Tichys Einblick
Ein guter freund

Zusammennageln, was nicht zusammengehört: die Kunst der Suggestionskolumne

FOCUS-Autor Jan Fleischhauer versucht in einem bizarren Text, TE in die Nähe von Putin zu rücken. Er weiß natürlich, dass das Unsinn ist. Seine Methode ist geschickt und perfide.

IMAGO / Sven Simon

Von Jan Fleischhauer gab es bisher gelegentlich witzige Texte, manchmal etwas lustlose. Was der FOCUS- und frühere SPIEGEL-Kolumnist am Samstag über Tichys Einblick, einen ehemaligen Autor dieses Mediums, Russland, Putin und Impfgegner zusammenrührte, dürfte sein bisher seltsamster Text sein, und zwar mit einer durchaus perfiden Note.

Worum geht es? Das lässt sich angesichts der durchgequirlten Bestandteile gar nicht so leicht sagen. Die Überschrift lautet: „Über die seltsame Manipulation eines Baerbock-Artikels und den Verrat an einem Freund“. Und Fleischhauers Teaser-Satz auf Twitter dazu: „Über meinen Freund Georg Gafron, warum er Knall auf Fall bei ‚Tichys Einblick‘ ausstieg und die seltsame Allianz von Impfgegnern und Putinfreunden – die neue Kolumne“.

Wer sich davon leiten lässt, muss erstens den Eindruck bekommen, bei Tichys Einblick habe eine Manipulation und sogar ein Verrat stattgefunden, und zweitens, bei TE handele es sich um eine Propagandatrommel des Kreml in Deutschland. Leser von Tichys Einblick wissen, dass das exakte Gegenteil der Fall ist. Seit Kriegsbeginn steht TE publizistisch sehr eindeutig an der Seite der Ukraine, und gegen Putin. Das gefiel nicht allen Lesern; einige sprangen ab, andere blieben und äußerten sich in Kommentaren kritisch. An der Position des Mediums gab und gibt es jedenfalls nichts zu deuteln.

Im ersten Teil von Fleischhauers Text geht es auch gar nicht um den Krieg und Putin, sondern um etwas ganz anderes: Der Publizist und TE-Autor Georg Gafron hatte eine Kritik der Talksendung bei Anne Will geschrieben, in der auch Annalena Baerbock zugeschaltet worden war. Es handelte sich also nicht um einen Kommentar, sondern die Rezension einer Sendung, und dem Redaktionsmitglied, der den Text zu bearbeiten hatte, schien Gafron den Verlauf der Sendung an manchen Stellen nicht angemessen wiederzugeben, etwa, wenn er die „klaren Antworten“ der Außenministerin lobte. Da Will in der gleichen Sache mehrfach nachfragen musste, um eine Antwort zu erhalten, meinte das TE-Redaktionsmitglied, das könnte nicht so stehen bleiben. Um es gleich zu sagen: Der Autor dieses Textes hatte mit der Auseinandersetzung über Gafrons Text nichts zu tun.

Es ging noch um einige andere Punkte, die die Redaktion kritisch sah, weshalb sie Passagen ergänzte. Schließlich erschien ein Artikel, der sich tatsächlich von Gafrons ursprünglichem Text deutlich unterschied, weshalb man sich darauf einigte, seinen Autorennamen zu entfernen. Gafron entschied sich anschließend, nicht mehr für TE zu schreiben. Der Leser ist hoffentlich nachsichtig, wenn das alles noch einmal referiert werden muss. Es handelt sich nämlich bis hierhin um eine interne Meinungsverschiedenheit mit Finale, wie sie in Medien und auch anderswo ab und zu vorkommt.

Sie bietet keinen sonderlich interessanten Lesestoff und eignet sich deshalb auch schlecht für die Befüllung einer Kolumne, selbst dann, wenn dem Kolumnisten gerade nichts Besseres einfällt. Weit und breit lässt sich auch kein Verrat an Gafron entdecken. Worin sollte der auch bestehen? Zwischen Roland Tichy und ihm gab es nie einen Treueschwur mit dem Inhalt, alle seine Texte wortgetreu zu übernehmen. Übrigens auch mit keinem anderen Autor. Alles andere wäre auch seltsam.

Dem aufmerksamen Leser der Fleischhauer-Kolumne fällt auf, dass sein Text aus mindestens zwei Teilen besteht, die nicht das Geringste miteinander zu tun haben. Denn auf die ziemlich zähe Gafron-TE-Streitschilderung folgt ein Abschnitt nach dem Monty-Python-Motto: und nun zu etwas anderem. Das heißt: Es gibt noch eine Zwischenüberschrift, die „Tichys Einblick“ und „Putins Russland“ miteinander verkoppelt: „Wie in Putins Russland: ‚Tichys Einblick‘ lässt tief blicken“.

