Tichys Einblick
Agitprop ARD

Tatort Stuttgart „Zerrissen“ ist da, wo die kriminelle Großfamilie deutsch ist

Da bleibt einem doch glatt die Sprache weg - bei vielen Zuschauern tatsächlich, als der Ton beim Tatort wegen einer Panne für mehrere Minuten ausfiel. Besser wurde es aber auch nicht mal dann, als der Ton schlußendlich wieder da war und wo an der Story "aber auch gar nichts stimmt, noch nicht einmal der Dialekt", wie der Münchner Merkur bilanzierte.

© SWR/Benoît Linder
Damit es nicht gleich am Anfang zu Missverständnissen kommen kann: Der Tatort wurde nicht von den Kritikern zerrissen, ganz im Gegenteil. Auch die derzeit oft zitierte Zerrissenheit der Gesellschaft war nicht gemeint. In den Medien kam der Krimi recht gut weg – was auf der gefühlvollen Verlagerung der Aufmerksamkeit weg von der organisierten Clan-Kriminalität hin zum Schicksal des dreizehnjährigen David Ellinger (Louis Guillaume) gelegen haben mag. Ausnahme der Münchner Merkur, der bilanziert: „Anstatt die authentischen Milieus, arabische oder osteuropäische (Familien-)Banden abzubilden, erdachten sie in „Zerrissen“ eine schräge Sippe mit den Namen Ellinger (!) und Maslov, in der nichts, aber auch gar nichts stimmt, noch nicht einmal der Dialekt.“

Thema des Films sollte Buch (Sönke Lars Neuwöhner) und Regie (Martin Eigler) zufolge die „innerliche Zerrissenheit“ eines Heranwachsenden zwischen einer diffusen Familienehre und gesellschaftlichen Werten sein. Werten, die nicht nur in Baden-Württemberg noch die gesellschaftliche Norm darstellen sollten, allen voran vielleicht die Gesetzestreue, gefolgt von Ehrlichkeit und der heute fast antiquiert zu nennenden „Rechtschaffenheit“. Politische Aktualität erhielt das Thema Clankriminalität im besonderen und Jugend – bzw. Clangewalt im Besonderen vor allem durch den Berliner CDU-Politiker und heutigen Staatssekretär für Jugend und Familie in der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie und sein Buch „Brennpunkt Deutschland“ (TE berichtete)

Liecke hat das, was in Baden-Württemberg, KHK Lannert in diesem Tatort zufolge „schon gängige Praxis ist“, nämlich „Kinder aus den Familien zu nehmen, falls die Eltern nicht in der Lage oder nicht willens sind, die Gefährdung der Kinder abzuwenden“ bereits 2018 als Neuköllner Jugendstadtrat gefordert.

Eine Geschichte, die man, wenn man aktuelle Schlagzeilen liest, eher in der Bundeshauptstadt verortet hätte: Dunkel wars, als ein schwarzer Audi mit vier finsteren Gestalten blitzesschnelle vor dem Juwelierladen von Eugen Hager (Jevgenij Sitochin) hält und Vorbereitungen für einen Überfall getroffen werden. Totschläger, Pistole und Gesichtsmasken klar – David Ellinger steht Schmiere. Leider geht dabei einiges schief. Eine Kundin, die zu später Stunde noch ihren Ring abholen möchte, platzt ins Geschehen und wird mit einem Knie im Nacken auf dem Boden festgehalten, woran sie – dramatische Erinnerungen an einen Folgenreichen Zwischenfall 2020 in Minneapolis werden kurz wach – langsam erstickt. Dies alles hätte David auf seinem Posten verhindern, ihr vielleicht den Zugang versperren, sie irgendwie aufhalten können. Stattdessen lässt er sich von einem unerwartet aufgetauchten Zeugen (Rachid Benani, gespielt von Thapelo Mashiane, der dort doch nur in Ruhe seine Drogen verkaufen wollte) ablenken und blockiert dann der Kundin auch noch den rettenden Fluchtweg aus dem Juweliergeschäft.

