Tichys Einblick
Rapper

Aus den Shisha Bars zum Mainstream

Was sich im Dunstkreis der in Großstädten aus den Boden schießenden Shisha Bars zusammenbraut, hätte nicht im Masterplan „Leitkultur“ eines Friedrich Merz gestanden. Dabei ist es das längst für viele Jugendliche.

Screenprint: Single Charts MTV.de, 13.04.2019

Konservative dürften sich beim Blick auf die deutschen Musik-Charts freuen, wenn dort deutschsprachige Songs die Top 50 Platzierungen dominieren. Aber die Freude währt nicht lange, wenn weiter klar wird, dass diese Interpreten ansonsten wenig zu tun haben mit Gesangseinlagen von Herbert Grönemeyer bis Helene Fischer. Nein, heute dominieren Künstler die modernen Rankings, von denen genannte konservativere Betrachter kaum je etwas gehört haben dürften.

In den Charts in der letzten Woche herausragend (Deutsche Audio Streaming Charts, Song Top 100, Apple) sicher die Dominanz des Rappers Capital Bra, dem gelang nämlich, was zuvor über Jahrzehnte nicht möglich erschien: Die Beatles und Abba via Streaming-Dienste (hier kann Musik auf das Handy geladen werden) zu überholen, wenn es um die Anzahl von Nummer Eins Platzierungen im Laufe eines Jahr geht. Nun hinkt der Vergleich zwischen Schallplattenverkäufen und dem Herunterladen von Songs zwar – Markt und Konsumentenverhalten haben sich seit damals stark verändert – eindrucksvoll bleibt diese Erfolggeschichte aber auf jeden Fall.

Nein, in Deutschland braucht es keine Quote mehr für deutsprachige Musik wie in Frankreich für französischsprachige Hits. Tatsächlich dachten die Bundestagsfraktionen von SPD und CDU noch 2007 darüber nach, darauf einzuwirken, im Radio im ausreichenden Maße Werke mit deutschen Texten zu spielen. Schaut man heute in die Charts von 2019, kann sich der Heimatminister was das angeht, beruhigt zurücklehnen: Ohne jede Quote dominiert hier deutschsprachige Musik die Ranklisten der Streamingdienste, also da, wo junge Menschen Musik laden, um sie auf ihren Smartphones abzuspielen.

„Ich will einfach ein Haus mit ei’m Whirlpool (ja)
Sklaven, die immer wieder alles für mich gern tun
Hattest einen Bruch nach einem Einbruch?
Sag mir, hilf dir doch, Hals- und Beinbruch!
„Fero, bist doch derselbe, Bratan?“
Hol‘ die Kalasch raus und mache bam-ba-bam-ba-bam (bam)“
(Fero 47, „Jaja“)

Aber kein Grund zur Entwarnung, denn ganz sicher ist das nicht, was sich Quotenmusikpolitiker erhofft hatten – damals, als man zum Musikhören noch CDs kaufte und sich freute, dass die silbernen Scheiben handlicher waren, als Schallplatten, während die Musikfreunde, die heute die Streaming-Charts bestimmen, Schallplattenspieler in etwa so betrachten dürften, wie sie auf Röhrenfernseher oder etwa Handwendetoaster schauen.

„Auf Schule war geschissen, lieber kummern in mein Kissen. Paar Jahre später, der Junge hat’s gerissen. Ich bin Tony Soprano, Farbe Marokkano. Rolle in ’nem Lambo Gallardo.“

Schon mal gehört? Das ist eine Songzeile aus dem Nummer Eins Hit „Harami“ des Rappers Samra. Der heißt bürgerlich Hussein Akkouche, ist libanesischer Herkunft und im Berliner Ortsteil Lichterfelde aufgewachsen. Auf Platz zwei der Charts steht Capital Bra aus Berlin, bürgerlich Vladislav Balovatsky mit Wurzeln in Russland und der Ukraine.

Auf Platz drei findet sich der Rapper Shindy mit „Affalterbach“, auf vier Dardan mit „Coco Mama“, bürgerlich Dardan Mushkolaj, kosovo-albanischer Abstammung. Und auf Platz fünf der Streaming Charts (Apple) steht die Youtuberin Shirin David – die Tochter litauisch-iranischer Eltern rappt mittlerweile erfolgreich und wurde bekannt neben Dieter Bohlen in der Jury von „Deutschland sucht den Superstar“.

