Tichys Einblick
Nach Merkulz gegen Merkulz

TV-Fünfkampf: Mit tatsächlichen Meinungen und Unterschieden

Hätten Merkel und Schulz nur den Montag zur Verfügung gehabt und die kleinen Parteien den heiligen deutschen Fernsehsonntag, die nächste Bundestagswahl wäre noch einmal spannend geworden.

Screenprint: ARD/Fünfkampf

Fangen wir doch einfach mal mit dem Fazit dieser Fünferrunde an: Hätten Merkel und Schulz nur den Montag zur Verfügung gehabt und die kleinen Parteien den heiligen deutschen Fernsehsonntag, kein Witz, die nächste Bundestagswahl wäre noch einmal spannend geworden. Auch deshalb schon, weil noch so viele Wähler unentschieden sein sollen.

Merkulz verbrauchten 90 Minuten, ausgestrahlt gleichzeitig auf den vier wichtigsten deutschen TV-Sendeplätzen. Eine Bewerbung, zwei Kandidaten. Eine ist schon Merkel, der andere bemühte sich zu merkeln. Das große Scheitern (GroSchei) ist hinreichend dokumentiert. Das „Duell“ ein Fake ausgerechnet im öffentlich-rechtlichen Fakefinder-TV plus RTL und SAT.1.

Vom zuschauerstarken Sonntag also rüber zum madigen Montag. Zu nunmehr nur noch 75 Minuten für die Opposition gegenüber der 90-Minuten-TV-Dauer-Wahl-Werbe-Sendung für Merkulz und einem glänzend aufgelegten Claus Strunz, der dafür von den GroKo-Gazetten am Morgen seine Quittung bekam. Nein, besser kann man Dresdens Montagsdemonstranten nicht mit Gesprächsstoff versorgen.

„Hier trifft sich nicht die Große Koalition“, wird der TV-Fünfkampf von der Moderatorin Sonja Mikich eingeleitet. Nicht ganz richtig, denn zur GroKo gehört ja auch die bayrische CSU, die hat trotzdem Joachim Herrmann entsenden dürfen. Christian Lindner trägt heute die rote Krawatte, die Martin Schulz im Schrank hatte hängen lassen müssen, um ja nicht Frau Merkel aus dem Konzept zu bringen mit dem schreigrellem Sozentuch. Alle fünf Kleinparteien haben Vertreter an den schmalen Pulten stehen. Jedes für sich dezent im Halbdunkel mit Punktscheinwerfer – ein bisschen wie in einer leergefegten Discothek, aber durchaus fesch. Mit dabei außerdem Sahra Wagenknecht, Alice Weidel und Cem Özedmir.

Man beginnt erst einmal mit dem Thema Digitalisierung. Das klingt bei Hermann auf bayrisch weniger überzeugend als bei Lindner und Weidel. Bayrisch ist eben nicht die Sprache des Internets. Özdemir hat von Beginn gut Dampf auf dem Kessel. Aufgeregt wirken bei niedrigem Blutdruck: das kann nur er.

Sarah Wagenknecht meint, dass Deutschland deshalb ein Entwicklungsland im Digitalen ist, weil die öffentliche Hand es privaten Unternehmen überlässt. Bekanntlich waren ja Staatsunternehmen die Erfinder der Digitalisierung und des Internets. Wagenknecht bleibt im gestrigen Sozialismus verhaftet.

Schnell wird klar: Nicht nur das moderne Ambiente, auch die Sprache ist hier eine ganz andere als noch gestern. Aber von den Kontrahenten ebenso wie von der Moderation. Sonja Mikich lässt die Moderation zeitweilig wirken wie ein Experiment: aber eher eines aus der Roten Flora als aus der Opernloge. Die ehemalige Marxistin und Emma-Redakteurin kommt ins TV-Studio als echte Wildblume in der Moderatorenszene. Ihr zur Seite steht Christian Nitsche vom bayrischen Rundfunk, der neben Mikich nach und nach auf Statistenformat runterdampft. Schad nix.

Die Themenblöcke der ersten fünfzehn Minuten durchgerattert im Schnelldurchlauf: Digitalisierung, Bildung, Rente. Vielleicht liegt die Geschwindigkeit aber auch daran, dass sich keiner der sieben Anwesenden nur annähernd so viel Zeit lässt, wie Schulz/Merkel – 90 Minuten können eben verdammt lang sein, wenn man sich auf Teufel komm raus streiten muss, aber nicht streiten will.

Lindner ist ganz bei Özdemir bei irgendwas, man ist halt zusammen Koalitionsanwärter bei Frau Merkel, da muss die Moderation sogar abbremsen und das sich schnell anbahnende Zwiegespräch unterbinden. Bleibt Lindner handzahm zu Özdemir? Mal sehen.

Alice Weidel mag was wissen, aber man weiß es nicht. Man erfährt es nicht. Sie schafft es, ihren Wortschatz begrenzt wirken zu lassen, will man ihr nicht unterstellen, dass er es ist. Immerhin hat sie zu jedem Thema etwas zu sagen, wenn man sie lässt und nicht unterbricht. Aber wenn man sie dann mal nicht unterbricht, dann scheint sie fast flehentlich darum zu betteln. Es ist ein Dilemma.

