Tichys Einblick
Cousinen-Wirtschaft

NDR-Chefin versorgt Familie über den Sender

Cousinen-Wirtschaft im Norden: Von Jobs, Aufträgen und Produktplatzierungen profitierten Töchter von führenden NDR-Mitarbeiterinnen. Allmählich beginnt das befremdliche Treiben in der ARD Folgen zu haben.

IMAGO / penofoto

Manchmal sitzt du vor dem Fernseher und denkst: Was soll dieser Mist? So ging es vielen Zuschauern des NDR am 8. Oktober 2019. Sie erhielten für ihre „Demokratieabgabe“ einen Beitrag über eine „Seherin“, die für ihre Kunden mit deren toten Haustieren kommuniziert. Allerdings lief das nicht unter „Nepper, Schlepper, Bauernfänger“, sondern als Portrait in der Serie „Hunde in Hamburg“, das die Arbeit der Kadaverflüsterin ernst nahm. Zuschauer beschwerten sich, Kriminalreporter des eigenen Hauses ebenso: Wieso bietet ein öffentlich-rechtlicher Sender einem solch fragwürdigen Angebot ein Forum?

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Gute Frage. An mangelnder Qualitätskontrolle kann’s nicht gelegen haben. Der Beitrag wurde von Sabine Rossbach persönlich abgenommen. Ihres Zeichens Direktorin des NDR-Funkhauses in Hamburg. Hatte Rossbach da einen schlechten Tag? Oder hält sie die Kommunikation mit toten Tieren für ein seriöses Geschäftsfeld? Mag sein.

Aber der Business Insider hat Zusammenhänge aufgezeigt, die den Beitrag über die Kadaverflüsterin vielleicht besser erklären: Demnach erhielt den Auftrag für „Hunde in Hamburg“ eine Produktionsfirma, die von Barbara Mirows Tochter geleitet wurde. Mirow wiederum war die Programmchefin von „NDR Kultur“. Doch solche familiären Banden wirken sich beim NDR nicht aus, betont der NDR noch heute. So war es auch, als Mirow die Tochter von Sabine Rossbach fest einstellte. Stellen, die im öffentlich-rechtlichen Rundfunk selten, begehrt und gut bezahlt sind. Dass Rossbach Mirow und Mirow Rossbach geholfen hat und davon die Töchter profitierten, ist demnach reiner Zufall.

Genauso wie die Präsenz der Kunden im Programm des NDR, die dafür viel Geld an die PR-Agentur „Hesse und Hallermann“ zahlen. Nun ja. Sabine Rossbach hieß mal Rossbach-Hesse und die Agentur-Inhaberin Anna Hesse war streng genommen ebenfalls eine Tochter der NDR-Direktorin. Aber dass dieser so oft über Kunden der Agentur der Chefinnen-Tochter berichtete, liegt an dem Wert, den diese Beiträge für den Erhalt der Demokratie haben: So hat die Hesse-Kundin Cornelia Poletto in den Messehallen gekocht. Wenn der NDR so etwas nicht großzügig im Programm bewirbt und dann live vom roten Teppich darüber berichtet, stirbt die Demokratie und die Hamburger laufen zu Verschwörungstheoretikern über.

Wenn die Chefinnen-Tochter Kunden im Programm unterbrachte, profitierte vor allem der NDR-Zuschauer. Sonst wären ihm erstklassige Beiträge entgangen wie: „Neujahrsempfang Blankenese“, „Weihnachtsmarkt Blankenese“, „Blankeneser Neujahrsempfang“, die Deutsche Meisterschaft der Floristen, das Treiben auf dem Erdbeerhof Glantz und Anfang oder der nächste „Blankeneser Neujahrsempfang“. Hatten die NDR-Journalisten Fragen zu diesen wichtigen Themen, sollten sie sich direkt an die Agentur Hesse und Hallermann wenden – so stand es in ihren Anweisungen.

