Tichys Einblick
Lauterbach, Palmer und Harald Lesch

Tsunami-Talk bei Illner: „Es wäre besser, wenn wir in diesem Jahr keine Wahlen hätten“

Bei Illner fackelt man eine gigantische Strohpuppe ab: Die Bundespolitik, die völlig überstürzt lockert, dem Volk nur aufs Maul schaut und nicht auf die mahnende Wissenschaft hört. Daraus leitet man dann neue Wahnsinnsmaßnahmen ab. Allein Boris Palmer hält bescheiden dagegen.

Screenshot ZDF: Maybrit Illner

Es hätte wirklich das Potential gehabt, eine spannende Sendung zu werden. Schließlich waren unter anderem Karl Lauterbach (seine zweite Talkshow innerhalb der letzten zwei Tage), Harald Lesch und Boris Palmer da. Aber wahrscheinlich ist es der Lockdown, der bei den Gästen seine Spuren hinterlassen hat. Trotz Meinungsverschiedenheiten gab es keine Diskussion, keine Reibung, keine Spannung – nur einschläferndes Gerede, das im Fazit nichts zu Tage gebracht hat, was wir nicht ohnehin schon wussten. Dabei musste man wirklich aufpassen, dass man sich von dieser trüben Schlaftabletten-Stimmung nicht mitreißen lässt, um nicht Sätze zu verpassen wie: „Es wäre besser, wenn wir dieses Jahr keine Wahlen hätten.“

Nein, der kontroverseste Satz der Sendung kommt ausnahmsweise mal nicht von ihm: Karl Lauterbach, der von den Medien meist gefragte Gesundheitsexperte. Er hat in der Regierung nicht sonderlich viel zu sagen, dafür umso mehr in Talkshows – quasi zur Erinnerung daran, dass die Maßnahmen immer noch schlimmer sein könnten. Immerhin hat sich sein Auftreten, vergleicht man es mit früheren, sehr abgemildert. Er ist sogar bereit, Boris Palmer in der Theorie bei seinen Öffnungsplänen zuzustimmen. Nur kann er dann doch nicht aus seiner Haut und so zählt er dystopische und vor allem höchst unwahrscheinliche Szenarien auf, in denen die dann doch nicht funktionieren werden. Bezogen auf die Schnellteststrategie zum Beispiel äußert er die Anklage, dass man bei den meisten Tests ja gar nicht wisse, wie gut die funktionieren. Da hätte man früher prüfen müssen, da hat die Initiative und Planung gefehlt.

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Karl Lauterbach gelingt es dabei spielend, zwischen Regierung und Opposition hin und her zuspringen: Wenn etwas gut läuft, ist er Chefstratege im Kanzleramt, wenn etwas schlecht läuft, mahnender Oppositionsführer.

Doch heute spielte ein anderer die erste Geige im Panikensemble. Deutschlands oberster Erklärbär und Held aller Eltern, die ihre Kinder für hochbegabt halten: Wissenschaftsmoderator Harald Lesch. Der stellte gleich klar: Wenn uns die dritte Welle „überrollt“, dann kann das zum „Tsunami“ werden, und dann müssten wir noch schärfer in den Lockdown als jetzt. Also lieber vorsichtshalber nix ändern. Sollte man dann doch mal was unternehmen, so würde er es im Allgemeinen vorziehen, das einfach zu tun, statt öffentliche Debatten darüber abzuhalten. Als er das sagt, stimmt Karl Lauterbach ihm zu – ausgerechnet der Talkshowkönig plädiert für weniger öffentliche Debatten. Warum? Hat er Angst, dass sonst andere seinen Rekord brechen könnten?

Lesch argumentiert gegen Windmühlen: Er kritisiert vorschnelle Öffnungen, die es gar nicht gibt, immerhin wurde dieses Jahr bisher eigentlich ausschließlich verschärft. Er tut so, als würde die Regierung dem Volk nur aufs Maul schauen, und als hätten „mahnende“ Wissenschaftler keine Stimme im Kanzleramt. Den Vogel schießt Lesch dann schlussendlich mit einem Plädoyer der Extraklasse ab: Fänden die Wahlen dieses Jahr nicht statt, so behauptet er, wäre das positiv für die Covid-Behandlung und es gäbe weniger Diskussionen darüber, wer der schnellste Lockerer ist. Muss ich dazu irgendetwas sagen? Sehr gut, ich weiß nämlich langsam nicht mehr, wie man so etwas noch kommentieren könnte. Jeden Tag kommt ein neuer Politiker oder Journalist daher und spuckt auf unsere Verfassung, mit Sprüchen, die ich mir im Traum nicht hätte ausdenken können.

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Dagegen stand nur Boris Palmer. Allerdings muss ich sagen, dass auch er deutlich handzahmer ist als zuletzt üblich. Was er vorschlägt, ist eher ein Lockdown light als eine Öffnungsorgie: „Wir können jetzt natürlich nicht alles einfach öffnen“. Da hat seine Tübinger Kollegin Lisa Federle am Mittwoch bei Lanz noch mehr rausgehauen. Umso unverständlicher ist der Hass, der dem Grünen-Politiker auf Twitter zu dieser Sendung entgegenschlägt. Er wäre unverantwortlich und würde keinen sachlichen Satz heraus bekommen. Wirklich gruselig, wie schnell Meinungsverschiedenheiten heutzutage eskalieren. Nur weil er sagte, dass die Geschäfte und Innenstädte den Lockdown nicht mehr lange überleben werden?

Während die großen Stars der Sendung sich scheinbar auf ihrem Ruhm ausruhen und kaum etwas neues zur Sprache brachten, waren die drei restlichen Gäste fast ausschließlich zur Deko da. Letzte Woche waren es die Frauen, die die Sendung rockten, diesmal brachten sie kaum einen Ton raus. Susanne Schreiber, stellvertretende Vorsitzende des Ethikrates, Isabelle Oberbeck, Amtsärztin und Shakuntala Banerjee, aus dem Hauptstadtstudio des ZDF wurden
nur selten mal angesprochen, schalteten sich auch von sich aus nicht ein und gingen so ziemlich unter.

Maybrit Illner gibt zum Ende der Sendung an Markus Lanz weiter und gratuliert ihm. Denn der kann das Jubiläum seiner 1.500sten Sendung feiern. Nachdem Illner das verkündet, wechselt das Bild auf Lauterbach. Ganz nah dran ist die Kamera – und man sieht förmlich den Neid in seinen Augen. Mach dir nichts draus! Wenn die Regierung so weiter macht, ist Corona noch lange nicht vorbei. Da überholst du den Lanz auch noch.

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