Tichys Einblick
Rezo und Überall

Haltungsschaden beim Journalistenverband DJV

YouTuber Rezo hat in einem aktuellen Video Journalisten als neues Hassobjekt entdeckt. Dabei könnte man es belassen. Aber dann reagiert der Deutsche Journalisten-Verband DJV – und schadet dem Berufsstand dabei mehr, als die Rezos dieser Welt es je zustande brächten.

Prof. Dr. Frank Überall, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes

imago images / Reiner Zensen

„Allein, wir suchen zu gefallen;
drum lügen wir und schmeicheln allen.“
(Goethe, „Das Jahrmarktsfest zu Plundersweilen“)

Rezo …

… ist offenbar 27 Jahre alt, offenbar in Wuppertal geboren, lebt offenbar in Aachen, ist offenbar studierter Informatiker, hat offensichtlich blau gefärbte Haare und ist offensichtlich Produzent von Webvideos. (Wo „offenbar“ steht, ist Rezo selbst die Quelle.)

Bei Musikliebhabern, vor allem bei sehr jungen deutschen, ist er populär: Seine beiden YouTube-Kanäle haben insgesamt knapp 2,8 Millionen Abonnenten.

Einem breiteren Publikum wird er bekannt, nachdem er am 18. Mai 2019 bei YouTube das Video „Die Zerstörung der CDU“ veröffentlicht. 55 Minuten lang zerlegt er darin Deutschlands politische Parteien. Nein, nicht was Sie vielleicht denken: nicht einige Parteien. Alle, die ganze Palette (außer den Grünen). Dabei stützt er sich teilweise auf zutreffende, ansonsten auf fragwürdige bis schlicht falsche Tatsachenbehauptungen.

Er erreicht damit (Stand heute) gut 15 Millionen Aufrufe. (Gefühlt sind mindestens die Hälfte davon Journalisten, die hinterher irgendetwas über das „Rezo-Phänomen“ publizieren – aber das ist nur meine ganz persönliche Meinung.)

Der DJV …

… heißt ausgeschrieben „Deutscher Journalisten-Verband“ und ist sowohl Gewerkschaft als auch Berufsverband für die hauptberuflichen Journalisten in Deutschland (jedenfalls steht es so in der Satzung).

Der Verband hat offenbar etwa 33.000 Mitglieder, setzt sich offenbar für deren soziale und publizistische Unabhängigkeit ein und findet sich offenbar selbst so gut, dass er in den 16 deutschen Bundesländern gleich 17 Landesverbände unterhält – allein drei davon fühlen sich offensichtlich gleichzeitig für Berlin und Brandenburg zuständig. (Wo „offenbar“ steht, ist der DJV selbst die Quelle.)

Einem breiteren Publikum wird der DJV zuletzt 2013 bekannt, als er für die Tarifverhandlungen mit den Zeitungsverlegern die Kampagne „Unsere Arbeit ist mehr wert“ erfindet. Dabei stützt er sich auf teilweise streikbereite, weit überwiegend aber lethargische Redakteure.

Er erreicht damit immerhin einen Tarifabschluss. (Gefühlt enthält der Abschluss allerdings nicht mal die Hälfte der Forderungen, für die der DJV streiken ließ, und ist wegen der galoppierenden Tarifflucht der Verlage obendrein das Papier nicht wert, auf dem er unterschrieben wurde – aber das ist nur meine ganz persönliche Meinung.)

Wir BILDen Rezo …

… heißt das neue Video der YouTuber Space Frogs, in dem Rezo zu Gast ist und sich dort dieses Mal nicht die CDU vornimmt, sondern die Zeitungsjournalisten. Nein, nicht was Sie vielleicht denken: nicht einige Zeitungsjournalisten. Alle, den ganzen Berufsstand.

Wieder stützt er sich teilweise auf zutreffende, ansonsten auf fragwürdige bis schlicht falsche Tatsachenbehauptungen. Ein äußerst unvollständiger Auszug (Erinnerung: Hier geht es um Kritik an Zeitungen):

• „Ich lese keine Zeitungen.“
• „Wer hat denn zu Hause jeden Tag einen Berg Papier herumliegen?“
• „Die besten Informationen stehen auf toten Bäumen.“ (ironisch)
• „Die meisten Zeitungen sind Billo-Shit-Unterhaltung.“ (über die FAZ)
• „Journalisten sind teilweise so dumm.“ (über die FAZ)
• „Ich dachte, das wäre ausgestorben.“ (über das Fernsehen, NICHT ironisch)

Er erreicht damit (Stand heute) 420.000 Aufrufe.

