Tichys Einblick
Voll daneben

Hart aber Fair: Chemnitz ist nun überall

Plasberg fragt den Experten, ob in Chemnitz das primitive Gehirn gewonnen hätte, nicht, ohne sich vorher bei seinen ostdeutschen Zuschauern zu entschuldigen. Aber macht es das besser, sich vor einer Beleidigung zu entschuldigen?

Screenprint: ARD/hart aber fair

Wie soll das nun gehen, unter den schockierenden Eindrücken des Mordes von Chemnitz einer Diskussionsrunde zur Causa Mesut Özil beizuwohnen? Hart aber fair wird zwar live gesendet, aber wird Frank Plasberg schnell noch alle Gäste ausladen und fieberhaft eine neue Runde stricken? Ne, macht er nicht.

Es sollen düstere sächsische Gestalten gewesen sein, über welche die Leitmedien aufgeregt berichten, von denen dann aber laut Polizei-Auskunft doch „nur“ fünfzig gewaltbereit gewesen sein sollen. Also bereit, Gewalt anzuwenden, wenn ihnen danach ist. Polizei in einer kleinen Großstadt, die mit 50 Hooligans nicht zurecht kommt? Kein Thema für Plasberg. Dann lieber die achthundert entfesselte Nazis, von denen viele fabulieren? Gut, dass Plasberg nicht mitmacht. Im kargen Rotlichtstudio mit seinen warmen Penny-und-Netto-Farben. Heute im Angebotsregal platziert wurde Mehmet Daimagüler. Er war Nebenkläger-Anwalt im NSU-Prozess, Shary Cheyenne Reeves ist dabei, Sängerin, Fußspielerin, Schauspielerin, Moderatorin und farbig, was man, wenn es um das Thema Rassismus geht, dazu sagen darf. Mit Karlheinz Endruschat wurde ein einwanderungskritischer Essener Sozialdemokrat eingeladen, ja, so was gibt´s auch. Der Journalist Carim Soliman ist dabei und Tuba Sarica, sie ist Bloggerin und Buchautorin von „Ihr Scheinheiligen! Doppelmoral und falsche Toleranz – die Parallelwelt der Deutschtürken und die Deutschen“.

Ach so, ein Einzelgespräch soll es auch noch geben mit dem Angstforscher Borwin Bandelow. Na dann mal angstfrei zugeschaut mit den verängstigenden Bildern von Chemnitz im Hinterkopf. Eine große Aufgabe. Chemnitz als schwere Last oder Steilvorlage für den aus der Sommerfrische kommenden Frank Plasberg, wenn es um Mezut Özil, Rassismus und Deutschland geht?

„Deutschland hat nach Özil eine Rassismusdebatte an der Backe“, eröffnet der Moderator schmissig. Chemnitz bleibt also zunächst außen vor. Hier geht es stringent um #metwo und Co. Und um Özil. Aber was war das noch mal?

Mehmet Daimagüler bemängelt, dass Menschen mit ausländischem Hintergrund in Deutschland nur so lange akzeptiert werden, wie sie „funktionieren und nicht aufmucken“. Nun gut, wer nicht funktioniert und aufmuckt, der hat es in jeder Gesellschaft schwer.

Tuba Sarica widerspricht. Sie erinnert die Runde daran, dass Özil sich für einen „faschistischen Islamist(en)“ begeistert und wir daraufhin die merkwürdige Schlussfolgerung ziehen würden: Wie rassistisch ist Deutschland? „Also ich finde, die Schlussfolgerung stimmt einfach nicht.“ Sarica möchte nicht, dass eine so tolerante Gesellschaft wie die deutsche als fremdenfeindlich dargestellt wird, sie hätte diese Erfahrung nicht gemacht. Sie fühlt sich sogar manchmal wie ein Alien, wenn sie Leuten wie Daimagüler zuhört, sagt sie. „Wir leben in einem wundervollen Land in dem jeder eine Chance hat.“ Man hört es gerne, wegen Chemnitz, das ja ein Symbol mindestens für Sachsen sein soll.

Shary Reeves fühlt sich immer unter besondere Beobachtung. Sie glaubt, dass könnte an ihrer Hautfarbe liegen. Zuletzt wäre es ihr am Flughafen passiert, wo sie sich schlechter behandelt fühlte. Mehmet Daimagüler wird öfter nach seinem Pass gefragt, so der erfolgreiche Anwalt.

„Diese Runde besteht aus lauter Deutschen, aber es gibt auch eine Bio-Deutschen“, leitet Plasberg grinsend ein und dann darf Karlheinz auch mal sprechen, der auch mal Bewährungshelfer war, also wohl ein paar besondere „Patienten” erlebt hat. Endruschat sagt, seine Essener Umwelt hätte ihn zum „Rassisten“ abgestempelt, weil er ein paar Tatsachen über ärgerliche Migranten aus seinem Viertel kritisch kommuniziert hatte. „Das darf man nicht sagen“, hätten sogar Kollegen aus der eigenen Partei erklärt. Endruschat ist also so etwas wie ein Thilo Sarrazin light.

Chemnitz bleibt bisher komplett außen vor.

Carim Soliman hat sich viele alte Clips von Özil angeschaut, hat viele Spiele gesehen und einen Schnipsel entdeckt, wo sich Özil nach einem Siegtor mit der Hand immer wieder auf den deutschen Adler auf der Brust schlägt, da hätte Soliman geweint. Von sich selbst erzählt er, er hätte eine biodeutsche Mutter, sein Vater sei Ägypter. Er fühlt sich sowohl ägyptisch als auch deutsch, was er beiden Seiten immer wieder beweisen müsse. Sind die Ägypter auch rassistisch?

