Tichys Einblick
General Thema umschifft

Hart aber fair: Gespensterdebatte als Tanz auf dem Vulkan

Politiker-Selbsturteil: Immer dann, wenn die Politik, wenn der Staat das Geld hat, ist es weg. Es ist nicht weg, es hat ein anderer: der Staat. Und es kommt nicht zurück.

Screenprint: ARD/hart aber fair

„Der Staat schwimmt im Geld – aber warum haben die Bürger so wenig davon?“, fragt Frank Plasberg bei hart aber fair. Was auf den ersten Blick kein Zuwanderungsthema sein will, könnte, so viel ist klar, natürlich schnell eines werden.

Allerdings wusste es die Neue Züricher Zeitung schon Mitte 2017: „Die Flüchtlingskosten sind ein deutsches Tabuthema.“ 2.500 Euro Steuergelder pro Schutzsuchenden und Monat wollte die NZZ herausgefunden haben. Die Schweizer Journalisten meinten auch, erkannt zu haben, dass die deutsche Regierung diese gigantischen Ausgaben verschleiert: „Das gelingt auch deshalb, weil dieser Elefant zwar im Raum steht, aber nicht in voller Größe in Erscheinung tritt. Die Flüchtlingskosten werden auf viele Etats verteilt. Wer bei der Berliner Regierung nach der Gesamtsumme fragt, wird in ein Labyrinth von Statistiken und Zuständigkeiten geschickt.“ Fazit in dem Blatt: „Nur die eine entscheidende Zahl gibt es nicht: die aller Aufwendungen für einen klar definierten Personenkreis.“

Kurios und am Rande bemerkt: Wer aktuell beispielsweise in den neuen Penny-Markt-Reiseprospekt schaut, der entdeckt dort für etwas mehr als eintausend Euro eine All-Inklusive-Reise-Ultra – das Ultra steht für zusätzlich noch 24/7 Getränke – nach Tunesien, hätte damit also theoretisch schon das Rezept in der Hand, die Kosten für Zuwanderung mehr als zu halbieren bei Vollversorgung der Asylsuchenden.

Wie teuer es – also ohne Urlaub in Tunesien – werden könnte, fragte die NZZ den Finanzwissenschafter Bernd Raffelhüschen, der will errechnet haben, „dass jeder Flüchtling in seiner Lebenszeit per saldo 450.000 Euro kostet“. Bei zwei Millionen Zugewanderten bis 2018 summiere sich das auf Gesamtkosten von 900 Milliarden Euro. Allerdings könnten die Zahlen wegen der vielen neuen Langzeitarbeitslosen noch höher sein.

Gleich vorweg gesagt: Wenn Plasberg mit seinen Gästen darüber diskutiert, warum die Bürger nichts von dem Geld abbekommen, in welchem der Staat angeblich schwimmt, dann scheint die Antwort angesichts der gigantischen zu erwartenden und schon angelaufenen Kosten relativ einfach. Aber bei Plasberg ist das alles kein Thema. Viel mehr scheint der Moderator und seine Runde diesen Durchgang von hart aber fair zum Verschnaufen zu nutzen von eben diesem Themenkreis: Massenzuwanderung.

Mit dabei ist der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU, Carsten Linnemann, Rainer Holznagel als Präsident des Bundes der Steuerzahler, der ehemalige Finanzminister von NRW, Nobert Walter-Borjans (SPD), der ist Sohn eines Schreiners und einer Schreinerin, müsste also schon von Haus aus besonders gut wissen, wie man den Groschen zweimal umdreht, und noch mit dabei sind Gesine Lötzsch, die stellvertretende Vorsitzende der Linken und Reina Becker, sie ist Steuerberaterin und allein erziehende Mutter.

Nun denn, der Oppositionsführer im deutschen Bundestag ist nicht eingeladen, dafür die Linke, CDU und SPD. Möglicherweise auch deshalb, um das Thema aus Zürich nun wirklich nicht zum Thema der Sendung werden zu lassen.

Plasberg beginnt damit, das Dilemma bildlich zu machen, indem er heruntergekommene Schulklos zeigt und fragt, wie das sein kann, bei Steuereinnahmen auf Rekordniveau. Wer schulpflichtige Kinder hat, darf man hier schon anmerken, der kennt die Bettelorgien der Schulen, wenn es darum geht, Eltern zu nötigen, Klassenzimmer zu streichen oder sonst wie Aufgaben zu übernehmen, die ja im Paradies einer Steuereinnahmenflut ganz abgeschafft gehören müssten.

Plasberg schaut auf das Toilettenfoto und meint, „wenn es einen Ort gibt, an dem man die Schizophrenie dieses Landes mit Händen greifen kann – vielleicht auch lieber nicht – dann sind es Schulklos.“ Der Moderator startet also mit einem Toilettenwitz. Weiter: „Versifft, baufällig, oft unbenutzbar. Sie sind das Symbol für das Zerbröseln von öffentlichen Gebäuden, Straßen und Brücken? Ganz so, als wäre unser Land pleite? Das Gegenteil ist der Fall.“

„Warum gibt der Staat immer noch soviel Geld für unsinnige Projekte aus?“, fragt der Moderator weiter. Nein, er meint natürlich nicht Merkels Projekt ab Ende 2015, das seitdem so viele Talkshows im öffentlich-rechtlichen Fernsehen beschäftigte.

