Tichys Einblick
Erdogans Willkür – wie erpressbar ist Europa?

Maybrit Illner brisant: „Aus Sicherheitsgründen haben wir dieses Interview aufgezeichnet“

Die trauen sich was beim ZDF. Trotz Erdogan und Osmanen-Rockern ein Interview mit Deniz Yücel. Und danach noch Claudia Roth. Ein schwarzer Tag für die Türkei.

Screenshot ZDF

Wer etwas spät eingeschaltet hat, vielleicht in dem Augenblick, in dem sich Maybrit Illner ihrer kuscheligen kleinen Runde näherte, und vom Vorhergehenden nur noch die dramatische Einblendung „Aus Sicherheitsgründen haben wir dieses Interview aufgezeichnet“, mitbekommen hat, der mag gedacht haben, vorher sei wirklich Bedeutendes gelaufen. Ein Exklusiv-Interview mit Edward Snowden (z.Zt. Moskau) Julian Assange (z.Zt. Botschaft von Ecuador, London) oder mit Sergei Wiktorowitsch Skripal (z.Zt. irgendwo beim MI 5 oder MI 6). Dabei gab‘s zuvor lediglich ein Interview mit Deniz Yüzel. (Neben dem dramaturgischen Effekt bleibt doch die Frage: Zahlen „wir“ da jetzt Personenschutz? Nur Illner stellte die Frage natürlich nicht.)

Sicher kennen Sie den! Genau, der, den Sigmar Gabriel durch sein forsches Auftreten und völlig ohne Gegenleistung aus türkischem Gewahrsam befreite, der dann von der Bundesregierung ausgeflogen wurde und seither als Held der deutschen Pressefreiheit gefeiert wird. Richtig, das ist der, der geschrieben hat „Der baldige Abgang der Deutschen ist Völkersterben von seiner schönsten Seite. Mit den Deutschen gehen nur Dinge verloren, die keiner vermissen wird.“ Aber das war ironisch gemeint, behaupten Schriftgelehrte.

Wir waren ja mit dem Thema „Erdogans Willkür – wie erpressbar ist Europa?“ und dem Hysterie-Stargast Claudia Roth vor die Mattscheibe gelockt worden und von daher eigentlich nicht in melodramatischer Stimmung. Aber unsere Chronistenpflicht darf natürlich nicht unter Empfindlichkeiten leiden. Der „besondere Gast“ musste sich zunächst einige Momente sammeln, nachdem er den Einspieler mit all den „Free Deniz“-Aktivisten gesehen hatte, versprach, mit den Tränen kämpfend, allen ein Dankschreiben zukommen zu lassen, und berichtete sodann aus seinem Jahr in Isolation auf 12 Quadratmetern. Hier stärkten nicht nur Freunde den Mut, sondern auch das Aufschreiben seiner Gedanken, das in Ermangelung von Schreibutensilien mit roter Sauce und den Weißräumen des Buches „Der kleine Prinz“ bewerkstelligt werden musste. Das hatte schon was von „Papillon“ oder dem „Graf von Monte Cristo“.

Etwas besser als den Helden jener Romane ging es Yücel dann doch, seine Freundin besuchte ihn wöchentlich, und schließlich konnte er sie im Gefängnis sogar heiraten. Jetzt wissen wir nicht, wie intensiv sie Yücels Leidensgeschichte in den einschlägigen Medien verfolgt haben. Ob Ihnen bekannt war, dass sich Yücel selbst der Polizei „stellte“, obwohl die monatelang keinerlei Versuche unternommen hatte, ihn an seiner Meldeadresse festzunehmen. Dass er das Gefängnis früher hätte verlassen können, wenn er sofort „geräuschlos die Türkei verließe“.

