Tichys Einblick
Selbständigkeit boomt doch - Vom Blogster zum Blogstar

Mode- und Streetstyle-Blogger: Hobby, Journalist und Marke

Modeblogger: Nur Hobby oder ernsthafte journalistische Tätigkeit? Hinter Blogs steckt oft jahrelange harte Arbeit - im Bild: Mehrnaz vom Luxus-, Mode- und Lifestyle-Blog "Shoplemonde"

Das Internet ist die Maschine einer neuen Selbständigkeit. In der Welt umherjettende, modebegeisterte junge Frauen und Männer, die jedes eigene Outfit und das von Freunden fotografieren, auf dem eigenen Blog schreiben und auf allen sozialen Medienkanälen feuern: Youtube, Twitter, Facebook, Instagram und Pinterest. Die zu Modenschauen, zu Produktpräsentationen in der Welt der Mode oder Kosmetik eingeladen werden, die Stars und Sternchen treffen und darüber berichten – wo endet das Hobby und wo beginnt die journalistische Tätigkeit?




Schöne neue Bloggerwelt

Camille Charriere | © camilleovertherainbow.com

Wenn Camille ihre neuesten Einkäufe präsentiert, kreischen ihre Leser und Follower vor Glück im Choral. Gerne präsentiert sie die jüngsten Errungenschaften, den neuen Mantel in angesagtem Oversize-Schnitt, die neue Handtasche aus abgewetztem Leder, die Jeanshose im „Boyfriend-Style“. Ihre Anhängerinnen goutieren es mit immer höheren „Gefällt mir“-Clickzahlen. Die Kommentare reichen dabei von kurzem Beipflichten der Kaufentscheidung wie „Total schön!“ bis hin zu „Der Mantel ist ja umwerfend! Wo hast Du den her? Gibt es denn noch in anderen Größen?“

Es sind nicht nur die Geschichten der Quereinsteigerin Camille Charriere, die als ehemalige Rechtsanwältin den Sprung von der Modebloggerin hin in die große, weite Welt der Mode geschafft hat. Nach einigen Stationen bei Net á Porter und Matchesfashion.com, arbeitet sie nun als Modejournalistin und als erfolgreiche Freelancerin. Camille jettet dabei um die Welt, besucht die angesagten Modenschauen der Fashionweeks und die glitzernden Parties der Glitterati von New York bis nach Shanghai. Postings werden „mit freundlicher Unterstützung von Bergdorf Goodman“ präsentiert, dem alteingesessenen Nobelkaufhaus im Herzen von New York.

Die unbestrittene Königin dieser Branche, Chiara Ferragni vom Blog „The Blonde Salad„, kann sich vor lauter Einladungen, Geschenken und Fotoshootings definitiv Zehnteilen. Der Terminkalender quillt über. Designer schicken ihr ähnlich wie den amerikanischen Superstars vor den Oscars Kleidung und Accessoires und hoffen, dass sie diese auf ihrem Blog oder zu Events auf dem roten Teppich trägt. Denn was auch immer die Superstars der Modebloggerwelt tragen, wird gekauft.

Chiara Ferragni | © The Blonde Salad

So profitiert die Marke vom Träger und der Träger profitiert von der Marke Ferragni. Chiara sitzt erste Reihe bei den Modenschauen, bei Premieren. Erfolgreiche Bloggerinnen wie sie gehen Kooperationen mit Modeketten ein und designen für diese kleine Kollektionen, sogenannte Capsule Collections. Im Fall von Chiara sogar noch mal mit dem gewissen Extra, dass sie sogar ihre eigene Schuhmarke auf den Markt geworfen hat. Laut eigenen Angaben erzielte ihre Company TBS Crew (15 Mitarbeiter) im letzten Jahr einen Umsatz von sechs Millionen Euro, davon viereinhalb aus dem Schuhgeschäft.

Das ist der Traum, aus dem die Bloggerherzen gemacht sind. Nicht mehr Fotomodell ist heute der Traumjob junger Mädchen. Sie wollen umherreisen wie ihre Vorbilder in den Modeblogs. Mit Designern sprechen. Interviews führen. Auf Streetstyle-Blogs erscheinen, im Look kopiert werden und eben die Welt als ihren eigenen persönlichen Laufsteg betrachten, an dessen Rande Parties, Promis und das eigene Modeimperium warten. Wichtig sein. Prominent.