Tuba Sarica ist das wohl zu viel an Tränendrüse und sie erinnert Carim Soliman
daran, dass Özil jemandem die Hand geschüttelt hätte, der gesagt hätte, Türken in Deutschland würden Qualen erleiden. Für Sarica ist das einfach nur undankbar von jemandem, der in Deutschland gefeiert wurde. „Er ist Mitläufer einer faschistischen Regierung.“

Der erste Einspieler liefert Ausschnitte aus der #metwo-Debatte. Shary Reeves
erzählt, dass sie immer gelobt wird, wie gut sie deutsch spricht. Plasberg fragt, ob das wirklich mit bösen Willen gefragt würde. Nein, das müsse man natürlich differenzieren, antwortet sie lächelnd. Auch Reeves betont, wie schon die anderen am Tresen zuvor, das sie gerne in Deutschland lebt, dass auch sie dieses Land liebt. Nur der Biodeutsche Karlheinz Endruschat hat sich noch nicht lobend geäußert.

Liegt es vielleicht daran, dass er der einzige am Tisch ist, der keine Alternative hat?

Chemnitz bleibt weiterhin komplett außen vor. Also weiter Geplätscher.

Was fällt Plasberg dazu mit seinem Urlaubsrestlächeln ein? „Das ist eine sehr anregende Debatte, bei der ich gerne zuhöre, anstatt zu moderieren.“ Also das muss man erst einmal hinbekommen in einer Diskussionsrunde über Rassismus, in der bis auf den von Geburt so furchtbar eindimensional ausgerichteten Karlheinz E. nur potentielle Opfer eines solchen Rassismus sitzen, die auch noch der Reihe nach betont haben, wie verliebt sie in dieses Land sind. Also dann, wenn da nur nicht diese vielen rassistischen Biodeutschen wären?

„Mein Leben ist Zucker!“, sagt Mehmet Daimagüler, aber irgendwie klingt das bei ihm leider nicht sehr süß, eher voll aggressiv.

Carim Soliman meint, es sei kein Rassismus, wenn man sich den ausländischstämmigen Freund der Tochter erst einmal anschauen würde. Anschließend dürfe man ihn doof finden, ohne angucken sei es aber Rassismus. Klingt simpel, ist aber ganz gut erklärt.

Und nur um es noch mal zu erwähnen: Chemnitz bleibt weiterhin komplett außen vor. Und tatsächlich fühlt es sich gerade so an, als hätte es Chemnitz gar nicht gegeben: Hart aber fair als Gruß des Murmeltiers in Endlosschleife. Ist das überhaupt live?

Tuba Sarica drückt noch mal mächtig brutal auf die Tube, wenn sie im Zusammenhang mit der Kölner Silvesternacht, welche sie traumatisch empfand, erklärt: „Wir haben einfach nicht die Schussfolgerung gezogen und gesehen, das viele muslimische Männer, die aus dieser Welt kommen, ein gestörtes, wenn nicht krankhaftes Verhältnis zu Liebe und Sexualität haben.“ Wumms. Wie eine explodierende Granate im Frühstückbuffet. Aber nichts passiert! Kein empörter Aufschrei, nichts. Es wirkt für den Moment fast so, als würden alle zustimmen.

Und dann passiert es doch noch: Borwin Bandelow steht als Experte am Katzentisch bereit und er sagt das Tabuwort „Chemnitz“ und endlich ist der Beweis geliefert, dass diese thematisch so altbackene, moderatorisch so sonnengebräunte Sendung nicht älter sein kann, als maximal 48 Stunden. „Chemnitz, Menschenjagd, dort gibt es ganz wenige Ausländer“, sagt Plasberg stichwortartig, fast so, als müsse er etwa erklären, was Chemnitz überhaupt bedeutet. Und Plasberg fragt den Experten, ob in Chemnitz nun das primitive Gehirn gewonnen hätte, nicht, ohne sich vorher bei seinen ostdeutschen Zuschauern zu entschuldigen. Aber macht es das besser, sich vor einer Beleidigung zu entschuldigen?

Bandelow erklärt Plasberg so mit süffisantem Lächeln, es sei so ähnlich, wie mit der Spinnenphobie, man könne mit Spinnen keine schlechte Erfahrung machen, weil die nicht beißen. STOP. Nein, man will es nicht gehört haben. Augenblicklich möchte man diese Sendung abrechen. Wie kann es sein, dass sich ein Experte unwidersprochen im deutschen Fernsehen den Mord an einem Menschen, der ja Anlass war für die weiteren Ereignisse in Chemnitz, mit der unbegründeten Angst vor Spinnen zu entkräften? Versucht, ihn ungeschehen zu machen? Eine Ungeheuerlichkeit.

Genauso wie die Spinnenangst ginge die deutsche Fremdenangst nicht auf Erfahrung zurück, spinnt Bandelow immer weiter. Natürlich, der Tote wird uns seine Erfahrung nicht mehr mitteilen können, bei  mutmaßlich über zwanzig Messerstichen. Seine unbegründete Angst für Spinnen?

Also nein, nicht weiter schauen: Wir brechen das jetzt hier an dieser Stelle einfach ab. An so eine brutal gedankenlose Aussage kann man keine weiteren Theorieversuche zum Rassismus in Deutschland anschließen. Wenn Sie also in den Restminuten noch irgendetwas Sinnvolles oder Erzählenswertes gesehen und gehört haben, bitte in den Kommentaren mitteilen.