Tichys Einblick
"Zweihunderttausendmillionen Euro!"

Bei Illner eine Mathenachhilfestunde mit Frau „Dr.“ Giffey

Um es milde auszudrücken: Gestern war eine chaotische Runde. Mit neuen Zahlenerklärversuchen, neuen Methoden für das Finanzamt und der unsanften Erinnerung, dass Quotenfrauen unser Land regieren.

Screenprint ZDF / Maybrit Illner

Es ist wieder Freitag, und das heißt, gestern lief wieder Illner im ZDF – wie jeden Donnerstag. Und es wäre wohl kaum eine Folge dieser Talkshow und meine Rezension dazu, wenn nicht die Einleitung, die wie immer mit „Wir müssen reden …“ endet, schon genug Gesprächsbedarf für absatzweise Kommentare liefern würde. „200 Milliarden Euro – bremsen wir so die Krise aus?“, war der Titel der Sendung. Illner erscheint auf dem Bildschirm, im Hintergrund: die 200 Milliarden in Ziffern ausgeschrieben. 200.000.000.000 – ganz schön viele Nullen. Damit muss man umzugehen lernen im Zeitalter der Inflation.

Das soll wohl die Einleitung betonen, mit denen Illner ihre Sendung antönt: „Rund 200 Milliarden will die Regierung für die Krise ausgeben. Eine Mega-Summe und doch bleibt ein Zweifel, wenn alle Bürger und Unternehmen, die im Moment in echter Not sind, etwas davon bekommen, dann kann selbst so ein Betrag zu gering sein. Und wenn wirklich jeder subventionierte Energie bekommt, auch die Reichen und die Erfolgreichen, wäre das dann gerecht und bezahlbar? Wir müssen reden, Sie merken es, mit diesen Gästen.“

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Also erstmal: Ich habe Fragen. Erst spricht sie von Bürgern und Unternehmen, die in echter Not sind, die das Geld bekommen, dann bezieht sie auch noch Reiche und Erfolgreiche mit ein. Meint sie da jetzt zweimal das gleiche Szenario? Denn dann dürfte man ihre Frage so interpretieren, dass sie infrage stellt, ob es fair wäre, wenn Reiche und Erfolgreiche in Not die gleiche Hilfe erhalten wie jeder andere auch. Oder aber sie spricht von zwei unterschiedlichen Szenarien – einmal bekommen nur die Bedürftigen das Geld und einmal auch die Reichen.

Dann sollte man die Frage stellen, was sie mit erfolgreich meint. Denn was gerade die Pleitewelle in Deutschland auslöst, sind externe Faktoren – Inflation, Preissteigerung, Gas- und Energieknappheit. Die Unterstellung, dass Erfolgreiche und Reiche nicht davon betroffen sind und damit unnötig Geld bekommen, wäre damit auch die Unterstellung, dass die Unternehmen, die gerade fremdverschuldet pleite gehen, weil sie Corona und Wirtschaftskrise einfach nicht überstehen konnten, eh keine erfolgreichen Unternehmen wären.

Vielleicht seziere ich gerade einen Text, der gar nicht so stark durchdacht ist, wie ich unterstelle; vielleicht mache ich mir mehr Gedanken als der Verfasser des Textes selbst. Aber wenn ich eins gelernt habe – nach zwei Jahren Talkshow-Rezension – dann, dass man beim ÖRR immer wieder mal genauer hinhören sollte. Darauf machen die sich nämlich nicht gefasst, man kann ja im Fernsehen nicht ohne Weiteres zurückspulen. Und ich bezweifle irgendwie, dass die Mehrheit der Zuschauerschaft, die sich Zeit nimmt, regelmäßig eine Talkshow zu schauen, dies über das Internet macht wie ich. Die Website des ZDF ist nämlich genauso schlecht wie alles, was das ZDF produziert.

Zweihundertausendmillionen Euro

Nun gut, jetzt wo wir eingeschworen sind auf das, worauf diese Sendung verweisen sollte, legen wir mit dem tatsächlichen Inhalt los. Hier dürfte das Sternchen der Stunde wohl Franziska Giffey sein. Sie ist ja schließlich (noch) Regierende Bürgermeisterin von Berlin und als solche auch auf der Ministerpräsidentenkonferenz Anfang der Woche dabei gewesen. Tatsächliche Minister hatten wir die letzten Sendungen ja schon immer, aber da Giffeys Posten nach der Berliner Wahlwiederholung genauso schnell futsch sein könnte wie ihr Doktortitel – oder der Posten ihres Ehemannes, wenn wir uns mal an ganz verstaubte Zeiten zurückerinnern –, könnte das ihre letzte Möglichkeit sein, irgendwo als relevante Person aufzutreten, also lassen wir ihr doch das Rampenlicht.

