Tichys Einblick
Politik in der Sackgasse

Corona-Quartett: Was nach den „Erste-Hilfe-Maßnahmen” und wann?

Die Corona-Zahlen müssen runter, sagen Anschober und Kurz in Wien, Spahn und Merkel in Berlin. Ja und was, wenn die Zahlen nicht gehorchen?

Screenprint: Servus TV

Beim Corona-Quartett von Servus-TV geht es noch gesitteter zu als beim Talk im Hangar-7 desselben Senders. Die vier Teilnehmer und der Moderator hören sich zu, gehen auf den anderen ein, Michael Fleischhacker unterbricht seine Gäste sehr selten, und wenn, dann so, dass er den Fluss des Gesprächs fördert. Ein anderes TV-Erlebnis. Warum ist das in Österreich möglich und in Deutschland nicht? Der Grund ist einfach. In Österreich gibt es den höchst erfolgreichen Unternehmer Dietrich Mateschitz, der bei Servus-TV Journalisten wie Michael Fleischhacker und Ferdinand Wegscheider die Freiheit gibt zu sagen, was ist. Was für Deutschland heißt, dort gibt es keine(n) Unternehmer, denen unabhängiger Journalismus wichtig ist.

Sobald Angst im Spiel ist, sagte Internist und Onkologe Dr. Stefan Wöhrer schon im April des Jahres, werden die höheren Gehirnfunktionen zurückgeschraubt. Im damaligen Interview erklärt er, wie das öffentliche Bild dieses Corona-Virus dadurch verzerrt wird, weil die ihm pauschal zugeschriebenen Todesfälle nur noch alleine im öffentlichen Fokus stehen. Die in Österreich vor Corona durchschnittlich täglichen 241 Todesfälle hätte niemand mehr im Blick.

In diesem Interview fällt mir eine Redewendung von Wöhrer auf, die er auch im gestrigen Corona-Quartett von Servus-TV verwendet: „Man muss ehrlich sagen …“. Diese Formel setzt er unbewusst ein, wenn er weiß, ich sage jetzt etwas, was vom öffentlich genormten Bild abweicht. Im Frühjahr hatte er das österreichische Gesundheitsministerium gefragt, woran die vielen Corona Zugerechneten in Italien gestorben sind. Die Antwort „an Organversagen” sagte ihm natürlich, sie wissen es alle nicht. Wöhrer weist auf die Folgen der Coronapolitik hin, von denen niemand spricht. Sein Beispiel, der traurige Fall einer jungen Frau mit Brustkrebs: Die Operation wurde wegen Corona verschoben, nach dem ersten Lockdown war es zu spät, die Metastasen waren zu fortgeschritten.

Roland Tichy und Stefan Wöhrer – Michael Fleischhacker erkennbar auch – teilen die Forderung nach einer Strategie, Risikogruppen durch gezielte Maßnahmen zu schützen, statt das ganze Leben der Gesellschaft stillzulegen. Wöhrer bringt es auf den Punkt, wenn er den Verantwortlichen in Österreichs Politik vorhält, den schwedischen Weg zu verurteilen, aber im Frühjahr wie jetzt wieder den schwedischen Fehler selbst zu wiederholen, Alten- und Pflegeheime nicht zu schützen. In diesem Corona-Quartett wurde das nicht weiter vertieft. Aus Gesprächen mit Ärzten und Pflegern kenne ich den neuralgischen Punkt: Die Pfleger in erster Linie bringen das Virus aus ihrem Privatleben mit ins Heim, so wie die Lehrer und andere in Schulen Berufstätige es in erster Linie in die Schule mitbringen. Und in Krankenhäusern ist es mit Ärzten, Pflegern und anderem Personal genau so. Obwohl inzwischen vielerorts das Personal wöchentlich getestet wird.

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Hier setzt ein, was Arzt Wöhrer später auch erklärt. Ein Negativ-Test bietet keine Sicherheit, dass der Getestete nicht doch Virus-Träger ist. Der Arzt kleidet seine Kritik in die nur äußerlich harmlos wirkende Formel, beim Corona-Management seien „Schnitzer“ passiert. Bei den Massentests, berichtet er, verginge oft zwischen Test und Ergebnis eine Woche. Erfährt der Getestete dann, er ist „positiv”, hat er das Virus sieben Tage unwissentlich weiter verbreitet. Wöhrer sagte es nicht, aber natürlich kann er nichts anderes meinen: Zwischen den Ankündigungen der Politik, die dem Volk Handlungskompetenz signalisieren, und der tatsächlichen Kompetenz des staatlichen Handelns klafft eine große, kurzfristig oder überhaupt nicht schließbare Lücke. Und das selbstverständlich nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland und anderen Ländern.

