Tichys Einblick
Erdbeben in Türkei und Syrien

Hart aber Fair: Ersatz-Sondersendung statt Genderei

Hart aber Fair muss an diesem Abend gelobt werden – der Rest der ARD muss sich schelten lassen. In der Türkei und Syrien sterben an diesem Tag wohl weit über 3.000 Menschen. Bei der ARD feiert man Karneval aus der Konserve und stiehlt sich mit 75 Minuten Sondersendung davon – Minuten, die die journalistische Hohlheit der ARD bloßlegen.

Quelle: ARD Screenprint

Wer an diesem Abend um 22:50 Uhr die ARD auf dem Fernseher anwählte, wurde überrascht. Denn statt der geplanten Sendung Hart aber Fair, die zu diesem Zeitpunkt ausgestrahlt werden sollte, wurde eine Wiederholung einer Liveshow vom Samstag gezeigt. Die 73. Verleihung des „Orden wider den tierischen Ernst“, mit dem Bundesaußenministerin Annalena Baerbock verziert wurde. Sie findet es lustig zu sagen, sie habe sich überlegt, welches Kostüm angemessen sei. Ein Leopardenfell?, versucht sie einen Lacher. Andere sterben im Krieg um die Ukraine, Baerbock macht Witzchen darüber. Das scheint den Machern der ARD nicht peinlich, es muss schon ein Erdbeben sein. Dafür wurde die Sendung mit einem Hinweis versehen: „Die Sendung ist eine Aufzeichnung vom Samstag, 4.2.2023. Die Mitwirkenden können also nicht auf aktuelle Ereignisse eingehen und feiern relativ unbeschwert Karneval.“ Unbeschwert Karneval feierte insbesondere Außenministerin Annalena Baerbock.

Mit dem Hinweis wird auf das Erdbeben in der Türkei und Syrien verwiesen, das sich in der Nacht zum Montag ereignete. Die Zerstörung ist gewaltig, dokumentiert in Videos auf sozialen Netzwerken: mehrstöckige Wohnhäuser, die wie Kartenhäuser einstürzen. Menschen, die in den Trümmern liegend ihre Hilferufe auf sozialen Netzwerken posten, in der Hoffnung dass jemand die Videos sieht und sie rettet.

Gemeldet sind bis zum Abend 3.000 Todesfälle. Doch das sind die vorläufigsten aller Zahlen: Wie viele liegen noch unter den Trümmern, wie viele können noch gerettet werden? Wie viele Opfer sind in den Regionen zu beklagen, in denen HIlfe aufgrund zerstörter Straßen und Flughäfen nicht ankommen kann? Die Experten des Thinktanks Risklayer werteten zum Abend Zahlen aus und schätzen die Opfer jetzt schon auf fast 30.000 Menschen – vorläufig:

Hart aber Fair: Ersatz-Sondersendung eine Leistung, aber das falsche Format

Hart aber Fair wurde stattdessen nach vorn gezogen. Das ursprüngliche Thema, in dem über Gendersternchen und die brutale Benachteiligung von Frauen in Deutschland gejammert werden sollte, war den Machern in seiner selbstmitleidigen Trivialität wohl zu Recht peinlich. Auf 20:35 Uhr also eine aktuelle Sendung, im Anschluss an einen ARD-Brennpunkt, dessen Thema ebenfalls die Katastrophe ist. Das ist eine Stärke der ARD, die mit großen Budgets und ebenso großen Redaktionen möglich ist. Hart aber Fair kann noch am selben Tag umgeplant werden, alle Gäste aus- und neue eingeladen werden. Zusammengetrommelt wurden dann Ranga Yogeshwar, Wissenschaftsjournalist; Serap Güler, MdB für die CDU; Falah Elias, deutsch-syrischer Journalist, und Gerd Friedsam, Präsident des Technischen Hilfswerks.