Wie Tavi Gevinson, die bereits im Alter von 11 Jahren ihren Blog „The Style Rookie“ startete, der ziemlich bald auf 50.000 Besucher pro Tag kam und die nun ihr eigenes Online-Magazin „Rookie“ als Chefredakteurin leitet – mit gerade mal 19 Jahren. Gevinson gilt dabei als die avantgardistische Vertreterin ihrer Zunft. Ihr außergewöhnlicher Stil war für eine 11jährige so ausgesprochen exzentrisch, ebenso wie ihr Schreibstil, dass ihr Alter oftmals angezweifelt wurde. Heute spielt sie erste Rollen in kleineren Filmen, ist auf Covern wie dem des New York Magazine zu sehen – auch bei Tavi Gevinson ist klar, wohin die Reise geht.

Sind in der einen Saison noch amerikanische Bloggerinnen wie Leandra Medine (Man Repeller) oder Jane Aldridge (Sea of Shoes) der „heißeste Scheiss“ in den hiesigen Trendblogs und Modemagazinen, sind es in der nächsten schon die kühlen skandinavischen Modebloggerinnen wie Pernille Teisbaek (Look de Pernille), Elin Kling, und Columbine Smille. Alle in Zusammenarbeit mit Online-Shops, in „Capsule Collection“-Kooperationen mit Designern und Modeketten sowie eigenen Modelabels. Entweder, oder und alles zusammen.

Das Internet ist die Basis aller Selbständigkeit

Jason Jean | © Citizencouture.com

Auch Streetstyle-Fotografen haben es bis ganz nach oben geschafft. Da wäre als erster The Sartorialist Scott Schuman zu nennen. Seine Website startete wie bei allen als Blog. Er reiste zwischen allen Modemetropolen der Welt hin und her, zu allen wichtigen Modewochen und lichtete sowohl Celebrities als auch die Chefredakteurinnen der französischen, italienischen und japanischen VOGUE ab. Seinetwegen kennt man die Gesichter sowie deren Namen Emmanuelle Alt, Carine Roitfeld und Anna de la Russo jetzt ebenso gut wie den der bis dato unangefochtenen Chefin der US-Vogue, Anna Wintour. Er zeigte, was die Macher der berühmtesten Modemagazine tragen und gilt vielen als Begründer der Streetstyle-Mania. Schnell wurde Schuman für Editorials aller großen Modemagazine und Werbekampagnen gebucht.

Die französische Illustratorin Garance Doré machte sich ebenfalls als Streetstyle-Fotografin einen Namen. Sie und Scott Schuman bildeten einige Jahre das absolute Traumpaar der Szene, beruflich wie privat. Sie jetteten gemeinsam zu den Modenschauen, zeigten die Fashionistas aus allen Perspektiven, aber mit ihrem typischen Filter. Jeder verfügt dabei über seine eigene persönliche Handschrift. In der Kooperation mit dem Flaggschiff Style.com folgte auf Scott Schuman Tommy Ton, der seither eine ebensolch rasante Karriere vorweisen kann. Zum Sprung angesetzt, der nächste in der Riege zu werden, ist der überaus talentierte Jason Jean von Citizencouture.

Journalistische Tätigkeit oder nicht?

Journalist leitet sich ab aus dem französischen Wort für Zeitung – „Journal“. Was aber ist ein kontinuierlich geführter Mode- oder Streetstyle-Blog denn anderes als eine Zeitung oder ein Magazin mit dem Fokus auf Bilder? „Journal“ bedeutet ebenso „Tagebuch“. Tagebuchartig wird meist täglich über Outfits und Erlebnisse berichtet, auch, wenn dieser Inhalt in Bildern transportiert wird. Bislang bewegen sich Blogger in einer unregulierten Grauzone, obwohl zunehmend dazu tendiert wird, ihre professionellen Tätigkeiten durchaus als journalistisch einzustufen. Per Bild lassen sich ebenso viele Informationen verbreiten, wie in schriftlicher Form, ein Modeblog übermittelt die Inhalte und Botschaften auf eine subtilere, zugegeben mental weniger anspruchsvollere Weise. Dennoch werden Eindrücke erzeugt und vermittelt, werden Berichte erstellt und geteilt. Chiara Ferragni bezeichnet sich selbst nur deswegen nicht als Journalistin, weil sie diesen Status bereits seit einiger Zeit hinter sich gelassen hat. Sie ist jetzt eine eigene Marke. Zwar kein Rock- oder Filmstar. Aber ein waschechter Blogstar.




