Tichys Einblick
Konforme Dissonanzen

Bei Anne Will: Söder spielt den Habeck

Zu den geförderten Elektroautos hält sich Söder bedeckt, will Mitte Mai darüber nachdenken: „Was ist ein Konjunkturprogramm?“ Und „wie können wir Corona nutzen für Klimawandel und Mobilität?“ Das ist schon skurril: Söder spielt den Habeck, während der dabei sitzt.

Screenprint: ARD/Anne Will

Dass sich jemand freiwillig eine solche Sendung von Anfang bis Ende anschaut, werden wir in diesem Leben wohl nicht mehr verstehen. Vielleicht hilft so was ja gegen zu niedrigen Blutdruck. Da müssen wir mal einen Wirrologen fragen. Diesmal ging es darum, den Wähler darauf vorzubereiten, dass sein Steuergeld demnächst auch in Autoprämien fließen soll. Allerdings darf die Autoindustrie dann keine Boni oder Dividenden zahlen, findet Olaf Scholz, der es aber nach vielen, vielen Jahren in der Politik vorzieht, sich so auszudrücken, dass man ihn bloß nicht klar und deutlich verstehen kann. Robert Habeck jedenfalls hat ihn exakt so verstanden.

Wenn die Auguren beim Auslesen der Wählerinnereien recht haben, dann hat die wiedererstarkte Merkelpartei im nächsten Jahr die freie Auswahl, mit Pest (SPD) oder Cholera (Die Grünen) die nächste Regierung zu bilden. Markus Söder glaubt jedenfalls den Auguren und gibt schon mal den künftigen Riesenstaatsmann – gnädig, verständnisvoll, mitfühlend. (Obwohl Parteifreund Seehofer als letztes Mittel, Söder zu stoppen, „die liebe Angela“ bekniet, eine weitere Amtszeit in Betracht zu ziehen. Kanzler Söder wäre zu viel für Seehofer.)

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Der zugeschaltete Söder ist ein Mann der Optik, intellektuell geht ihm manches durcheinander. Da beklagt er, dass das RKI „keine verlässlichen Zahlen“ liefere (als wenn die das könnten), andererseits aber sagt er, „ich schätze den Rat der Wissenschaftler sehr“ – wohl solange er sich einen Wissenschaftler aussuchen kann. Dann schimpft er auf „einige, die bewusst versuchen, Wissenschaft zu diskreditieren“. Genau das aber tut die Regierung permanent selbst mit solchen Wissenschaftlern, die von ihrer amtlichen Sichtweise abweichen. Söder meint aber mit „einige“ natürlich die AfD.

Zu den geförderten Elektroautos hält er sich bedeckt, will Mitte Mai darüber nachdenken: „Was ist ein Konjunkturprogramm?“ Und „wie können wir Corona nutzen für Klimawandel und Mobilität?“ Das ist schon skurril: Söder spielt den Habeck, während der dabei sitzt.

Ja, der Robert H., von nix ne Ahnung, aber davon eine ganze Menge. Natürlich soll es keine Staatshilfen für Benziner geben oder für AGs, die Boni und Dividenden zahlen. Außerdem sei doch die Autoindustrie selber schuld an der Strukturkrise, weil sie nicht voll auf Elektro gesetzt habe. Nur VW sei schlauer gewesen. Das sagt der Robert H., weil er nicht mitbekommen hat, dass die Elektro-VWs auf riesigen Halden vergammeln und VW das gute Konzernergebnis den SUVs zu verdanken hat, aber VW-Chef Elektro-Herbert (Diess) macht halt gute Lobbypolitik.

Nun folgen die Polit-Shows im Staatsfunk den Regeln der Scripted Realiy wie etwa die Trovatos. Deshalb musste Habeck sich zu Beginn der Sendung erst einmal vom Tübinger OB Boris Palmer distanzieren. Falsch sei das, was der Boris gesagt hat, falsch und herzlos, und gehe weit über parteischädigendes Verhalten hinaus. „Meine Geduld ist erschöpft!“, sagte Robert H. etwas erschöpft.

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Hildegard Müller ist Präsidentin des Automobilverbandes VDA und eine gewiefte Frau. Sie leitete die Bundeskanzlei, als Merkel noch alle sieben Sinne beieinander hatte (2005 bis 2008) und hatte Fakten und Argumente parat, die allerdings im Staatsfunk unter vergebene Liebesmüh fallen. Etwa, dass Kurzarbeitergeld vorher von den Firmen eingezahlt worden sei über die Sozialabgaben, Dividenden und Boni für das abgelaufene (Vor-Corona-)Jahr gezahlt würden und E-Autos noch nicht in der Realität angekommen seien, wenn man sich nur mal das Leben auf dem Lande anschaue.

Erlauben Sie einen kleinen Abstecher, verehrte Leser? Egal. Jedenfalls lief diese Tage der Film Spy Game mit Robert Redford und Brad Pitt, und der spielte unter anderem im Bürgerkriegsland Libanon. Und was fuhren die Warlords und Gangsterbosse? Mercedes. Fette, alte Daimler-Autos, Diesel oder Benziner. Wenn wir demnächst nur noch Elektroautos bauen, was sollen dann die im Orient und Afrika fahren Robert Habeck, herzloser Kerl!

Nachdem sich Söder offensichtlich auf Habeck und die Grünen festgelegt hat („Ich stimme alles mit Winfried Kretschmann ab“) konnte einem Olaf Scholz schon fast leid tun. Aber nur kurz. Seine Binsen „es wird permanent nachgedacht, zusammen mit Parteien und vielen Bürgern“, „In den USA wurden weitere 20 Millionen Arbeitnehmer und Arbeitnehmer (Neusprech! Nicht falsch verstanden) entlassen“, „Wir arbeiten viel schneller als die Leute wahrnehmen“, war es auch schon wieder vorbei mit dem Mitleid.

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Jedenfalls haben die Regierungen „begonnen, bestimmte Aktivitäten zuzulassen“, etwa Gottesdienstbesuche (Ramadan!) und Friseurtermine. Jaja, sagte Habeck, aber es tröten alle durcheinander wie bei einem nicht abgestimmten Orchester (das nennt sich Föderalismus, Habeck). Wenn die Blinden schon beisammen sitzen und von der Farbe reden, darf auch „die App“ nicht fehlen. Schließlich müssen wir „zu einer anderen Form der Bekämpfung des Virus kommen“ (Habeck).

Für die „Wissenschafts“-Aktivistin irgendeines Berliner Instituts, Jutta Allmendinger, wurde grundsätzlich über die falschen Dinge gesprochen. Was ist mit der Frau an sich? Jetzt auch noch durch die Heimarbeit benachteiligt, weil sie nun Haushalt und Job erledigen müsse. Das verwirrte Scholz etwas, hatte doch seine Partei (Sorgenkind Hubertus Heil) extra das Recht aufs Home Office erstritten. Und wo bleibe der Kita-Gipfel? Und was wollen wir eigentlich? Ihr schwebt die Gleichheit bei Vermögen und Bildung vor, und natürlich bei der Digitalisierung. (Er habe 500 Millionen für Tablets für zurückgebliebene Schüler „mobilisieren“ können, sagte Scholz) Außerdem müsse Schluss sein mit der Individualisierung im Verkehr. Schluss mit Autos.

„Kluge Vorschläge“ konnte Söder da erkennen. Und Habeck seufzte, „Alleinerziehende, Kinder und Frauen haben keine Lobby“. Außer im Fernsehen. Gute Nacht.


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