Tichys Einblick
Diskursverschiebung

Hanau: Morde, Hass, Hetze – und was macht Maybrit Illner daraus?

Nach einem brutalen Mordanschlag wie in Hanau ist es leicht, Emotionen zum Kochen zu bringen, und schwer, kühler Vernunft den Vorrang zu geben. Maybrit Illner hat es nicht gepackt. Die Debatte treibt in eine vorgegebene Richtung.

Screenprint: ZDF/maybrit illner

Eine Talkshow wird durch die Gäste bestimmt. Stellen wir uns vor, nach dem Attentat auf dem Weihnachtsmarkt des Berliner Breitscheidplatzes wären in einer Talkshow aufgetreten: Martin Sellner, der Chef der Identitären Bewegung, Beatrix von Storch von der AfD, und Pegida-Bachmann. Unvorstellbar. Undenkbar. Zu Recht.

Unvorstellbar?

Bei Maybrit Illner sitzen in der Nacht nach den Morden von Hanau die Landesvorsitzende der Linken in Hessen, Janine Wissler, die der Ansicht ist, dass jede der offen kriminellen und gewalttätigen lokalen „Antifa-Gruppe  mehr zur Aufklärung über rechte Strukturen und zum Kampf gg rechts in diesem Land beigetragen (hat)  als die Verfassungsschutz-Ämter mit tausenden Mitarbeitern.“

Dazu die islamische Propagandistin Kübra Gümüsay, deren zustimmende Haltung zu islamistischen Gruppierungen wie Milli Görüs oder der faschistischen AKP bis heute ungeklärt ist, und der selbst der linke Blog „Ruhrbarone“ bescheinigte, dass ihre einzige Kompetenz das demonstrativ zur Schau gestellte Kopftuch sei. Fünf Opfer in Hanau sind Kurden, die vor dem islamistisch-türkischen System davon gelaufen sind, das Gümüsay repräsentiert. Das wird nicht thematisiert werden.

Dann noch Claudia Roth, für die jeder, der anderer Meinung als sie und ihre Parteifreunde ist, ein „Geschäftsmodell betreibt, das auf Hass und Hetze beruht“.
Dazu kommt als Wissenschaftler Matthias Quent vom „Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft – Thüringer Dokumentations- und Forschungsstelle gegen Menschenfeindlichkeit“, einer außeruniversitären Forschungseinrichtung in Trägerschaft der höchst fragwürdigen linksradikalen Amadeu-Antonio-Stiftung und gefördert durch das von Bodo Ramelow eingerichtete „Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit“. Da sitzen also die Richtigen beieinander, um zu richten, und zwar über alle. Das Undenkbare wird an diesem Tag Realität.

Ach so, dazu geht immer Armin Laschet, CDU-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Bei so einem Setting ist das Ergebnis qualitätsgarantiert.

Darf man die Zusammensetzung einseitig nennen?

Unter der Überschrift „Wie oft eigentlich noch“ wird die Antwort schon gegeben; Deutschland habe ein Rassismusproblem. Ein Blick auf den Täter findet zunächst nicht statt. Das wäre aber der notwendige Ausgangspunkt gewesen, jede Tat beginnt mit einem konkreten Täter: In einem Schreiben hat der Täter niedergelegt, dass ein Geheimdienst  seine Gedanken schon gelesen habe, da war er noch ein Baby. Er höre „Stimmen“, die sich bei ihm „einklinken“. Vermengt noch Hollywoodfilme, Fußball-Trainer Jürgen Klopp, den DFB, Lehrveranstaltungen der Universität Bayreuth. Er ist antisemitisch, rassistisch, antiamerikanisch, antifeministisch, eine Mischung von Anti gegen alles. Ja, er nimmt das Gift auf, das es in dieser Gesellschaft gibt und verstärkt seine Wirkung, denn das ist Teil seiner schweren psychischen Erkrankung. Seine Morde sind grausam, unvorstellbar, wahnsinnig; er hat sich bereits vor einem dutzend Jahren an das Bundeskriminalamt gewandt, um all dies aufklären zu lassen, hatte legal einen Waffenschein und Waffe – wie ist das möglich? Ein gefährliches Gebräu aus persönlichen Defekten, institutionellem Versagen, das auch destilliert ist aus dem dummen Bodensatz einer Gesellschaft. Aber das wird nicht erklärt. Claudia Roth darf alles vermischen, auch Kölner Schwule und Sinti und Roma einrühren, wo es doch um Türken und Kurden ging, und fordert dazu auf, wir sollten alle Verfassungsschützer- und Verfassungschützerinnen werden.