Friedsam ist krisenerfahren und der wichtigste Gast der Runde: Er leitete 1999 schon den THW-Einsatz in der Region Gölcük, ca. 80 km südöstlich von Istanbul. Dazu kamen Zuschaltungen von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, der sich am Montagvormittag schon auf Türkisch und auf Deutsch an die Bürger wandte, und der Vorsitzenden der Partei Die Linke, Janine Wissler, die sich zum Zeitpunkt des Erdbebens in der betroffenen Region befand. Beide hatten in der Sache nichts beizutragen.

75 Minuten Sondersendung mit 5 Minuten Erkenntnisgewinn

Das Ergebnis waren 75 Minuten Sondersendung an diesem Abend. 15 Minuten Brennpunkt: Die Korrespondenten der ARD berichten aus der betroffenen Stadt Adana, am äußersten Rand des betroffenen Gebiets, aus Istanbul – und aus Kairo. Es ist das für Syrien zuständige Büro. Die Berichterstattung hier ist auf zugeliefertes Material angewiesen. Einen relevanten Erkenntnisgewinn bietet die Sendung gegenüber den sechs Minuten in der vorher ausgestrahlten Tagesschau nicht.

Dann 60 Minuten Hart aber Fair. Die Talkshow umzuorganisieren ist eine Leistung, das gehört zur Beurteilung dazu: Gäste müssen gefunden werden, ein Studioteam zusammengetrommelt werden. Die Sendung wird live übertragen. Doch eignet sich ein Talkshow-Format für diese Form der Sondersendung? Nein, ein Magazin wäre besser gewesen. Was gibt es schon über Tote unter den Trümmern zu diskutieren, besonders zu diesem frühen Zeitpunkt?

Friedsam berichtet: Das THW ist mobilisiert und auf dem Weg, um zu helfen in der Türkei. Syrien ist auch betroffen, doch das Gebiet jenseits der Grenze wird von Milizen kontrolliert, nicht von der Regierung. Auch wenn die Welt nicht mehr hinsieht, der Bürgerkrieg ist nicht vorbei. Das THW wird dort nicht helfen, da es die Sicherheit seiner Helfer nicht garantieren kann. Außer den dortigen selbstorganisierten Hilfsorganisationen wie den „Weißhelmen“, wird es wohl niemand tun, wirft Elias der Weltöffentlichkeit vor. Syrien wird – wie in den letzten 10 Jahren auch – vergessen werden.

Die Sendung ist unüberlegt, scheitert daran, dass keiner der Gäste – außer Friedsam – wirklich etwas zum Thema beizutragen hat. Und Friedsam ist THW-Einsatzleiter, nicht Profi-Talker. Alleine trägt er trotz Expertise keine Sendung, sondern wirkt klinisch-kalt, wenn er erzählt, dass das wichtigste Werkzeug ein Wasserglas ist: Man stellt es auf den Boden, und wenn das Wasser zu schwappen beginnt, müssen die Helfer aus den Häusern raus, weil ein Nachbeben kommt. Da kann Friedsam nichts dafür. Er ist der Mann, wenn es um das Retten von Leben geht. Er denkt schon ans Retten, während andere noch vom Schrecken des Erdbebens reden.

Dass Hart aber Fair das falsche Format ist, ist nicht die Schuld der Macher von Hart aber Fair. Stattdessen hätte die Sendeleitung der ARD hier eine passende Sendung aufstellen müssen. Denn das richtige Format zu wählen, ist ihre Aufgabe. Man kann mit einem Hammer zwar eine Schraube in die Wand bringen. Das Ergebnis ist aber nicht tragfähig und nicht die Schuld des Hammers.