Auf Platz sechs stehen die schon genannten Capital Bra und Samra im Duett und auf acht Bausa, gefolgt von Eno, Mero und Fero47 auf den Plätzen neun, zehn und elf – zwei kurdischstämmige und ein türkischstämmiger Rapper. Weiter folgen auf den Plätzen Kalim, Ufo 361, KC Rebell und Nash, vier Rapper mit afghanischer, türkischer und irakischer Herkunft. Die Liste wäre noch weit darüber hinaus fast nahtlos fortzuführen.

Die Streaming Charts zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass sich hier der Musikgeschmack der Jugend und junger Erwachsene spiegelt. Nein, Helene-Fischer-Fans streamen nicht, der finanzielle Erfolg der Sängerin russlanddeutscher Herkunft basiert immer noch auf dem millionenfachen Verkauf von CD’s und aufwendigen Tourneen.

Nun kann wahrscheinlich jeder selbst beurteilen, wie einflussreich Musik sein kann, wenn Dinge von früher, wenn vergangene Orte, wenn Menschen und Ereignisse von ihrem individuellen Soundtrack lebendig gehalten werden.

So hatten die Rebellen der 68er-Bewegung ihre eigene Plattenkiste. Und wer in den 1980er/90er Jahren groß geworden ist, der kann seine Lebenserinnerungen heute rückblickend mit einem wahren Füllhorn von Musik untermalen – die Geburt neuer Musikstile reichte damals von Reggae über die neue Deutsche Welle über Techno und House bis hin zu Grunge und HipHop. Diese Generation hat vertonte Erinnerungen, wo in den Generationen zuvor mehr oder weniger Stimmfilme liefen, von ein paar Naturaufnahmen, von Vogelgezwitscher und der Volkslieder singenden Großmutter einmal abgesehen.

„Ey, ich schlag‘ Nutten nur halbtot, wenn ich durch Rotlichtgassen lauf‘
Denn ich hab‘ ein großes Herz dank Anabolikamissbrauch
Egal, wohin man auch schaut, man sieht nur Spasten in der Szene (tze)
Ich halte nichts von denen außer abgetrennte Schädel
Zieh dein Kleid aus, wir sind hier nicht bei der Gayparade, Mo’fucker.“
(Kollegah, „Rap wieder Rap“)

Nun ist es müßig zu fragen, was es mit jungen Menschen macht, die aufwachsen mit über In-Ears (Innenohrkopfhörer) implantierten Soundtracks ihres Lebens. Eltern kennen das, wenn zur Ansprache an die Kinder immer auch eine Berührung gehört, ein Anstupser, damit wenigstens einer der Ohrstöpsel für einen kurzen Moment ausgestöpselt wird.

Und die Rap-Musik der Charts ist noch einmal näher am Hörer, wenn sie in der Muttersprache daherkommt. Selbst dann übrigens noch, wenn es nicht die Muttersprache der Interpreten ist. Aber was macht nun eine tendenziell homophobe, frauenfeindliche und Drogenkonsum verherrlichende Musik mit jugendlichen Konsumenten? Manche Experten meinen tatsächlich, „diese Musikrichtung helfe ihnen dabei, ihre Aggressionen zu kontrollieren, sie gebe ihnen eine Möglichkeit, ihrer Wut freien Lauf zu lassen und sie nicht gegen Mitmenschen zu richten.“

Aber es sind durchaus nicht nur Jugendliche mit Migrationshintergrund oder Kinder aus sozial schwächeren Familien, die sich von den harten Raps angesprochen fühlen. Es ist hier nicht anders als in den Vereinigten Staaten: Die Kommerzialisierung und der große Erfolg dieser Musik basiert auf der Kaufkraft von Jugendlichen aus der in Deutschland immer noch breit aufgestellten Mittelschicht. Die Bild-Zeitung nannte sie ziemlich eilfertig die „Generation Bushido“. Aber Bushido, bürgerlich Anis Mohamed Youssef Ferchichi, spielt längst keine Rolle mehr im großen Rap-Game, viele seiner Zöglinge haben ihn längst in ihren Luxuslimousinen rechts überholt.

