Tichys Einblick
Bedrohliche AfD?

Bei Maischberger: Vom „Prüffall AfD“ zum Rückfall ins Tribunal

Vom "Prüffall" zur Beobachtung: Ein geheimnisvolles Gutachten der Geheimbehörde macht die Runde, und es wirkt wie eine Anklage, die der Beschuldigte nicht zur Kenntnis erhält. Wie mit Medien Politik gemacht wird.

Screenprint:ARD/Maischberger

Bei vier wöchentlichen Polittalkshows im öffentlich-rechtlichen Fernsehen kann es schon einmal vorkommen, dass die Nachrichten des Tages das Thema einer Sendung noch einmal besonders ausleuchten. So geschehen jetzt bei Sandra Maischberger, die sich den sogenannten Prüffall des Bundesverfassungsschutzes vorgenommen hat. Am Ausstrahlungstag kam es zu Protesten der Abgeordneten der AfD im bayrischen Landtag: Charlotte Knobloch, sechsundachtzigjährige Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde, hatte in einer Rede vor dem Landtag zur Gedenkfeier des Holocaust der AfD bescheinigt, sie würde „ihre Politik auf Hass und Ausgrenzung“ gründen, sie stände „nicht auf dem Boden unserer demokratischen Verfassung“.

Nun erzählten die Tagesthemen von einem „Eklat der AfD“, betonen aber gleichzeitig, dass Frau Knobloch die Partei in ihrer Rede „massiv kritisiert“ hätte. Wer hat hier also tatsächlich den Eklat verursacht: Frau Knobloch mit ihren Anwürfen oder Landtagsabgeordnete der AfD damit, dass sie den Plenarsaal verließen? Müssen sich gewählte Abgeordnete ohne Gegenwehr im Parlament den Vorwurf über sich ergehen lassen, sie stünden „nicht auf dem Boden unserer demokratischen Verfassung“? Eine offene Frage, welche die Tagesthemen für sich bereits gegen die AfD entschieden haben.

Bedroht die AfD die Demokratie?

Sandra Maischberger diskutiert im Anschluss an dieses aktuelle Vorspiel mit ihren Gästen die Frage, ob die AfD die Demokratie bedroht. Anlass dafür gab die öffentliche Ankündigung des Verfassungsschutzes und des Bundesinnenministeriums, die AfD sei nunmehr ein „Prüffall“ für den Verfassungsschutz, es würden vorerst Informationen gesammelt.

Die Gästeliste verspricht einen turbulenten Abend, wenn neben dem nordrheinwestfälischen Innenminister Herbert Reul und Melanie Amann, der Spiegel-Fachfrau für Grobgestricktes von Rechts, auch TE-Autor Wolfgang Herles eingeladen wurde, ebenso wie Katja Kipping, Parteivorsitzende der Linkspartei, die sich gerade noch öffentlich gegen besagten Prüffall ausgesprochen hatte. Nun schickt die AfD zu diesem Termin Alexander Gauland ins Rennen. Noch ein weiterer AfD-Mann ist eingeladen, aber nur deshalb, weil er schon wieder aus der Partei ausgetreten ist: Jörn Kruse war AfD-Fraktionschef in Hamburg. Die AfD konkurriert hier also mit den Grünen von etwa 1980, wer erfolgreicher ist in Sachen Selbstreinigung. Waren die Grünen in den 1980er Jahren oder noch davor ebenfalls ein Prüffall? Mister Talkshow (der Grünen-Chef Robert Habeck) ist tatsächlich einmal nicht eingeladen (oder war einfach nur verhindert …).

„Ist die AfD verfassungsfeindlich, ist sie gefährlich?“, eröffnet Sandra Maischberger. Alexander Gauland erklärt gleich mal, dass dieser so genannte „Prüffall“ im Gesetz gar nicht vorgesehen sei. Es gebe keinen Fall, wo interne Überlegungen veröffentlicht wurden. Herbert Reul findet Gaulands Einlassung eine Ablenkung. Den „grundgesetzwidrigen Eingriff in die Parteihoheit“ kann Reul allerdings nicht widerlegen.

