Tichys Einblick
"Zwischen Wilders und Erdogan: Europa in der Populistenfalle?"

Maischberger: War da was? Zapp, zapp.

Was hatten nun die Zuschauer von der Runde bei Maischberger? Was ist das Fazit des Abends? Erdogan hat Wilders nicht geholfen, weil Rutte im Schlusssprint den Wilders gab. Aber das wussten wir schon vor der Sendung. Den Zapp-Faktor misst niemand.

Snapshot ARD

Eine Talk-Sendung, die sich mit Wahlen beschäftigt, während Medien noch Exit Polls und Hochrechnungen munter verwechseln, ist immer ein Wagnis. Sandra Maischberger versucht trotzdem im Fahrwasser der Wahlen in den Niederlanden zu bestehen. Es gelingt ganz gut – weil ihre Talk-Teilnehmer sich so darstellen, wie sie sind. Das Thema: „Zwischen Wilders und Erdogan: Europa in der Populistenfalle?“

Das will auf merkwürdige Weise provozieren. Denn Wilders hin oder her: Erdogan hatte jüngst die Niederländer insgesamt zu Nachfahren von Nationalsozialisten gemacht. Dabei hatten nur wenige Länder in Europa länger unter der nationalsozialistischen Besatzung zu leiden. Da ist es doch völlig unerheblich, ob der Vorsitzende der niederländischen Partei für die Freiheit, Geert Wilders, das politische Europa nun spaltet oder nicht: Neben Marine Le Pen in Frankreich und Frauke Petry in Deutschland gilt er dem niederländischen Establishment wahlweise als Feind der Demokratie oder, wie der amtierende Ministerpräsident Mark Rutte im Falle eines Wahlsieges Wilders düster orakelte: Dann „würde der Rest der Welt (…) erleben, dass die falsche Art von Populismus abermals den Sieg davongetragen hätte“.

Nun weiß man seit ungefähr 21 Uhr, dass Wilders weit hinter seinen eigenen Erwartungen zurückgeblieben ist. Übrigens auch hinter den Erwartungen seiner Widersacher bezogen auf Wilders: Ängste schüren gehört nämlich ebenfalls zum Konzept der Etablierten. Angst auf beiden Seiten: Der Angst vor Überfremdung wird fast automatisch eine diffuse Angst vor „Faschismus“ entgegengesetzt. Für Deutschland gilt ebenfalls: Im ängstlichen Zweifeln geht auch der „Moffe“ auf Nummer sicher und wählt Merkel & Schulz. Dass der „Verlierer“ zulegt und der „Sieger“ verliert – wen stört das noch?

Wenn nun im deutschen Fernsehen „Rechtspopulismus“ in Europa verhandelt wird, dann müsste da doch zwingend ein Vertreter der AfD in der Runde sitzen. Zwingend, wenn man Wilders oder Le Pen nicht an den Tisch bekommt, weil die Besseres zu tun haben, als sich im deutschen Fernsehen – sagen wir es mal freundlich – zu präsentieren. Ja, da hat es ein türkischer Sportminister einfacher: der kommt zu Anne Will, bekommt der Einfachheit halber einen Peter Altmaier als Bückling vorgesetzt und drillt den Chef des Kanzleramtes dann auch nach Belieben am tief sitzenden Räucherhaken.

Aber was macht Sandra Maischberger? Geladen sind die denkbar Unerträglichen – doch, doch, wir wissen hier bei TE, wovon wir sprechen, haben wir doch jede dieser Sendungen reflektiert – geladen wurden also tatsächlich Ursula von der Leyen und Christian Lindner. So etwas muss die meisten Zuschauer empören. Aber die öffentlich-rechtliche Strategie ist im Wahljahr eine andere. Man will wohl ausbügeln, dass es bisher in solchen Sendungen nicht gelungen ist, die Vertreter der AfD in die Schranken zu verweisen. Nein, gerade bei Maischberger wurden kreischende und fauchende Furien wie Augstein und Stegner zu den wirkungsvollsten Wahlhelfern der Petry-Partei.