Gelernt habe er im Knast, dass er „kein so einfacher Charakter“ sei und dass „diese Gesellschaft kritischen Journalismus braucht.“ Womit er aber wohl schon unsere bundesrepublikanische Gesellschaft meinte. Dann hat er erkannt „Journalismus ist dazu da, die Mächtigen zu kritisieren“, womit er allerdings eher die Türkei gemeint haben dürfte, denn bei uns ist der ja nicht dazu da. Im Gegenteil! Yücel, angesprochen auf mögliche „schmutzige Deals“ für seine Freilassung, sagte allen Ernstes, er „wüsste nicht, warum ich Sigmar Gabriel nicht glauben soll“. Nun hat er ja zwei Pässe, und kann sich seine Politiker aussuchen. Hier die grundehrlichen Siggis und Heikos, dort Erdolf und Co., die „hauptberuflich alle Gangster sind“.

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Mit seinem Hinweis, „deutsche Unternehmen hätten Anzeigen in der Türkei schalten sollen“ für seine und anderer Freilassung, wollen wir zur Runde umschalten, in der Claudia Roth die Handlungsanweisung für die Deutsche Industrie begeistert und dankbar aufgriff. Aber zuvor wollte sie sich doch „ganz, ganz herzlich für das Interview bedanken“, das „ermutigt Solidarität“, irgendwas mit „ganz, ganz viele Leute“, „denn Vergessen tötet.“ Und dann zählte sie ganz, ganz viele Namen von Inhaftierten auf, das war „total wichtig“. Wer sich nun fragt, warum die Vizepräsidentin des deutschen Bundestages bei Illner saß, dem sei erklärt, „ich rede für die vielen, vielen Menschen, die Menschen helfen.“ Außerdem hatte sie mal ein Sommerhäuschen in der Türkei (denn vielen, vielen Menschen helfen, kann ganz ganz schön lukrativ sein) und sie kann total toll türkisch kochen. Und überhaupt. Wir haben das Kirchentagssprech von Fräulein Roth vorgezogen, deshalb hatten wir ja auch eingeschaltet. Ansonsten schaute sie meist bös auf Norbert Röttgen, der anscheinend mit den Talkshowbetreibern einen Pauschalpreis (All you can Talk) ausgehandelt hat.

Wobei die bösen Blicke eher in Roths Natur liegen müssen, denn Norbert war mit allem Claudias Meinung. Dass die BRD Erdogan keine Waffen liefern dürfte, solange der Krieg in Syrien und im eigenen Land führte, dass man vielleicht wirtschaftlich Druck ausüben müsse. Norbert will sich sogar wie angeblich Putin bei uns in die inneren Angelegenheiten der Türkei einmischen und den Türken sagen: Wenn ihr Erdogan wählt, wird es euch in Zukunft wirtschaftlich schlecht gehen.

Eine aparte Özlem Topcu, die bei der antirassistischen „Zeit“ schreibt, erklärte, dass Erdogan die bisherigen Wahlen nicht allein wegen seines Glaubens, sondern vor allem deswegen gewonnen habe, weil es den Leuten unter ihm netto besser gegangen sei. Inzwischen aber habe jeder drei, vier Kreditkarten, die alle getillt seien, daher lieber jetzt wählen, als wenn das Inkasso kommt. Zudem, und das erinnert doch ein wenig an die Autobahnen unserer dunklen Jahre, habe Erdogan Straßen, Häuser und Flughäfen gebaut, was ihm hoch angerechnet würde.

Illner ärgerte Norbert dann noch ein wenig mit der Frage: Sanktionen gegen Putin ja, gegen Erdogan nicht? Aber den Mumm, öffentlich zuzugeben, dass wir sanktionieren, wen Washington befiehlt, hatte der dann doch nicht.

Pflichtschuldig wurde dann über türkische Wahlkämpfer in Deutschland gesprochen, den Claudia und Özlem stoisch hinnehmen wollen. Claudia will denen „unsere starke Demokratie“ zeigen, in der jemand wie sie sogar Bundesvizedingens werden konnte. „Das halten wir aus“, sagte sie so leicht dahin … Und wir?