Tichys Einblick
Apokalypse, Traumtänzerei und sexy Aktien

Die Grünen: Ein Medienhype

Kurz vorm sonntäglichen Mittagessen hatte der Autor bereits einen dicken Brocken zu verdauen. Das hatte er auch davon, wenn er beim Durchzappen der Programme ausgerechnet im Presseclub auf Phoenix hängengeblieben ist.

Screenprint: ARD/Presseclub
Die Zeitung kann man ja selbst lesen, auf Papier oder online – und dennoch lässt sich der Autor dieser Zeilen ganz gern schon einmal die politische Welt von den Vertretern seiner Zunft erklären.

Zumal das Thema derzeit ja fast alle wie paralysiert zurücklässt: „Die Grünen im Höhenflug – politische Abstauber oder Volkspartei für einen neuen Zeitgeist?“. Am Wochenende vermeldete die vereinte Presse, die Grünen haben sogar die CDU überholt.

Da saßen sie nun bei Moderator Volker Herres und konnten nicht anders. Immerhin ein Diskussionsleiter und kritisch Fragender, der die Kollegen nicht mit Plattitüden davonkommen ließ. Interessant auch, dass sich im asketischen Raum ohne „Special Effects“ und Blue-Box das gespaltene Meinungsdeutschland im Halbkreis sitzend befand.

Mit dem Spiegel-Online-Autor Christian Stöcker und Jana Hensel, ZEIT Online (ja, die Autorin, der Habecks Golfsocken mit Loch absichtlich nicht entgangen sind) zwei Journalisten, die, ja, man muss es so formulieren, den Grünen und Robert Habeck wohlgesonnen sind. Ihre neutrale Distanz vergessend.

Außerdem, ein wenig konservativer und realistischer, sowie stark analysierend, Cordula Tutt, Autorin der Wirtschaftswoche und von der „Rheinischen Post“ Chefredakteur Michael Bröcker. Der saß mit seiner bequemen, aber hellwachen Art neben Jana Hensel, die stets angespannt, unlocker und belehrend wirkte. Fast wie das bekannte grünlinke Klientel, das derzeit für die hohen Beliebtheitswerte sorgt. Immer mit dieser, auf die Stirn gebrannten Attitüde, was wundert ihr euch eigentlich über den Erfolg der Grünen? Ist doch logisch und total normal, wir stehen für das Gute in dieser Welt.

Und, Entschuldigung, was heißt hier, ob es ein Medienhype sei, der die Grünen pushe? Jana Hensel nutzt ungefragt eine halbe Minute dafür, sich für die mediale Kritik zu rechtfertigen, sie habe in ihrem Artikel jüngst über Robert Habeck die journalistische Distanz missen lassen. Tja, Jana Hensel (mehrmals schulmeisterlich gegenüber dem Moderator und den Kollegen, „…lassen sie mich bitte ausreden“) verstieg sich sogar darin, die Kritiken seien sexistisch und unsachlich gewesen. Nur, Moderator Volker Herres hatte gar nicht danach gefragt.

Michael Bröcker blieb gelassen, ja fast gemütlich, aber ordnete die Frage nach dem Medienhype mit den Grünen sofort richtig ein: „Es ist natürlich ein Hype“, außerdem seien die Grünen überbewertet, und ganz klar sei das Umweltthema für die Grünen von Nutzen, das sei ja ganz klar, die „DNA der Grünen…“. Außerdem, so der Chefredakteur, hätten die Grünen mit ihrem neuen Spitzenpersonal auch keine Bürgerschreck-Politiker mehr vorne dran. Die Grünen seien also für viele in der Bürgerschaft wählbar geworden.

Anmerkung: Man halte sich vor Augen, dass zuvor ein Einspieler über Robert Habeck gezeigt wurde, in dem der Vorsitzende wie ein softer Popstar beschrieben wird: beliebt, klug, sympathisch und vernünftig. Immer wachsweich lächelnd, das Haar verwuschelt, auf der Meeresbucht. Oder wie Habeck das Motto ausgibt, bloß nicht auf die eigene Brust klopfen – und tut das bildlich – wir seien die Besten. Wir müssen weiter arbeiten, so Habeck, und mutet dabei eher wie ein Erlebnispädagoge in einem Stuhlkreis an.

Chefredakteur Bröcker schob hinterher, auf die Grünen warte noch der harte Realitätscheck. Sie seien derzeit überbewertet wie eine sexy Aktie im Depot. Hensel starrte Bröcker mit einer Mischung aus Abneigung und Unverständnis an – ihre Gesichtszüge entgleiten sichtbar. Die Grünen, so Autorin Hensel, harmonieren mit dem Duo und Spitzenpersonal gut, es zeige, dass die Macht zwischen Männern und Frauen gut aufgeteilt werden könne – das entspräche der Moderne, wenn nicht gar dem Zeitgeist. Braucht es dazu wirklich die Grünen, und eine SPD, die in ihrer Not nun fast alles von Bündnis90/Die Grünen kopieren möchte?

Immerhin, Hensel meint zu Recht, Habeck und Baerbock profitieren davon, dass es der CDU nicht gelinge, die Merkel-Nachfolge zu regeln.