Melanie Amann, ebenso wie einer Reihe anderer Leitmedien-Reporter, war anonyme Empfängerin des über 400 Seiten langen Papiers zum Prüffall. Nun sitzt die Journalistin in der Runde und weiß mehr als Gauland, dem das Papier nicht zugänglich gemacht wurde. Eine „Verurteilung ohne schriftliches Urteil“ findet Alexander Gauland das. Nun spricht Amann immer wieder das Papier an, zitiert daraus und man kann ihr also nun glauben oder nicht. Der Angeklagte jedenfalls kennt die Anklageschrift nicht. Man bleibt im Raum des Nicht-Nachprüfbaren – eine eklatante Schwäche der Sendung. Gegenüber TE hatte die Pressestelle des Verfassungsschutzes gerade schriftlich erklärt, den Bericht zum Prüffall nicht an die Medien weitergegeben zu haben, sondern nur an Behörden. Ob gegen anonymen Whistleblower ermittelt wird, blieb unbeantwortet. Es ist ja eine Art Geheimdienst, der hält seine Geheimnisse dicht oder auch nicht. Und Geheimnis ist Macht.

Katja Kipping sieht ein System in der Verharmlosung des Nationalsozialismus durch die AfD. Aber dennoch müsste man diese Partei politisch stellen. Das ist eine bemerkenswerte Aussage angesichts der offenkundigen Konkurrenzlage, in der Linke-Wähler schon vielfach zur AfD gewechselt sind. Kipping macht sie verdaulicher für ihre Klientel, indem sie fordert, man müsse den Opfern rechter Gewalt zur Seite stehen. Die AfD wäre zudem im Bundestag für die Hartz4-Sanktionen – nicht der Verfassungsschutz soll den Wettkampf entscheiden, sondern der Wähler nach Interessenlage.

Wirkungstreffer im Wahljahr

Wolfgang Herles sieht den Bericht als „auf eine Wirkung hin gezielt im Wahljahr“, da könne Herbert Reul erzählen was er wolle. Und Herles glaubt an einen Treffer Schiffsmitte insofern, „dass sich ein Teil der bürgerlichen Wähler durchaus davon beeindrucken lassen“. Ziel also erreicht. Melanie Amann unterstellt Herles sogleich Verschwörungstheorie. Aber wenn schon Verschwörung, dann liegt die eher auf Seite Amanns, die aus geheimnisvollen Papieren von noch geheimnisvolleren Absendern zitiert; „verschwörerisch zitiert“, könnte man formulieren. Warum sie den ihr angeblich vorliegenden Bericht allerdings nicht einfach auf den Tisch legt, muss sie mit sich selbst ausmachen. Und so bleibt man im Ungefähren, im Dunklen, da wo Verschwörung ihre Blüten treibt.

Amann erzählt viele dunkle Details daraus, die man glauben kann oder eben nicht. So sind auch diese Aussagen in dem Moment bei Maischberger unbelegt. Also was soll das nun werden?

Maischberger macht, was sie tunlichst unterlassen sollte: Sie zitiert aus dem Papier, ohne dass derjenige (hier Gauland), der sich nun Satz für Satz verteidigen soll, dieses Papier schon gelesen habe könnte. Man müsste es ignorieren, um nicht Gefahr zu laufen, sich gemein zu machen mit irgendeiner möglichen Intention dahinter. Aber so einfach ist das nicht. Geheimnisvolle Papiere werden Wirklichkeit. Herr Gauland sei ein Rassist, schlußfolgert Aman. Gauland muss endlich Platz nehmen auf der Anklagebank. Da, wo er von Anfang an vorgesehen war.

Nicht jeder Unsinn ist verfassungswidrig

Wolfgang Herles erinnert daran, dass nicht jeder Unsinn gleich verfassungswidrig ist. Eigentlich eine Binse, könnte man glauben. Doch Maischberger holt dann den Ex-AfDler in die Runde, dem die AfD einst zu rechts geworden ist. Jörn Kruse war viel früher einmal SPD-Mitglied, steht politisch dem AfD-Gründer Bernd Lucke nahe. Hier hätten nun auch Olaf Henkel sitzen können oder sogar Frauke Petry. Das Schwert zielt auf Gauland. Aber was nutzt all das, wenn ungeklärt bleibt, was der Verfassungsschutz nun wirklich zusammengetragen hat und nur ausgewählte exklusive Stimmen das Papier von wem auch immer zugespielt bekamen und für die Öffentlichkeit „einordnen“? Jörn Kruse wird gefragt, wie weit sich die AfD nach rechts bewegt hätte, seit er nicht mehr dabei ist. Maischberger will wissen, was seine „Beobachtungen“ sind. Kipping erzählt von „Aussteigerberichten“ von ehemaligen AfDlern. So wird in Summe dann Sprache angespitzt und jeder wird auf seine Weise dran beteiligt.