Die Kabarettistin und Schauspielerin Angelika Niedetzky hält wie Matthias Winkler, Geschäftsführer der Hotelgruppe „Sacher“ die staatlichen Maßnahmen für notwendig, da viele Menschen im Umgang mit Corona zu unvorsichtig sind. Aber dass Bühnen mit eingespielten Sicherheitsmaßnahmen schließen müssen, leuchtet ihr ebenso wenig ein wie Winkler, wo in den Sacher-Hotels die Abläufe mit geübtem Personal gleichfalls sicher sind – in unzähligen Betrieben längst auch.

Bei allem Versagen der österreichischen Bundesregierung ist ihr ganz im Unterschied zur deutschen eines gelungen, wie Tichy registriert: Ihre regelmäßigen Auftritte haben den Bürgern das Gefühl gegeben, das Regierungshandeln verstehen zu können. Hier verlässt Hotelier Winkler seine loyale Haltung und sagt, die häufigen Auftritte seien perpektivlos geblieben. Und dann bedient er sich einer Wendung, die sich als Generalkritik des Regierungshandelns in vielen Staaten eignet: Sowohl der erste wie der zweite Lockdown sind bestenfalls „Erste-Hilfe-Maßnahmen” – zu befürchten ist darüber hinaus, dass es beim dritten und vierten Lockdown nicht anders sein wird, denn so Winkler: Wer hat eine Antwort oder arbeitet an einer, wie es ohne weitere Lockdowns zurück ins Leben geht? Wo, fragt Winkler, ist Europa, wenn etwas wirklich mal zusammen besser gehen könnte.

Angelika Niedetzky spricht von ihrem Ärger darüber, dass nur Angst gemacht wird, die Zahl der Genesenen und aus der Intensivbehandlung Entlassenen, die es ja auch gebe, aber nicht genannt werden. So als ob nichts das Angstmachen stören sollte. Stefan Wöhrer kann ich mehrfach ansehen, dass er etwas auf Lager hat, was er wieder einleiten müsste mit „man muss ehrlich sagen …“. Was er wie Matthias Winkler anmahnt, ist die fehlende Perspektive, dass es keine offene Debatte gibt, in Wahrheit gar keine, weil anderes als die Einheitsmeinung sofort ins Leugner-Klischee gepresst wird. Risiko-Gruppen schützen, das Leben wieder öffnen, wiederholt er seine Lösungsrichtung. Eine Formulierung von ihm kopiere ich künftig: „Wir hätten einen smarten Lockdown machen können.”

Roland Tichy setzt hier fort, die Sommermonate wurden von der Politik nicht genutzt, ausreichend Kapazitäten im Bereich der Intensivversorgung und Pflege aufzubauen. Körpersprachlich stimmen alle zu. Seine Kritik kulminiert in der Feststellung, der Politik fehle die Gelassenheit im Umgang mit der Krise. Er hätte auch sagen können: Professionalität. Statt dessen verbreite die Politik nur Angst, eine Angst, die bei immer mehr Bürgern spürbar werde, aber zugleich auch immer mehr Widerstand auslöse – offen und versteckt. Das assoziiert bei mir mit dem Verweis zu Beginn: Sobald Angst im Spiel ist, werden die höheren Gehirnfunktionen zurückgeschraubt.

In meinen Worten, die Politik zeigt sich in Wien wie Berlin von Beginn an überfordert, lebt von der Hand in den Mund und reagiert auf das Nicht-Funktionieren von Verboten mit noch mehr Verboten. Hauptsache, in den Einheitsmedien und vor allem ihnen gegenüber kann Action demonstriert werden.

Die Kronenzeitung berichtet heute aus Südtirol, wo um die 350.000 Bürger aufgerufen waren, an einer Massentestung teilzunehmen (das Land hat 534.000 Einwohner):

»343.227 Menschen nahmen bisher an der Aktion „Südtirol testet“ teil. 3.185 Testergebnisse fielen positiv aus, das entspricht 0,9 Prozent. Insgesamt ließen sich 61,9 Prozent der Südtiroler Gesamtbevölkerung untersuchen.«

Und nun? Wann werden die 3.185 erneut getestet? Was, wenn sich bis Weihnachten die Corona-Zahlen trotz aller Verbote nicht verbessern? Ich warte auf den Tag, wo unter irgendeinem Vorwand, mit irgendeiner lausigen Begründung, die Corona-Zeit für beendet erklärt wird. Bis dahin, Michael Fleischhacker, bitte von einem Corona-Quartett und einem Talk im Hangar-7 zum nächsten: Damit wenigstens an einigen Stellen gesagt werden kann, was die Classe Politique nicht hören will (mit Classe Politique meine ich immer die komplette Mandarinenschar in Medien, Politik, Staat, Wirtschaft und „Zivil-Gesellschaft”).

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