Tichys Einblick
Gasumlage und "Hilfsmaßnahmen"

Noch nicht der richtige Sozialismus bei Illner

Stephan Weil, Ministerpräsident von Niedersachsen, hat den wohl treffendsten Satz der Sendung geliefert: „In Wirklichkeit muss es darum gehen, eine Sonderlast für eine Gruppe auf möglichst viele Schultern zu verteilen, damit wir einigermaßen gut durch die schwierige Situation kommen.“

Screenprint: ZDF/illner

Die Sendung am gestrigen Abend begann vielversprechend – das meine ich ehrlich. Unter dem Titel „Preise steigen, Sorgen wachsen – wie gerecht wird die Hilfe?“ wollte Maybrit Illner mit ihren Gästen über all die „Hilfsmaßnahmen“ der Bundesregierung sprechen, die aktuell immer neue Probleme schaffen und quer durch die Bevölkerung alle nur verwirren. Da hat man mit ziemlich guten Sprüchen direkt zu Beginn vorgelegt. Die Fakten-Box vom 25. August 2022 auf der ZDF-Homepage von Illner informiert den besonders engagierten Zuschauer: „Der Gaspreis ist im Vergleich zum Vorkrisenniveau um 2080 Prozent gestiegen und sprang am Donnerstagmorgen auf knapp 316 Euro je Megawattstunde.“

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Auch mit ihrer Einleitung machte Maybrit Illner klar, dass sie weder die Preise noch die Inflation herunterspielen will: „Das Leben wird immer teurer und teurer und Energie für viele unbezahlbar“, sagte sie. Wie sollen die Hilfen der Regierung dabei aussehen? „Bloß nicht nochmal wie bei der Gasumlage!“, antwortet Illner. Sie verweist auf Saskia Esken, die im Bundestag eine Blockade angedroht hat, sollte der Wirtschaftsminister an eben jener Gasumlage nicht nochmal schrauben. Die Gasumlage scheint es auch Illners Team besonders angetan zu haben, denn im Einspieler fällt der doch recht treffende Satz: „Die Gasumlage – eine Bomben-Idee, die zum Rohrkrepierer mutiert“.

Jetzt haben sie es alle endlich verstanden – wir mussten viel erdulden und wir zahlen wortwörtlich einen sehr, sehr hohen Preis, aber endlich haben sie es verstanden, denkt sich nun der unerfahrene ÖRR-Beobachter. Und sicher: Dass Illner jetzt plötzlich auf Volksnähe macht und Saskia Esken mal ausnahmsweise eine Forderung hat, die nichts mit Gendern zu tun hat, mag erstmal verwirrend sein. So, als hätte die Krise ihnen den Blick geschärft für das, was tatsächlich wichtig ist.

Das ist ein wiederkehrendes Element in dieser Sendung: Es ist nur leider eine Falle. Denn diese neugefundene Streitlust und Oppositionslaune hat weniger mit der Résistance und mehr mit den DDR-Kritikern zu tun, die den richtigen Sozialismus gefordert haben. Stephan Weil, Ministerpräsident von Niedersachsen, hat da den treffendsten Satz geliefert: „Aber in Wirklichkeit muss es darum gehen, eine Sonderlast für eine Gruppe auf möglichst viele Schultern zu verteilen, damit wir einigermaßen gut durch die schwierige Situation kommen.“ Sie sehen, ich habe Ihnen nicht zu viel versprochen.

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Veronika Grimm, Ökonomin und Mitglied des Sachverständigenrates, die als „Wirtschaftsweise“ vorgestellt wird, kann da mithalten. Sie findet die Gasumlage total super, aber das mit der Entschädigung, die der Staat hinterher geliefert hat, hätte anders laufen müssen. „Man hätte ebenso entschädigen sollen, dass der Gasanreiz, also der Anreiz zu sparen, angesichts der hohen Preise erhalten bleibt, aber gleichzeitig diese extreme Belastung der Konsumenten und der Verbraucher eben nicht stattfindet.“ Also wir sollen gerade so viel leiden, dass wir eine Lehre daraus ziehen, aber nicht so viel, dass wir womöglich alle pleite gehen, arbeitslos werden und unsere Arbeitskraft verloren geht.

Ramona Ballod, Referatsleiterin Energieberatung bei der Verbraucherzentrale Thüringen, wirkt anfangs noch wie die Vernünftigste dieser Runde. Sie erzählt von den Menschen, die täglich bei ihr anrufen: „Wir haben zunehmend auch Leute, da weiß man gar nicht so richtig: Wollen die einfach mal ihren Frust loswerden, wollen die uns ankündigen, dass sie sich jetzt das Leben nehmen, das haben wir tatsächlich in den Gesprächen, also unsere Berater sind auch heillos überfordert damit. Also das wird auch immer mehr eine Sozialberatung, die wir eigentlich gar nicht anbieten können.“ Hierbei handelt es sich aber um genauso eine Falle, wie mit dem Einstieg dieser Sendung.