Die weiteren Gäste sind Necla Kelek, sie ist eine deutsche Soziologin und Publizistin mit tscherkessischer Herkunft. Die Fahrkarte zu Maischberger bekam sie auch mit solchen Sätzen: „Hier leben zu wollen und für einen Präsidenten aus dem Herkunftsland zu sein, sogar für die Türkei sterben zu wollen, das zerreisst uns! So kommen wir nie zur Ruhe und nicht als Bürger dieses Landes an.“

Außerdem der niederländische TV-Journalist und engagierte Kriegreporter Jeroen Akkermans und Sylke Tempel, Journalistin und Chefredakteurin „Internationale Politik“, die gerade erst gegenüber Deutschlandradiokultur erklärte, der Verfassungspatriotismus eines Jürgen Habermas bezeichne im Grunde genommen eine Idee, dass wir hier eine politische Ordnung haben, „die es ermöglicht, Leuten Zugang zu verschaffen und sie als gleichberechtigt anzuerkennen, die nicht aus den gleichen germanischen Tümpeln erwachsen sind wie der so genannte Bio-Deutsche“.

Für Tempel sind deshalb politische Strömungen wie die der Partei von Wilders „eigentlich eine Kriegserklärung an diese Art von Universalismus, die ja eigentlich auch so eine Kriegserklärung ist an komplexe Dinge, an Abstraktion“.

OK, das ist die Vorgeschichte zu dieser Sendung. Im Vorfeld also kein weiterer Gedanke an diesen aufgedrehten gelben Wahlkampfhusaren Christian Lindner und die Betonfrisur bewaffnete Heerführerin aus dem Verteidigungsministerium. Schwer den Schalter umzulegen vom Achtelfinale der Champions League, zwischen Atlético Madrid und Bayer Leverkusen. Vom ZDF hinüber zur ARD. Oder, wenn man Fußball nicht mag, weg von Kabel 1, weg von Training Day, diesem genial düsteren Thriller mit Denzel Washington und Ethan Hawke.

Nun also Lindner und von der Leyen. Nein, kein Thriller, wohl eher ein Ammenmärchen mit ewig grüßenden Murmeltieren. Nun denn, ihr lieben Masochisten, bitte wieder mit Streichhölzern die Augenlider festgesteckt und Vorhang auf:

Sandra Maischberger meint zur Eröffnung, diese Wahl könnte zeigen, wie man in Europa mit „Populisten“ umgeht. Sie selbst demonstriert es übrigens gerade passend mit der Zusammensetzung ihrer Sendung.

Von der Leyen will beobachtet haben, dass die Menschen dank Brexit und Trump nun wohl verstanden haben, was man bekommt, wenn man die „Populisten“ wählt. Mutti, die Zweite. Lindner findet es ein gutes Signal für Europa. Rutte sei insofern Vorbild, dass auch wir in Deutschland keinen Zentimeter auf die „Populisten“ zugehen dürften. Da muss er mit dem Besen wohl erstmal in seiner eigenen Partei kehren. Er hat dabei wohl vergessen, dass nicht wenige enttäuschte FDPler damals die Seiten gewechselt hatten, als politische Karrieren in der neuen Partei lockten.

Maischberger zeigt Wilders im Einspieler. Er sei für die Schließung aller Moscheen und islamischen Schulen. Das soll nun dem Zuschauer den „Extremisten“ zeigen, dabei ist genau diese Sorge aktuell auch in Deutschland Teil der Debatte. Jeroen Akkermans betont, dass Wilders auch seine Aufgabe hatte. Selbst die Linken hätten Wilders Themen übernommen, Themen, die bisher auch in den Niederlanden vernachlässigt wurden.

Necla Kelek möchte Reformen für den Islam. Sie möchte, dass Muslime endlich als Bürger anerkannt werden. Sie sei Humanistin und Frauenrechtlerin. Der Islam würde Europa herausfordern. Der Koran muss von Theologen endlich reformiert werden.

