Tichys Einblick
Eine Romantikerin

Sahra Wagenknecht: „Findet Euch nicht ab.“

„Warum kommt Frau Wagenknecht bei relativ bürgerlichen Leuten so gut an”, fragt Herles Peter Gauweiler. Antwort: „Weil sie im positiven Sinne doch eine bürgerliche Erscheinung ist. Haltung, gerade Linie, Beherrschtheit, klare Sprache, sauberes Statement.“

Ein Porträt über Sahra Wagenknecht, was soll da noch kommen bei einer der meistgefilmten deutschen Politikerinnen, so häufig bei Talkshows eingeladenen, dass man sich schon fragen mag, wo sie denn ist, wenn sie mal nicht dabei sein kann. Was will man uns da also noch zeigen in einem Porträt für die erfolgreiche MDR-Serie „Lebensläufe“?

Wolfgang Herles hat sich auf Sahra eingelassen und sie wohl auch auf ihn, wenn sie gleich zu Beginn die Maske abnimmt. Die immer perfekt gestylte Frontfrau der Linkspartei ungeschminkt am Schminktisch. Das ist schon deshalb verdammt unangenehm, weil das grelle Licht jede Pore des physischen Seins ausleuchtet. Gut so. Ein schönes Versprechen. Mal schauen, ob Herles die Wagenknecht in der kommenden halben Stunde zu noch mehr bewegen kann. Können hieße hier ja mehr zu zeigen als andere – ohne zu entblößen. Wenn es einem gelingen könnte, dann dem Journalisten und Schriftsteller, der u.a. fünf Jahre lang als Redaktionsleiter aspekte moderiert hat. Damals, als die Sendung noch keine von ehemaligen Radio Fritz-Leuten moderierte aspekte-show war.

Aber zurück zu Sahra. Wussten Sie, dass Sahra in Weimar ihre erste große Liebe fand? Erst Goethe, dann Marx? Sie jobbte sogar als Führerin in Goethes Haus am Frauenplan. „Und jetzt ist sie zurück am Mythenort ihres Lebens.“, erzählt der Sprecher. Sahra Wagenknecht, beseelt von einem Geist aus dem 18. Jahrhundert. Das ist neu, das ist auch charmant gedacht. „Ich bin erst durch Goethe ein politisch interessierter Mensch geworden.“, sagt Wagenknecht über sich selbst. „Wenn ich zu Hause sein konnte und hatte Bücher, dann war das einfach ein gelungener Tag.“

Von Goethe über Hegel zu Marx – für die Linke eine logische Entwicklung. Aber wer sie verstehen will, muss die Romantikerin kennenlernen, sagt Herles. Das ist seine Herangehensweise. Das erkläre dann auch das leichte Unbehagen der Politikerin, wenn sie an die Basis muss. Romantisch ist so ein roter Tag auf dem Marktplatz tatsächlich selten. Da steht eine Individualistin für eine kollektive Ideologie, weiß Herles. Eine, die dort nur weiter steht, weil die Partei so von ihr profitiert.

Profitiert von ihren zündenden Reden, von Attraktivität und Ausstrahlung. Trotzdem gab es auf einem Parteitag eine Torte ins Gesicht. Kein Kavaliersdelikt. Und Antwort auf eine eigentliche Banalität, die sich Wagenknecht herausgenommen hatte, als sie in der Zuwanderungsfrage gegen den rot-grünen Mainstream befand, nicht jeder können nach Deutschland kommen, so gerne er auch möchte. Für sie ist das absurd und irrational. Ebenso wie die Verweigerung, sich mit dem politisch-ideologischen Islam auseinanderzusetzen. „Der trägt nicht zur Integration bei, sondern schürt Hass und Zwietracht.“, sagt Wagenknecht.

Für diesen Film geht sie sehr weit. Erlaubt, dass ihr psychologischer Berater Thomas Städtler frei heraus über sie plaudert. Zum einen erstaunlich, dass sie überhaupt einen solchen Berater hat. Zum anderen, dass er zu Wort kommen darf. Fazit des renommierten Geisteswissenschaftlers: Sahra Wagenknecht sei eigentlich keine Politikerin, keine Netzwerkerin, keine Kompromisslerin.

Schön auch ein Plakat von 1998, „Trau Dich“, steht da und zeigt eine blutjunge linke Kämpferin, ein Foto, das ähnliche Gefühle auslöst, wie die frühen Plattencover von Nina Hagen – auch die ganz junge Wagenknecht war einmal kurz Punk. Und erst im Älterwerden wird ja rückblickend diese einnehmende Kraft der Jugend erkennbar. Tatsächlich ein politisches Pin-up mit hohem ikonographischem Potenzial. „Das gehört zu ihrer unique selling proposition“, erklärt Medienwissenschaftler Norbert Bolz, nun gut, er hätte auch einfach „Alleinstellungsmerkmal“ sagen können. Sowas nervt, aber dafür kann ja Sahra nichts.

Und dann wird es noch Mal ein Stück privater, es geht nach Silwingen ins Saarland. Hier lebt Sahra Wagenknecht, wenn sie nicht in politischer Mission unterwegs ist. Schön ist es da. Grün, dörflich, bescheiden, deutsch. „Wenn ich hierher komme, dann geht es mir gut.“, erzählt die gebürtige Thüringerin. Ein wenig erinnert es sie auch an ihr Geburtsland.

