Tichys Einblick
ARD in der Krise

NDR-Skandal weitet sich aus: Weitere Vorwürfe und ein neuer Rücktritt

Neue Vorwürfe über Parteinahme sind rund um den NDR aufgekommen. Zudem musste Volker Thormählen, Landesfunkhausdirektor in Schleswig-Holstein, in unbezahlten Urlaub – die Mitarbeiter sind sichtbar verunsichert.

IMAGO/penofoto

Der Auftakt zum „Schleswig-Holstein Magazin“ am Donnerstag dürfte schon jetzt als legendär gelten. Moderatorin Gabi Lüeße räumt gleich zu Beginn ein, dass die Kollegen momentan jeden Tag zum NDR in Kiel kämen und sie „müssen damit rechnen, dass eine neue Bombe geplatzt ist“. Einen Tag vorher hatte Landesfunkhausdirektor Volker Thormählen noch verkündet, dass der Chefredakteur am Standort Kiel, Norbert Lorentzen, und die Politikverantwortliche Julia Stein bis auf weiteres von ihrer Aufgabe entbunden seien. Nun muss er selbst in unbezahlten Urlaub. Anfangs für vier Wochen. Auch er solle die Aufklärung anderen überlassen, die nicht persönlich betroffen sind, teilt NDR-Intendant Joachim Knuth mit.

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Grundsätzlich geht es darum, dass im NDR ein „Klima der Angst“ herrsche. Vorgesetzte würden Druck auf Mitarbeiter ausüben, damit diese ihre Beiträge durch „politische Filter“ laufen lassen. Der erste öffentlich bekannt gewordene Anlass für diese Vorwürfe war der Fall des zurückgetretenen Innenministers von Schleswig-Holstein, Hans-Joachim Grote (CDU). Der warf dem Parteifreund, Merkelianer und Ministerpräsidenten Daniel Günther vor, er habe ihn im Stich gelassen. Ein Interview dazu cancelten die Vorgesetzten, einen anderen Bericht schwächten sie zugunsten Günthers ab.

Doch mittlerweile stehen weitere Vorwürfe im Raum. Wieder waren es private Medien, die diese ans Licht brachten: So berichtete der Stern, dass Stein darauf bestanden habe, einen Beitrag über den Vorwurf des Kindesmissbrauchs in einem Heim des Deutschen Roten Kreuzes vorab zu sehen. Wie der Stern berichtete, wurde der Beitrag dann abgeschwächt und das Rote Kreuz namentlich nicht mehr erwähnt. Dieses wiederum teilt nun mit, dass es „jeglichen Vorwurf der Beeinflussung von journalistischer Berichterstattung entschieden zurückweise“.

Nun hat auch niemand dem Roten Kreuz vorgeworfen, dass es dem NDR diktieren wollte, wie die Berichterstattung auszusehen habe. So läuft das in der Regel nicht. Das geht eher so: Ein kluger Lobbyist ruft bei einem befreundeten Verantwortlichen im Sender an. Er plaudert über den Hund, die Kinder, den heimischen Fußballverein oder den neuen Dienstwagen. Beiläufig erwähnt er, dass der Sender da ja einen Beitrag plane, der ihm Kopfschmerzen bereite. Aber nichts für ungut. Grüß mir die Gattin. Tschö. Der Verantwortliche lässt sich dann vielleicht den Beitrag kommen und redet mit dem Journalisten kritisch darüber.

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Wie es im NDR gelaufen ist, muss noch aufgeklärt werden. Dass es persönliche Beziehungen zum Roten Kreuz gibt, steht aber schon fest. Deren Landeschefin Anette Langer war damals in einer Partnerschaft mit Jutta Schümann – der ehemaligen Vorsitzenden des Landesrundfunkrats, der Aufsicht des NDR. Die hat auch bei der Vergabe von wichtigen Jobs wie dem von Stein ein Wörtchen mitzureden.

Ein anderer Vorwurf, wie immer von einem privaten Medium recherchiert: Der Business Insider berichtet über die „Rocker-Affäre“. Die hatte maßgeblich der Piratenpolitiker Patrick Breyer angestoßen. Es ging um den Vorwurf, das Landeskriminalamt habe rechtsstaatswidrige Praktiken angewandt, um einen Informanten zu schützen. In der Folge der Affäre gab es später einige Rücktritte, darunter den des Landespolizeidirektors Ralf Höhs, der wiederum ein Freund von Thormählen ist. Der soll sich in der Redaktion dafür ausgesprochen haben, dass Schluss sei mit der „Kampagne“ gegen das Landeskriminalamt und stattdessen Höhs Sicht der Dinge stärker thematisiert werde. Breyer berichtet nun, dass der zuständige Redakteur aus der Rechercheabteilung versetzt worden sei und vom NDR abgemahnt wurde, weil er die Interna öffentlich gemacht hatte.

Als die Missstände in der ARD durch den RBB-Skandal öffentlich wurden, versprachen Verantwortliche wie der kommissarische Vorsitzende Tom Buhrow, dass sich die ARD auch journalistisch an der Aufklärung beteiligen wolle. Doch zu der Rocker-Affäre gab es eine Abmahnung. Der Fall war also aktenkundig. Darüber berichtet hat trotzdem der Business Insider. Die ARD meldet die eigenen Skandale erst, wenn es Private bereits getan haben. Und sie erwähnt von den Vorwürfen nicht ein Wort mehr, als es die Privaten getan haben. Nur die Entschuldigungen und Ankündigungen der ARD-Verantwortlichen finden mehr Platz.

Dabei verfügt der NDR über hochrangige Journalisten. Und Journalistinnen. Wie die nun freigestellte Julia Stein. Sie war von 2015 bis 2021 Vorsitzende des „Netzwerk Recherche“. Das war einst von SWR-Starjournalist Thomas Leif ins Leben gerufen worden. Seine Grundidee: Journalisten sollen sich vernetzen, Informationen sowie Kontakte austauschen und sich so gegenseitig unterstützen. In der Recherche.

Doch recht bald pervertierte die Grundidee zu einem Netzwerk Karriere. Die Mitglieder pushten die anderen Mitglieder der Seilschaft in ihre Redaktionen und falls nötig, drängten sie Personal raus, das da vorher schon war – oder versuchten es wenigstens. Ob Recherchen besser wurden, wenn sie von Mitgliedern des Netzwerks Recherche abgenommen wurden oder ob sie danach besser in den Karriereverlauf der Netzwerkerinnen passten? Das wird sich zeigen. Denn unter anderem um diesen Vorwurf geht es bei der Prüfung der künftigen Karriere von Julia Stein.

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