Tichys Einblick
Stunden der Entscheidung

Der Angela Dorothea Merkel öffentlich-rechtliche Heiligsprechung

Das Dokudrama über „Merkels schwerste Stunden“ sollte man besser unter Märchenerzählung abbuchen.

Screenprint: ZDF

Eines muss man den Autoren des angeblichen „Dokudramas“ (Doku für Dokumentation, also tatsachengerechte Darstellung; Drama für künstlich aufgebaute, literarische Spannungsbögen) über die „Stunden der Entscheidung“ lassen: Wie man die Emo-Schiene bedient, wissen sie.

Das Dokudrama über „Merkels schwerste Stunden“ sollte man besser unter Märchenerzählung abbuchen. Und wie in jedem guten Märchen gibt es die Guten (Merkel und die Flüchtlinge) und die Bösen (die Anti-Merkel-Demonstranten in Dresden als Vorboten der Hölle; der böse Geist Orban, der die armen Flüchtlinge sogar niederschlagen lassen will; und als Inkarnation des Teufels in uns allen ganz zum Schluss Gauland, dessen Stimme aus dem Off eingeblendet wird mit dem wahrhaft satanischen Satz „Wir werden sie jagen. Wir werden uns unser Land zurückholen.“)

Dann gibt es in diesem dramaturgisch perfekt aufgebauten Bühnenstück die orientierungslosen Verwirrten (Österreichs Bundeskanzler Faymann, SPÖ), die nach dem Merkel’schen Licht im Dunkel suchen, und Merkels Mitarbeiter, die auf die Erleuchtungen der Chefin hoffen. Es gibt die Verschlagenen (Bayern-MP Seehofer), die sich trickreich jeglicher Mitverantwortung entziehen wollen. Es gibt den getreuen Eckart (Kanzleramtschef Altmaier – Doku-Merkel: „Er ist Jurist!“), der schnell einen Weg findet, den unmittelbaren Rechtsbruch zu begründen. Und es gibt selbstverständlich die großen und kleinen Helden, ohne die kein Drama auskommt, in Form jenes syrischen Migranten, der den „Marsch der Hoffnung“ aus den Fängen der prügelnden und betrügerischen ungarischen Sicherheitskräfte organisiert, sowie jenen, die mutig ihre Teddies an die illegalen Grenzübertreter verteilen.

Besonders perfide – womit dann auch abschließend die Stoßrichtung des öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrags klar wird – sind die An- und Einspielungen auf und aus 1989, als DDR-Bürger über die ungarische Grenze nach Österreich rennen. Die Drama-Merkel (also die im Drehbuch erfundene) bemerkt dazu „Das ist wie Neunundachtzig!“ – manchmal muss man den Zuschauer eben auf die gewünschte Assoziation mit dem Holzhammer stoßen.

Dann immer wieder Doku-Einspielungen. Merkel hier, Merkel da, immer auf dem Sprung, getrieben von der Hektik des Kanzleralltags, damit de Maizière, der immerhin so ehrlich ist, Merkel als Ursache der gesellschaftlichen Spaltung zu benennen, dann irgendwann den Vasalleneid leisten darf und feststellt: „In Krisensituationen wird die Kanzlerin ganz leise und sehr ruhig, körperlich fast bedächtig. Dahinter steckt dann aber ein sehr scharfer Verstand und die Möglichkeit, alles abzuwägen, soweit es die Informationen zulassen. Es ist ihre große Stärke, dann die Kraft zu haben, ihre Emotionen zu zügeln und dem Verstand das Prä zu geben.“ Nun, lieber Herr Ex&Ex-Minister: Wer wie Merkel das postfaktische Zeitalter ausruft, verfügt entweder über keinerlei Verstand – oder über einen derart perfiden, dass mit solchen Unsinnigkeiten gezielt Unsinnigkeiten begründet werden sollen. Da hilft dann auch ein dauergrinsender Tauber nicht, der sich darüber freut, „die Kanzlerin“ nun auch duzen zu dürfen (entspricht vermutlich dem Hosenbandorden der Merkelokratie), und ansonsten nur Nullaussagen absondert. Da wird man als Zuschauer irgendwie den Verdacht nicht los, dass Merkel mit starken Männern überhaupt nichts anfangen kann und sich stattdessen mit solchen umgibt, die beim Bewerbungsschreiben nicht wissen, ob sie „w“ oder „d“ ankreuzen sollen.