Nun kommt Wohungsnot und Niedrigzins. Der soziale Wohnungsbau ist doch eine „tolle Idee“, gibt Mikich vom WDR die Richtung vor und keiner wagt offen zu widersprechen. Wohnung und Internet und TV sowieso, nur der Staat kann Wirtschaft, lernen wir so nebenbei. Mehr davon!  Weidel talkt kurz mal nett mit Lindner, als Wagenknecht spricht. Der wird sich später dafür noch rächen, der Dressman unter den Werbeplakaten realisiert in Sekunden, dass das für die Kameras zu freundlich ausgesehen haben muss. Der Lindner muss im Auto statt Windschutz einen Spiegel haben. Elegant ist er. In einer besseren Welt wäre Weidel wahrscheinlich Bewunderin von Lindner, denkt man sich kurz.

Derweil kann es die Wagenknecht. Sie zieht durch und treibt ihr Zeitkonto in die Höhe. Forsch, fit und bauernschlau wie immer. Dennoch kommt eine seltsame Form von Ermüdung auf. Zu häufig gesehen das Format SW? Muss ein Update her? Mal ein paar Satzwendungen variieren oder den Vorwurf im Tonfall modulieren? Die rote Mikich hat auch viel zu erzählen, kämpft mit sich, möchte offensichtlich am liebsten selbst einsteigen, steigt ein! Die Fragen mitunter länger, als die Antworten sein dürfen oder sollen. Das knappe Zeitbudget, in Sekunden gezählt, gilt für sie nicht. Debütantinnen-Fieber? Hier ist die Macht klar, sie liegt beim Moderator und alle, selbst der kesse Lindner, kuschen gehorsam. Es sind eben nur die kleinen Parteien beim großen Sender.

Nächstes Thema: Arbeitslosigkeit. Zweiter Arbeitsmarkt, Langzeitarbeitslose. Was die Leute wirklich interessiert, Themen wie Zuwanderung, Kriminalität und Terrorabwehr hängen noch in der Warteschleife. Selbst das Klima und die Umwelt sind noch ungenannt.

„Deutschland profitiert von Europa!“, sagt Özdemir. „Aber von links (Blick zu Wagenknecht) und rechts (Blick zu Weidel) kommt nur Kritik.“ Sahra Wagenknecht möchte partout nicht mit der AfD in einem Topf. Na ja, das kennt man doch schon.

Özedmir und Wagenknecht streiten. Die Moderatorin findet das gut, dann wisse der Wähler, was er wählen kann oder nicht wählen will.

Die Uhr wird zum  Überthema. Wer hat wie viel Zeit verredet. Warum redet wer, wann, was? Und dann, nach dreißig Minuten endlich das Thema Immigranten. Lindner fischt schnell rechts, bevor mit der AfD und Weidel das Original dran ist. Erklärt, dass es auch für Asylanten keinen dauerhaften Aufenthalt geben wird. Sie müssten in die alte Heimat zurück, um diese wieder aufzubauen. Er möchte robuste Verhandlungen mit Marokko. Aber der deutschsprachige rechtstreue Schweißer wäre herzlich willkommen. Einreise in den Sozialstaat ginge hingegen nicht. Die Regierung hätte 2015 die Kontrolle verloren. Ach, da sagt er was.

Aber Alice Weidel kann das besser. Das kann sie tatsächlich besser. Klar, sie bewegt sich auf sicherem Terrain, AfD-Land halt. Klar auch, der Moderator unterbricht jetzt mehrfach. Es ist wirklich ungehörig. Aber es ärgert niemanden mehr, nicht einmal die Weidel. Einfach zu dünn, zu durchsichtig. Und dann auch schnell vorbei.

Dann noch mal Özdemir und Wagenknecht mit den Positionen ihrer Partei. Wagenknecht kann es einfach. Was wäre die Linke ohne sie.

Aber auch Özdemir punktet zur Integration. Seine persönlichen Erfahrungen: Sprache lernen (grinst rüber zum bayrischen Herrmann, und meint wohl. „So wie wir beide“) , Arbeit so schnell, wie möglich. „Ein schwitzendes Hemd ist ein Beitrag zur Integration“ schwäbelt er in die Kameras. Schwiegermutters Liebling mit türkischen Wurzeln. Die Schweighöfer-Konkurrenz aus der Politik. Muss man in Deutschland auch erst einmal hinbekommen. Aber seit er über Kreuz ist mit Erdogan, lieben ihn  ein paar deutsche Landsleute mehr. Nut authentisch ist er nicht; zu oft betont er, dass sein Vater Arbeiter war. Türke, Schwabe, Grüner, noch mehr Minderheitenmerkmale in eine Person sind schwer reinzukriegen. Ach ja, Vater ist er ja auch noch. Das schließt jetzt anderes aber aus.