Dort heißt es: „Etwa ein Drittel des Textes wurde verändert. Wo Baerbock im Original für ihre klaren Antworten gelobt wurde, stand nun, dass sie sich gewunden habe und es nur dem zähen, unbeeindruckten Nachfassen der Moderatorin zu verdanken sei, dass die Zuschauer überhaupt eine Antwort erhielten.“ Einige Passagen seien – siehe oben – dazugekommen. „Das“, schreibt Fleischhauer, „ist mir in 34 Jahren Journalismus noch nicht begegnet. Ich dachte, so etwas gibt es nur in Putins Russland.“

Der Autor dieses Textes arbeitet schon genau so lange im Journalismus wie Fleischhauer. Ich kann bestätigen: Doch, so etwas geschieht auch in Deutschland ab und zu. In Deutschland und selbst in Kolumnen kommt es sogar vor, dass jemand einen Sachverhalt ins völlige Gegenteil verdreht. Das erscheint mir schwerwiegender als ein redaktioneller Eingriff.

Nach Fleischhauers Tichy-Russland-Putin-Verknüpfung mutmaßt der FOCUS-Autor: „Offenbar fürchtet man bei ‚Tichys Einblick‘, dass ein Lob der Grünen die Leser so verstören könnte, dass man ihnen diese Unannehmlichkeit besser erspart.“

Worauf der nächste Kopplungsschritt folgt: „Hufeisentheorie trifft zu: Man muss ja nur in den Bundestag schauen, wer Putin verteidigt.“ In diesem Kolumnenteil geht es nun um den Riss, der wegen des Kriegs in der Ukraine durch das rechte politische Spektrum geht – wie auch durch das linke, das der SPD und durch andere Milieus.

„Der Krieg in der Ukraine hat einen Teil des rechtskonservativen Milieus in schwere Kalamitäten gestürzt“, schreibt Fleischhauer: „Man sieht sich als Verteidiger der Freiheit, selbstverständlich. Man kämpft gegen Tempolimit, Maskenpflicht und grüne Verbotskultur. Aber mehr noch als die Freiheit liebt man den autoritären Auftritt. Die gleichen Leute, die eben noch gegen die ‚Corona-Diktatur‘ zu Felde zogen, drücken nun ausgerechnet einem Usurpator die Daumen, der jeden abführen lässt, der auch nur leise Kritik an seiner Politik übt.“

Das gibt es natürlich alles. Genauso wie Liberalkonservative, die sich sowohl gegen grüne Verbotskultur und autoritäre Corona-Maßnahmen als auch gegen Putins Krieg wenden – so, wie TE es tut. Ganz nebenbei: So klein ist dieses Milieu nicht, die allermeisten Leser jedenfalls sind bei TE geblieben.

Natürlich weiß Fleischhauer sehr gut, wo TE bei dem Thema Ukraine-Krieg steht. Deshalb behauptet er ja auch an keiner Stelle, das Medium würde für Putin trommeln. Stattdessen stöpselt er mehrere Textblöcke zusammen, zwischen denen ansonsten keine Verbindung besteht, um TE und Putin doch irgendwie zu vereinigen – zumindest im Text seiner Kolumne.

Bei Twitter werden sehr oft nur Überschriften gelesen, und auch nach der Lektüre des ganzen Textes bleiben in vielen Köpfen nur Überschrift und Zwischenüberschriften hängen. Die verdichten sich wiederum zu einer Botschaft. In diesem Fall: Tichy sei einer der rechten Putin-Freunde.

Einen Twist hat unser FOCUS-Autor noch parat. „An die Stelle der Corona-Maßnahmen ist als Feindbild die Nato getreten, an die Stelle der Maskenbefürworter die ‚Kriegstreiber‘, gegen die es sich nun zu wehren gilt“, schreibt er. „Vom Impfgegner zum Russlandfreund ist es manchmal nur ein kleiner Schritt.“

Schon zu der Wendung, Demonstranten gegen eine Impfpflicht erst einmal generell als „Impfgegner“ zu etikettieren, gehört eine Bereitschaft, sich Sachverhalte und Begriffe zurechtzudrehen. Und erst recht, sie wiederum mit dem Begriff „Russlandfreund“ zusammenzuspannen. So fix wird aus Demonstranten gegen den (im Bundestag übrigens mehrheitlich abgelehnten) allgemeinen Impfzwang die 5. Kolonne Moskaus.

Die Methode, zusammenzunageln, was nicht zusammengehört, ist bei Jan Fleischhauer nicht ganz neu. Als er noch beim SPIEGEL schrieb, nahm er sich 2016 ein Berliner Restaurant vor, das Kartoffelsuppe und andere Gerichte ziemlich preisintensiv neu interpretierte. Fleischhauers erster Satz lautete: „Ich weiß jetzt, wie AfD-Küche schmeckt.“ Die Betreiber des Ladens hatten mit der AfD nicht das Geringste zu tun. Das wusste der Kolumnist auch. Aber die Assoziation „Kartoffelsuppe, rechts, AfD“ erschien ihm einfach unwiderstehlich, und nebenbei auch irgendwie SPIEGEL-leseraffin.

Ich fragte ihn damals, warum er das geschrieben habe. Es sei doch Unsinn, das Restaurant mit der AfD in Verbindung zu bringen.

Seine Antwort: „Weiß ich doch. War nur Spaß.“ Er freute sich einfach über den Rummel, den er mit seinem Text ausgelöst hatte, und über die Höhö-Leserkommentare, die sich über Blut und Boden mitten in Berlin ereiferten. Auch damals schrieb er natürlich nirgends explizit, die Betreiber wären AfD-Anhänger. Das wäre ja justiziabel gewesen.

Und dumm ist Fleischhauer schließlich nicht.

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