Tichys Einblick
Öffentlich-rechtlicher Rundfunk

Ein bisschen Gender

Mit dem Gendergruß will (oder muss) jemand zeigen, dass er Klagen über die „Männersprache Deutsch“ ernst nimmt und in seine Sendung aufnimmt – soweit es eben geht.

imago Images

Jemand musste Markus G. ermahnt haben, denn ohne sein sprachliches Verhalten zu erklären, sagte er eines Abends in der Fernsehsendung „Börse vor acht“ nicht mehr Anleger sondern Anleger und Anlegerinnen. Und von da an genderte er in jeder Sendung eine bestimmte Personengruppe (Ökonomen und Ökonominnen, Bürger und Bürgerinnen usw.), die übrigen wurden allein in der Maskulinform genannt: Experten, Nutzer, Konkurrenten, Gegner.

Gendergrüße

Aber warum nur ein bisschen Gender? Nun, der zeitliche Rahmen der „Börse vor acht“ ist eng, 3 bis 4 Minuten, und sprachliches Gendern kostet Zeit: Die Paarformel Anleger und Anlegerinnen erfordert bei mittlerer Sprechgeschwindigkeit drei Sekunden, für Anleger genügt eine Sekunde. Systematisches Gendern würde je nach Text 5 bis 10 Prozent der Sprechzeit verbrauchen und die Geduld der Hörer überstrapazieren. Deshalb gendert Markus – sozusagen zum Gruß – pro Sendung meist nur einmal und dann nicht mehr.

Doch wozu dieser „Gendergruß“? Die oft gehörte Meinung, es würden damit die Frauen „sichtbar“ gemacht, stimmt nicht: Die Paarformel hebt sprachlich Männer und Frauen hervor, sie betont die Geschlechterteilung. Im Falle von Anleger und Anlegerinnen vermittelt das allerdings ein falsches Bild der Wirklichkeit; denn die stärksten Akteure an der Börse sind keine konkreten Männer und Frauen, sondern Banken, Versicherungen und Fonds, die ihre Geschäfte über Computerprogramme abwickeln.

Grußformeln sind zwar Konvention, erfüllen aber eine wichtige soziale Funktion: Wer jemanden grüßt, symbolisiert Dialogbereitschaft. Mit dem Gendergruß will (oder muss) Markus G. zeigen, dass er Klagen über die „Männersprache Deutsch“ ernst nimmt und in seine Sendung aufnimmt – soweit es eben geht.

Genderpause

Sprachlich auffallender als die seit vierzig Jahren verwendete Paarformel ist eine neue, phonetische Form des Genderns, die von einigen Moderatorinnen des ÖRR zur Zeit ausprobiert wird: die „Genderpause“. Statt Anleger und Anlegerinnen hört man Anleger + kurze Pause + ínnen. Das dauert eine Sekunde weniger als die Paarformel, erfordert aber eine deutliche und präzise Artikulation, um nicht als Anlegerinnen missverstanden zu werden. Die Genderpause ist deshalb nur geschulten Sprechern zu empfehlen.

Genderdeutsch-Bilanz des ÖRR

Ob Paarformel oder Genderpause – insgesamt ist die Bilanz des ÖRR in Sachen Genderdeutsch sehr bescheiden. In den Sendungen herrscht normales Deutsch, mit gelegentlichen Gendergrüßen. Die deutsche Sprache, genauer: ihr phonetisches und grammatisches System, ist gegenüber Genderreformen – modern ausgedrückt – „resilient“. Man kann zwar in amtlichen Texten, also einer Sondersprache, systematisch gendern, aber in normaler Schriftsprache findet man dafür keine Leser.

In gesprochener Sprache und konkret beim Rundfunk würde systematisches Gendern eine spezielle Sprachausbildung erfordern – nicht nur für die Sprecher, sondern auch die Hörer. Fazit: Es bleibt bei dem alten, seit der Goethezeit üblichen deutschen Sprachsystem. Und irgendwann wird auch der Gendergruß verschwinden – so wie ab Mai 1945 der „Deutsche Gruß“ und nach 1989 die DDR-üblichen „sozialistischen Grüße“ – und Markus G. wie früher von Anlegern sprechen (können).

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