Tichys Einblick
Tatort aus Münster

Komödiantisches mit irgendwas Kriminalistischem

Man wird den Eindruck nicht los, dass hier das erfolgreichste Format der Tatort-Familie mit Mutwillen in jeder neuen Folge immer wieder gegen eine neue Wand gefahren wird, um auszuprobieren, wie lange das noch mit den Zuschauerzahlen gut ausgeht.

© WDR/Bavaria Fiction GmbH/Thomas Kost

In der grauen Theorie der Verschwörung Geübte werden schon beim Namen der Drehbuchautorin gestutzt – Bielefeldt? – haben, und durften sich gleich darauf bestätigt sehen: Nichts ist hier so, wie es scheint, gehbehinderte alte Damen (Fleisspunkt für die Erwähnung von Vorurteilen gegenüber Alten!) sind in Wirklichkeit nahkampfgestählte, kaltblütige Killerinnen, der harmlose bunte Wagen des Eisverkäufers ein Mordinstrument.

Alles beginnt in der harmlosesten aller Gegenden, einer Kleingartenkolonie, eigentlich ein „safe-space“ für alle Malocher, die am Wochenende einmal ausspannen wollen. Im multikulturellen Münster verschwimmen dabei wie selbstverständlich die Grenzen zwischen den Laubenpiepern und internationalen Reisegruppen (bei der Besichtigung des Friedenssaals gezeigt). Garten- und Tierfreundin Sabine Schmid (Sibylle Canonica) ist die Münsterländer Variante einer untergetauchten RAF-Veteranin (Veganerin – machte tolle Dips!), verdient sich ihren Lebensunterhalt durch Auftragsterroranschläge und spielt nebenher die harmlose Aushilfe an der Tankstelle. Kurz nachdem sie in Scheveningen einen Waffenhändler (Kundschaft China, Iran, Nordkorea) eliminiert hat, aber von ihrem Parzellennachbarn (Prof. Ulrich Winer, gespielt von Hans Uwe Bauer) enttarnt wird, bricht sie beim Eichhörnchen-Füttern tot zusammen. Das Münsteraner Ermittler-Quartett übernimmt und schickt sich an, zur üblichen zotigen Form aufzulaufen.

Trotzdem wird man den Eindruck nicht los, dass hier das erfolgreichste Format der Tatort-Familie mit Mutwillen mit jeder neuen Folge immer wieder gegen eine neue Wand gefahren wird, um auszuprobieren, wie lange das noch gut bzw. sich mit den Zuschauerzahlen ausgeht. Zwar stellt man erleichtert fest, dass es diesmal nur ein Riesen- und kein Windrad ist, das sich da in der ersten Szene dreht, aber sehr schnell wird klar, woher der redaktionelle Wind hier weht. Brigitte Maria Bertele (Regie) schätzt den Münsteraner Tatort als „… Pionier, … der die Grenzen des bisher Dagewesenen ein kleines Stückchen weiter dehne …. sich immer wieder auf umstrittenes Terrain begebe … ganz im Sinne von John Vorhaus: „Machen Sie Ihrem scharfen inneren Zensor den Garaus.“

Weidlich wird davon Gebrauch gemacht, nicht im Sinne des Humors, den Frau Bentele für das „unterschätzteste Genre im deutschsprachigen Film“ hält, über den es sich „lohne, radikal in einen intensiveren und vor allem angstfreieren Austausch zu kommen“. Sondern mit der Spuuur zu viel nackter Tatsachen (Rohes Würstchen am Grill mit Nachbar Klaus Karger, gespielt von Tobias van Dieken) und aufgeschnittener Leichen (zwei Eichhörnchen, eine Killerin). Aber man soll ja nicht kleinlich sein. Außer natürlich, wenn man ein alter weißer Akademiker mit Professoren-Titel ist – der muss nun für jede schräge Bemerkung Strafe in die „Miese-Sprüche-Kasse“ einzahlen. Als Einziger, denn was wäre der Münsteraner Tatort ohne seine Sprüche, die Buch und Regie weidlich beidseits der politisch korrekten Linie verteilen: Über „Fair-Trade-Spießer“, „Pflanzen-Faschisten“ und „Wohlstandsverwahrloste, die Urban Gardening betreiben“ darf hergezogen werden.

Nachdem sich Thiel (Axel Prahl) und Boerne bereits in der Folge „Propheteus“ mit leibhaftigen Echsenmenschen und dem Verfassungsschutz (als Zwillingspaar „Muster und Mann“: Melanie und Daniela Reichert) herumärgern mussten, setzt das Duo Bentele-Bielefeldt nun noch einen drauf. Jamie-Bond Schmid hatte ihre Laube in einen Hochsicherheitsunterschlupf verwandelt und dort in aller Seelenruhe Waffen, Bargeld und allerlei streng geheime Unterlagen gebunkert. Offenbar doch vom schlechten gewissen gepeinigt, hat sie aber leichtsinnig ihrem Schwarm Prof. Winer Ansichtskarten von jedem Tatort ihrer Untaten geschickt, jeweils mit einem auf Mikrofilm festgehaltenen Fotobeweis hinter der Briefmarke. Diese ganze Konstruktion brach nun in sich zusammen, der letzte Anruf „bin aufgeflogen“ kommt nicht aus einer Kreuzberger Toilette, sondern der Münsteraner Gartenkolonie.

Boerne zu Haller: Was fällt ihnen zu Russland ein? Sie u.a.: „Matroschkas“

Bevor die scheinbare Wahrheit ans Licht kommen konnte, wurde Sabine Schmids Gehirn mit einem gigantischen Mikrowellengerät (der Eiswagen, gesteuert von Olga, gespielt von Margarita Breitkreiz) liquidiert. Boerne und Silke Haller „Alberich“ (ChrisTine Urspruch) spielen das mit einem Küchengerät nach, stoßen sogar im Schrebergarten der Agentin auf die verscharrte Leiche des Polizisten Horst Steenkamp, genannt „roter Bulle“, weil er, der Aussage von Staatsanwältin Klemm (Mechthild Großmann) zufolge, überzeugter Kommunist gewesen sei (offenbar Ende der 80er völlig okay in der Münsteraner Polizei). Der als Personenschützer eingesetzte Beamte war, so scheint es, beim Versuch, das Prozedere auf dem Weg zur deutschen Einheit auf Geheiss „der reaktionären Elite der UdSSR“ durch die Ermordung Eduard Schewardnadses bei seinem Münsteraner Treffen mit Hans-Dietrich Genscher zu torpedieren, im letzten Moment von Schmid aus dem Weg geräumt worden.

Beruhigend, aus dem Munde von Frau Klemm zu erfahren, dass Schmid „ihren Quellen zufolge“ aber weder beim BND noch beim MAD auf der Gehaltsliste stand. Die „wahren Drahtzieher“ werden nun aktiv, um die Angelegenheit ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen. Olga wird befreit, die Münsteraner Ermittler auf geisterhafte Weise um sämtliche Beweismittel erleichtert, den so tödlichen wie mysteriösen Eiswagen können auch alle ausgeschickten Bewaffneten nicht aufhalten.

Auch in Münster muss man sich die Realität offenbar schön saufen

Thiel und Boerne nehmen es leicht, nach Dienst am Scheveninger Strand, mit den Füßen im Sand, bei einem „Moscow Mule“ (Wodka, Limettensaft und Ginger Beer) und einem Cuba Libre (Cola, Limettensaft und Rum).

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