Eine Migrantenpartei zieht mit drei Sitzen in die niederländische Kammer, erzählt Maischberger. Haluk Yildriz ist Vorsitzender der ersten von Muslimen gegründeten Partei Deutschlands. Für ihn ist klar, auch in Deutschland wird es Zeit für Stimmen von Migranten in den Parlamenten. Er ist seit 1997 deutscher Staatsbürger. Erdogans Nazi-Vorwürfe sind für ihn schwierig. Aber er findet auch die Bilder schwierig rund um die Demonstrationen, als man türkischen Ministern in den Niederlanden das Reden untersagt hatte.

Nicht nur Rutte in Holland, auch Erdogan läuft Wilders bei Maischberger den Rang ab. Wilders ist kein Thema mehr nach schon fünfzehn Minuten. Von der Leyen stimmt Frau Tempel zu, die zuvor klarstellte, dass wir auf unsere Werte bestehen müssen gegenüber Erdogan. Eine Einreiseverweigerung für Erdogan sei aber ein sehr, sehr scharfes Schwert. Und wie sie diese „sehr“ betont, da möchte man schon mal den Ton runterdrehen. „Wir dürfen dabei aber nicht die Sprachpolizei sein“, sagt dann ausgerechnet eine Kabinettskollegin unseres obersten Sprachpolizisten Heiko Maas. Na der wird sich verschluckt haben beim Zuschauen.

Lindner ist dran. Erdogan sei Islamist. Erdogan will mit der Freiheit die Freiheit bekämpfen. Die wehrhafte Demokratie setzt der Meinungsfreiheit Grenzen. Er erinnert an Deniz Yücel, den deutschen Journalisten. Der aber ist als türkischer Journalist inhaftiert. Macht Lindner Wahlkampf bei Maischberger, indem er den Wahlkampf Erdogans in Deutschland kritisiert? Glaubwürdigkeit geht jedenfalls irgendwie anders. Aber wie?

Sylke Tempel möchte die Parteien in der Türkei fördern, die gegen das Referendum sind. Oder wird sie hier missverstanden? Sie erinnert an den Gezi-Park, wo Erdogan auf Demonstranten einprügeln ließ. Ausgerechnet der Erdogan, der sich heute aufregt, wenn in den Niederlanden Polizei Demonstranten härter anfasst, die Steine auf Polizisten werfen.

Erdogan behandelt Deutschland, als sei es ein Teil der Türkei, Wo Türken leben ist Türkei, so denke Erdogan, klärt uns Frau Kelek auf. Und dann setzt sie noch einen drauf: Erdogan sei der alte Osmane, der in Deutschland AKP-Propaganda macht.

„Schande über Dich Merkel, Du unterstützt Terroristen“, sagte Erdogan, liest Sandra Maischberger vom Zettel ab. Haluk Yildriz rechtfertigt das, indem er an die Armenien-Resolution erinnert. Das deutsche Parlament hätte damit alle Türken zu Nachfahren von Mördern gemacht. Kommt einem bekannt vor. Irgendwie dreht sich da alles im Kreis, wenn Erdogan nun die Deutschen alle zu Nazis macht. Aber macht er doch gar nicht, sagt Yildriz. Erdogan hätte nur die Nazi-Methoden angeprangert. Aber macht es das besser? Wir würden uns Nazi-Methoden bedienen, sei nun Handschlag-fähig? Nein, das ist allenfalls satisfaktionsfähig. Der Grad einer Beleidigung kann mit dem Beleidigten nicht wie auf dem Basar verhandelt werden.

Dieser Haluk Yildriz scheint die gleiche Ausbildung genossen zu haben, wie der türkische Sportminister bei Anne Will. Welche kann das sein? Ach ja, beide wurden maßgeblich in Deutschland sozialisiert. Irgendwas muss da schief gelaufen sein. Oder doch richtig gelaufen? Richtig oder falsch. Demokratie ist schwer, aber schön, wenn man sich austauschen kann, findet nun Frau von der Leyen. Himmel, lass bitte die Zeit vergehen.

„Es ist unverschämt, dass sie mir unterstellen, ich vertrete nicht die deutschen Interessen“, sagt von der Leyen empört zu Lindner. Der wiederum kommt dadurch erst auf Betriebstemperatur. So geht Wahlkampf, denkt man, das immerhin muss man Lindner lassen. Die SPD musste dafür extra einen Schulz aus Brüssel holen, um mal gegen CDU-Regierungsmitglieder aus der gemeinsamen GroKo zu poltern.

