Tichys Einblick
Go woke get broke

Pro Sieben hofft auf Rettung durch Heidi Klums „Germany’s Next Topmodel“

Die Quoten von Pro Sieben sind jüngst in den Keller gefallen. Der Versuch, zum woken Wohlfühlsender zu werden, ist gescheitert. Nun muss der Sender ausgerechnet auf Heidi Klum und ihr Germany’s Next Topmodel hoffen.

IMAGO / photothek

Die gefälligste Bühne aller Zeiten hat die heutige Außenministerin Annalena Baerbock bei Pro Sieben gefunden. Als der Sender sie im Wahlkampf 2021 interviewt, steht der Verdacht im Raum, die Redaktion sympathisiere mit der Kandidatin der Grünen. Doch dann schaffen die Moderatoren Katrin Bauerfeind und Thilo Mischke diesen Verdacht aus der Welt – und machen aus ihm Gewissheit: Als Baerbock fertig ist, spenden sie ihr Applaus. Mischke und Bauerfeind sind an der Stelle keine Journalisten mehr, sondern Groupies mit eigener Sendung und Sendebewusstsein.

In der Anekdote steckt das komplette Dilemma Pro Siebens: Der Sender startete 2021 eine Qualitätsoffensive, wollte politischer und seriöser wirken. Zu diesem Zweck wechselten öffentlich-rechtliche Journalisten nach München. Wie in ihren Heimatsendern fanden sie dort eine grüne Schlagseite vor. Pro Sieben richtet nicht nur die „Green Week“ aus und applaudiert Baerbock – der Privatsender passt sich generell an einen Werbemarkt an, in dem Diversität als Verkaufsargument gesehen wird: Sender und Werbemarkt Hand in Hand in Sachen Weltverbesserung – wie schön. Blöd nur, dass einer dabei nicht mitspielt. Der Zuschauer.

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Der Zuschauer geht Pro Sieben immer mehr verloren. Da hilft es auch nichts, ihn Zuschauer:in zu nennen. Im Januar erreichten die Münchener gerade mal noch 7,3 Prozent der Zuschauer im werberelevanten Markt der Menschen unter 50 Jahren. Das sind 1,4 Prozentpunkte weniger als im Januar 2022 und bedeutet im Sendervergleich nur noch Platz vier. Damit liegt Pro Sieben bei den jüngeren Zuschauern noch hinter der ARD und sogar dem ZDF, Norbert Himmlers Bällebad für Senioren. Nimmt man die gesamten Zuschauer, ist Pro Sieben im Januar mit einem Marktanteil von 2,8 Prozent auf dem Weg zum Spartensender.

Die erfolgreichste Sendung Pro Siebens bei den Menschen unter 50 Jahren war im Januar das Football-Spiel der Philadelphia Eagles gegen die San Francisco 49ers. Der harte Männersport rettete den woken Sender nicht nur quotentechnisch. Um Geld zu sparen, setzte Pro Sieben zum Herbstbeginn sonntags die teuren Hollywood-Filme ab. Eigene Produktionen wie „Local Hero“ oder „Fahri sucht das Glück“ sollten den Sendeplatz billiger und erfolgreicher füllen – und fuhren mit 1,5 beziehungsweise 3 Prozent unterirdische Quoten ein. Als Ersatz zeigte Pro Sieben danach sonntags die Spiele der NFL und erreichte damit ordentliche Ergebnisse.

Nur: In der Nacht zum Montag endet die Saison der NFL mit dem Super Bowl. Wenn die harten Männer im September zurückkehren, ist das auf RTL zu sehen. Pro Sieben hat die Rechte verloren. Eine der letzten Erfolgsgeschichten der Münchener geht damit jäh zu Ende. Viel bleibt nicht. So wird ausgerechnet die 18. Staffel von „Germany’s Next Topmodel“ zum Hoffnungsträger von Pro Sieben. Jene Castingshow, in der Heidi Klum als verbales Peitschengirl Mädchen danach aussiebt, wer die schönste und die gefügigste ist.

In den ersten 16 Staffeln von „Germany’s Next Topmodel“ spielten auch innere Werte eine große Rolle: So wenig Essen wie möglich sollte sich in den Mägen der kommenden Titelgirls finden. Doch mit der 17. Staffel fand letztes Jahr ein Relaunch statt – ganz im Sinne der woke-diversen Vorstellungen der Senderführung. Klum sollte jetzt auch faltigere oder üppigere Models inszenieren. Sie tat, wie geheißen und das sogar erfolgreich. Relativ.

