Tichys Einblick
Von Merkel bis Nouripour

Bei lllner: 2015 2.0 – Sind die Grünen die neue AfD?

Der Grüne Omid Nouripour bezeichnete es als „Common Sense“: Grenzkontrollen und Registrierung an der europäischen Außengrenze, das sei total selbstverständlich. Genauso die Eindämmung von illegaler Einwanderung. Wie könnte Deutschland dastehen, wenn Grüne diese Erkenntnis schon 2015 gehabt hätten?

Screenprint ZDF / Maybrit Illner

Das Thema der Illner-Sendung am Donnerstagabend dieser Woche dürfte in jedem Leser jetzt eine gewisse Nostalgie auslösen: „Zu viele Flüchtlinge, zu wenig Geld – Flüchtlingsfrage ungelöst“. Mit dabei im Studio: der Parteivorsitzende der Grünen Omid Nouripour, der niedersächsische SPD-Ministerpräsident Stephan Weil, der CSU-EU-Abgeordnete Manfred Weber, die Fluchtforscherin Birgit Glorius, Zeit-Journalistin Mariam Lau und der stellvertretende Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Heiko Teggatz. Es geht also wieder um eine „Flüchtlingskrise”. „Wieder“ deshalb, weil die letzte 2015 unser Land und vor allem den politischen Diskurs so fundamental verändert hat, dass die meisten von Ihnen wohl nun nicht hier bei TE wären, wenn es sie nicht gegeben hätte. Ich weiß zumindest, dass ich sonst jetzt nicht hier wäre.

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Im Sommer 2015 war ich vierzehn Jahre alt, fast noch ein Kind. Mit Tagespolitik hatte ich nicht viel am Hut – bis sie in mein Leben trat. Da war der erste syrische Flüchtling, den wir in unsere Klasse bekamen. Unsere Lehrerin stellte ihn uns als 17-Jährigen vor, nur damit er sich fünf Minuten später selbst als 18 Jahre alt bezeichnete. Vom Bartwuchs her hätte er auch 25 gewesen sein. Obwohl ich das kritisch sah, hatte ich persönlich nichts gegen ihn, denn er war immer höflich zu mir. Dann kam ein Flüchtlingsmädchen in unsere Klasse, auch aus Syrien. Sie trug ihr Kopftuch immer auffällig mit Schleifen, putzte sich auch sonst viel raus. Sie sagte mir, dass sie Lehrerin in Syrien werden wollte. Nach wenigen Monaten kam sie nicht mehr zur Schule – sie hatte geheiratet. Dann kam ein drittes syrisches Mädchen in meine Klasse. Sie trug ihr Kopftuch immer schlicht und hatte legere Kleidung an. Sie liebte Amerika, hatte Sympathien für Donald Trump und konnte bereits perfektes Englisch, als sie zu uns kam. Auch sie wollte Lehrerin in Syrien werden – im Gegenteil zu ihrer Vorgängerin könnte sich bei ihr dieser Traum tatsächlich erfüllen.

Sie lernte Deutsch wahnsinnig schnell, was wahrscheinlich dem Extra-Deutschunterricht zu verdanken war, den sie mehrmals in der Woche früh morgens um sieben hatte. Sie war in der Lage, den gesamten Stoff aufzuholen, und schloss ihr Abitur mit 3,2 ab. Im Klassenzimmer hatte ich drei vollkommen unterschiedliche Einblicke in das Thema, auf eine Weise sympathisierte ich mit allen dreien. Auf der Straße war das etwas anderes. Denn während ich in der westlichen Kultur damals noch als Mädchen galt, war ich für die Truppen von jungen syrischen Männern, die an der Fußgängerpassage herumliefen, eine Frau – eine Frau, die es wagte, im Sommer kurze Sachen zu tragen. Einmal wurde ich dafür fast bespuckt, zum Glück aber verfehlt. In der Zeitung häuften sich damals die Meldungen von vergewaltigten und ermordeten Frauen.

