Tichys Einblick
Nach alles Corona alles Baerbock?

Bei Anne Will: 22 Minuten mit Baerbock über Frauen-Bonus bei Kandidatenentscheidung

Einigkeit in der großen Mehrheit der Runde: Erweitertes Impfschutzgesetz ist verfassungswidrig. Der Schauspieler-Satire-Protest war keine Silbe wert. Dafür das Argument Frau umso mehr.

Screenprint: ARD / Anne Will
„Anne Will“ ist bekanntlich immer mal für eine Überraschung gut, nach unten ist die Skala offen. So auch wieder gestern Abend. Eigentlich sollte es in ihrer Runde um die Frage gehen, ob das jetzt durchgepeitschte 4. Infektionsschutzgesetz ein Durchbruch oder ein Tiefpunkt in der bisherigen Corona-Politik der Bundesregierung ist. Und dann das – die ersten 22 Minuten drehten sich nahezu ausschließlich um die Frage, ob denn das Geschlecht ausschlaggebend für die Kür Annalena Baerbocks zur Kanzlerkandidatin der Grünen gewesen sei. Natürlich, die so Angegriffene, sei das nicht der Grund gewesen, auch wenn der unterlegene Mitbewerber Habeck dies so kundgetan hätte. Doch die überzeugte Feministin Will ließ nicht locker. Jeder weiß doch, dass die Gastgeberin der Sendung eine überzeugte Anhängerin der Quotenregelung in allen Bereichen der Gesellschaft ist. Frausein ist demzufolge schon für sich genommen ein herausragendes Qualitätsmerkmal und befähigt zu höchsten Weihen.

Es soll ja schon vorgekommen sein, dass Vorstandsvorsitzende deutscher Unternehmen händeringend nach geeigneten Frauen für die obersten Chefetagen gesucht haben. Was blieb nach fehlgeschlagenem Bemühen denn dann noch übrig, als eine Kraft zu finden, die immerhin dem Geschlecht nach die Mindestvorgabe für die Besetzung der Stelle erfüllte – Frau! Also, jetzt mal ernsthaft, Frau Will, was ist da nur in Sie gefahren – oder aus Ihnen? Ein Ausweis von Logik war das nicht. Wohl aber ein deutlicher Hinweis, was für Frau Will wie wichtig ist. Es ist ein überholtes Rollenbild, in dem sich Anne Will verfangen hat. Vermutlich erklärt das ihre Verbissenheit: Sie kämpft in ihrem Fernsehstudio noch einmal die Schlachten von gestern. Sie hat nicht wahrgenommen, wie die Welt sich verändert hat und sieht sie daher so häßlich. Manchmal offenbaren Fragen mehr über den Fragenden als über den Befragten. Und man mag sich über die Sonderrolle Baerbocks in der Sendung ärgern. Deren Antworten zeigen, dass ihr Fachwissen fehlt. Wer Baerbock verhindern will muss mehr Barbock herzeigen.

Da waren aber auch schon 15 Minuten der Sendezeit vergangen. Wer jetzt hoffte, dass endlich das Stichwort Corona fallen würde, musste sich weiterhin gedulden. An dieser Stelle empfand ich Hochachtung für die immer noch schweigend dasitzende Runde. Man konnte annehmen, Will habe sich in Gedanken an das jüngste Interview mit Noch-Kanzlerin Merkel erinnert und geglaubt, sie spreche schon mit der neuen Königin der Republik. Nur gut, dass die anderen Gäste offensichtlich im Gegensatz zu ihrer Gastgeberin eine gute Kinderstube hatten und tapfer durchhielten.

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So interessant es auch war, dass Baerbock dann ihre Ziele im Falle eines Wahlsieges formulierte. Über allem stehe für sie die Bekämpfung der bedrohlichen Klima-Katastrophe. Dabei werde man nicht um verbindliche Regeln und auch Verbote herumkommen – immerhin klare Worte. Jeder kann wissen, was auf Deutschland zukommt. Ein wichtiger Hebel werde dabei auch der Preis sein, mit dem klimagerechtes Wirtschaften belohnt oder bestraft werde. Dabei gelte es natürlich, „die Menschen mitzunehmen”. Die Corona-Pandemie habe schon zur Veränderung des Bewusstseins beigetragen. Schließlich gehe es als Drittes darum, Deutschlands Position bei den Spitzentechnologien durch massive Förderung zu festigen.

Erst dann eröffnete die Gastgeberin die Runde. Keiner der anderen vier Mit-Talker war so recht zufrieden mit dem Corona-Kurs der Regierung. Einzig die zum engsten Beraterkreis der Kanzlerin gehörende Forschungsleiterin am Max-Planck-Institut, Viola Priesemann, fand die Maßnahmen als nicht weitgehend genug und hätte sie sich schon früher gewünscht.

Bemerkenswerte Einigkeit zwischen dem Demokratieforscher Wolfgang Merkel, dem Präsidenten des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, Gabriel Felbermayr und der FDP-Veteranin und heutigen Richterin am Bayerischen Verfassungsgerichtshof, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, bei ihren Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des neuen Gesetzes. Felbermayr fällte schließlich das niederschmetternde Urteil: Bis heute sei kein wirkliches Konzept und keine Strategie der Bundesregierung im Umgang mit der Corona-Krise zu erkennen.

Das Ärgerliche gestern bei „Anne Will“: wertvolle Sendezeit wurde zu Beginn vergeudet. Dabei hätte es sich doch gelohnt, über die satirische Kritik einer Vielzahl von populären Schauspielern an Merkels Anti-Corona-Maßnahmen zu diskutieren – insbesondere über die unsachliche und intolerante Reaktion des Establishments im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Aber dieses Thema fand nicht statt.

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