Die Auswahl der Opfer

Matthias Quent erklärt sinnhafterweise, dass es nicht nur um persönliche Schwierigkeiten geht, sondern auch um die Auswahl der Opfer. Es ist der einzige analytische Part der Sendung. Er benennt die Vernichtungsphantasien und die paranoiden Dimensionen, die sich mit dem rechtsextremen Weltbild trifft. Die Verschmelzung individuellen Wahns und kollektiven Hintergrundrauschens löst den Täter aus seiner Individualität; dabei benennt er BILD als ein Mainstream-Medium, das dies durch seine Sprache auch an diesem Tag befördert haben soll. Armin Laschet nennt als Steigerung dieser vagen Verfassung vom kranken Täter in Verknüpfung mit Anderen die „organisierte Zelle“, die organisiert Anschläge plant. Und dann benennt er die AfD, die schon mit einem Malbuch das „Gift in die Kinder einträufelt“. Dagegen müssen die Demokraten vorgehen. Er klebt das Etikett der Mordbrennerei an diese Partei; die Frage, warum seine Regierung noch keinen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht gestellt hat, diese logische Folge seines Angriffs wird nicht thematisiert. Aber warum nicht? Wenn Laschet glaubt, was er sagt, muss er den nächsten Schritt gehen. Diese Unklarheit vergiftet das Klima. Denn bis zum Verbot bleibt die AfD eine Partei wie jede andere auch, und zwar ohne Einschränkung. Aber über diese Partei kann nur geredet werden, sie darf nur in Ausnahmefällen mitreden, wie die Kollegen von der ARD mittlerweile verdeutlichen.

Die Polizei hat wieder versagt?

In den Sicherheitsbehörden soll es, so Quent, eine jahrzehntelange und strukturelle Blindheit auf dem rechten Auge geben. Erst nach der Abberufung von Hans-Georg Maaßen habe sich etwas geändert. Wobei die Fakten eine andere Sprache sprechen, denn die Einrichtung der Abteilung zur Beobachtung von Rechtsradikalen war unbestritten weitgehend sein Werk. Aber der Forscher hat eine Agenda, warum auch nicht bei diesem Hintergrund. Und so kommt Laschet dahin, wo er hin soll: In die Defensive. Denn während er sehr bereitwillig Fehler der Polizei einräumt, versucht er gleichzeitig seinen Innenminister und Parteifreund zu verteidigen, der sich vormittags und nachmittags damit brüstet, migrantischen Clans auf die Spur zu kommen, was Laschet in dieser Runde bei Illner lieber nicht sagt. Das ist derzeit nicht en vogue. Er versucht es mit „Fehlerkultur“, die bei der Polizei Einzug gehalten habe und die jetzt die Augen öffne. Die Polizei bleibt aber für Janine Wissler eine Art blaue Vorfeldorganisation des Terrorismus. Deswegen würden in Frankfurt endlich Polizisten auf ihren Hintergrund untersucht. Die Polizei also als Helfer des braunen Terrors? Es bleibt so stehen. Auf Verständnis darf die Polizei nicht hoffen, sie steht am Pranger, und auf Korrektur durch Illner schon gar nicht, die solche rhetorischen Steigerungen einfach zuläßt. 

