (Bundesausbildungs-förderungsgesetz) sowie Erziehungs-, Wohn- und Kindergeld in einem „Bürgergeld“ zu bündeln – blieben zwar fast dreißig Jahre lang ohne Erfolg, das Wort wanderte aber bis heute weiter und wird nun umgesetzt.

Sprachlich ist „Bürger-geld“ ein zusammengesetztes Wort (Kompositum), wobei das Erstglied das zweite näher bestimmt. Es gibt im Deutschen rund zweihundert Komposita auf -geld, vom Alters-geld über das Haushalts-geld bis zum Zweitkinder-geld, und -geld bedeutet hier einen Geldbetrag, der für einen bestimmten Zweck vorgesehen ist. Das Bürgergeld sollen die „Bürger“ bekommen. Aber wer sind diese? Die Angehörigen einer sozialen Bevölkerungsschicht (bürgerliche Mitte), die deutschen Staatsbürger (72 Millionen) oder die Einwohner in Deutschland (84 Millionen)? Gemeint sind die Einwohner, aber bei weitem nicht alle. Im Unterschied zum Kinder-geld, das für jedes Kind bezahlt wird, oder dem Kurzarbeiter-geld, das jeder in Kurzarbeit erhält, haben auf das Bürgergeld nicht alle Bürger Anspruch sondern nur erwerbslose; die Mehrheit dieser Erwerbslosen sind übrigens – wie schon bei Hartz -IV-Empfängern – nicht Deutsche. Der Begriff „Erwerbslosengeld“ wäre also informativer als „Bürgergeld“.

Als Wort ist „Bürgergeld“ seit Jahren öffentlich bekannt, es muss deshalb nicht mehr durch den erklärenden Zusatz „sogenannt“ eingeführt werden. Dass in den Medien trotzdem vom „sogenannten Bürgergeld“ die Rede ist (bei Google findet man dazu über 7.000 Belege), zeugt von einem verbreiteten sprachlichen Unbehagen an dem Wort: Es beschönigt und verschleiert, man erkennt die Absicht und distanziert sich durch das Wörtchen „sogenannt“, was bedeutet: „Über die Berechtigung dieser Bezeichnung kann man streiten“. Politisch wirkt „Bürgergeld“ aber unstrittig viel positiver als „Hartz IV“ oder „Erwerbslosengeld“. Deshalb verzichteten die Ampelparteien in diesem Fall auch auf das Gendern: „Bürgerinnen- und Bürgergeld“ oder „Bürger*innengeld“ würden den positiven Eindruck mindern.

Geschichtlich ist „Bürgergeld“ seit dem 16. Jahrhundert belegt. Es bedeutete ursprünglich die Gebühr, die jemand bezahlen musste, um das Bürgerrecht in einer Stadt oder einem Land zu erlangen. Nach der Reichsgründung (1871) wurde dieses Bürgergeld deutschlandweit abgeschafft. Falls der Bundesrat dem Bürgergeldgesetz zustimmen sollte, hat Deutschland ab 1. Januar 2023 wieder ein Bürgergeld – allerdings ganz anders als in alten Zeiten: Damals musste ein Neubürger das Bürgergeld zahlen; heute zahlt es der Staat, und zwar an jeden, der hier lebt oder hierher kommt und erwerbslos ist.

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