Es gibt sogar schon einen Rap-Pädagogen, der im Prinzip nichts anders macht, als mit Rap-Musik auf Jugendliche einzuwirken. Der Mann heißt Nico Hartung und auf die Frage, mit wem er arbeitet, antwortet er:

„Mit jeglicher Art von Jugendlichen. Ich habe mittlerweile auch schon mit Kindergartenkindern gerappt. In letzter Zeit viel mit Refugees und Menschen mit geistiger Behinderung. Aber wir haben auch schwer erziehbare Jugendliche.“

„Wir sind auf Koks und aggressiv (aggressiv)
Brettern über Rot im weißen Jeep (weißen Jeep)
Sie leg’n uns Steine in den Weg
Doch alles, was wir haben, haben wir uns selbst verdient (brra)“
(Capital Bra/ „selbst verdient“)

Hartungs Fazit allerdings ist nachdenkenswert, wenn er befindet, dass es seinen Jugendlichen total wichtig war, „dass das, was die Rapper sagen, wahr ist.“ Eine Distanz zu den nicht selten fiktiven und überzeichneten Charakteren der Rapper auf der Bühne wird unterschritten. Tatsächlich ist der Einfluss der Musik nicht geringer als in der Generation Grunge, nur dass jetzt auf Deutsch gerappt wird und Musik via Streaming-Dienst und Smartphone 24/7 verfügbar und noch viel intensiver genutzt wird. Laufbahnen sind heuten nicht mehr Schule, Abitur und Studium, sondern am liebsten sofort erfolgreich als Rapper um anschließend beispielsweise eine Shisha-Bar-Kette aufzumachen. Der schnelle Erfolg wird suggeriert: Vom Tellerwäscher zum Rapstar. Wird so eine ganze Generation versaut?

Aber noch mal zurück diesen Charts und wer sie dominiert. Oft sind das arabischstämmige oder Künstler mit Anbindung an eine Parallelgesellschaft mit migrantischem Hintergrund. Und wer das mediale Theater um den Rapper Bushido und dessen Abhängigkeit zu einem der großen kriminellen arabischstämmigen Clans mitverfolgt hat, der bekommt eine bestimmte Vorstellung davon, was hinter den Kulissen dieses so erfolgreichen Musik-Genres vor sich geht, wenn längst weitere Clans mitmischen (Bushido wechselte von einem zum anderen) und wenn die Biografien der hier vorgestellten Chartstürmer mehr oder weniger eng miteinander verzahnt sind.

„Baby komm wir gehen nach Amsterdam.
Baby komm wir rauchen 20 Gramm.
Baby komm ich bau dir einen.
Leg dich hin und pack ihn ein.
Baby sie sagt Ufo bitte bleib hier.
Ich sag kein Problem, ich bleibe nur mit dir.“
(Ufo 361, „Zieh dich aus“)

Nun ist der Soundtrack der Generation „Streaming“ musikalisch hochwertig produziert. Auch die Videoclips zu den Songs sind aufwendig gedreht und Teil des Erfolgsmodells. Es ist wohl so: Wer heute noch von einer deutschen Leitkultur fabuliert und dabei Liedgut, Landschaft oder gar Goethe im Hinterkopf hat, der verkennt die aktuelle Lage gewaltig. Capital Bra und seine Kollegen arbeiten in keinem Gangster-Nischengeschäft mehr, sie sind längst selbst der Mainstream. Und ihre Musik kann tatsächlich als so etwas wie der Kitt zwischen zwei Kulturen bezeichnet werden: Der einheimischen und der eingewanderten, vorwiegend arabischstämmigen.

So, wie die jungen deutschen Nachkriegsgenerationen den englischen und US-amerikanischen Musikmarkt aufgesogen und dieses Lebensgefühl verinnerlicht und zu ihrem gemacht haben, macht es die Generation von heute mit dem Angebot der in Deutschland geborenen Söhne und Töchter von Migranten. Und man kommt nicht umhin, feststellen zu müssen, dass sich da im Dunstkreis der in den deutschen Großstädten aus den Boden schießenden Shisha Bars kulturell etwas zusammenbraut, das so sicher nicht im Masterplan „Leitkultur“ eines Friedrich Merz oder Wolfgang Schäuble gestanden hat.

Während also in Integrationskursen für junge meiste männliche arabischstämmige Zuwanderer von bestimmten Anpassungsbewegungen an die vorherrschende deutsche Kultur die Rede ist, verändert sich diese Kultur längst rasant. Und wenn die ZEIT titelt: „Jugend: Mainstream statt Revolution“, dann sagt das alles und meint nichts. Denn was da so brutal und in ungeschminktem Ghettodeutsch via In-Ears ins jugendliche Kleinhirn hämmert, dass hat nichts Revolutionäres mehr, es ist längst Mainstream, es ist der Soundtrack der Jugend, der Erwachsenen von Morgen. Aber was für ein Morgen wird das sein?

„Auf dem Weg nach oben, will die Million (skrrt, skrrt, ah)
Geh zur Seite, Digga, ich will alles hol’n (wouh, ah, ah, ah, ah)“
(Mero, „Baller los“)


Screenprint via mtv Single-Top 100, 13.04.2019