Tichys Einblick
Freiheit statt Framing

„Framing“ statt „Lügenpresse“?

Die ARD hat ihre „moralische Weltsicht“ übertrieben, und sie wird Millionen unwilliger Gebührenzahler nicht zurückgewinnen mit den Werbesprüchen, die das Framing Manual vorschlägt.

imago/Winfried Rothermel | Screenprint

Ein Begriff geistert durch die deutsche Medienlandschaft: das „Framing“. Es verspricht, ein altes rhetorisches Problem wissenschaftlich zu lösen: Wie muss man eine Botschaft sprachlich verpacken, damit sie „ankommt“? Die Kunde von dem neuen Mittel erreichte auch die Rundfunkanstalten, die daraufhin die Linguistin Elisabeth Wehling beauftragten, ein „Framing Manual“ (Untertitel: „Unser gemeinsamer, freier Rundfunk ARD“) zu verfassen und Mitarbeiter in der Technik des Framing zu schulen.

I

Der Anglizismus Framing ist im Deutschen neu; in der Pressesprache kommt er erst seit zwei Jahren vor, häufig mit erklärendem Zusatz:

In der internationalen Sprache der Politikberatung spricht man von Framing, also der Kunst, Begriffe und Debatten so zu verschieben, dass sich die eigenen Werthaltungen möglichst mehrheitsfähig transportieren lassen. (ZEIT 30. Dezember 2017)

Als Fachbegriff ist „Framing“ schon länger bekannt. In der Linguistik – um die es in der aktuellen Debatte geht – bezeichnet Framing das Hintergrundwissen und die sprachlichen Assoziationen, die durch eine bestimmte Formulierung im Gehirn des Hörers aktiviert werden (Frame-Semantik). Fragt man zum Beispiel jemand, was ihm bei Tisch als erstes Wort einfällt, lautet die häufigste Antwort: Stuhl; bei rechts ist es links usw. Wörter werden in der Sprachkommunikation nicht einzeln, wie in einem Wörterbuch, verarbeitet, sondern innerhalb eines Wort- und Erfahrungsfeldes (Frame) abgerufen und bewertet: Das Wort sozial gilt mehrheitlich als „sympathisch“, Sozialismus hingegen als „unsympathisch“; Baby hat einen Sympathiewert von mehr als 90 Prozent, Stress von weniger als 10 Prozent. Werbetexter wissen das und verwenden deshalb je nach Werbezweck Sympathie- oder Antipathiewörter.

II

Warum weckt eine Semantiktheorie, die um 1980 in den USA entstand und in Deutschland ein Spezialistenthema war, plötzlich allgemeines Interesse? Der Hauptgrund liegt in der Verunsicherung der Medien, vor allem der öffentlich-rechtlichen, die dem Vorwurf „Lügenpresse“ etwas entgegensetzen wollten. Aber was? Hier bot sich die Wissenschaft als Helferin an, konkret: die Frame-Semantik der kognitiven Linguistik, die von Elisabeth Wehling seit einigen Jahren in Presse, Rundfunk und Büchern popularisiert wird.

Wehling machte 2007 das politische Framing durch ein als Buch veröffentlichtes Interview mit dessen Begründer, George Lakoff (geb. 1941), in Deutschland bekannt: Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Politische Sprache und ihre heimliche Macht (183 Seiten; 4. Aufl. 2016). Bei Lakoff, der auch Berater für die Sprachstrategie der US-Demokraten war, promovierte sie 2013 und schrieb dann ein populärwissenschaftliches Werk:

Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht (2016, 222 Seiten).

2017 übernahm die Bundeszentrale für Politische Bildung diesen Titel in ihr Programm. Ebenfalls 2017 gab die ARD an Wehling den Auftrag, sprachliche Vorschläge für eine bessere Unternehmenskommunikation zu machen, die dann zu dem – vertraulichen – „Framing Manual“ (89 Seiten) führten, das von Dritten Anfang 2019 ins Netz gestellt wurde. Das „Manual“ erwies sich als Schuss in das eigene Bein: „Geheimpapier: So will die ARD uns umerziehen“, titelte BILD (19. Februar 2019).

III

Der Leitsatz des Framing Manual lautet: „Objektives, faktenbegründetes und rationales Denken gibt es nicht“ (S. 14). Anders gesagt: Es gibt keine reinen Fakten, sondern nur sprachlich vermittelte, und diese Vermittlung erfolgt innerhalb eines Deutungsrahmens (Frame). Daraus folgt: „Es ist für uns von allergrößter Wichtigkeit, unsere Sprache so zu wählen, dass sie unsere eigene Sicht auf die Welt angemessen wiedergibt“ (Politisches Framing S. 52). Die „eigene Sicht“ ist für Wehling eine „moralische“, konkreter: links-grün. Wie setzt man diese Weltsicht kommunikativ durch? Indem man sie sprachlich einhämmert:

Nutzen Sie diejenigen Frames, die Ihre moralische Perspektive auf die Sachverhalte deutlich machen, immer und immer wieder […]. Nur durch ständige Wiederholung […] ist es möglich, den neuen Frames kognitiv Geltung zu verschaffen. (Manual S. 17)

Also: Wiederholen statt diskutieren und andere Positionen überhaupt nicht erwähnen: „Sagen Sie nicht, Sie fänden den Begriff ‚Lügenpresse‘ unangebracht; denn […] Frames zu negieren bedeutet, sie zu aktivieren“ (S. 16).

