Tichys Einblick
Jahresbilanz

Günther Jauch hält RTL am Leben

Leute unter 50 Jahren verabschieden sich vom Fernsehen. Das zeigt sich am Beispiel des Marktführers in der relevanten Zielgruppe: RTL. Der befindet sich jenseits der Erfolge von Günther Jauch in einer kreativen Krise.

IMAGO/Hoffmann, Panama Pictures - Collage: TE

Günther Jauch ist auf RTL omnipräsent. Vor allem in der zurückliegenden Woche. Da lief das 3-Millionen-Euro-Special: Jeden Abend von 20.15 Uhr bis Mitternacht konnten die Kölner daher „Wer wird Millionär?“ ausstrahlen. So leicht hätten es deren Macher gerne öfters. Zumal Jauch konstant gute Quoten einfuhr: Über 3 Millionen Zuschauer bei allen, knapp eine Million Zuschauer bei den Menschen unter 50 Jahren. Damit war „Wer wird Millionär?“ in der zurückliegenden Woche Unterhaltungs-Marktführer in der werberelevanten Zielgruppe. Auch das Nachrichtenformat „RTL Direkt“ profitierte von dem Zugpferd, weil es um 22.15 Uhr die Millionärssuche für 20 Minuten unterbrach.

Marktführer ist RTL in der werberelevanten Gruppe auch übers ganze Jahr gesehen, wie der Branchendienst DWDL berichtet hat. Doch die Kölner sind abgerutscht: auf 9,9 Prozent. Das bedeutet: Obwohl die Menge der Zuschauer unter 50 Jahren ohnehin zurückgeht, schafft es keiner der großen Sender mehr, ein volles Zehntel der Verbleibenden vor dem Bildschirm zu vereinigen. Bei ARD sind es in der Gruppe nur 8,0 Prozent der Zuschauer; unter Intendant Norbert Himmler ist das Ergebnis des ZDF bei den Jüngeren um 0,3 Prozentpunkte auf 7,3 Prozent zurückgegangen. Dafür ist die Heimat des Rosamunde-Pilcher-Kitschs Marktführer bei den Menschen über 50 Jahren. Diesen Erfolg verdankt das ZDF Himmlers Strategie, das Zweite zum Bällebad für Senioren zu machen. Vor allem tagsüber: „Weil es weniger einzelne Leuchttürme sind, die den ZDF-Marktanteil so hoch halten, als die generell schon tagsüber und am Vorabend stets starke Performance“, wie es DWDL erklärt.

Gerade im Tagesprogramm zeigt sich RTL maximal lieblos. Vier Stunden halten Ulrich Wetzel und Barbara Salesch „Strafgericht“: Unbeholfene Laiendarsteller plappern ihre Straftaten versehentlich aus. Woraus der Richter messerscharf die Straftat erkennt und bedeutungsschwanger ein gerechtes Urteil über den Laiendarsteller spricht. Fernsehen für komplett Anspruchslose. Das wäre nicht weiter schlimm. Geld verdient RTL vor allem am Abend. Doch auch da sieht es nicht gut aus.

Framing
Der oberste Sendeauftrag: Realitätsverdrängung
Zu Zeiten der TV-Legende Helmut Thoma orientierte sich RTL am Zuschauergeschmack und hielt die Konzepte einfach. So stellte Thoma die Serie Knight Rider mit den Worten vor: „Das ist was mit Autos. Die Deutschen mögen Autos.“ Der Österreicher behielt recht. Mit diesem Gespür wurde RTL zum Unterhaltungs-Marktführer. Doch dieses Gespür scheint verloren gegangen zu sein, wie ein Blick auf die Flops der jüngeren Sendergeschichte zeigt.

Mal setzt RTL auf Gigantismus. Eine Flut an Bildern und Musik sowie ein Publikum, das sich um den Restverstand applaudiert, sollen Emotionen beim heimischen Kartoffelchipkauer auslösen. Was aber bei „Die Geheimnisse hinter den kultigsten RTL-Momenten“ komplett schief ging. Dann kopieren die Kölner andere Sender etwa mit „RTL Topnews“ (Heute Show) oder „Ich setz auf Dich“ (Wetten dass..?) und zeigen damit, dass sie nicht mehr den Ehrgeiz haben, in der Branche vorneweg zu gehen. Oder sie setzen auf das falsche Personal wie Guido Cantz. Mit dessen harmlosen Scherzen könnte der nicht mal den Pausenhof einer Grundschule begeistern, um aber den ARD-Zuschauer an einem trostlosen Samstag von der Fernbedienung abzulenken, reicht es gerade noch. Oder RTL kommt auf ganz abwegige Ideen. Etwa: Menschen wollten stundenlang Puppenstars zuschauen oder Promis zuhören, die über 40 Jahre alte Filme sprechen, die so schlecht sind, dass sie nur im Nachtprogramm zumutbar sind (40 Jahre Supernasen). Allesamt Flops.

Also saugt RTL so lange es geht an den Zitzen alter Erfolgsformate. Doch auch das hat Grenzen. Das Comeback von „7 Tage, 7 Köpfe“ kam gut aus den Startblöcken, verlief dann aber im Quoten-Treibsand. Durchlaufenden Formaten geht die Luft aus. So holte RTL die Supertalente vom Bildschirm und reformierte die Suche nach den „Superstars“. Der Sender kündigte Dieter Bohlen, weil dessen ätzenden Scherze nicht mehr ins gewünschte Image passten. Go woke. Das klappte. Also das mit dem Image. Nur sehen wollte es halt auch keiner. Get broke. Also holte RTL zuerst Bohlen für die 20. Staffel zurück, um fast im gleichen Atemzug zu verkünden, dass danach Schluss sein werde mit dem Format.

So bleibt RTL nicht viel. Da sind Jauch mit „Wer wird Millionär?“ und die Autobahnpolizisten von „Cobra 11“. Oder Jauch mit „Denn sie wissen nicht, was passiert“ und das Dschungelcamp. Dann gibt es aber auch noch Jauch mit „Bin ich schlauer als…?“ oder Jauch mit „Jauch gegen…“ oder Jauch mit „Gipfel der Quizgiganten“. Um es abzukürzen: Günter Jauch hält RTL am Leben. Wie gefährlich die Abhängigkeit von einem Star ist, hat Pro Sieben vorgemacht: Nach dem Abgang von Stefan Raab fielen die Münchener in ein kreatives Loch. Einigen Leuchttürmen wie „The Masked Singer“ standen seitdem viele Flops gegenüber. Das Ergebnis: Bei allen Zuschauern ist Pro Sieben mittlerweile ein Spartensender. In der werberelevanten Gruppe stürzte der Sender 2022 von 8,7 auf 8,2 Prozent Marktanteil ab.

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