Die Stuttgarter Kommissare Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) können Dank gut dokumentierter ähnlicher Fälle schnell einen verdächtigen Familienclan ausmachen: Die Maslov-Ellingers, wie das Opfer des Überfalls in den Neunzigern als Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion zugewandert und wie es aussieht auch in der dritten Generation nie wirklich im biederen Schwaben angekommen. Ein Schelm, wer da vermutet, dass hier Parallelen von dieser seinerzeit mit grossem staatlichen Aufwand organisierten Zuwanderung sogenannter Volksdeutscher Spätaussiedler (Bundesverwaltungsamt: „Seit 1950 hat die Bundesrepublik Deutschland 4,5 Millionen Menschen, Aussiedler, Spätaussiedler und Familienangehörige, aufgenommen. Das entspricht zahlenmäßig der Bevölkerung eines kleineren Bundeslandes.“) zur derzeitigen Zuwanderungsdebatte gezogen werden sollen.

Feine Früchtchen, die man sich da herangezogen hat: Der Sippenvorstand (Gerhard Ellinger, gespielt von Urs Rechn) sitzt wegen Totschlags in der JVA Stuttgart, und pocht darauf, dass du: „ohne Familie tot bist“. Seine Neffen Mikel (Oleg Tikhomirov) und Alan Maslov (Nils Hohenhövel) sind die Prototypen des Macho-Gangsters, dauernd unter Strom, hochaggressiv und unablässig mit diesem Ghetto-Slang „hassdumischangefasstischschwörewirhamgarnixgemacht“ auf den Lippen und mit den Fingern an der nächsten Kippe oder den eigenen Weichteilen.

Ganz gegensätzlich dagegen der zartgesichtige David, den zwar fette Schlitten und saucoole Macker schon faszinieren (sein Bruder Theo, gespielt von Levin Rashid Stein, war so einer), wobei er aber zu ahnen scheint, dass eine Gangsterkarriere kein belastbarer Weg durchs Leben sein kann. Auch den angebotenen Joint lehnt David ab, wohl weil er mitbekommen hat, dass seine ebenfalls an dem Überfall beteiligte Schwester Julia (Caroline Hellwig) trotz oder gerade wegen der Wirkung des Krauts arge gesundheitliche und seelische Schwierigkeiten hat. Nicht ganz unschuldig an diesen Bedenken, die Gangsterlaufbahn einzuschlagen, ist die Sozialarbeiterin Annarosa Neuffer (Caroline Cousin) die zusammen mit ihrem schwäbelnden Kollegen Gernot Reblinger (gespielt von Thapelo Mashiane) eine Gruppe von Jugendlichen auf einem Bauernhof betreut. Zwar steht sie dem „System“ aus Polizei und Justiz skeptisch bis feindselig gegenüber und gibt ihrem Schützling bereitwillig ein falsches Alibi, aber sie hält auch David’s Sippe für den völlig falschen Umgang und redet ihm immer wieder ins Gewissen. Die Kommissare aus Stuttgart hält sie verächtlich für blosse Befehlsempfänger, die dem 13-Jährigen in der Realität keinen Schutz gewähren könnten. Tatsächlich stecken Lannert und Bootz in der ermittlungstechnischen Klemme, weil sie nur die Chance sehen, über das Geständnis des Minderjährigen die Schweigebruderschaft des Clans zu knacken.

Der zweifelt mittlerweile immer stärker an dieser Familienbande und würde viel lieber weg vom Pfad des Verbrechens in die Arme von Annarosa wandeln. Schliesslich gesteht er ihr, bei dem Raubüberfall Schmiere gestanden zu haben. Sie gibt diese Information an Bootz weiter. Die Brüder Maslov waren mittlerweile nicht untätig und haben Rachid, den unliebsamen Zeugen aus der Tatnacht, in ihre Gewalt gebracht. Sie scheitern aber bei dem Versuch, ihren minderjährigen und damit strafunmündigen Cousin dazu zu bringen, Rachid kaltblütig hinzurichten. Alan Maslov knickt im Verhör ein, gesteht und verrät seine Familie. Bruder Mikel merkt, dass die Sache schief läuft und will sich mit der Geisel im Kofferraum, der Beute, Julia und David absetzen. Die Stuttgarter Polizei setzt nun zum Zugriff an; Mikel gelingt es aber trotzdem, bevor er selbst niedergeschossen wird, noch einen Schuss in Richtung des Zeugen abzugeben, der seinen Cousin trifft. Der Tatort endet mit einem wackeligen Happyend, als Annarosa dem Teenager auf der Trage des Notarztwagens verspricht, dass sie das gemeinsam schaffen werden.

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