Tichys Einblick
Vergewaltiger

Bei Maischberger: Täter im Priestergewand

Gut wäre es gewesen, Maischberger hätte den Kirchenmann einmal so bedingungslos inquisitorisch angefasst, wie sie es in etlichen Sitzungen an AfD-Politikern vorgeführt hat.

Screenprint: ARD/maischberger

Geradezu bizarr, dass vor der Sendung von Maischberger ausgerechnet der Titel der Sendung bei einigen für Empörung sorgte. Bizarr angesichts dessen, was unter der Überschrift „Missbrauch in der katholischen Kirche: aufklären oder vertuschen?” verhandelt werden sollte: Priester, die tausendfach vorwiegend Jungs vergewaltigten, demütigten und so dauerhaft seelisch verkrüppelten.

Warum? Weil laut Missbrauchsbericht offensichtlich eine Vielzahl von Priestern, was ihre sexuellen Neigungen angeht, irgendwo angesiedelt sind zwischen Homosexuellen und Päderasten. Weil sie der schwulen Community wenige Wochen nach Christopher Street Day den denkbar schlimmsten Stachel ins Fleisch jagen, wenn Schwule wieder in die Nähe von Kinderschändern gerückt werden. Die Kirche selbst ist sich dieses Vorwurfs natürlich bewusst und nennt, was unter ihrem Dach über Jahrzehnte passiert ist, in ihrer Missbrauchsstudie dann umständlich „unreife homosexuelle Neigung“.

Es ist so abstoßend, dass man schreien möchte. Unter der Mittelalter-Düsternis der von der Kirche jahrzehntelang gedeckten – also damit auch systematisch ermöglichten – Vergewaltigungen von Massen vorwiegend kleiner Jungen schaut der Zuschauer der Sendung auf Bischof Stephan Ackermann, der als „Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz“ anwesend ist. Was für ein gedanken- und/oder seelenloser Titel!

Und was eigentlich für eine unverschämte Zumutung, dass Ackermann es hier überhaupt noch wagt, mit diesem ringförmigen blütenweißen Kragen aufzulaufen in Gegenwart von Missbrauchsopfern, die mitunter Jahrzehnte gebraucht haben, um den ersten Satz darüber sprechen zu können, was Schwule und Päderasten, was schwule Päderasten im Schutz so eines Persil-Kragens an ihnen für Verbrechen verübt haben. Tausendfach und mit Wissen der Kirche. Und wenn es zu arg wurde, dann eben versetzt an eine andere Stelle, hin zu neuen frischen Opfern. Warum eigentlich reißt sich Bischof Ackermann bei Maischberger diesen Kragen als Symbol der Schande nicht einfach vom Hals?

Sagen wir es so drastisch, wie es ist: Ackermanns Kirche vergewaltigt Kinder. Und der zurückgetretene Papst Benedict erzählt von homosexuellen Seilschaften bis hinauf in den Vatikan. Fazit des abgedankten Papstes: „Es sei ihm nicht gelungen, die Kirche so vom „Schmutz“ zu reinigen, wie er sich das gewünscht habe.“

Kennen Sie Krzysztof Charamsa? Der Pole ist Theologe und homosexuell. Er arbeitete dreizehn Jahre im Vatikan in der römischen Glaubenskongregation. »In seinem Buch „Der erste Stein“ gibt der mittlerweile suspendierte Priester erschreckende Einblicke in die homophobe Struktur der katholischen Kirche: „Auf der Grundlage meiner persönlichen Erfahrungen gehe ich davon aus, dass ungefähr die Hälfte aller katholischen Geistlichen schwul ist.“ Homosexualität sei beim Klerus „eine Obsession“ gewesen – in der Öffentlichkeit wird sie verurteilt, doch hinter verschlossenen Türen laut dem 44-Jährigen ausgelebt.“«

Aber wie viele dieser „Hälfte“ sind nun mit einer „unreifen“ Homosexualität belegt? Ja, man kann es ahnen: Es ist dieser Tage nicht leicht, als Homosexueller durch die Welt zu laufen. Der unsägliche so genannte „Schwulenparagraph“ (§175) hatte auch deshalb viel zu lange Bestand, weil er immer wieder mit seiner Jugendschutzfunktion begründet wurde. Übrigens auch von der Kirche glühend verteidigt. Was für eine bigotte Schweinerei.

Aber zurück zu Maischberger. Weitere Gäste sind der als Kind von einem Priester missbrauchte Sänger Wolfgang Niedecken, der eindrucksvoll schildert, wie der Vater zwar irgendwann und viel zu spät die Reißleine zieht und den nicht nur missbräuchlichen, sondern auch sadistischen Priester entfernen lässt, aber wie der Vater doch so sehr in seinem eigenen katholischen Glauben verhaftet ist, dass der Priester einfach nur versetzt wird an einen anderen Ort, wo wieder andere frische Kinder warten, misshandelt zu werden. Die Kirche als organisierter Päderastenring, die viele Voraussetzungen erfüllt, kriminell genannt werden zu müssen? Katholiken werden sich gegen diesen Vorwurf verwahren. Vielleicht sogar zu Recht. Aber wie nah ist man damit dran an der Wahrheit?

Matthias Katsch ist Sprecher des Betroffenenverbandes Eckiger Tisch. Auch er wurde als Junge mehrfach von Priestern sexuell belästigt und irgendwann mit 5.000 Euro aus der Kollekte abgespeist. Und Katsch macht bei Maischberger gleich einmal klar, woum es wirklich geht: „Ich glaube, wir reden eigentlich von einer ganz anderen Dimension. Die Uni Ulm kalkuliert mit mehr als 100.000 in der katholischen Kirche Betroffenen nach 1946.“ Damit kommt er dem Vorwurf eines kriminellen Zustandes deutlich näher, als es der Missbrauchsbericht der Kirche selbst erzählt.

