Tichys Einblick
Davor 53 Minuten Talkshow-Geplänkel

Kurt Krömer bei Maischberger: „Ich werde Witze über Depressionen machen“

Der Komiker und Moderator Kurt Krömer spricht bei Sandra Maischberger über seine Depression. Das Gespräch ist hoch interessant – und wirft nebenbei einen interessanten Blick auf die ARD.

Screenprint: ARD/maischberger

Nach 53 Minuten ist eine öde und überflüssige Folge von „Maischberger“ vorbei und beginnt eine komplett neue, hoch interessante Ausgabe: Sandra Maischberger hat Alexander Bojcan zu Gast, der besser bekannt ist als Kurt Krömer. Maischberger ist mit Krömer befreundet. Auch deswegen startet nun ein intimes Gespräch, das über die individuelle Situation Krömers hinaus einiges über die Krankheit Depression vermittelt – allerdings auch über die Situation der ARD.

Krömer sei heute immer noch nicht geheilt, sagt er. Er vergleicht seine Situation mit der eines Patienten, der einen Gips bekommen habe. Mit diesem Gips starte die Heilung lediglich. Er habe sich überwinden müssen, seine Krankheit zum Thema zu machen, glaube aber, dass er anderen helfen könne. Zum ersten Mal hat er die Depression in einem Talk mit dem Kabarettisten Torsten Sträter angesprochen, der Schirmherr der Deutschen Depressionsliga ist. Krömer will weiter mit der Krankheit offensiv umgehen, etwa in seinem anstehenden Bühnenprogramm: „Ich werde Witze über Depressionen machen.“

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Im vergangenen Jahr war Krömer nach eigenen Angaben für acht Wochen in einer klinischen Therapie. Davor hatte er mit einer Therapeutin nach den Gründen für seine Probleme gesucht. Unter anderem litt Krömer an Alkoholsucht. Als er diese überwunden hatte, habe sich die Depression stärker durchgesetzt, sodass er wieder getrunken habe, um die Depression zu unterdrücken. Immer wieder habe es Tage gegeben, an dem er Einfachstes nicht erledigen konnte: etwa im Supermarkt einkaufen. Für den alleinerziehenden Vater von insgesamt vier Kindern ein besonders schweres Problem. Kurz vor seiner Ankunft in der Klinik habe es Tage gegeben, erzählt Krömer, an denen er gar nicht mehr aus dem Bett gekommen sei.

Die Therapie war laut Krömer eine Reise zurück in die Zeit. Als der Therapeut dann dem heute 47-Jährigen bescheinigt habe, dass ihn die Therapie schon seit 30 Jahren begleite, da habe er den Therapeuten aufgefordert, aufzuhören damit – nicht weiter in die Zeit zurück zu reisen. Er habe gar nicht mehr wissen wollen, ob er schon bei der Geburt depressiv gewesen sei. Während der Therapie habe Krömer sich zudem gesorgt, dass die Ärzte ihm seine „Meise“ nähmen und er dann nicht mehr als Künstler arbeiten könne. Anders zu ticken habe Bojcan zu dem gemacht, was Krömer war.

Ist dem so? Krömer war und ist selbst Gastgeber von Talkshows. Er ist für seine Härte bekannt. Positiv ausgedrückt. Andere haben es als übergriffig empfunden. Heute räumt Krömer selbst ein, dass es zwischen seiner Krankheit und der Art seiner Arbeit einen Zusammenhang gab. Aber warum war das okay? Weil es die richtigen getroffen hat. Matthias Matussek, Frauke Petry oder Boris Palmer. Konservativer Kulturredakteur, AfD-Chefin und grüner Partei-Rebell. Aus Sicht der rot-grünen ARD konnten diese Feindbilder gar nicht hart genug angegangen werden. Selbst wenn es letztlich manisch war.

Krömer hat in früheren Interviews gesagt, er könne sich nicht vorstellen, Sendungen für private Fernsehsender zu machen. Der Druck sei zu groß, man müsse sich etwa um die Werbekunden kümmern, schob er als Argumente vor. Letztlich waren Krömers Sendungen aber nur im öffentlich-rechtlichen Fernsehen denkbar. Weil die Quote als Korrektiv keine Rolle spielt. Weil die Qualität als Korrektiv keine Rolle spielt, solange es nur gegen die Richtigen geht. Also gegen die Falschen. Gegen grüne Feindbilder wie Matussek, Petry oder Palmer.

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So wie früher wolle Krömer nicht mehr auftreten. Er wolle seinen Stil nicht ändern, nur lade er sich nicht mehr solche … ein. Die Gäste, die er früher angegangen ist, bezeichnet Krömer jetzt mit einem harten Schimpfwort. Und Maischberger? Lächelt. Sie korrigiert ihren Gast nicht. Eine Beleidigung ist offensichtlich kein Ausfall in der ARD. Wenn es nur gegen die richtigen Falschen geht. Die Feindbilder. Die Matusseks, Petrys und Palmers. Da hat die ARD noch immer kein Kontrollmanagement in Sachen Qualität. Selbst nicht in einer ansonst guten Sendung wie Maischberger.