Prozentual legte Klum zu, holte bei den jüngeren Zuschauern Quoten von bis zu 20 Prozent und verbesserte den Senderschnitt damit deutlich. Nur: Die totalen Zahlen hinter diesen Quoten schwächeln. Die Gesamtzahl der Zuschauer ging auf rund 2 Millionen Zuschauer zurück. Das lag zwar auch an den längeren Sendungen und der Tatsache, das grundsätzlich weniger Menschen zuschauen, wenn der Abend später wird. Es entspricht aber auch dem Trend, dass die Menschen sich vom alten, linearen Fernsehen immer stärker verabschieden.

Allerdings gehört „Germany’s Next Topmodel“ auch im Internet zu den letzten Erfolgsformaten Pro Siebens. Einzelne Sendungen der 17. Staffel schafften mehr als 600.000 Zugriffe. Doch sind diese Zahlen wenig aussagekräftig. In der Statistik zählt jeder Nutzer. Egal, ob er aus Versehen für Sekunden reingeklickt oder sich die Sendung tatsächlich angeschaut hat – geschweige denn die Werbeangebote wahrgenommen hat. Die Sender tun insgesamt wenig, um die Online-Zahlen transparenter zu machen, was darauf schließen lässt, dass die Realität lange nicht so blühend ist, wie die Sender es in ihren Pressemitteilungen gerne verkaufen.

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Diese Lücke zwischen Fremd- und Eigenwahrnehmung kennt auch die Klum-Show. Obwohl die sich mittlerweile zu Fett und Falten bekennt, bleibt die Sendung doch ein Schmuddelkind. Skandalgeschichten begleiten den Staffelstart, der an diesem Donnerstag erfolgt. Wobei diese mitunter rührend absurd sind. Manche „Topmodels“ werfen Klum vor, die Moderatorin würde sich an der Show bereichern, aber die Kandidatinnen damit nicht gut verdienen. Also ist gar nicht automatisch reich, wer Vierte in einer Castingshow wird? Shocking!

Andere werfen der Show vor, sie würde Mobbing fördern. Auch das bedeutet einen atemberaubenden Erkenntnisgewinn: Zwängt man mehrere junge Frauen, die darum konkurrieren, die Schönste zu sein, auf engem Raum zusammen, dann entwickeln die gar keine Strategien, wie sich Krieg und Hunger auf der Welt bekämpfen lassen, sondern streiten miteinander? Und im Reality-TV geben sich Menschen gar nicht ungezwungen, während zufällig eine bis ein Dutzend Kameras dazu läuft? Das Land verliert die letzten Wahrheiten, auf die sich seine Menschen verlassen konnten.

Nun sind solche Meldungen vor einer Premiere grundsätzlich nicht zu ernst zu nehmen. Oft streuen sie die Sender selbst, um so gratis etwas Werbung für den Start einer Show zu machen. Doch mit der grundsätzlichen Imagekampagne Pro Siebens beißt es sich, wenn das eigene Zugpferd mit Mobbing, Ausbeutung und Inszenierung verbunden wird. Der Sender braucht dringend gute Klum-Quoten, um bei den Jungen nicht dauerhaft hinter ARD und ZDF zurückzufallen. Aber die Sendung verdirbt das Image, das Pro Sieben gerne hätte. Ein Dilemma.

Ein Dilemma aber, das zu lösen wäre. Pro Sieben feiert seine letzten Erfolge mit wenig tiefgründigem Spaß wie in „Duell um die Welt“, „Wer stiehlt mir die Show?“, „The Masked Singer“, „TV Total“ oder eben „Germany’s Next Topmodel“. Selbst wenn sich Charlie Sheen im Mittagsprogramm in der hundertsten Wiederholung mit Kokain und Prostituierten tröstet, ist das erfolgreicher, als wenn sich am Abend Linda Zervakis und Matthias Opdenhövel in Journalismus üben. Vielleicht wäre das der Moment, in dem die Macher von Pro Sieben einsehen, dass in Deutschland der Bedarf an Sendern überschaubar gering ist, die ARD und ZDF links überholen wollen – aber dafür umso größer der Bedarf nach unbeschwerter und neutraler Unterhaltung.

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