„Der Feind steht rechts“

Rechtsterrorismus ist die größte Bedrohung, bestätigt Laschet. Er zitiert „Der Feind steht Rechts“, weil jetzt Parteien in den Parlamenten diesen Hass säen würden. „Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt. – Da steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel: dieser Feind steht rechts!“, sagte der damalige Reichskanzler Joseph Wirth anläßlich der Ermordung des Reichsaußenministers Walther Rathenau. Seltsam, wie der Christdemokrat den Zentrumspolitiker zitiert und Merkel zur Mittagszeit den Ton schon vorgab. Soll sich Geschichte so einfach wiederholen? Aber wir wissen es jetzt, wenn der Feind rechts steht, steht Laschet links, wie es sich heute so gehört. Wir kennen keine Parteien mehr, wir kennen nur noch links. Damit ist die Einigkeit hergestellt, da nickt Laschet anschließend, wenn Claudia Roth dann Kante fordert – und aus der Tat des Mörders von Hanau wird ein politisches Konzept.

Es geht um Sprache, der die Tat angeblich auf dem Fuß folgt. Aber nicht Hollywood wird angeklagt. Und ist es nicht auch diese Einigkeit suggerierende und Analysen weghobelnde Sprache, die da im Studio gepflegt wird, die bedenklich wird, weil sie jeden ausgrenzt, der das noch erlaubte und kanonisierte Sprechen verletzt? Sie kennt keine Differenzierung, sondern nur Einigkeit und Ausschließlichkeit für den, der nicht sofort einig ist. Und Quent zieht gegen die Tageszeitung DIE WELT los, im selben Verlag erscheinend wie BILD, weil sie den Begriff „Kulturmarxismus“ verwendet habe. Der Raum des Sagbaren wird eingeschränkt, indem störende Begriffe kriminalisiert werden mit Hinweis auf Hanau.

Und natürlich, das Internet beschleunigt den Vorgang, meint Kübra Gümüsay, verändert unsere Hirne, weil alle miteinander reden können und eine Manipulation der Öffentlichkeit stattfinde. Aber was ist Öffentlichkeit? Diejenige, an der wie im Internet viele teilnehmen, oder die, die von einigen Wenigen gesteuert wird? Aus der Diskussion über schreckliche Morde wird eine grundsätzliche Debatte über Medien, wobei immer mitschwingt, dass der offene, vielschichtige Diskurs nicht stattfinden soll, weil er sich nicht steuern lässt.

Laschet wagt noch einmal einen Ausfallschritt. Er spricht sich für die früher so harten Debatten aus, nach denen man sich zurücksehnt, nach denen man aber Mensch geblieben sei. Klar, was er sagen will, dass Debatten stattfinden sollen, aber nicht in dieser Debatte, in der er schnell überschrien wird. Der Widerspruch fällt in der Runde gar nicht auf, das Personensetting wirkt. Laschet dringt nicht durch.

Denn es geht um Diskursverschiebung nach links, indem man lautstark die Verschiebung nach rechts beklagt. So geraten der Mörder und seine Taten aus dem Blick, werden übertragen, worauf man es sich gerade so wünscht. Roth spricht über feministische Muslimas, die Solidarität brauchen, und 90 Prozent der Frauen, denen im Netz Gewalt angetan würde. Die Diskussion zerfasert, weil es nicht nur um einen konkreten Fall geht, sondern darum, wie der aktuelle Kabinettsvorschlag es beabsichtigt, möglichst das gesamte Netz zu kontrollieren – weswegen unendliche Datenmengen über jeden Teilnehmer staatlich gesammelt und ausgewertet werden.

Da fragt man sich: Geht es um eine grausige Tat in Hanau, oder um Alltagsrassismus, Antifeminismus und die neue Lust am totalen Überwachungsstaat, wozu alles zusammengerührt wird?

Maybrit Illner lenkt nicht. Sie lässt die groben Wortkeile so treiben, wie sie eingeladen hat. Stromabwärts in der großen Einigkeit, nur Laschet ahnt: Da paddelt er vergebens.

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