Mit Depressionen hat die Redaktion jedoch auf das richtige Thema gesetzt. Schon vor 2020 haben die Krankenkassen Jahr für Jahr gemeldet, dass das Problem zunehme. Zum einen, weil sich Kranke aus der Defensive trauen, ihre Krankheit angehen und so in der Statistik auftauchen. Zum anderen aber auch, weil der gesellschaftliche Druck zunehme und sich auswirke. Seit der Pandemie hat eben dieser Druck noch an Fahrt aufgenommen. So melden nun die Therapeutenkammern, dass der Berufsstand dem Patientenansturm nicht mehr gewachsen sei.

Vom Gesundheitsministerium ist wenig zu erwarten. Schon gar nicht, wenn es um eine Antwort auf die Frage geht, wie Lockdown und Ähnliches mit zunehmenden Depressionen zusammenhängen. Eher verschlimmert der Herr des Hauses, Karl Lauterbach (SPD), Problemlagen, indem er von „Absoluten Killervarianten“ schwadroniert und so pathologische Angstzustände befördert.

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Lauterbach irrt: Depressionen kommen sehr wohl vom Shutdown
Die Frage nach dem Zusammenhang zu Corona kommt bei Maischberger nicht auf. Mit 22 Minuten hat die Moderatorin viel zu wenig Zeit für das spannende Thema. So fehlt zum Beispiel im Studio ein Arzt oder ein Gesundheitsexperte, der den Zuschauern Ratschläge geben könnte, die selbst von Depressionen betroffen sind oder zumindest eine Erkrankung fürchten. Stattdessen muss es eine ohne Vorwarnung eingeblendete Hilfsnummer tun. Für alle, die um 0.03 Uhr etwas zu schreiben parat liegen haben.

Dass dem Thema die nötige Zeit gefehlt hat, ist auch deswegen schade, weil die Redaktion die 53 Minuten davor für Talkshow-Geplänkel der übelsten Sorte verschwendet hat. George Bush hat sich in einer Rede versprochen und Irak gesagt, als er Ukraine meinte – was bedeutet das? Sind die Sanktionen gegen Gerd Schröder ausreichend oder müssen wir uns neue ausdenken? Und was hat Olaf Scholz zur Ukraine gesagt, und wie hat er es gemeint?

Die Themen an sich sind schon durchgekaut und verzichtbar. Unerträglich wurden sie durch die Darsteller, die sie besetzten. Allen voran Ralf Stegner (SPD) und Norbert Röttgen (CDU). Ihre Parteien haben diesen Altpolitikern schon oft genug gezeigt, dass sie nicht mehr gebraucht werden. Aber bei Maischberger bekommen sie mehr Sendezeit als ein Prominenter, der Innenansichten über eine Volkskrankheit preisgibt.

Reformdebatte
Schafft die Tagesschau ab
Wobei das Journalisten-Panel nicht besser ist. Sandra Maischberger konfrontiert den SWR-Humorbürokraten Florian Schroeder mit einer despektierlichen Aussage, die er über den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor dem Kriegsausbruch gemacht hat. Die würde er heute nicht mehr wiederholen, sagt Schroeder. „Die welthistorische Situation hat keiner kommen sehen.“ Diese Situation habe sich seitdem geändert und somit die Meinung des wenig Hellsichtigen auch. Sprich: Er hat damals nur mit den Wölfen geheult, und als die Wölfe ihre Richtung gewechselt haben, hat er das halt auch getan. Der Mann muss bis zu seiner Pension beim SWR arbeiten, da wäre eine eigene Meinung nicht hilfreich.

Bliebe noch Anna Mayr von der Zeit zu erwähnen. Die rede sehr gerne über Gerd Schröder, sagt sie. Denn er ist schuld daran, dass es heute eine Grundsicherung gebe. Da die niedrig ist, könnten sich die Empfänger die steigenden Kornpreise nicht leisten. Aha. Also wären die rasant steigenden Preise kein Problem für Mittellose, wenn es für sie noch die alte Sozialhilfe statt Hartz IV gäbe? Nun ist ihr Arbeitgeber, die Zeit, gut darin, in allem und jedem Nazi-Tendenzen zu erkennen. Zuletzt im Wandern. Wirtschaftliche Zusammenhänge zu verstehen oder gar darzustellen, gehört indes nicht zu den Stärken der Zeit, und Maischberger schont die Gästin, weil eine kritische Nachfrage an der Stelle die ersten 53 Minuten der Sendung vermutlich auch nicht besser gemacht hätten.


Sollten Sie das Gefühl haben, dass Sie Hilfe benötigen, kontaktieren Sie unbedingt die Telefonseelsorge. Unter der kostenfreien Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 bekommen Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Hilfe bei den nächsten Schritten anbieten können. Hilfsangebote gibt es außerdem bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention. Im Netz gibt es – Beispielsweise bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe – auch ein Forum, in dem sich Betroffene austauschen können.

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