Frau Amann hätte kein politisches Interesse, beobachte aber ebenfalls die AfD, meint Sandra Maischberger. Mal davon abgesehen, dass Frau Amann vom Spiegel so zu einer unpolitischen Person erklärt wurde, fragt man sich: Weiß die Moderatorin eigentlich noch, was sie redet, wenn sie selbst nun wiederholt eine „Beobachtung“ verbalisiert, die explizit  ein „Prüffall“ ist? So wird verbal die nächste Stufe gezündet. Es soll nicht die Letzte bleiben.

Frau Aman stellt fest, dass die Mehrheit der AfD-Mitglieder eher so sei, wie der brave Herr Kruse und nicht wie Höcke oder Gauland. Zwischen die Beiden passe „kein Blatt“. „Die Gemäßigten schweigen aus Angst“, so Amann.

Dann folgt ein ganzer Katalog der ohne Zweifel komplett verqueren Höcke-Zitate mit der finalen Frage des Einspielers: „Plant Björn Höcke eine Revolution von rechts?“ Ob das ein Aufruf zum Systemsturz sei, verschärft Maischberger noch einmal den Ton, die Eskalation vor der Urteilsverkündung ohne Anklageschrift geht weiter.

Instrumentalisierte Journalistin?

Ob nun freiwillig oder unfreiwillig: Melanie Amann lässt sich in der Runde leider zu offensichtlich mittels des Papiers aus dem Bundesverfassungsschutz instrumentalisieren. Ihr fehlt die Distanz zu dem, was man ihr absichtsvoll zugespielt hat: Zugegebenermaßen eine deformation professionnelle. Man hat den Knüller und ist dankbar dafür. Herbert Reul, als Politiker jenseits dieser Kategorien, vermischt was ihm nicht gefällt, mit dem, was möglicherweise verfassungswidrig ist. Er findet das alles, was andere nicht kennen sollen oder dürfen, eine „Unverschämtheit“. So wird Höcke zum eigentlichen Prüffall: „Ich verstehe die AfD nicht, dass sie sich nicht von Herrn Höcke trennt.“ Denn für Herrn Herles ist Höcke ein „Goebbels-Imitator, ohne jedoch ein Goebbels werden zu können.“ „Höcke ist ein kluger gebildeter Mann mit einer übersteigerten Liebe zu diesem Land.“, will Alexander Gauland befrieden. Oder doch eher provozieren?

Gibt es auch linke Verfassungsfeinde? Da schau her

Ganz zum Schluss geht es plötzlich um offen verfassungsfeindliche Strömungen innerhalb der Linken. „Sind Teile der Linken verfassungsfeindlich?“, fragt der Einspieler. Und hopps, sitzt die Linke Parteichefin für die letzten Minuten der Sendung neben Gauland auf der Anklagebank. Das nennt man Ausgewogenheit.

Wieder sind sich Linke und Rechte einig, unfreiwillig. Und Wolfgang Herles setzt nach: Der Verfassungsschutz solle sich doch einmal um die Schläger der Antifa kümmern und darum, was in den Moscheen gepredigt wird. Natürlich, Kipping möchte diese Gleichsetzung von rechts und links nicht, es ist die alte Frontstellung: Sie lernt aber, dass so eine Sendung kein Wunschkonzert ist, als Amann noch darum bittet, sich einmal vorzustellen, die Gewalttäter des G-20 in Hamburg seien Rechte gewesen. Aha, gibt es da auch einen Bericht, den sonst niemand lesen durfte? Man möchte dann Amann doch für den Versuch loben, ihre kritische Distanz zurückzuerobern.

Das Schlusswort gehört dann  Alexander Gauland, kurz und knapp: „Der Verfassungsschutz hat nichts.“

Na ja, schauen wir mal ganz unvoreingenommen, wenn es so weit ist. Dann, wenn es wirklich was zu schauen gibt, dort, wo die eine oder andere schon schauen durfte, wenigstens mit einem Auge.