Als würde es dieses Beweises überhaupt noch bedürfen, ist auch Claudia Mönius Gast bei Maischberger. Die bemerkenswert aufrechte Frau ist weibliches Opfer priesterlicher Vergewaltigungen. Ja, es gibt auch sie: kriminelle Päderasten in der Kirche ohne diese so umschriebene „unreife Homosexualität“. Mönius wurde fünf Jahre lang missbraucht: „Der Pfarrer (war) meine Vertrauensperson und nannte mich mein Mädele‘.“ Und die couragierte Frau geht noch weiter, wenn sie sich live bei Maischberger erinnert: „Er nannte sein Glied Spatz, in Anlehnung an seinen Spitznamen bei den Regensburger Domspatzen. Er spielte mit mir: Spatz such Häschen. Weil ich eine Unterhose mit einem Hasen darauf hatte.“

Moderatorin Maischberger macht hier eine gute Arbeit, sie lässt die Opfer erzählen, gibt ihnen jenen Raum, der nötig ist, diesen ganzen Ekel, die Abscheu und das Widerwärtige dieses offensichtlich kriminellen kirchlichen Wirkens einmal vor den Zuschauern auszubreiten. Wer in diesen Tagen mit ansehen muss, wie sich wieder Priester aufschwingen, den chronischen Missbrauch perfide zu relativieren, der muss ja fast dankbar sein, dass die Macht des öffentlich-rechtlichen Fernsehens einmal in die richtige Richtung ausschlägt. In anderen Zeiten wären Kirchen geschliffen und Priester verjagt worden. Im 21. Jahrhundert wird debattiert. Und wir dürfen darauf pochen, dass dies mit aller nötigen maximalen Härte passiert.

Dieser großartige Kirchenkritiker Karlheinz Deschner hatte seine Kriminalgeschichte des Christentums kurz vor seinem Tod mit Band zehn abgeschlossen. Hätte er ein paar Jahre länger gelebt, wäre nun Band elf notwendig geworden. Die Kriminalgeschichte der Kirche ist tatsächlich eine endlose.

„Warum haben Sie so lange gebraucht, um sich ernsthaft mit dem Thema auseinanderzusetzen?“, fragt Maischberger den Bischof. Und der antwortet zunächst, dass ihn jede neue biografische Geschichte (er meint Geschichten vom Missbrauch durch Priester) „immer wieder neu erschüttert.“ Und der Zuschauer ist hier dazu verdammt, diesem Kirchenmann seine Erschütterung abzunehmen. Sogar und obwohl Bigotterien, Unehrlichkeiten und Lüge Teil des Verschleierungsapparates der Kirche sind.

Es kann ja diesem Bischof vom ersten Tag seiner Karriere in dieser Kirche an nicht entgangen sein, was da in seiner Kirche täglich passiert. Eine Kirche, die sich zunehmend zum Schutzraum für solche Kriminelle entwickelt hat. Und Ackermann weiß natürlich um diese ihm zu unterstellende Unglaubwürdigkeit. Also hängt er hinten an: „Das ist keine Rhetorik, das ist keine Floskel.“ Kann einem der Mann Leid tun in seiner Rolle? Sicher nicht. Denn nach wie vor trägt er das Gewand der Vergewaltiger. Man mag sich kaum vorstellen, wie das auf die Betroffenen wirken muss.

„Man kann wirklich nur fassungslos sein“, hängt der Bischof noch an. Nein, man kann noch mehr. Aber es wurde von der Kirche nicht gewünscht. Derweil wurde einfach weiter vergewaltigt.

Maischberger ist hoch anzurechnen, sich dieses Themas überhaupt angenommen zu haben. Tatsächlich ist es bei ihr gefühlt vielfach besser aufgehoben als etwa bei Plasberg oder Illner. Wenn man sich etwas hätte wünschen dürfen, dann das: Gut wäre es gewesen, Maischberger hätte den Kirchenmann einmal so bedingungslos inquisitorisch angefasst, wie sie es in etlichen Sitzungen an AfD-Politikern vorgeführt hat. Hier wäre es eindeutig vertretbar gewesen, die Kirche mit den Mitteln der Kirche zu verhören. Kein Mitleid.

Die Deutschlandfunk-Redakteurin Christiane Florin stellt es noch einmal klar: „Dieses System kann sich nicht selbst aufklären. Ich glaube, jetzt ist wirklich der Staat gefordert.“ Und das ginge, so Florin, nicht mehr so gönnerhaft und partnerschaftlich. Damit hat die Journalistin das nächste Fenster ins Dunkle aufgestoßen: jenes, das darauf hinweist, dass sich auch Staat und Gesellschaft versündigt haben, diese vergewaltigende Kirche so lange mit Wohlwollen betrachtet zu haben. Nun mögen wieder einige einwenden, man könne hier nicht „Kirche“ sagen, sondern müsse von Einzelfällen sprechen. Ist das wirklich so? Ab wann ist der Einzelfall die Regel? Eine Diskussion, die wir übrigens in anderem Zusammenhang und aus jüngster Zeit nur all zu gut kennen.

Was Sandra Maischberger hier zusammengebracht hat, muss als eine ihrer wichtigsten Sendungen gelten. Höchst bedauerlich nur, dass diese Sendung erst um 23:45 Uhr ausgestrahlt wurde, fast so, als läge ein Index auf dem Thema, wo es nur daran lag, dass der Fußballgott leider Maischberger noch weiter nach hinten geschoben hat.