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Schließlich hält ihr Ruf ja, was er verspricht. „Ich finde immer, wenn man eine Lösung schon kritisiert, bevor die Expertenkommission die überhaupt erarbeitet hat, finde ich es interessant. Ich finde auch, das ist unser Problem, bei dieser ganzen Diskussion, dass wir immer erwarten, dass die Lösung ohne auch nur ein paar Tage des Überarbeitens und Nachdenkens fertig auf dem Tisch liegt. Und ich glaube, es ist jetzt einfach wichtig, den Experten auch diese Zeit zu geben. Wir habe die Erwartungshaltung, dass ein riesiger Betrag von Zweihundertausendmillionen Euro eingesetzt wird“, lautet ihr erster Redebeitrag.

Zuvor störte man sich in der Runde daran, dass andere Länder weitaus schneller waren, sogar von „letztem Jahr“ wurde gesprochen. Da ergibt es ja nur Sinn, dass Giffey jetzt von „Tagen“ spricht. Keine Eile Franzi, es sind ja erst Hunderte Unternehmen pleite gegangen, in einer Welle, die schon seit Monaten rollt. Und ja – sie hat tatsächlich von Zweihunderttausendmillionen gesprochen. Illner wollte ihr noch mit dem Tipp „200 Milliarden reichen auch“, zur Hilfe eilen, aber da war es schon zu spät. Frau Dr. Giffey hat sich nämlich nicht etwa versprochen – vielmehr wollte sie uns eine Perspektive verschaffen und erinnern, wie groooß diese Zahl doch ist.

Einkommen vom Stromverbrauch ableiten?

Wie auch immer, treten wir nicht weiter nach unten, das macht man schließlich nicht. Wir immer bei Themen, die Subventionierungen oder Hilfsgelder betreffen, kam auch dieses Mal wieder das Gießkannenargument. Im Grunde ganz einfach und auch tatsächlich richtig: Staatliche Gelder sollen nicht einfach wie mit der Gießkanne für alles und an jeden verteilt werden, sondern nur dahin, wo es auch hin soll. Problem an dieser Debatte ist nur: Wo zieht man die Grenze? Meist ist die nämlich – genauso wie die Grenze zum Spitzensteuersatz – zu niedrig und quer durch den Mittelstand. Wer nicht genug Geld verdient, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, und bereits auf staatliche Hilfe angewiesen ist, kann sich über den einen oder anderen Hunderter freuen, aber sobald nach der Mietzahlung noch genug Geld für eine Kugel Eis bleibt, wird’s schon schwierig.

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„Da haben wir das Problem, dass wir nicht differenzieren können: Wie reich sind die Haushalte, die wir jetzt treffen?“, erklärt die Energieexpertin Karen Pittel, Leiterin des Ifo-Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen. Illner hat da eine Lösung: „Versorger wüssten das, Vermieter wissen das manchmal.“ Pittel streitet das ab, vom Einkommen wissen die nichts, nur vom Verbrauch. Illner sieht das zwar ein, will aber von ihrer Idee nicht so ganz ablassen. Das Einkommen mögen die ja nicht wissen, aber das könnte man ja vielleicht einfach vom Verbrauch ableiten. Und außerdem kann man ja auch erkennen, ob man in einem Einfamilienhaus lebt oder mit mehreren Familien sich eins teilt.

Fairerweise muss ich hier anmerken, dass sie das nicht voller Überzeugung verteidigt hat, sondern eher wirkte, als hätte sie mit den Versorgern und Vermietern einen unüberlegten Kommentar gemacht, um das dann irgendwie zu rechtfertigen, weil sie den Denkfehler nicht zugeben wollte. Trotzdem ist der Vorschlag, man könnte doch das Einkommen eines Haushaltes davon ableiten, in was für einem Haus er wohnt und wie viel Strom er verbraucht, keiner, den man einfach hinwegwischen sollte. Illner mag nicht so weit gedacht haben, aber um zu prüfen, wie in was für einer Wohnsituation ich lebe, muss da erstmal einer bei mir vorbeischauen. Und dass man anhand des Stromverbrauchs nicht ablesen kann, wie viel jemand verdient, kann man schon alleine am Heizverhalten von Hartzern beweisen.

Annabel Oelmann, Vorständin der Verbraucherzentrale in Bremen, hat dann noch den Einfall, dass man das Einkommen ja beim Staat angeben muss. Na supi. Bei der nächsten Steuererklärung dann direkt noch den Wasserzählerstand und Co angeben und in fünf Jahren wird das Finanzamt Ihnen dann mitteilen, ob Sie bedürftig genug für eine Summe sind, die Sie dann eh zur Hälfte versteuern müssen.

Um es also milde auszudrücken: Gestern war eine chaotische Runde. Mit neuen Zahlenerklärmethoden, neuen Methoden für das Finanzamt und der unsanften Erinnerung, dass Quotenfrauen unser Land regieren. Genießen Sie Ihr gießkannenverteiltes Taschengeld und geben Sie nicht alles auf einmal aus, Sie werden es wahrscheinlich wieder zurückzahlen müssen, weil Sie vor fünf Jahren Wertpapiere in Form von Briefmarken geerbt haben.

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