Tichys Einblick
Alle haben Klima, die Bahn auch

Bei hart aber fair: Richtig Bahn fahren mit Binsenpflanzer Hofreiter

Bahnchef Lutz hielt bei „Hart aber Fair“ das Klima-Fähnchen in den Wind. Anton Hofreiter verteilte Binsen am laufenden Band. Und die Züge kommen pünktlich oder nicht.

Screenprint: ARD/hart aber fair

Jeder ist schon mal mit den Zügen der Deutschen Bahn AG (Inhaber Deutschland zu 100%) gefahren oder kennt jemanden, der das getan hat. Vielleicht ist dabei auf der Strecke auch die Klimaanlage ausgefallen, hat‘s beim WC geklemmt, war das Bier aus oder zu warm. Vielleicht kam der Zug zu spät oder gar nicht. Jedenfalls ist die Bahn, wie das ganze Land, da stehengeblieben, wo Merkel es einst übernommen hat – alles in allem ein beklagenswerter Zustand. Oder man nimmt es mit Humor, wie es die Autoren von „Senk ju vor träwelling“ getan haben – Danke, dass Sie mit der Bahn gefahren sind.

Seit Dr. Angela Merkel und ihre Spießgesellen nun wild entschlossen sind, das Weltklima in Deutschland zu retten, fällt das Scheinwerferlicht erneut auf die Bahn. Denn der Bürgende (besser als Bürger m/w/d) soll gefälligst sein Auto nach Afrika verkaufen und stattdessen den staatlichen Personen-nah-und-fern-Verkehr nutzen.

Organisiertes Versagen
Warum ist die Bahn so schlecht?
Das verspricht schon mal eine große Zielgruppe bei Plasbergs „Hart aber Fair“. Und so kam auch Bahnchef Richard Lutz, dem man wohl im Vorhinein versprochen hatte, die eigentlichen Probleme bei der Bahn nicht anzusprechen, gern in die Sendung. Lutz, ein ruhiger, höflicher Mann, Mitte 50, „Kind einer Eisenbahnerfamilie“, konterte persönliche Erlebnisse etwa vom Komiker Micky Beisenherz („in einem Zug vier Toiletten kaputt“) mit Excel-Tabelle und Management-Sprech: „90% der Kunden werden technisch mängelfrei“ befördert, „die Instandhaltungskapazitäten werden verbessert“, Lutz gelobte dennoch Besserung und „Am Ende des Tages“ ist dann alles piccobello.

Was soll er auch sagen? Sein Handlungsspielraum ist arg begrenzt, denn längst haben unsere Parteien (bis auf eine) die Bahn als Beförderungsort für abgehalftertes Personal entdeckt. Nehmen Sie nur als pars pro toto Ronald Pofalla, der als „Generalbevollmächtigter für politische und internationale Beziehungen“ bei der Bahn eine Anschlussverwendung gefunden hat für ein Jahresgehalt von 1,2 Millionen Euro (so viel wie die Jahreslöhne von 36 Lokführern oder 40 Stellwerkern). Oder kennen Sie noch Jürgen Rüttgers?

Dem reichte die Rente als Ministerpräsident vom Homeland NRW offenbar nicht, so verdingte er sich als „Berater“ für mindestens 220.000 Euro bei der Bahn. Darüber hinaus, so berichtet „Bild“, gab es zwei weitere Beraterverträge mit Rüttgers, „die horrende Tagessätze von 7.500 Euro pro Tag vorsahen – wie viele Tage Rüttgers abrechnete und für welche Tätigkeit, ist unbekannt“. Das alles kam bei Plasberg natürlich nicht vor.

Die „Balkanisierung“ der Gesellschaft
Schwächung des Standorts Deutschland durch die Selbstauflösung von Strukturen
Für die Parteien saßen Bernd Althusmann, CDU, und Anton Hofreiter in der Reihe. Althusmann lobte, dass die Bundesregierung 150 Milliarden (oder 186 Milliarden, eh wurscht) bis 2030 in die Bahn investieren wolle, zusätzlich, zu den 10 Milliarden, die der Steuerzahler jährlich in das Unternehmen pumpt. Hofreiter gab zunächst seine persönliche Reiseempfehlung weiter, falls der Zug mal voll sein sollte: Gehen sie in den Speisewagen, da ist immer Platz. Ansonsten schimpfte er – für seine Verhältnisse moderat, wer weiß, wo er mal landet – über die Bundesregierung, die die Bahn „seit 1990“ sträflich vernachlässigt habe. Was Herr Hofreiter vergessen hat: Ende der 90er, als wir noch kein Klima hatten, war die Devise der rotgrünen Regierung Schröder Eins und Zwei die Bahn fit für die Börse zu machen, und der  Mehdorn (Vorname Bahnvorstand) baute massiv Personal ab und legte Strecken still. Seither gilt er als der Bahnvernichter. Dabeihat er getan, was die Politik verlangte, und das ganz allein. Aber Fakten darf man vom bayerischen Binsenpflanzer Hofreiter nicht erwarten.

Bahnchef Lutz hat jedenfalls die neuen politischen Zeichen der Zeit bestens erkannt, und macht die laut Presse neuerdings superheißen Sommer verantwortlich, „denn die alten Züge sind für diese Temperaturen nicht geeignet“. Klima ist eben die neue Ausrede; früher waren es nur Sommer, Herbst, Winter, Frühling. Da klatscht das Publikum verständnisvoll und Anton Hofreiter muss schweigen. Wenn Sie, verehrter Leser, sich gelegentlich sorgen, dass Ihr ICE zu 100% mit Ökostrom betrieben wird, obwohl wir doch viel zu wenig Windkraftanlagen haben – keine Sorge, der Strom kommt aus ganz üblichen Quellen, die Bahn kauft nur entsprechende Zertifikate dazu. Diese Werbemaßnahme sei vom Bundesumweltamt anerkannt, sagt Lutz.

Deutschlands Schilda ist Berlin
BER und kein Ende
Auch würden Züge übrigens nicht vom Sturm umgeworfen, die Streckensperrungen erfolgen im Windfalle nur, weil Bäume, die zu nah am Gleis stehen, auf ebenjenes fallen können. „Die robben sich da ran“, kalauert Hofreiter, wohl wissend, dass seine Gesinnungsgenossen um jeden Baum kämpfen, außer sein Standort wird für Windräder gebraucht.

Die Studentin Judith Henke – derzeit sind junge Damen in den Talkshows Pflicht – durfte dann ihre Erlebnisse mit der Bahn schildern, genauso wie die üblichen von Brigitte vorgetragenen Zuschauerrreaktionen. Die Zielgruppe der betuchten Bahnreisenden wurde mit der „Schwarzen Mamba“ (Jahresbahncard 100%) für 4.000 bis 7.000 Euro angesprochen – hier empfehlen wir dem geneigten Leser das schönste Stück zum Thema: Googeln Sie Schwarze Mamba und Harald Schmidt. Micky Beisenberzens Bahn-Humor war da eher schlichter, allerdings entschuldigte er sich für die Bezeichnung der Bahn als „gottverdammte rollende Schei…“.

Und die Moral von der Bahn-Geschicht‘? Findest du im Staatsfunk nicht. Doch, halt! Allerdings nur im Comedy-Format.


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