Das Drama …

… entfaltet sich, weil das Video offenbar auch von Frank Überall angeklickt wird. Der DJV-Bundesvorsitzende erkennt hierin – völlig zurecht – eine schwer erträgliche Pauschaldiffamierung aller Zeitungsjournalisten. Wobei doch Rezo gar keine Zeitungen liest.

Erster Akt

Überall tut das, was man vom Chef eines Berufsverbandes dann auch erwarten kann: Er wäscht Rezo den Kopf und geigt ihm per Pressemitteilung mal gehörig die Meinung. Vorhang.

Zweiter Akt

Einige Zuschauer buhen. Ihnen ist aufgefallen, dass Überalls Pressemitteilung gleich mehrere sachliche Fehler enthält. Oder anders: richtige Idee, miserables Handwerk. Vorhang.

Dritter Akt

Der DJV zieht seine Pressemitteilung zurück.

Jetzt ist es in erbärmliches Schauspiel.

Rezos Geplapper wird vom Vorsitzenden der größten Journalistengewerkschaft Europas allen Ernstes als „Medienkritik“ geadelt. Echte Medienkritiker mit echten Kenntnissen freuen sich ein Loch in den Bauch über die Gesellschaft, die der Boss ihres Berufsverbandes ihnen da zwangsweise in die Wohngemeinschaft einmietet.

Eingeweihte ahnen auch, dass sich hinter den Kulissen größere Dramen abspielen als vorne auf der Bühne. Es habe „intern unterschiedliche Auffassungen“ gegeben, deshalb habe man die Pressemitteilung zurückgezogen, twittert der DJV. Um diese Lektüre richtig genießen zu können, sollte man wissen, wie so eine Pressemitteilung (PM) des DJV-Bundesvorsitzenden entsteht:

Meist entdeckt DJV-Pressesprecher Hendrik Zörner ein Thema, schreibt dazu einen Vorschlag und ruft dann seinen Chef an. Der ändert noch hier und da eine Formulierung, dann geht das Ganze an den Presseverteiler. Die Gremien (vor allem der Bundesvorstand sowie der Gesamtvorstand) und überhaupt der gesamte Rest des Verbandes sehen den Text das erste Mal, wenn er über den Ticker der Nachrichtenagenturen in die Welt geschossen wird. Normalerweise hat das keine Folgen.

In diesem konkreten Fall aber scheucht der Shitstorm der Rezo-Anhänger die DJV-Funktionäre derart auf, dass sie – wahrscheinlich per Telefonkonferenz – die Rücknahme der PM erzwingen. Das ist sehr selten und für DJV-Obermufti Überall auch ausgesprochen peinlich. Denn es hätte ja völlig gereicht, die PM mit den notwendigen sachlichen Korrekturen einfach neu zu versenden. Offenbar passt Überalls Kollegen aber die ganze Richtung nicht. Also wird er gezwungen, zum Rückzug zu blasen.

Vorhang.

Vierter Akt

Frank Überall entschuldigt sich persönlich bei Rezo.

Was als Drama begann und zunächst zum erbärmlichen Schauspiel abrutschte, wird jetzt unwiderruflich zur Farce.

Ohne Not erinnert Überall das Publikum noch einmal daran, welche amateurhaften handwerklichen journalistischen Fehler der Interessenverband der „hauptberuflichen Journalisten“ (Eigenwerbung) in der PM gemacht hat. (Das Publikum schüttelt den Kopf.)

Ohne Not erinnert Überall das Publikum noch einmal daran, wie er von seinen eigenen Gremien gedemütigt und zurückgepfiffen wurde. (Das Publikum kriegt Schnappatmung.)

Und ohne Not fällt der Chef von Europas größter Journalistengewerkschaft vor jemandem auf die Knie, der nach eigenem Bekenntnis zwar keine Zeitungen liest und Zeitungen auch ablehnt, sich aber für berufen hält, Zeitungsjournalisten pauschal zu verunglimpfen. (Das Publikum will sein Geld zurück.)

Vorhang.

Fünfter Akt

Der DJV hat offenkundig einen Haltungsschaden. Kein Wunder: Für eine richtige Haltung braucht man Rückgrat.

Erschwerend kommt hinzu: Der DJV will, dass Journalisten zu allem eine Haltung haben – nur nicht zum eigenen Beruf.

Unsere Arbeit ist mehr wert. Wie will der DJV eigentlich jemals wieder von den Verlegern Wertschätzung für die Arbeit von Zeitungsjournalisten einfordern, wenn man selbst doch so erbärmlich eingeknickt ist, als man einen fiesen Frontalangriff auf ebendiese Wertschätzung hätte abwehren können?

Der Laden ist zerstört, da braucht es keinen Rezo mehr.