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Das sind meine Erinnerungen an die „Flüchtlingskrise”. Ich würde von mir selbst behaupten, dass ich durch diese Erlebnisse die Möglichkeit hatte, mir eine sehr differenzierte Meinung dazu zu bilden. Trotzdem wurde ich bereits für die Forderung: „Wir sollten schon wissen, wer über unsere Grenzen kommt“, im Politikunterricht scharf kritisiert. Sagte man so etwas öffentlich, wurde man in den Medien als AfDler beschimpft. Doch nun, am vergangenen Donnerstagabend durfte ich bei Illner live beobachten, wie niemand anderer als Omid Nouripour genau das als „Common Sense“ bezeichnete. Grenzkontrollen und Registrierung an der europäischen Außengrenze, das ist, so Nouripour, total selbstverständlich. Genauso die Eindämmung von illegaler Einwanderung. „Wir (und damit meint er die Grünen) wollen Humanität und Ordnung“, stellt er klar. Was für eine Überraschung. Wie könnte Deutschland nun dastehen, wenn wir diese Erkenntnis schon 2015 gehabt hätten?

Es gab aber sogar noch mehr Überraschungen. „Bessere Situation ist: Wir haben jetzt einen eklatanten Arbeitskräftemangel“, so erklärt Stephan Weil und vergleicht dabei die heutige Situation mit der von 2015. Das würde die Integration in den Arbeitsmarkt einfacher machen, erwartet er. Nein, ist das nicht interessant? Dabei kann ich mich noch genau erinnern, wie mein Politiklehrer uns damals erklärte, dass die Flüchtlinge deshalb wichtig für Deutschland sind, weil wir einen – wie hieß das nochmal? – Fachkräftemangel hatten. Und vielleicht erinnern Sie sich noch daran, dass er damit einfach nur die Parolen von Merkel nachplapperte.

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Aber keine Sorge, es gab auch Dinge, die einfach beim Alten geblieben sind. Von Politikern vertreten waren ja nun die drei alten Parteien: CDU (beziehungsweise CSU), SPD und die Grünen. Jeder Vertreter verhielt sich ganz genau so, wie man es stereotypisch erwarten würde. Nouripour und Weber kriegten sich in die Haare. Hauptproblem waren gar nicht unbedingt die Inhalte, sondern vielmehr die Haltung von Herrn Nouripour, dass er grundsätzlich jedem dazwischen reden kann, wenn er selbst jedoch spricht, alle Pause haben müssen. Sonst wird er nämlich richtig unangenehm. An einer Stelle fällt ihm Weber halb ins Wort, um ein Gegenargument vorzubringen – das soll ja in Diskussionen durchaus auch mal vorkommen –, da faucht ihn Nouripour einfach nur in scharfem Ton wiederholt mit „Herr Weber!“ an. Schade, dass Illner darauf nicht reagiert hat. Ich hätte von dem Grünenchef schon gerne mal eine Antwort auf die Frage, was er denn als Unbeteiligter zum Thema Manieren sagt.

Auch mehr als typisch ist die Reaktion des CSU-Mannes. Der lässt sich von der Nouripour-Dampfwalze einfach überrollen. Keine Durchsetzungskraft, keine schlagfertige Antwort, kein bisschen Durchgreifen. Kein Wunder, dass die CDU diese Legislaturperiode auf der Oppositionsbank ausharren muss. Wie es zu dem letzten Bundestagswahlergebnis kommen konnte und vor allem dazu, dass ausgerechnet der schon totgesagte Olaf Scholz Kanzler werden konnte, war an diesem Abend übrigens auch live und in Farbe noch einmal mitzuerleben. Denn wie heißt es so schön? Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Während Nouripour wirkte wie das hyperaktive Kind im Buddelkasten, das den anderen Kindern die Schaufel über den Schädel zieht, und Weber wie das kleine Muttersöhnchen, das sich das alles gefallen lässt, sah dazwischen Stephan Weil zum ersten Mal wie ein Staatsmann aus. Naja, was soll man sagen? 2015 war ja auch nicht viel anders.

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