Frau Kelek bezweifelt nicht die Zahlen von Haluk Yildriz, bezweifelt nicht, das 70 Prozent der Wahlberechtigten Türken in Deutschland für Erdogan sind. Aber sie glaubt, das liegt einzig daran, das Erdogan schon so oft hier war. Und sie erinnert noch einmal, die allermeisten Frauen der AKP-Sympathisanten Kopftuch müssten tragen, von wollen könne nicht die Rede sein.

Maischberger spricht die doppelte Staatsbürgerschaft an, erinnert daran, dass die CDU beschlossen hatte gegen den Willen der Kanzlerin, die doppelte Staatsbürgerschaft wieder abzuschaffen.

Herr Röttgen und Herr Spahn sind heute die prominenten Vertreter dieser Umkehr. Frau von der Leyen möchte aber bitte doch noch an der Doppelei festhalten. Sie möchte es, wenn, dann doch erst ab der zweiten oder dritten Generation entscheiden lassen. Zwei der Kinder von Frau von der Leyen hätten auch eine doppelte Staatsbürgerschaft, nämlich die amerikanische, erzählt die Ministerin stolz. Damit gäbe es doch auch keine Probleme.

Noch nicht, noch nicht, Frau von der Leyen. Aber wenn ihresgleichen weiter so scharf mit dem neuen amerikanischen Präsidenten ins Gericht gehen, dann könnte es eines werden. Möglicherweise werden ihre Kinder dann aufgefordert, sich zu entscheiden. Sich zu entscheiden, ob sie Deutsche sein wollen oder US-Amerikaner mit allen Rechten und Pflichten.

Zum Abschluss eine schnelle Schalte zu den aktuellen Zahlen in den Niederlanden. Nein, noch nichts Neues ausgezählt. Die hohe Wahlbeteiligung jedenfalls hat nicht für Wilders eingezahlt, erklärt Markus Preiß, der ARD-Leiter des Büros in Brüssel. Aber erst in Frankreich wäre das Finale und in Deutschland dann nur noch das Spiel um Platz drei. Ah ja.

Finale der Sendung: Maischberger erinnert noch einmal an den EU-Türkei-Deal mit Angela Merkel als Federführende. Claudia Roth möchte den Flüchtlingsdeal aufkündigen. Aber was dann? Wird Europa Lösungen für Flüchtlinge finden? Es wäre nicht klug den Deal aufzukündigen, erklärt Frau von der Leyen. Erdogan würde auch viel Geld verlieren, erinnert sie.

Ministerin von der Leyen scheint die gleiche Teflon-Weste wie Hillary Clinton zu tragen. Man kann nur hoffen, dass ihre Pläne für die Zukunft auf ein noch höheres Amt ähnlich enden. Oberlehrerinnenhaft nicht nur zu Christian Lindner, der hat es sicher am ehesten verdient, sondern zu jedem einzelnen Zuschauer vor den Bildschirmen.

Und was hatten die nun davon? Was ist das Fazit des Abends? Erdogan hat Wilders nicht geholfen, weil Rutte im Schlusssprint den Wilders gab. Aber das wussten wir schon vor der Sendung. Der niederländische Journalist war auf der falschen Party, Frau Petry wird bis zu den Wahlen wohl nicht mehr eingeladen, nur Christian Lindner darf in solchen Sendungen weiter Stimmen sammeln, wenn er hier den Rutte gibt und die Themen der so genannten „Populisten“ abgräbt. Ein Machtpolitiker wie Frau von der Leyen. Dann ist der Spuk endlich vorbei. Der in den Niederlanden allerdings noch lange nicht. Welcher da gemeint ist, bleibt dann aber eine Frage des persönlichen Standpunktes. Rutte wendet sich in seinen Statements übrigens durchgehend gegen einen „falschen Populismus“. Gibt es einen „richtigen“? Den bestimmen die selbsternannten Guten? Komisch, dass da niemand einhakt, die Frage niemand stellt. Oder doch nicht – für „Moffen“?