Kommunikations-Experte und Dozent, Christian Stöcker, zudem Autor für SPIEGEL-Online, bestätigte, dass das Spitzenduo immerhin besser ankäme als zum Beispiel ein „Toni Hofreiter“. Also nur eine Imagefrage? Sicher, und nun holt SPIEGEL-Mann Stöcker weit aus, erst eine Eloge auf Habeck und Baerbock, wie toll beide seien, aber (!) das Thematische sei ausschlaggebend, jetzt, wo man ja alle anderen Themen und Krisen („gefühlt“ – das Wort schiebt er en passant ein) hinter sich gelassen habe, zähle nur das bestimmende Thema Klimawandel.

Die zentrale Krise, der Klimawandel, vor dem der ganze Planet stehe, träte jetzt zu Tage. Und darum hätten sich schon immer nur die Grünen gekümmert. Das stimmt ebenso wie die Tatsache, dass die Grünen andere brennende Themen einfach ausblenden.

Während sich Stöcker schon wie der neue Pressesprecher der aktuellen Hype-Partei anhörte, als wolle er sich in Position bringen, ordnete Journalistin Tutt alles wieder richtig ein. Ja, die GroKo sei irgendwie ausgelaugt und die Grünen seien momentan eine Art Projektionsfläche. Für die, die sich besser fühlen wollten. Die Umfragen seien überhaupt mit Vorsicht zu genießen, für viele sei es eben chick und trendy, wenn auch anonym, die Grünen und Habeck zu nennen, während die AfD ja demoskopisch permanent eher unterbewertet würde, so Tutt. Außerdem, in Wirtschaftsfragen oder bei einer CO2-Steuer und anderen Gängelungen, müssten sich die Grünen klarer positionieren.

Stöcker wiederum meinte, es sei eben wenigen vorbehalten, in die Zukunft zu schauen, wahrscheinlich gerade bei den Studenten (reflektierenden?), die bereits jetzt an ihre Kinder und Enkel denken würden, oder dem gehobenen Mittelschichtspublikum, was würde mit der Erde und Umwelt in Zukunft? Sie allein würden die, auf uns zukommende Apokalypse, erkennen, und sagen, wir müssen jetzt etwas ändern.

Wie schon oft erwähnt ein Thema einer privilegierten Schicht, die es sich auch leisten könne, zusätzliche Energiesteuern zu entrichten. Das seien aber eben nicht alle Bürger, so Michael Bröcker. Diejenigen, die die Grünen jetzt wählen wollten und sich beruflich noch verwirklichen müssten, würden dann irgendwann auch abwägen, oh ja, der Umweltschutz ist ja ganz schön teuer.

Cordula Tutt war es dann, die Stöckers Ausführungen doch noch einfing, es können sich gar nicht alle Leute so umweltbewusst gerieren wie manche der privilegierten Schichten. Der ökologische Fußabdruck sei eben unterschiedlich – je nach Bevölkerungsschicht. Nicht jeder habe das Geld für einen neuen Kessel oder die Wärmedämmung am Haus. Außerdem sei es in der Stadt oft leichter ökologisch bewusst zu leben als auf dem Lande, wo es schwieriger sei, von A nach B zu gelangen. Michael Bröcker und Cordula Tutt warfen auch ein, mit einer Ökosteuer, die Grünen regierten anno 1999 ja mit, wurden andere Löcher gestopft – das dürfe ja nicht sein.

Volker Herres fragte nochmals nach, was haben die Grünen wirtschaftlich zu bieten? Tutt meinte dazu, die Grünen würden immer gern Fleißkärtchen sammeln, wollten überall punkten. Sie wären zwar nicht überall blank, aber in vielen Gebieten immer noch „traumtänzerisch“ unterwegs. Der Zuspruch würde sinken, wenn plötzlich die Wirtschaft stagnierte, die Einschnitte zu groß wären.

Christian Stöcker packte dann ganz tief in die PR-Trickkiste, um das Umweltthema auch noch länger am köcheln zu halten und das ganz ohne Hemmungen: „Das Umweltthema ist wie eine Krebsdiagnose“, und wenn das die Menschen begreifen, dass dieser Planet in 40, 50 Jahren unbewohnbar sein würde (so schnell also, und die Bundesrepublik rettet den Planeten), ließe das die Grünen jetzt nicht wirklich einbrechen, selbst wenn es Wirtschaftsdellen gäbe, Stöcker überzeugt, selbst in Klimamanie. Stöcker ging mit seiner Panikpropaganda noch weiter, nein viel zu weit, Eltern, die ein krankes Kind hätten, würden bestimmt nicht vom Umweltthema weichen.

Frau Tutt schaute gen Deckenbeleuchtung, als wollte sie fragen, sind wir Journalisten schon so weit? Tutt und Bröcker unisono, Deutschland mache gerade zwei Prozent des weltweiten Kohlendioxyd-Ausstoßes aus und natürlich müsse man etwas tun, aber bitte realistisch – und wer würde uns schon folgen?

Bevor sich noch Zuschauer und Hörer via Telefon in die Runde einklinken konnten, sprach Autorin Jana Hensel ganz überzeugt von der Fridays-for-Future-Bewegung, die dafür sorge, dass Familien wieder gemeinsam diskutierten am Abendtisch, und sie sehe es ja an ihrem eigenen Sohn, wenn dieser mit „glühenden Augen“ begeistert von der Freitagsdemo nach Hause komme.

Es hat sich ganz offensichtlich etwas entzündet in dieser Gesellschaft. Sicher nicht nur die Augen. Traue keinen Massenbewegungen, denn die Risiken und Nebenwirkungen treten oft sehr spät ein …


Giovanni Deriu, Dipl. Sozialpädagoge, Freier Journalist, ist seit 20 Jahren in der (interkulturellen) Erwachsenenbildung tätig.