Tichys Einblick
Trend oder Nerv der Zeit

USA: Country-Musiker lösen Kontroversen aus und erobern die Charts

Janis Joplin, Bob Dylan oder John Lennon waren mit ihren Anti-Kriegs- oder Establishment-Protestsongs prägend für eine Generation. In Woodstock träumten langhaarige Hippies mit Blumen in den Haaren von Revolution. Erfolgreich! Jetzt gibt es eine neue musikalische Protestbewegung. Wieder kommt sie aus Amerika, dieses Mal allerdings sind die Protestsänger konservativ und ihr Medium ist das Internet.

IMAGO, Screenprint: Youtube - Collage: TE

Die linken Hippies von damals tragen schon lange keine Blumen mehr in den Haaren. Sie singen auch nicht mehr gegen den Krieg, das Establishment, die Bonzen oder das System. Heute sitzen sie selbst an der Macht, haben das einst verhasste System übernommen und nach ihren Vorstellungen ausgebaut. Sie und ihre Kinder sind selbst zu den Bonzen geworden, die sie einst bekämpft haben. Während die ehemaligen Revoluzzer behaupten, die „Beste aller Regierungen“ geschaffen zu haben und für soziale Gerechtigkeit auf der Welt zu kämpfen, grummelt das Volk.

Und wieder sind es Musiker, die dem gewachsenen Unmut eine Stimme geben. Es war der politisch bei den Republikanern verordnete Rocker Kid Rock, der auf Budlight Dosen zielte und mit dem dazu selbstgedrehten Video dem Unternehmen Anheuser Busch noch den letzten Rest gegeben hat – dessen Marketingabteilung zuvor mit der Auswahl einer Transfrau als Aushängeschild die Budlight-Zielgruppe komplett verprellt und den Abverkauf der Marke vaporisiert hatte.

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Aber nicht nur prominente Musiker gewinnen an Einfluss. Oliver Anthonys selbstproduzierter Song „Rich Men North of Richmond“ ging Anfang des Monats plötzlich viral und stieg gleich auf Platz 1 der Billboard Charts ein. Den Song hatte Anthony erstmals mit einem professionellen Mikrofon aufgenommen, zuvor hatte er nur mit seinem Mobiltelefon gearbeitet. Das dazugehörige Video könnte bodenständiger nicht sein, es zeigt ihn beim Spielen einer Akustikgitarre im Wald. „Oliver wer?“, fragte sich die gesamte Musikindustrie, die noch nie von dem bärtigen Country-Sänger aus Farmville, Virginia gehört hatte. In der ersten Augusthälfte wurde er bereits 17,5 Millionen Mal gestreamt, und ein von RadioWV veröffentlichtes Video von Anthonys Auftritt wurde in 12 Tagen 30 Millionen Mal aufgerufen.

Oliver Anthony ist die personifizierte, authentische amerikanische Arbeiterklasse. Er glaubt an Gott, ist Patriot. Luxus kennt er (noch) nicht, er lebt in einem Mobile-Home, habe dem Alkohol zu stark zugesprochen. Anthony habe Gott um Hilfe gebeten und versprochen, nüchtern zu bleiben, sollten seine Träume wahr werden, gestand er auf seinem YouTube-Kanal. 30 Tage später hatte er den Nr. 1 Country-Song in Amerika. The American Dream!

Die linke Community schüttelt bei dieser Geschichte den Kopf, das Heartland Amerikas jubelt. Das sind die Werte, die hier noch zählen und die vielen Amerikanern in diesen Zeiten zu kurz kommen: Glaube, Patriotismus, der amerikanische Traum. Mit seinen Texten zielt Anthony direkt ins Herz vieler hart arbeitender Menschen, für die der Monat länger ist, als es die Lohntüte erlaubt. Die sich dank der „Bidenflation“ kaum noch ihre Miete oder die Abzahlung fürs Haus leisten können.

„Rich Men North of Richmond“ hat nicht nur wegen seiner Kritik an den hohen Steuern und der Anprangerung der „übergewichtigen Wohlfahrtsempfänger“ starken Gegenwind erhalten. Für woke Aktivisten ist neben dem „Bodyshaming“ untragbar, dass Anthony vermeintliche Verschwörungstheorien verbreitet. Im Song heißt es, Politiker sollten sich mehr um Miners (Minenarbeiter) kümmern als um Minors on Islands somewhere (Minderjährige auf Inseln). Eine Anspielung auf die Privatinsel von Jeffery Epstein und die Mächtigen im nur 100 Meilen entfernten Washington DC, die nicht nur oft am Volkswillen vorbei regieren, sondern auch auf der Insel eingeladen waren. Sie sind mit den „Rich Men North of Richmond“ gemeint.

„Nun, ich hab meine Seele verkauft
Den ganzen Tag auf Arbeit lauter Überstunden
Für einen Scheißlohn

Damit ich hier draußen hocken kann und mein Leben vergeude
Mich nach Hause schleppe und meine Sorgen ertränke

Es ist eine verdammte Schande was aus der Welt geworden ist
Für Leute wie mich und Leute wie dich

Wünschte, ich könnte einfach aufwachen und es wäre nicht wahr
Aber es ist sooh, es ist so

In der neuen Welt zu leben mit einer alten Seele
Diese reichen Männer nördlich von Richmond
Der Herr weiß, dass sie alle bloß die völlige Kontrolle haben wollen

Wollen wissen was du denkst, wollen wissen was du tust
Und sie glauben nicht, dass du es weißt, aber ich weiß dass du es tust

Weil dein Geld einen Dreck wert ist und ohne Ende besteuert wird
Wegen reicher Männer nördlich von Richmond