Gut, es gibt Herles-Sätze, so wie diesen hier, da muss man schmunzeln, fast zu sehr will er die Romantikerin Wagenknecht aus der saarländischen Ackerkrume kitzeln: „Auf den Wegen hinter Oskar Lafontaines Haus schweifen die Gedanken.“ Aber so geht eben Fernsehen. Da schreckt der Profi nicht zurück.

Dann die Biografie, der iranische Vater, die Frage nach dem Erbe, nach der Perserin in Sahra. „Ehrgeiz vielleicht“, einen, den die Mutter nicht hätte. Also käme er wohl vom Vater, der die Familie früh verließ. Dann lächelt sie die Frage einfach weg, zieht sanft die Grenze zum zu Privaten. Glaubwürdig. So wurde die kleine Sahra in Berlin ihres fremden Aussehens wegen gehänselt und hielt es in keiner Kita lange aus. Die Großeltern auf dem Lande übernahmen die Kleine, bis sie zur Einschulung wieder nach Berlin musste.

Dann die Zeit, als ihr die SED das Studium verweigerte und sie sich mit Nachhilfestunden über Wasser hielt. Kant, Hegel, Fichte, Aristoteles – keiner mehr da, mit dem man darüber reden konnte. Alle Mitschüler beim Studium. Dann im Frühjahr 1989, sehr zur Verwunderung der Mutter, der Eintritt in die SED, schließlich die Partei, die ihr das Studium verweigert hatte. „Eine absurde Trotzreaktion, die DDR, nach dem sie tot war, noch über den grünen Klee zu loben.“ Sahra W. heute über Sahra W. damals. Aber sie wollte eben nicht Teil dieses Opportunisten-Kartells sein. Trotzdem, sagt sie, sei das „völliger Unsinn“ gewesen.


Dann über den Doktortitel in Volkswirtschaft eine Annäherung an Marktwirtschaft und Eigentum, an ein Idol des Westens, an Ludwig Ehrhard. An den damals viel stärker sozial gebändigten Kapitalismus. „Wohlstand für alle“, vom Wahlspruch Erhards zu einem der Linken. Oder genauer der linken Wagenknecht. Denn „Jedem seinen Porsche“ ist auch für gemäßigte Linke nach wie vor anrüchig. Nein, links darf nicht ein Leben in Elend heißen. Aber gerne mal eines der Askese.

Zu zwei Ehemännern aus dem Saarland erinnert Wolfgang Herles: „Auch der Lebenslauf der Liebe zieht eine Schleife an der Saar.“, so schön kitschig zu formulieren über eine toughe Linke muss man sich erst einmal trauen. „Trau Dich“, ruft die blutjunge Sahra auf dem PDS Wahlplakat. Ob sie auch so etwas gemeint haben könnte? Herrlich Herles.

„Höflich, verbindlich, unnahbar wie hinter Glas.“, erlebt Herles seine Wagenknecht. Und führt gleich vor, warum, wenn die große Linke etwas steif durch die so weiche saarländische Landschaft spaziert und mit jeder Faser die unsichtbare Kamera neben ihr widerspiegelt. Satz und Bild in Ergänzung. Moderne vielschichtige Porträtmalerei. Doch, einmal kurz ist Herles auch zu sehen. Zufällig in der dicken Audi Limousine, als die Kamera nicht anders kann, als ihn kurz zu streifen. Kurz auf der Treppe im Goethehaus. Das Pathos der Distanz: beim Objekt der Begierde wie beim stillen Betrachter.

Nicht fehlen in so einem Porträt darf die bekannte Bildstrecke für Gala. Wagenknecht gestylt als Frida Kahlo. Ja, ja: Was für eine Frau. Und was für eine starke Person, als sie die wirklich penetranten Lümmeleien eines Markus Lanz so souverän abprallen lässt, die auch kurz eingespielt werden. Da wären die meisten männlichen Kollegen wohl kläglich gescheitert und explodiert. „Warum kommt Frau Wagenknecht bei relativ bürgerlichen Leuten so gut an”, fragt Herles Peter Gauweiler. Antwort: „Weil sie im positiven Sinne doch eine bürgerliche Erscheinung ist. Haltung, gerade Linie, Beherrschtheit, klare Sprache, sauberes Statement.“ Auch Gauweiler wohl ein unverbesserlicher Romantiker. Denn wer würde diese Attribute heute schon noch den in den sozialen Netzwerken so geifernden Bürgerlichen zugestehen?

Zurück zu Goethe nach Weimar. „Wenn man Goethe wirklich mag, muss man heute die Linke wählen.“, lächelt Sahra Wagenknecht in die Kamera. „Man muss sich doch grämen über eine Gesellschaft, die einen solchen Kontrast zulässt, die so viele Menschen auch von Bildung abkoppelt.“ Und dann dringt Herles auf der Zielgeraden bis zum Kern vor. Zur eigentlichen Botschaft der linken Politikerin. Oder besser: zu ihrer inneren Bewegtheit. Ein Satz, so simpel wie überzeugend: „Findet Euch nicht ab.“ Herles ist angekommen beim Lächeln der Mona Lisa.


„Sahra Wagenknecht – Rot, Rosa, Sahra“ – heute (2.11.2017) um 23:05 Uhr im MDR