Das Programm der ARD am 06.02. morgens. Quelle: Screenprint der MediathekDas Programm der ARD am 06.02. mittags. Quelle: Screenprint der ARD MediathekDas Programm der ARD am 06.02 abends. Quelle: Screenprint der ARD Mediathek
Bis zum Brennpunkt: Normalprogramm bei der ARD

Wer in der ARD etwas über die Katastrophe herausfinden wollte, war bis zum Abend auf die Informationen der Tagesschau beschränkt. Das ZDF-Morgenmagazin, dass auch die ARD ausstrahlt, hatte einen kurzen Bericht, ebenso die Tagesschau um 09:00 Uhr. Noch mit vorläufigen Opferzahlen von 700 Toten, eine zu diesem Zeitpunkt schon unrealistische Zahl. Um 12:00 Uhr folgt die nächste Tagesschau, nun mit einem Bericht aus Adana. In dieser Stadt am Rande des Erdbebengebietes liegt ein Hochhaus in Trümmern.

Dieses wird mit Drohnenvideos des Trümmerhaufens vorgestellt: Über den Tag hinweg werden die Bilder umgestellt werden und vor dem Trümmerhaufen steht ab dem Mittagsmagazin um 13:00 Uhr ein Korrespondent. Markus Rosch wird von nun an stündlich melden, wie viele Menschen tot – sieben – und wie viele lebend – einer – geborgen werden. Morbid aber vor allem: Journalismus-Simulation, dieselbe Meldung immer neu aufzunehmen. Ähnliches gilt für den Korrespondenten für Syrien, der aus Kairo, Ägypten, berichtet. Von Mittagssonne, zur Abendglut zur Nacht: Die Informationen bleiben dieselben, nur der Himmel im Hintergrund ändert sich.

Die ARD ist stolz auf ihr teures Netzwerk – doch es leistet nichts

Es ist einfach, über die Macher zu schimpfen in der Position des Talkshow-Kritikers. Aber: Warum werden den Tag über dieselben oberflächlichen Informationen gesendet? Dieselben Bilder gewählt? Immer wieder wird wiederholt: Die syrische Seite der Grenze wird von Nicht-Regierungs-Truppen kontrolliert. Deswegen gibt es dort keine offiziellen Rettungsmaßnahmen und westliche Hilfe wird wohl auch nicht ankommen. Wer kontrolliert die Region? Das erklärt die ARD nicht.

Tatsächlich kontrolliert die Assad-Regierung Teile des betroffenen Gebiets – sogar aus Aleppo wird von eingestürzten Gebäuden berichtet. Die kriegsgeschädigten Städte Syriens werden vom Erdbeben nun restlos zerstört. Um die Stadt Idlib herum leben circa drei Millionen Menschen unter der Regierung der „Syrischen Erlösungsregierung“, einer Al-Quaida-nahen Gegenregierung im Nordwesten. Im Norden werden seit 2019 weite Gebiete faktisch von der Türkei besetzt – nominell ist das Gebiet unter der Kontrolle von türkisch unterstützten Oppositionsgruppen der sogenannten Syrischen Nationalarmee. Der Nordosten wird von der als „Rojava“ bekannten kurdischen Autonomieregierung kontrolliert und wurde wohl von den Ausläufern der Erdbeben getroffen.

Informationen, die man vom Netzwerk der ARD erwartet; stattdessen wird den Tag über ein immer neugemischter Bericht gesendet und ein Brennpunkt produziert, der ganz ohne eine tiefgreifende Analyse der Situation vor Ort auskommt. Aus den besonders betroffenen Gebieten der Türkei, um die Stadt Kahramanmaras, wird ein einziger Videoclip von wenigen Sekunden gezeigt. Zu sehen ist Dunkelheit und ein Feuer, sonst nichts. Bilder aus Redaktionen vor Ort, Bilder aus sozialen Netzwerken oder von Kontakten: Fehlanzeige. Lieber sendet man einen Bericht über einen deutschen Spürhund, der nun in den Einsatz in die Türkei fliegt – aufgenommen auf dem THW-Stützpunkt in Deutschland. Lokalnachrichtenkitsch mit riesigem öffentlich-rechtlichen Budget.

Anzeige