Am wenigsten gesprochen hat dann aber doch Herr Lindner. War die Uhr kaputt? Fast eine Minute weniger als die Anderen. Dafür darf er als erstes beantworten. Ob auf allen öffentlichen Plätzen Poller stehen sollen. Lindner sagt „Pöller“ statt Poller oder heißt es doch „Pöller“? Klingt bei Lindner plötzlich so richtig. Man spürt bei Lindner das Unbehagen am Format. Er hat so viel Erfolg, die FDP aus dem Keller geholt, da ist er zu klein für die Abfrageveranstaltung von Mikich.

Frau Weidel spricht sich für den Einsatz von Soldaten im Inneren aus. „Wir sind nicht in der Lage, die Außengrenzen zu schützen und jubeln über Poller!“ Klar, Poller sind das Problem, führen die offensichtliche Schwäche des Staates vor. Innere Einzäunung als Sicherheit zu verkaufen, das schafft nur die Kölner Bürgermeisterin Reker, die auf Beton vor dem Dom auch noch stolz ist. Jetzt Weidel, sie hat die Zahlen parat. Ihre Anfangsschwäche ist wie weggeputzt: Im AfD-Themenschwerpunkt wiegt ihr Wort schwer. Özdemir gibt Weidel Recht bei irgendeiner Zahl. Wohl eine Premiere. Özdemir ist wahrscheinlich derjenige, der zu den meisten Themen wenigstens einigermaßen was zu sagen hat, wo selbst Wagenknecht ihre Spitzenthemen hat. Er ist eben ein überangepaßter Super- Schwabe, hat alles auswendig gelernt. Nun teilt Wagenknecht, was Özdemir sagt, der vorher teilte, was Weidel sagte. Nein, bitte jetzt keine Sonntagsstimmung! Aber es bleibt eine kurze Episode.

Kennen Sie das meist benutzte Wort von Sahra Wagenknecht? „Absurd“. Alles erscheint ihr absurd. Und natürlich ist es das oft. Aber wenn das Absurde das Gewöhnliche wird, dann wird es eben schnell inflationär. Jeder darf eine Sachfrage an einen beliebigen Anderen stellen. Weidel stellt die richtige Frage an Wagenknecht. Wie stehen sie zu der Position ihrer Partei „Offene Grenzen für alle Menschen“? Eine geschickte Frage, aber auch eine Ok-Antwort: Natürlich sei das eine Zukunftsvision, aber solange das Wirtschaftsgefälle so groß sei in Europa, so lange wir in Afrika mit Hähnchenflügeln jeden lokalen Anbieter platt machen, so lange würden wir uns die Flüchtlinge selbst produzieren. „Wer wie die AfD nur über Abschottung redet, der löst keine Probleme.“

Lindner fragt Özdemir zu Russland. Herrmann fragt Özdemir zum G20-Gipfel. Özedmir fragt Hermann wie es sein kann, dass eine Partei mit dem C im Namen sich so schwer tut mit der Schöpfung. „Sie müssten doch die Weltmeister der erneuerbaren Energien sein.“ Herrmann muss fast lachen und fragt immer wieder, wie viele Kohlekraftwerke Bayern denn hätte. Özdemir weiß es nicht. Wer weiß es? Denn Herrmann verrät es uns nicht.

Frau Wagenknecht fragt Frau Weidel, vieles was sie hier gesagt habe, sei ja Teil des demokratischen Diskurses, seien konservative Positionen. Wie wohl sie sich fühle mit ihrer Partei mit Halbnazis. Ach herrje, nun macht also Wagenknecht, was die Moderation bisher auslässt. Weidel kontert mit dem „Einzelfall“ Sie, Frau Wagenknecht, sei doch in ihrer Partei der Einzelfall. Als AfD hätte man auch Einzelfälle. Aber eben auch das höchste Akademiker-Niveau und will damit wohl FDP-Wähler fischen. Da macht Lindner was Übles und keilt dazwischen gegen Weidel, was davor bisher keiner der Kandidaten gemacht hat.

Weidel hatte nun die wenigste Redezeit, Wagenknecht die meiste. Zum Schluss noch der Verbrennungsmotor und diese ominöse Marke 2030. Der siebenjährige Sohn von Özdemir sei auf der Höhe des Auspuffs, schimpft der Grüne. Sieben Jahre, Höhe Auspuff? Der arme Junge. Nun gut. Die Sache endete also immerhin mit einem guten Witz.

Fazit dieser Sendung kann sein, dass eigentlich keiner der Kandidaten besonders auffällig nach vorne oder nach hinten gefallen ist. Eine wirklich gute Runde mit einer irgendwie schrägen Moderatorin.

Frank Plasberg folgt direkt und sagt: „Na geht doch! Es gibt noch Leidenschaft …“ oder so ähnlich. Recht hat er. Aber warum machte auch er dann etliche Sendungen GroKo-Wahlkampf? Also schnell weg von ihm und rübergezappt zum Fußballspiel zweite Halbzeit. Deutschland gegen Norwegen. Nach der ersten Halbzeit 4:0 für uns. Ach Du schreck. Zuviel! Na Mensch, da muss aber noch was passieren. Das muss schlechter werden, das ist doch viel zu dominant. Fast so peinlich, wie diese deutsche Wirtschaftskraft, oder?