Die Steuerberaterin meint, Schweine groß zu ziehen, sei rentabler, als Kinder in die Welt zu setzen. Denn wer Schweine züchtet, könne sämtliche anfallenden Kosten steuerlich geltend machen. Soll das nun an diesem Abend die Spitze der Provokation sein, wenn die anwesenden Politiker der Großen Koalition nur alles besser machen wollen, aber offensichtlich in der jahrzehntelangen Regierungsverantwortung nicht dazu in der Lage waren und sind?

Zunächst wird Reina Becker dafür beklatscht, dass sie zwei Mädchen alleine großgezogen hat. Nun mag hier ein Schicksal dahinter stecken, wir wissen es nicht. Aber im Regelfalle sollte das Modell der „Alleinerziehenden“ eher der traurige Einzelfall sein, als das erstrebenswerte durchalimentierte Modell der Zukunft, wenn es darum geht, Kinder in diesem Land aufwachsen zu sehen. Aktuell lebt jedes fünfte Kind bei nur einem Elternteil. Neun von zehn bei der Mutter.

Wenn wir nun noch erfahren, dass jede dritte Alleinerziehende von Hartz4 leben muss, dann kann man sich auch hier den Kosten für den Steuerzahler zusammenrechnen. Bei Plasberg sehen wir allerdings die beruftätige Alleinerziehende. Die bekommt es hin, beschwert sich aber über die fehlenden steuerlichen Erleichterungen. Familien würden zu wenig entlastet werden und „ganz besonders die Alleinerziehenden.“

Der ehemalige Finanzminister von NRW nickt zustimmend: „Ich kann ihr absolut Recht geben.“ Aber warum hat er dann nichts geändert, sich nicht eingesetzt, dass sich etwas ändert? Walter-Borjans bleibt lieber bei den Toiletten. Die Gemeinden seien eben unterschiedlich reich. So gäbe es auch solche mit vorbildlichen Schultoiletten. Also doch alles eine Frage der besseren Umverteilung? Walter-Borjans weiß allerdings auch, dass Städte, die große Sozialausgaben haben, „weniger Geld haben für Schulen“. Nährt sich hier jemand des Pudels Kern an? Nein, passiert nicht. Der größte Eisberg wird die kommende Stunde emsig und erfolgreich umschifft werden.

Ein erster guter Witz kommt von Walter-Borjans. Der nämlich erzählt weiter, er hätte ja in seiner siebenjährigen Amtszeit zwei Milliarden für Schulen bereitgestellt, er erfahre aber jetzt erst, dass viele verschuldete Gemeinden nicht ausreichend Personal gehabt hätten, dieses Geld abzurufen. Tatsächlich will uns der Sozialdemokrat damit sagen, dass, wenn der bürokratische Beamtenapparat voluminöser sei, auch die Toiletten sauber wären? Es müsse nur mehr Schul- und Straßenplaner im Amt geben, dann wären alle Probleme gelöst? Es geht nur um eine aufzublähende „Mittelverwaltung“, um endlich ein paar Toiletten zu sanieren?

Steuerzahlerpräsident Holznagel lächelt, bekommt aber vom Ex-Finanzminister gesagt, er wäre ja eigentlich schuld, denn wenn nicht ordentlich verwaltet würde, sei er doch der erste, der sich beschweren würde, dass Klo sei doch zu teuer. Ach je, wie niedlich eigentlich. Eine putzige Diskussion rund um einen ziemlich ungeputzten Ort.

Rainer Holznagel weiß aber noch mehr: Es läge daran, dass es nicht genug Handwerker gäbe, die diese Schulklos bauen könnten. Ist das wirklich so? Bleiben Ausschreibungen liegen, weil sich kein Handwerksbetrieb darum bewirbt? Jetzt am späten Abend können wir keinen Handwerksbetrieb mehr anrufen, aber diese Frage müssen wir unbedingt noch klären. Vielleicht hat ein TE-Leser eine Antwort auf diese Frage?

Carsten Linnemann wird von Plasberg vorgestellt als „Chef der wirklich mächtigen Mittelstandsvereinigung in der Union“. Auch er sagt, die Handwerksbetriebe hätten gar keine Zeit für die öffentlichen Aufträge und keine Lust, sich die damit verbundene Bürokratie anzutun. Ist das wirklich so? Unsere Leser sind gefragt.  Carsten Linnemann kommt aus dem Bankengeschäft. So jung wie er ist und auftritt, so versiert ist er mit Worten. Wenn es einen Vertreter für glaubwürdigen Politikersprech geben müsste, er wäre sicher ein guter Kandidat. „Wenn Sie sagen „die Politik“, dann denkt man, Sie meinen andere.“, schmunzelt Plasberg dem Politiker der CDU dazwischen. Linnemann ist einsichtig und wechselt zum „Wir“. Nun ist so ein „Wir“ immer auch eines, das „uns“ mit einschließt. Auch hier besteht also noch Präzisierungsbedarf.

