Tichys Einblick
Vier gegen einen

Bei Anne Will ging es mehr gegen die katholische Kirche als um den Missbrauchsskandal

Anne Will stellt die Frage: „Sind die Kirchen noch zu retten?“ – und gibt keine Antwort. Der Missbrauchsskandal wird zum Generalangriff auf die katholische Kirche.

Screenprint: ARD/Anne Willl

Gestern Abend versprach es bei „Anne Will“ – endlich und nach langer Zeit – mal wieder spannend zu werden. Gestellt wurde die Frage: „Ist die Kirche noch zu retten?“ Anlass, so schien es zumindest zu Beginn, waren die bekannt gewordenen schweren Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche und insbesondere ein jüngst veröffentlichtes Gutachten über die Bistümer München und Freising. Allein dort konnten für den Zeitraum von 1945 bis 2019 497 Missbrauchsfälle sexueller Art festgestellt werden. Auch wurde belegt, dass Papst Benedikt XVI. die Unwahrheit gesagt hat, was dieser auch selbst einräumen musste.

Eingeladen waren der Mitbegründer und Sprecher der Betroffeneninitiative „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch, Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne), die Deutschlandfunk-Redakteurin Christiane Florin, die SPD-Politikerin Ingrid Matthäus-Maier und schließlich – für den Platz auf der Anklagebank – der Vorsitzende der Katholischen Bischofskonferenz – der Limburger Bischof Georg Bätzing.

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Um es gleich vorweg zu nehmen, die gestellte Frage wurde nicht beantwortet. Denn dazu wäre es notwendig gewesen, erst einmal zu erfahren, was die katholische Kirche nach ihrem Selbstverständnis eigentlich ist. Gefehlt hat in der Runde nicht ein weiterer Vertreter der Institution Amtskirche, sondern einer der führenden Theologen, beispielsweise von der renommierten Katholischen Universität in Eichstätt. Denn wenn schon über die Kirche als solche diskutiert werden soll, muss es letztlich auch um die religiösen und gesellschaftsrelevanten Werte gehen, für die sie steht – oder aber auch nicht. Wenn die Debatte auf die skandalösen und beschämenden Missbrauchsverbrechen reduziert wird, ist die Fragestellung schlicht verfehlt. Doch möglicherweise war dies kein Zufall.

Zu den konkreten Vorgängen selbst herrschte schnell bis hin zum Spitzenvertreter der Amtskirche im Wesentlichen Konsens. Da wurde gelogen, vertuscht und beschwichtigt, dass sich die Balken bogen. Das Schlimmste aber war die fehlende Empathie für die Opfer, deren Dunkelziffer in ihrer Dimension gar nicht zu erfassen ist. Die meisten der geschundenen Kinder und Jugendlichen haben schwerste seelische Schäden erlitten, an denen viele bis zum Lebensende leiden. Kein Ruhmesblatt für die Kirche ist in diesem Zusammenhang auch das leidige Thema „materielle Entschädigung“. Bis heute, so auch Bischof Bätzing, ist es noch nicht zu tragfähigen und angemessenen Vereinbarungen gekommen.

Ebenso konnte er auch die rechtliche Verfolgung durch den Staat oder durch interne kirchliche Institutionen nicht ausreichend transparent machen. Genauer gehe es dabei um nach dem geltenden Strafrecht bereits verjährte Taten, wobei eine große Zahl der Täter, so Bätzing, bereits verstorben sei. Besonders die Journalistin Florin forderte den Rücktritt noch amtierender und in das schmutzige Geschehen verwickelter Würdenträger. Sie forderte Antworten auf die Motive des Verhaltens und mutmaßte, es seien in erster Linie Karriereüberlegungen und Rücksichtnahmen auf die Hierarchie der Kirche gewesen.

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Die Überlegung, dass es möglicherweise auch die Absicht einer Schonung der Institution Katholische Kirche als solche gewesen sein könnte, kam ihr gar nicht in den Sinn. Selbst wenn dies das Motiv gewesen wäre, wäre das keine Entschuldigung – am Fehlverhalten und seiner Verwerflichkeit änderte das nichts. Es wären eben nicht nur im Vergleich triviale Gründe wie das Fortkommen und das persönliche Ansehen bei der Obrigkeit gewesen. Aber darauf war die Diskussion eben schon zum Ansatz her nicht ausgerichtet.

Von der Tragödie des Missbrauchs kam als nächstes das katholische Arbeitsrecht an die Reihe. Speziell ging es dabei um die unverändert praktizierte Nichtbeschäftigung von Menschen mit diversen Orientierungen. Wieder war es Bischof Bätzing, der auch dies bedauerte und sich für Veränderungen aussprach.

Ein Segen für die Diskussion war der äußerst sachlich auftretende Vertreter der Opfer, Matthias Katsch. Er wies darauf hin, dass der Schlüssel für all diese Fragen letztlich in Rom, konkret beim Papst läge. Derartige Dinge, die unmittelbar aus der religiösen Lehre entspringen, könnten auf nationaler Ebene gar nicht verändert werden. Hier wäre es schön gewesen, das Verständnis der Kirche von Ehe und Familie, dem Schutz des ungeborenen Lebens und überhaupt der christlichen Ethik zu problematisieren – doch nichts da!

Matthäus-Maier wie Göring-Eckardt sprachen sich für die ausdrückliche Gleichstellung schwuler, lesbischer und diverser sexueller Orientierung mit Verfassungsrang aus. Hieße das, dass am Ende sogar die Bibel mit ihren entsprechenden Aussagen verboten werden müsste?

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Schließlich, wie in einer Sendung dieser Art nicht anders zu erwarten, ging es um die kirchlichen Privilegien. Hierzu wurden das Eintreiben der Kirchensteuer durch den Staat wie auch staatliche Zuwendungen aus lange zurückliegenden Vereinbarungen – wie beispielsweise Entschädigungsleistungen für enteignete Kirchengüter aus dem Jahre 1803 und Ähnliches – angesprochen. Matthäus-Maier empfahl in diesem Zusammenhang, mal den materiellen Wert der kirchlichen Gegenleistungen für die Gesellschaft zu ermitteln. Leider kam auch hier niemand auf die Idee, dann auch die Belastungen für die Gemeinschaft zu bestimmen, würden die Kirchen sämtliche sozialen Dienste, von Betreuungsstätten bis hin zu Krankenhäusern sowie diakonische Leistungen, einstellen.

Einer Tradition blieb Anne Will auch gestern treu: Vier Teilnehmer mit gleichen Positionen gegen einen. Das Verhältnis der entsprechenden Redezeiten lässt die Frage nach der Fairness gar nicht erst aufkommen. Man wurde die Vermutung nicht los, dass das furchtbare Schicksal der Betroffenen zu einer Gesamtanklage vor allem gegen die katholische Kirche instrumentalisiert werden sollte.

Sicher hat schon für die nächste Woche Frau Will eine ähnlich kritische Runde zum islamischen Glauben und entsprechenden Einrichtungen vorgesehen. Sicher ist sie ebenso wie die meisten ihrer Gäste der Meinung, dass der Islam zu Deutschland gehöre. Damit müsste auch für sie ein Maßstab gelten, der für alle in Deutschland vorhandene Religionen gleich ist.