Neu sind diese Lehrsätze nicht. 1809, zur Zeit der Herrschaft Napoleons in Deutschland, verfasste Heinrich von Kleist ein kurzes „Lehrbuch der französischen Journalistik“, in dem – so 1821 der Herausgeber Tieck – „das Lügensystem der damaligen französischen Zeitungsblätter erklärt wird“. Dessen „zwei obersten Grundsätze“ sind für Kleist:

(1) Was das Volk nicht weiß, macht das Volk nicht heiß.
(2) Was man dem Volk dreimal sagt, hält das Volk für wahr.

Das entspricht den Grundgedanken des politischen Framing.

IV

Wie ist dieses Framing zu bewerten? Der Leitsatz, es gebe keine reinen, also intersubjektiv feststellbaren Fakten, kann nicht erkenntnistheoretisch gemeint sein: Ohne objektive Daten wäre Wissenschaft nicht möglich. Eine andere Frage ist, ob es reine politische Fakten gibt; denn in der öffentlichen Meinung treten politische Vorgänge stets in interpretierter Form auf. Aber auch hier ist ein Faktenbezug gegeben, der sich nachprüfen lässt.

Sprachliche Frames gehören zur Kommunikation, aber sie sind kein Gedankengefängnis: Zur menschlichen Sprachkompetenz gehört nicht nur, in der Sprache zu reden, sondern auch über die Sprache. Diese – technisch ausgedrückt – metasprachliche Kompetenz schränkt die Wirkung von Frames ein.

Die Macht sprachlicher Formulierung wird in der Frame-Semantik überschätzt: Wörter sind zunächst einmal Konventionen, bei denen man sich nicht viel denkt. Wer im Süden des deutschen Sprachgebietes „Grüß Gott!“ sagt, will damit normalerweise nicht den Frame ‚Religion + Gott“ aktivieren; auch Atheisten benutzen diese Grußformel. Ebenso wenig haben die „sozialistischen Grüße“, die in der DDR millionenfach am Schluss von Briefen standen, den Frame ‚Sozialismus‘ in den Köpfen verankert.

V

Das Paradebeispiel für politisches Framing ist bei Lakoff und Wehling das Wortfeld ‚Steuern‘. In der Öffentlichkeit werde von „Steuerlast“ und „Steuererleichterungen“ gesprochen und vom Steuerzahler als „Melkkuh“ – alles mit negativen Assoziationen besetzt! Statt Steuern sollte man deshalb sagen: Beiträge.

Nun, die ARD hat ja ähnliches gemacht und ihre „Gebühreneinzugszentrale“ (GEZ) in „Beitragsservice“ umgetauft. Geholfen hat das nichts: Ob GEZ oder Beitragsservice, beide sind unbeliebt. Auch bei Steuern bringt Sprachkosmetik nichts: Der „Solidaritätszuschlag“ wird keineswegs gern bezahlt, im Gegenteil: Er gilt inzwischen als Beleg für die Raffgier des Staates, der eine Steuer auch dann nicht abschafft, wenn ihr Zweck längst erfüllt ist.

Das verbreitetste Beispiel für politisches Framing erwähnt Wehling überhaupt nicht: den Sprachfeminismus. In ihren Veröffentlichungen findet sich auch nicht eine einzige gegenderte Formulierung, obwohl sie (Jahrgang 1981) mit diesem im öffentlichen Raum gepflegten Sprachframe aufgewachsen sein muss. Ihre Formel „Sprachliche Wiederholung stärkt Verbindungen im Gehirn und damit die für uns sinngebenden Frames“ (Politisches Framing S. 59) hat bei ihr selbst nicht gewirkt. Erfahrene Pädagogen überrascht das nicht: Zwar gilt der lateinische Merksatz „Wiederholung ist die Mutter des Lernens“ (repetitio est mater studiorum), aber bei zu viel Wiederholung hören die Schüler weg – so wie Fernsehzuschauer bei zu viel Propaganda abschalten.

Fazit: Die ARD hat ihre „moralische Weltsicht“ übertrieben, und sie wird Millionen unwilliger Gebührenzahler nicht zurückgewinnen mit den Werbesprüchen, die das Framing Manual vorschlägt:

Die ARD ist der verlängerte Arm des Bürgers
Wir nehmen jeden ernst
Unsere Redakteure strengen sich für die Bürger an

und so weiter. Stattdessen empfehle ich als Linguist: Freiheit statt Framing!