Tichys Einblick
Zurück in die Zukunft – weniger Agenda, mehr Gerechtigkeit?

Bei Maybrit Illner – Rheinischer Schweinebraten oder Mecklenburger Tüften?

Wer hinhörte bei Maybrit Illner, erfuhr, die Agenda 20Schulz ist keine Hilfe für Menschen in Not, sondern eine Mogelpackung. Mike Szczeblewski und seine Schicksalgenossen brauchen keine Bildungsgutscheine, sondern Jobs.

Screenshot: ZDF/maybrit illner

Seit Wochen wird nun außer Trump nur noch einer durchs mediale Dorf getrieben – und der heißt Schulz. In der Hoffnung, am Ende mögen sich genügend Hungernde finden, die sich für rheinischen Sauerbraten statt für mecklenburgische Tüften entscheiden. Rheinischer Sauerbraten! Das klingt doch schon mal anders als Arme-Leute-Essen von der Ostseeküste.

Jetzt müssen die Leute nur noch vergessen, dass Schulz ausgerechnet in der Kantine kocht, in der einst Chef Schmalfranz Müntefering die Portionen der Losung anpasste „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, und sein Oberkellner Gerd die Kundschaft anherrschte: „Es gibt kein Recht auf Faulheit!“ Daher wurde über der „Kantine Agenda 2010“, die fast all ihre Gäste verloren hat, groß „Unter neuer Leitung!“ plakatiert und eine „komplett neue Speisekarte“ versprochen. Aus der Nähe betrachtet, das zeigen schon erste Kritiken, kommt allerdings auch bei Schulz recht wenig Fleisch auf den Teller, und rheinisch schmeckt nicht der Braten, sondern säuselt nur der Koch.

Denn so wie der Halve Hahn in Köln niemals gackerte, ist auch die Agenda 20Schulz keine Hilfe für Menschen in Not. Es ist eine Mogelpackung. Warum müssen wir uns dann mit dem Machwerk beschäftigen? Nun, weil Maybrit Illner sich wieder mal dienstlich ganz unbedarft stellte und die Schulzsche Sozial-Attacke unter der Überschrift „Zurück in die Zukunft – weniger Agenda, mehr Gerechtigkeit“ ernsthaft zu diskutieren versprach. Sie hatte extra zwei Wissenschaftler eingeladen, die „Wirtschaftsweisen“ Peter Bofinger und Michael Hüther vom Institut der Deutschen Wirtschaft. Die Herren machten anhand ihrer durchdeklinierten Zahlen, Daten und Statistiken ganz klar: Die Agenda 2010 hatte einerseits ihr Gutes, andererseits nicht. Damit hatten die zwei ihre Aufgabe auch schon hinreichend erfüllt, und wir können uns Mike aus Bochum zuwenden.

Mike Szczeblewski ist seit einiger Zeit in einer Auffang- oder Transfergesellschaft untergekommen, in der die Leute – etwa zur Entlastung Opels – bis zur endgültigen Arbeitslosigkeit zwischengeparkt werden. Demnächst droht Mike dann ALG I und ruckzuck Hartz IV. Nach der Agenda 20Schulz bliebe er länger in ALG I, wenn er „Qualifikationsmaßnahmen“ mache, wobei Mike eigentlich keine weitere Qualifikation sucht, sondern einen Job.

"Schluss mit Agenda 2010: Macht Schulz das Land gerechter?"
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Ja, seufzt Malu Dreyer, das ist alles schwierig zu verstehen für die Bürgerinnen und Bürger. Wir hörten bei ihren Ausführungen vor allem immer wieder von „Qualifikation und Weiterbildung“, wobei von der anwesenden Forschung attestiert wurde, dass solche Maßnahmen in der Regel „grandios daneben gegangen sind“. Und als Mike von „einem Bildungsgutschein“ berichtet, den er erhalten hatte, und mit dem er „einen Lehrgang besuchen konnte“, da konnte man sich lebhaft vorstellen, wie Milliarden über Milliarden den Gewerkschafts- und SPD-nahen Stiftungen für „Bildungsmaßnahmen“ zugeschanzt wurden, deren Nutzen wohl vor allem beim Veranstalter liegen. Was bleibt dem Mike da anderes übrig, als auf sich selbst zu bauen? Auf Schulz jedenfalls baut er nicht.

Malu durfte wenigstens noch ihren Einsatz für die „Schlecker-Frauen“ loben – „die kennt ja noch jeder“ – die sie in Rheinland-Pfalz zu Altenpflegerinnen umschulte. Aber jetzt macht „der Martin Schulz“ alles noch besser mit der Agenda, es muss nur noch viel mehr gefördert werden – was ist zum Beispiel mit „öffentlich geförderter Beschäftigung“? Placebo made in Würselen?

Jens Spahn von der Union verdreht nicht mal die Augen gen Himmel, wenn Malu spricht. Immer sachlich, ernst, höflich. Dabei war er ja im Illnerschen Kalkül der Ignorant am Tisch. Quasi der Verteidiger der ungeliebten Agenda 2010, von Sozialdemokraten zu verantworten, während Sozialdemokrat Schulz schon seine total neue Agenda plakatieren durfte.

Nun müssen wir die ominöse Agenda hier kurz abhandeln. Rot/Grün senkte 2003 die Sozialstandards ab, erleichterte Kündigungen, verstärkte die Leiharbeit. Vorteil: Senkung der Arbeitslosigkeit, bei gleichzeitiger Schaffung eines riesigen Niedriglohnsektors. Der Rest ist gestalt- und interpretierbare Statistik. Bossen und Genossen gehe es seitdem spürbar besser, den meisten anderen fühlbar schlechter. Aber immer noch besser als den anderen armen Schluckern in Europa – so der Tenor der Agenda-Fans.

Die SPD stürzte in Folge der Agenda an den Rand der Bedeutungslosigkeit und versucht nun unter dem Motto „Wir haben verstanden“ den halben Schulz-Salto-rückwärts. Was in Kombination mit weit geöffneten Grenzen und millionenfacher Einwanderung in die eh schon reduzierten Sozialsysteme nicht einer gewissen Komik entbehrt. Warten wir mal ab, für wie doof sich der Wähler verkaufen lässt.

Mit Inge Hannemann (Die Linke) kam dann noch eine ehemalige Arbeitsvermittlerin an den Tisch, die von „sechs Millionen Hartzern“ sprach, davon zwei Millionen Kinder.

Der „Weise“ Bofinger erinnerte an die gute alte Zeit 1996, als das Sozial-System in West-Deutschland vorbildlich war. Und Jens Spahn bescheinigte Schulz schlimmen Populismus, es stehe doch eigentlich gut im Land. Bei einer Erkenntnis wollen wir ihm recht geben: Die Sozialdemokraten scheinen aus 10-jähriger Depression erwacht. Aber Psychologen wissen: die Depression ist ein launiger Genosse!