Legendenbildung
Merkel-gefällige ZDF-Doku-Fiktion „Stunden der Entscheidung“
Garniert wird das Drama, das sich um die Merkel-Floskel „Wir müssen eine humanitäre Katastrophe verhindern“ dreht (Welche eigentlich? Die, dass Ungarn sich an EU-Recht halten wollte? Die, dass ein paar hundert Menschen zu Fuß über eine Autobahn marschieren und damit den Verkehr behindern? Die, dass ein überforderter Öschi-Premier vorgeblich unfähig zu klaren Entscheidungen war?), der Authentizität halber noch mit ein paar Zeitgenossen, die als Doku in das Drama eingeflochten werden. Eben jener damalige Innenminister, der nicht nur in dieser Situation total versagte und seitdem verzweifelt darum bemüht ist, sein Bild in der Geschichte mit Mennige zu übertünchen. Oder jener „Kanzlerberater“ Gerald Knaus von einer angeblichen Denkfabrik mit dem hübschen Namen „Europäische Stabilitätsinitiative“, der als „Erfinder“ des „Flüchtlingsabkommens“ zwischen EU und Türkei gilt und als Befürworter des NGO-Migrantenshuttles über das Mittelmeer auftritt, die kleine Inselrepublik Malta zum europäischen Aufnahmelager umfunktionieren und von dort aus die Migranten innerhalb der EU verteilen möchte?

Um sich zumindest den Anschein des Objektiven zu geben und den Vorwurf der einseitigen Darstellung und Überhöhung der (weiblich) heroenhaften Merkel kontern zu können, darf dann als sanfter und einziger Kritiker der damalige BKA-Chef Gerhard Schindler antreten, der feststellt, dass Politik, die das Recht durchsetzt, auch mit unschönen Bildern leben muss. Womit er ein Kernproblem der zur Meinungsdiktatur mutierenden Ex-Demokratie BRD auf den Punkt bringt: Die Abhängigkeit der Regierungspopulisten von der Scheinwirklichkeit der wohlmeinenden Redaktionsstuben. Schindler steht in diesem Dokudrama da als der einzige Leuchtturm der Vernunft.

Und während die Drehbuchautoren die Spannungsspitzen mit großen Kinderaugen und auf Schultern getragenen Ermüdeten bei gezielter Einspielung der prügelnden Horden unmenschlicher Ungarn nach oben treiben, erklärt die Drama-Baumann als engste Kanzlerberaterin: „Sie allein werden für diese Entscheidung verantwortlich gemacht werden“. Merkel, die Heldin, nimmt das Schicksal an, die Last auf sich. Auch wenn Sigmar Gabriel als ewiger Parteisoldat nicht umhin kommt, einzuflechten, Merkel habe „immer“ das Gegenteil von dem getan, was sie versprochen habe.

Irgendwann dann fällt auch der einzige Satz aus dem Munde der Drama-Merkel, dessen zweiter Teil unbesehen der Wahrheit entsprechen dürfte: „Es ist selbstverständlich, dass wir Österreich helfen – das ist alternativlos!“ Und dann jenes unvergessene Zitat der Doku-Merkel: „Wenn wir uns dafür entschuldigen müssen, dass wir in einer Notsituation ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land!“

So ist das eben, wenn das Narrativ aus einer illegalen Invasion eine Notsituation zaubert und damit die Freigabe zum permanenten Rechtsbruch liefert: Man zeigt „ein freundliches Gesicht“ für die Kameras der Medien – und erklärt wahlweise alle Kritiker zu Landesverrätern oder sich selbst zur Kanzlerin eines virtuellen Nimmerlands. Die Geschichte von der guten Fee im Kanzleramt wird perfekt.

Bleibt am Ende nur die Frage: War dieses „Dokudrama“ eine vom Kanzleramt kofinanzierte Auftragsproduktion – oder haben die ZDF-Redakteure dieses Lehrbeispiel der Staatspropaganda aus eigener Heldenverehrung gezeugt? Wie auch immer: Das Ziel dieses „Werkes“ ist unverkennbar: Wir, die nonfaktischen Migrantenfreunde und Merkelfans sind die Engel – alle anderen die Teufel. Und Ihr dummen Ossis, die Ihr besonders heftig gegen die Migrantenflut seid: Husch, husch zurück ins Körbchen! Gedenkt Eurer Flucht 1989 und seid artig stille!

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