Vom Blogster zum Blogstar

Auf dem Weg zur Marke ist es ein langer, harter, anstrengender und manchmal auch sehr steiniger Weg. Nicht viele schaffen den Weg in den Olymp. Im Zuge des Börsengangs eines großen Online-Shops mussten sich einige Modeblogger den Vorwurf gefallen lassen, dass sie sich haben bestechen lassen. Bestechen in der Form, dass sie Kleidungsstücke zugesandt bekommen, die sie anschließend auf ihrem Blog per Outfit und schöner Beschreibung präsentieren, zum Online-Shop verlinken, aber nicht entsprechend ausgewiesen haben, dass es sich hierbei um ein Werbegeschenk handelt. Zu gerne möchten sie es aussehen lassen, als ob sie umworben und beschenkt werden wie die großen der Branche. Das ist verständlich, aber an der Stelle findet durch Unterlassen der Information de facto eine Täuschung ihrer Leser statt.




Die Modeblogger legen in ihren Beiträgen eine immer größere Professionalität an den Tag. Ihre Outfit-Postings wirken nicht selten wie professionell inszenierte Modestrecken in den großen Magazinen. Immer mehr posten selbstgedrehte Videos auf eigenen Youtube-Kanälen, in denen sie in Zeitraffer durchs Bild schweben und dabei die neuesten Outfits aus allen Perspektiven zeigen. Auch diese Professionalität haben sich Online-Shops, Designer und Modeketten zunutze gemacht. Sie schicken den Bloggerinnen und Bloggern mitunter Kleidung zu eben diesem Zweck: dass diese die Plörren dann tragen, fotografieren, in ihren sozialen Medien wie Blogs, Twitter, Facebook und Instagram hochladen und nach getanem Werk zurückschicken oder auch behalten. Eine Win-Win-Situation – der Blogger muss sich nicht einmal mehr in Unkosten stürzen, um sich mit neuen Artikeln zu präsentieren.

Fashionfollower und Stylestalker

Die individuell kombinierten Outfits begeistern die Augen und die Herzen der Leserinnen und animieren zur Nachahmung. Auf den Multiplikatoreffekt, den die erfolgreichsten Blogger auf ihre Follower ausüben, setzen Online-Shops gezielt. Auf die Authentizität. Mitunter ordern einige „Leserinnen“ sogar komplette Kombinationen. Natürlich wird unter den Outfitposts angegeben, von welcher Marke das jeweilige Kleidungsstück stammt – und per dazugehörendem Affiliate Link wird direkt auf den entsprechenden Online-Shop geleitet. Erfolgt über diesen Prozess ein Kauf, wird der Blogger mit Prozenten anteilig vergütet.

Einige Modehäuser liefern redaktionelle Inhalte an Blogs, um ihre Kollektionen zu promoten, welche dann aber oftmals in den Blogs selbst nicht als Native Advertising ausgegeben werden. Ebenso machen es auch Online-Shops, die mitunter konkret vorgeben, wie genau auf welches Produkt oder welche Aktion hingewiesen werden soll. Das führt immer häufiger zu Verstimmungen bei einigen Modebloggern.

Große Unternehmen laden jedes Jahr die besonders erfolgreichen Mitarbeiter zu Incentives ein – Kurztrips, manchmal auch über die Ländergrenzen hinweg. So auch in der Welt der Mode. Zalando veranstaltet zu diesem Zweck das Zalando Summer House, wo erfolgreiche Modeblogger an einem Wochenende zusammenkommen. Sie stylen sich, tauschen sich mit Gleichgesinnten aus – und natürlich wird fotografiert und gepostet was das Zeug hält. Multiplication is friend.