Ihr Kritikpunkt an der ganzen Geschichte: „Und dann ist es natürlich auch so, dass viele Hilfen einfach mal so mit der Gießkanne ausgegossen werden. Also dieser Tankrabatt, den haben auch höher verdienende Haushalte sehr gerne mitgenommen, aber die hätten es eigentlich gar nicht nötig gehabt.“ Definieren Sie höher verdienende Haushalte, würde ich da gerne fragen, aber Maybrit Illner lässt sie ohne nachzufragen weiterreden. Und mit Ballods Schilderung, wer es denn stattdessen ihrer Meinung nach verdient hätte, werden böse Ahnungen bestätigt: „Das Geld wäre nötiger gewesen bei den Haushalten, die entweder schon in Hartz VI sind, oder Rentner; Studenten, die Wohngeldempfänger sind, aber auch die Haushalte mit eher niedrigerem Einkommen, die bisher ja überhaupt noch keine Beihilfen bekommen, die aber wirklich gar nicht wissen, wo sie das Tuch hinziehen sollen.“ Diejenigen, die diese ganzen Gelder in die Staatskasse eingezahlt haben, sollen leer ausgehen.

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Und was ist mit dem Mann, der für das alles (mit)verantwortlich ist? Robert Habeck lässt sich ja schon lange nicht mehr in Talkshows, sondern nur noch in Regierungsfliegern blicken, aber Lindner ist fürs Charmieren mit der Kamera immer zu haben. Tja, aber Christian Lindner hat anscheinend den ursprünglichen Job von Frau Esken übernommen. Jedenfalls konnte ich mich kaum auf so Sätze wie „Es geht nicht darum, irgendwelche Konzerne zu retten, sondern darum, Verbraucherinnen und Verbraucher zu schützen“ und seine sicher ausführlichen Erklärungen über das Konzept der Gasumlage konzentrieren, weil dieses durchgehende Gendern mich einfach zu sehr abgelenkt hat. Solche Äußerungen aus dem Mund von jemandem zu hören, der einst versprochen hat, dagegen anzukämpfen, ist einfach nochmal bizarrer. Zumal er auch oft darüber gestolpert ist, was man an Formulierungen wie „bei den Verbraucherinnen und Verbraucher” oder “unter den Gaskundin und Gaskunden” merken kann.

Falls Sie jetzt irgendwo gelesen haben, dass Robin Alexander auch bei Illner war, und sich jetzt fragen, wo der in diesem Artikel abgeblieben ist: Sein Auftritt bestand im Grunde nur darin, sich – mit seinem Blick komplett zu Illner gewandt – über Lindners Äußerungen und Forderungen zu empören, als sei dieser gar nicht anwesend, obwohl er direkt neben ihm saß. Es war durchaus unterhaltsam zu beobachten, wie der Ignorierte selbst unter der Urlaubsbräune und den Schichten von Studio-Make-up merklich rot vor Wut wurde.

Wie hibbelig der stellvertretende Chefredakteur der Welt dann aber wurde, war doch leicht befremdlich. Überaus zufrieden mit sich und seiner demonstrativen Distanz zu Lindner ganz nach dem Motto: „All denen, die behauptet haben, nur weil ein Mitglied der Bundesregierung mit zwei Frauen aus unserer Redaktion verheiratet war bzw. ist, bedeutet das noch lange nicht, dass wir nicht objektiv und offensiv sein können – dem hab ich es jetzt aber mal so richtig gezeigt.“ Währenddessen eine Stimme im Unterbewusstsein erleichtert aufatmet: „Ach wie gut, dass niemand weiß, dass mein Kryptonite nicht Lindner, sondern Habeck heißt.“ Wer einmal zusammen im Regierungsflieger das Infektionsschutzgesetz verdreht hat, der bleibt zusammen, das ist eine alte Bauernregel.

Zwischendurch und völlig am Rande zitiert Illner einen Nobelpreisträger, der die Deutschen dringend dazu aufgerufen haben soll, von dieser ganzen grünen Ideologie abzulassen und auf alle Energie- und Wärmequellen – wie unsere Kernkraftwerke – zu setzen, die wir haben. Nur damit die Meinung auch mal angemerkt wird, meint Illner – und fährt nach diesem Kurzvortrag mit Fragen fort, die damit rein gar nichts zu tun haben. Die wahre unsozialistische Opposition war ja auch in der DDR schon unterrepräsentiert.

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