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Die Agentur bestreitet, von den familiären Verbindungen proftiert zu haben. Der NDR weist entschieden zurück, dass familiäre Nähe eine Rolle bei Besetzungen spiele. So war es auch, als Rossbach Dieter Petereit als Musikberater der Regionalwelle Niedersachsen verpflichtete. Weil er Rossbachs Ehemann ist, machte er diese Arbeit quasi ehrenamtlich für 50.000 Euro im Jahr – und entlastete so den Musik-Chef Henry Gross, der ebenfalls für diese Aufgabe bezahlt wurde.

Die Hunde-Seherin landete seinerzeit vor dem internen „Redaktionsausschuss“ des NDR. Dort wies Rossbach die Vorwürfe an dem Beitrag zurück. Zum einen habe sie ihn persönlich abgenommen. Zum anderen ginge es darin nicht um redaktionellen Aufklärungswillen, sondern nur darum, eine Person zu zeigen, die sich mit Hunden beschäftige. Ist doch egal, was im NDR läuft, war seinerzeit scheinbar eine tragfähige Strategie, um Beiträge zu verteidigen, die von Zuschauern als Mist erkannt und benannt wurden.

Doch dank der Berichterstattung privater Medien hat das Treiben in öffentlich-rechtlichen Sendern mittlerweile Konsequenzen. So haben Polizei und Staatsanwaltschaft am Samstag die Chef-Etage des RBB untersucht. Sie gingen dem Vorwurf der Vorteilnahme nach, wegen dem gegen die ehemalige Intendantin Patricia Schlesinger (61) ermittelt wird. Drei Kisten mit Papieren seien beschlagnahmt worden. Sie würden nun ausgewertet.

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Als der Skandal um Schlesinger aufkam, versprachen die Verantwortlichen der ARD, sich aktiv an der Aufklärung zu beteiligen. So erklärte unter anderem der kommissarische ARD-Vorsitzende Tom Buhrow, der Sender wolle sich selbst journalistisch der Aufgabe widmen, Fehler aufzudecken. Doch die ARD berichtet erst über Skandale, wenn es die privaten Medien bereits getan haben – und dann auch nicht mehr, als die ohnehin schon aufgedeckt haben. Presse-Anfragen dieser Medien blockt der RBB ab. Polizei und Staatsanwaltschaft haben offensichtlich ebenfalls die Geduld verloren. Ursprünglich hatte der Sender angekündigt, die Unterlagen freiwillig herauszugeben. Die Razzia zeigt, dass die Verantwortlichen dem wohl nicht nachgekommen sind.

Nicht ganz so hart wie Schlesinger trifft es Detlef Flintz. Der grüne Journalist und WDR-Funktionär hatte sich in einem Tagesthemen-Kommentar über steigende Energiepreise und sinkenden Lebensstandard gefreut, ohne auf seine Parteinähe zu verweisen. Der WDR will ihn nun einschränken, wie der Sender der Nachrichtenagentur DPA mitteilte: „Im Wissen um das kommunalpolitische Engagement des Kollegen orientieren wir uns künftig auch in seinem Fall an unserem Verhaltenskodex. Im Ergebnis werden wir ihn nicht mehr für Meinungsbeiträge zu Themen vorschlagen, bei denen der Eindruck der Voreingenommenheit entstehen könnte.“ Damit blieben ihm in den Tagesthemen die Kommentare zum Sport.

Apropos großes Tennis. Auch aus der Politik kommen jetzt Vorschläge zu nötigen Reformen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Allerdings nur vom bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU): Der will die Rundfunkgebühren einfrieren – um zusätzliche Belastungen der Bürger angesichts der Inflation zu vermeiden. Im Detail sieht das so aus, dass es Söder jetzt erst einmal gefordert hat, ganz allgemein, eine Schlagzeile damit hatte – und es damit dann auch vergessen haben dürfte.

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