Ich wünschte Politiker kümmerten sich um Bergleute
Und nicht nur um Minderjährige auf einer Insel irgendwo

Herr, wir haben Leute auf der Straße, die nichts zu essen haben
Und die Fetten melken die Wohlfahrt

Aber mein Gott, wenn du einssechzig groß bist und hundertsechsunddreißig Kilo wiegst, sollten nicht Steuern für deine Tüten voller Süßkram aufkommen

Junge Männer bringen sich selbst ins kalte Grab
Weil alles, was dieses verdammte Land tut, ist, sie dauernd in den Staub zu treten

Herr, es ist eine verdammte Schande was aus der Welt geworden ist
Für Leute wie mich und Leute wie dich

Wünschte, ich könnte einfach aufwachen und es wäre nicht wahr
Aber es ist sooh, es ist so

In der neuen Welt zu leben mit einer alten Seele
Diese reichen Männer nördlich von Richmond
Der Herr weiß, dass sie alle bloß die völlige Kontrolle haben wollen

Wollen wissen was du denkst, wollen wissen was du tust
Und sie glauben nicht, dass du es weißt, aber ich weiß dass du es tust

Weil dein Geld einen Dreck wert ist und ohne Ende besteuert wird
Wegen reicher Männer nördlich von Richmond

Ich hab meine Seele verkauft, den ganzen Tag auf Arbeit
Lauter Überstunden für einen Scheißlohn“

Oliver Anthony ist nicht im politischen Sinne rechts oder konservativ, wehrt sich gegen jegliche politische Vereinnahmung, egal von welcher Seite. Eine Aussage, die gleich begierig von allen Medien aufgegriffen wurde im stetigen Tauziehen um Künstler mit der richtigen Haltung. Anthony definiert sich im christlich-konservativen Sinn.

Der Country-Music-Star Jason Aldean dagegen ist deutlich politischer, er ist überzeugter Republikaner. In „Try That in a Small Town“ (Versuch das mal in einer Kleinstadt) kritisiert er linke Gewalt und Anti-Amerika-Tendenzen. Aldean drückt damit die Ängste und Gefühle aus, die viele Konservative zurzeit umtreiben und bewegen.

Im Text zu „Try That in a Small Town“ heißt es:

„Verfluche einen Polizisten, spucke ihm ins Gesicht / Tritt auf die Flagge und zünde sie an / Klar, jetzt denkst du, du bist hart / Nun, versuch das mal in einer Kleinstadt / Sieh zu, wie weit du es dort auf der Straße schaffst / Hier kümmern wir uns um unsere Leute“.

Das dazugehörige Video zeigt Aufnahmen von gewalttätigen Demonstranten, die sich der Polizei entgegenstellen. Der Drehort war das Gerichtsgebäude von Maury County in Columbia, Tennessee. 1927 wurde dort ein Schwarzer, Henry Choate, gelyncht.

Linke Medien regierten sofort und unterstellten ihm, er wolle die BLM-Proteste kritisieren und die Menschen aufwiegeln. Cancel-Culture-Aktivisten verteufelten ihn und forderten die umgehende Entfernung des Songs auf allen Kanälen. Ganz so, wie damals die langhaarigen Hippies als gefährlich verteufelt wurden. Teilweise sogar mit Erfolg. Der Fernsehsender Country Music Television entfernte das Video von seinem Kanal. Auf YouTube ist es weiterhin zu sehen und wurde mehr als 30 Millionen Mal abgespielt. Bevor Aldean die Nr. 1 Position eroberte, stieg „Try That“ auf Platz 2 der Billboard Hot 100 ein.

Aldean reagierte gelassen. “Es gibt keine einzige Zeile in dem Lied, die sich auf Rasse bezieht oder darauf hinweist. Try That In a Small Town bezieht sich für mich auf das Gefühl einer Gemeinschaft, in der ich aufgewachsen bin und in der wir uns um unsere Nachbarn gekümmert haben, ungeachtet ihrer Herkunft oder ihres Glaubens. Wir waren Nachbarn, das stand über allen Unterschieden. Ich habe nie einen Hehl aus meinen politischen Ansichten gemacht, und ich weiß, dass wir uns in diesem Land nicht darüber einig sind, wie wir zu einem Gefühl der Normalität zurückkehren können. Aber der Wunsch danach – darum geht es in diesem Song“.

Fun Fact 1: Viele schwarze Hörer sprangen ihm zur Seite und schreiben in den sozialen Medien, dass sie nichts Rassistisches in dem Text erkennen können.

Fun Fact 2: Auf X/Twitter gibt es Videos mit dem hashtag #TryThatInASmallTown, in denen Videoaufzeichnungen couragierte Kleinstadtbürger zeigen, die Raubüberfälle stoppen.

Konservative Inhalte wurden bislang, im Gegensatz zu woken Ideologien, eher im rationalen Bereich vermittelt. Man argumentierte mit Zahlen, Fakten, Gesetzen oder appellierte an den gesunden Menschenverstand. Trump war einer der ersten Politiker, der Emotionen einbrachte.

Genau das machen jetzt auch die konservativen Musiker. Sogar die Filmindustrie spürt den Gegenwind. Das woke Hollywood wollte „Sound of Freedom“, einen Film zum Thema Menschenhandel an der Grenze zu Mexiko, mit aller Macht verhindern. Vergeblich. Das christlich-konservative Angel Studio brachte ihn mittels Crowdfunding in die Kinos. Der Film wurde zum Kassenknüller und schlug sogar Disneys Indiana Jones. Wie so oft im Leben gilt auch in Wokistan: Wird das Pendel zu lange und zu stark in Richtung „links und woke“ geschwungen, steht eine massive Gegenbewegung von der anderen Seite bevor. Die neuen Revoluzzer kommen von rechts.

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