Screenshot #ZalandoSummerHouse via enjoygram.com

Der Online- und stationäre Modeshop Luisviaroma in Florenz veranstaltet zweimal pro Jahr das Luisaviaroma Firenze 4 Ever Style Lab, zu denen das Who is who der Modeblogger aus der ganzen Welt eingeladen werden, um sich in den neuesten Kollektionen von Luxushäusern zu wanden. Die Bloggerinnen und Blogger können sich dazu selbst in den Kollektionen in Szene setzen lassen oder unter Models auswählen, für welche sie dann die kompletten Looks zusammenstellen und in denen sie sie fotografieren. Der Schuhdesigner Giuseppe Zanotti ist jedes Mal mit von der Partie bei den opulent inszenierten Dinnern, und Blogger können ihm Fragen stellen oder sich mit ihm ablichten lassen.

DIOR lädt zu Bloggerevents wie dem DIORAddict Event nach Paris ein, bei denen höchst aufwendige MakeUp Tutorials erfolgen, die Mode-Laien-Journalisten alle Produkte aus der neuen Kollektion testen und sich anschließend auf retuschierten Hochglanz-Fotoshootings wiederfinden können. Abends im Hotel wartet dann, als kleine Aufmerksamkeit, eine Tasche mit einer Selektion der getestenen Produkte im Zimmer der Bloggerinnen, die gerne zeigen, was sie geschenkt bekommen – und die Produkte dann hoffentlich auch prominent auf ihren Blogs in Detailfotos oder Youtube-Tutorials behandeln.

Monopole werden aufgebrochen

Und es wird berichtet, es wird fotografiert, es wird veröffentlicht und gezeigt, was das Zeug hält. Das mag oft nicht besonders anspruchsvoll erscheinen oder sein. Natürlich fallen die Aktivitäten von professionellen das heißt regelmäßigen Bloggern, die viel schreiben oder viel fotografieren, die über Events berichten, zu denen sie eingeladen und die sie besucht haben, unter eine journalistische Tätigkeit.

Das mag ausgebildeten, studierten, erfahrenen und traditionellen Modejournalisten oder -fotografen nicht in den Kram passen. Das geht lizensierten Taxi-Fahrern da wohl etwas ähnlich. Neuerdings kann plötzlich jeder mit Führerschein, Auto und Navigationssystem heutzutage Personen mitnehmen und per Uber durch die Gegend fahren. Wenn dann also der Moment gekommen ist und man feststellen muss, dass die Markteintrittsbarrieren gar nicht so hoch sind, plötzlich jeder mitmischen und mitmachen kann, wird das eigene Stück vom Kuchen natürlich immer kleiner – und umso vehementer verteidigt. Bei den neuen Formen des Mode-Journalismus werden die hergebrachten Regeln des Qualitätsjournalismus oft überschritten; die Grenzen zu Sponsoring und Einflussnahme nicht klar eingehalten. Allerdings: Auch Printprodukte und Fernsehformate sind längst nicht mehr clean; wegen umgekennzeichneter Werbung (von Opel) bekam kürzlich die BUNTE Ärger. Nur ein Bruchteil der sichtbaren Werbung ist tatsächlich nach Preisliste bezahlt, Geschenke halten die Schreiber gewogen. Unter dem Kostendruck und angesichts fallender Anzeigen- und Vertriebserlöse, fallen Schranken an vielen Orten.

Dabei kann man an der Stelle entspannt sein: Nicht vielen gelingt es, die Kontinuität auf lange Dauer beizubehalten, die dieser Job (denn das ist es) erfordert. Nichtsdestotrotz, es gilt auch den Umgang mit Mode- und Streetstyle-Bloggern zu überdenken und neu zu bewerten. Viele von ihnen sind journalistisch tätig, für ihre eigene Publikation und multiplikatorisch für Marken. Ein neuer Markt ist entstanden und dringt von den Rändern des Geschehens zunehmend ins Zentrum vor.