Die blonde Linke im glänzend roten Lackleder (über die unisono Anzug tragenden Herren ist nichts vergleichbar Interessantes zu erzählen) freut sich zwar auch über die gigantischen Steuereinnahmen, sieht aber ein „Verantwortungswirrwarr“ und den Streit zwischen Ländern, Bund und Kommunen“ um Zuständigkeiten. Nun soll also, wenn es nach der Linken geht, die Abschaffung des Kooperationsverbotes die Schulklos sanieren helfen, weil der Bund bisher daran gehindert wurde, hier Mittel zur Verfügung zu stellen. Nun denn.

Dann streitet die Runde ums Ehegattensplitting. Die Linke erinnert daran, dass dieses Splitting im Osten kaum ankommen würde, „weil mehr Frauen arbeiten und die Gehälter geringer sind.“ Für die Steuerberaterin ist das Splitting sowieso eine Luxusentscheidung, wenn heute ein Alleinverdienender keine Familie mehr ernähren könne. „Für Frauen ist das eine ganz fatale Falle, wenn sie zu Hause bleiben.“ Die EU-Kommission hätte die Bundesregierung dafür schon wiederholt gerügt“, weiß Steuerberaterin Frau Becker, „das Deutschland dieses Splitting beibehält.“ Frauen würden so vom Arbeitsmarkt ferngehalten. Das ist zwar großer Käse, denn fällt das Splitting weg   werden Doppelverdiener höher besteuert, nur weil sie heiraten. Das ist wohl ich für eine Steuerberaterin zu kompliziert, die sich wegen Alleinerziehend benachteiligt fühlt. Ohne Splitting eine Strafsteuer für Verheiratete? Das kann wohl nicht sein.

Nun kann man das, ohne sehr konservativ zu sein, auch traurig finden. Traurig, dass hier eine Frau der anderen die Arbeit zu Hause am Kinde madig macht, wo es der wahrscheinlich aufwendigere Weg wäre, sich einmal laut Gedanken darüber zu machen, ob nicht die Familienpolitik hier gefragt ist, die Arbeit zu Hause entsprechend aufzuwerten und finanziell so aufzufetten, dass es sich auch in dieser Hinsicht wie gute Arbeit anfühlen kann. Zu teuer? Wie kann das zu teuer sein, wenn wir in den nächsten Jahren hunderte von Milliarden Euro ausgeben müssen, unterqualifizierte Zuwanderung auszubilden, damit Deutschland nicht ausstirbt.

Nun plätschert das alles ein bisschen vor sich hin bei Plasberg. Gerettet wird der Abend ein bisschen von Rainer Holznagel. Der nämlich scheint am besten zu wissen, wovon er spricht, er hat seine Hausaufgaben gemacht, wenn er ein Plädoyer für die Familie hält: „Sie unterstellen immer, dass der Partner entmündigt wird, wenn der andere mehr verdient. Das müssen die Familien untereinander regeln. Und ich verstehe immer dieses Weltbild nicht. Also als Familie kann man das schon entscheiden, wie man das Einkommen, das Familieeinkommen aufteilt.“ Die allein erziehende Steuerberaterin verweist darauf, dass sie doch auch „Familie“ sei, aber hier kein Wahlrecht hätte. Nun gut, was soll Holznagel nun dazu sagen, soll er ihr sagen, das Familie im Idealfalle eben auch Eltern meint? Nein, dass wäre gemein, denn es gibt ja immer Umstände, von denen wir nichts wissen können.

Lassen wir Carsten Linnemann einmal das Schlusswort dieser Gespensterdebatte um steuerliche Erleichterungen in Zeiten des Überflusses. Der sagt an die Linke gewandt: „Dass glaubt uns doch überhaupt keiner mehr. Also Frau Lötzsch, wir als Politiker haben doch auch irgendwie eine Verantwortung. (…) Mittlerweile ist es so: Immer dann, wenn die Politik, wenn der Staat das Geld hat, ist es weg. Es ist nicht weg, es hat ein anderer: der Staat. Und es kommt nicht zurück.“

Von Gesine Lötzsch darauf angesprochen, dass er doch Vertreter der Regierungspartei sei, antwort Linnemann: „Also ich verstehe das Parlament so, dass ich die Regierung kontrolliere und nicht für die Regierung spreche.“ Anhaltender Applaus. Aber ein verdienter?

Ja hat der gute Mann denn als stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion noch nie etwas von Fraktionsdisziplin gehört? Wir werden einfach zukünftig mal hinschauen und ihn ggf. konsequent beim Wort nehmen, wenn es wieder darum geht, die Regierung zu kontrollieren. Anlässe gibt esspätestens seit 2015 genug.